Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 28.01.2010, Az.: 6 A 386/09
Asyl; Asylanerkennung; Asylberechtigter; Iran; Monarchist; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 28.01.2010
- Aktenzeichen
- 6 A 386/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 47953
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs 1 S 1 AsylVfG 1992
- § 1C Nr 5 FlüAbk
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine zum Widerruf der Asylanerkennung führende entscheidungserhebliche Veränderung der Verhältnisse für aktive Sympathisanten bzw. Mitglieder der monarchistischen Opposition im Iran lässt sich gegenwärtig nicht feststellen.
Tatbestand:
Der 19XX im Iran geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom XX.XX.1996 erkannte das Bundesamt den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt.
Im September 1997 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein. Mit Bescheid vom 0X.0X.2009 widerrief die Asyl- und die Flüchtlingsanerkennung. Zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen nach § 60 Abs.1 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Situation im Iran habe sich im Verlauf der letzten Jahre entspannt. Geringfügige oppositionelle politische Betätigung im Iran und eine exilpolitische Betätigung niedrigen Profils ziehe heute keine Verfolgung mehr nach sich.
Hiergegen richtet sich die beim Verwaltungsgericht eingegangene Klage.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 0X.0X.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling sowie der Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs.1 AufenthG liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nicht vor.
Nach der Vorschrift des § 73 Abs.1 Satz 1 AsylVfG, auf die sich der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes stützt, sind die Asyl oder Abschiebungsschutz zusprechenden Entscheidungen unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen, also insbesondere dann, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr besteht. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse (hier 1996) nachträglich entscheidungserheblich geändert haben. Ändert sich hingegen im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage, so rechtfertigt dies den Widerruf nicht, selbst wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neu erstellten Erkenntnismitteln beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.09.2000 – 9 C 12/00 –, NVwZ 2001, 335 ff.).
Die Voraussetzungen für die Anerkennung liegen danach dann im Sinne des § 73 Abs.1 Satz 1 AsylVfG nicht mehr vor, wenn sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach Ergehen des bestandskräftigen Anerkennungsbescheids erheblich geändert haben und die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen deswegen nunmehr ausgeschlossen ist. Ob eine solche Änderung eingetreten ist, beurteilt sich dabei nicht allein nach dem im Anerkennungsbescheid vom Bundesamt zugrunde gelegten Sachverhalt, sondern nach den damals im Verfolgerstaat tatsächlich herrschenden Verhältnissen. Auch aus dem Ablauf einer längeren Zeitspanne ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat kann eine erhebliche, die Pflicht zum Widerruf begründende Veränderung der Verhältnisse folgen. Neue Einschätzungen und neue Erkenntnisse über eine objektiv unveränderte Lage hingegen sind – wie bereits ausgeführt – kein Widerrufsgrund im Sinne des § 73 Abs.1 Satz 1 AsylVfG. Dies gilt auch für eine geänderte oder neu gebildete Rechtsprechung zur Verfolgungslage in einem Herkunftsstaat, sofern sie nicht ihrerseits auf einer erheblichen Veränderung der Verhältnisse beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.09.2000 – 9 C 12/00 –, a.a.O.).
Es kann hier offen bleiben, ob die im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung, dass der Kläger als Asylberechtigter anzuerkennen ist, rechtmäßig oder rechtswidrig war. Denn § 73 Abs.1 AsylVfG ermächtigt und verpflichtet zum Widerruf auch einer ursprünglich rechtswidrigen Anerkennung nur unter denselben Voraussetzungen wie beim Widerruf einer zu Recht erfolgten Anerkennung, d.h. bei einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.09.2000 – 9 C 12/00 –, a.a.O.).
Gemessen an diesen Grundsätzen kann der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamts nicht mit Erfolg auf § 73 Abs.1 AsylVfG gestützt werden. Die hier maßgeblichen Verhältnisse im Iran haben sich im Verhältnis zum Zeitpunkt des Erlasses des widerrufenen Bescheides nicht im Sinne vom § 73 AsylVfG geändert. Die von der Beklagten der Anerkennungsentscheidung zugrunde gelegte Ausgangssituation ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Ergehens der Widerrufsentscheidung (§ 77 Abs.1 AsylVfG) nicht anders zu beurteilen.
An dieser Einschätzung vermag auch der Hinweis der Beklagten im angefochtenen Bescheid, die Situation im Iran habe sich im Verlauf der letzten Jahre entspannt, nichts zu ändern. Zwar ergibt sich (bereits) aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10.12.2001, dass „nunmehr von einer Veränderung der Verhältnisse im Iran auszugehen sei, sich die Situation in den letzten Jahren entspannt habe und die monarchistische Opposition nicht mehr als Bedrohung gesehen werde“, dennoch hat sich in der Zwischenzeit das allgemeine Gefährdungspotential jedenfalls bei einem über die bloße Sympathisantenschaft/Mitgliedschaft hinausgehenden Engagement nicht – wie die Beklagte annimmt – verringert.
Während zuvor davon auszugehen war, dass es seit Jahren im Iran keine monarchistischen Aktivitäten mehr gegeben hatte, die monarchistische Opposition nicht im gleichen Maße wie die Volksmudjahedin als Bedrohung empfunden wurde und deshalb ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates hinsichtlich der Mitglieder monarchistischer Organisationen eher als fraglich einzustufen war (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18.04.2001, Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 31.03.1998 an das VG Münster), wird seit dem Jahr 2003 eine Neubewertung des Gefährdungspotentials für aktive Mitglieder der Monarchisten für erforderlich gehalten, weil die monarchistische Opposition im Iran durch Satellitenfernsehen erhebliche Propaganda gegen das Regime betreibt und die Abneigung im iranischen Volk gegen politische, westlich gefärbte Vorschläge monarchistischen Ursprungs im weiteren Sinne nicht nur signifikant nachgelassen hat, sondern auch Forderungen dieser Exilopposition von politischen Gruppen im Iran aufgegriffen worden ist (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2004 – 22 K 7796/02.A – unter Hinweis auf die Stellungnahme des Deutschen Orient-Institutes vom 26.05.2003 an die VG Kassel und Schleswig).
Entsprechend findet sich in den aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes seit dem 22.10.2004 auch die noch zuvor anzutreffende Formulierung, die Mitglieder der monarchistischen Opposition „werden (daher) nicht mehr verfolgt“ (vgl. Lagebericht vom 10.12.2001), nicht mehr. Aus dem Lagebericht vom 19.11.2009 ergibt sich weiterhin, dass in Folge der Ereignisse zur Wahl 2009 die staatlichen Maßnahmen zur Unterdrückung oppositioneller Aktivitäten zugenommen haben. Missliebige Personen werden aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten (z.B. Spionage im Ausland) aus politischen Gründen angeklagt. Diese Aussagen aus dem Lagebericht werden durch die vom Gericht gewonnenen allgemeinen zugänglichen aktuellen Erkenntnisquellen (u.a. Spiegel-online, Süddeutsche Zeitung) durch Einzelfallbeispiele bestätigt. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.11.2009 weiterhin davon auch davon auszugehen, dass Auslandsiraner auch nach den Ereignissen zur Wahl 2009 strikt vom iranischen Geheimdienst beobachtet werden.
Von einer entscheidungserheblichen Veränderung der Verhältnisse für aktive Sympathisanten bzw. Mitglieder der monarchistischen Opposition kann daher nicht gesprochen werden. Das Gericht ist dabei aufgrund des unmittelbaren Eindrucks aus der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger zu dem Personenkreis gehört, der nach wie vor im Visier der iranischen Sicherheitsdienste ist. Danach kann derzeit Zeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran vor politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre.
Weitere Gründe, die einen Widerruf der Asylanerkennung und der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen könnten, sind von der Beklagten weder geltend gemacht worden, noch sonst ersichtlich.
Das Gericht kann demzufolge offenlassen, ob der Bescheid auch deshalb rechtswidrig und aufzuheben ist, weil die Beklagte nicht erkannt hat, dass sie eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen (§ 73 Abs. 2 a Satz 4, Abs. 7 AsylVfG). Zwar hat die Beklagte noch innerhalb der Frist des § 73 Abs. 7 AsylVfG intern entschieden, dass sie die Asylberechtigung und den Abschiebungsschutz widerrufen will. Das erkennende Gericht geht aber aufgrund des Zusammenspiels der einzelnen Regelungen der Abs. 1, 2 und 7 des § 73 AsylVfG davon aus, dass nicht nur die interne Entscheidung bis zum Fristablauf erfolgen muss sondern - im Falle des Widerrufs - auch der Bescheid bis zum Tage des Fristablaufs zumindest gefertigt und abgesandt - wenn nicht gar dem Betroffenen bekanntgegeben - sein muss.
Nach alledem konnte wegen der nach wie vor bestehenden, bestandskräftigen Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft des Klägers auch die im angefochtenen Bescheid weiterhin verfügte Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen nach § 60 AufenthG keinen Bestand haben.