Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 12.01.2010, Az.: 2 A 1032/09
Beamter auf Widerruf; Dienstunfähigkeit; Entlassung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 12.01.2010
- Aktenzeichen
- 2 A 1032/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 41083
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2010:0112.2A1032.09.0A
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
Die Entlassung eines dienstunfähigen Widerrufsbeamten nach § 37 Abs. 1 Nr. 3 NBG a. F. unterliegt nicht der Mitbestimmung des Personalrates (entgegen VG Göttingen, B. v. 12.10.2007 - 3 B 366/07 -).
Tatbestand
Die Klägerin, die sich gegen ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wendet, legte am 30.01.2006 die erste Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen im Lande Niedersachsen mit dem Schwerpunkt Hauptschule und Realschule ab. Unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf wurde sie daraufhin mit Wirkung vom 01.11.2006 in den Vorbereitungsdienst für dieses Lehramt eingestellt und von der Beklagten der B. in C. und dem Studienseminar Hannover I zugewiesen. Die Beklagte verlängerte den Vorbereitungsdienst der Klägerin durch Verfügung vom 25.02.2008 bis längstens zum Ablauf des Monats Mai 2008. Die Klägerin hat die zweite Staatsprüfung im ersten Versuch nicht bestanden. Dies stellte das Niedersächsische Landesamt für Lehrerbildung und Schulentwicklung in seinem Bescheid vom 16.05.2006 fest. Die hiergegen erhobene Klage blieb vor dem erkennenden Gericht - 6 A 233/09- ebenso erfolglos wie ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil (OVG 2 LA 286/09). Da die Prüfung gemäß der Ausbildungsordnung eingeleitet blieb, bedurfte es keiner ausdrücklichen Verlängerung des Vorbereitungsdienstes.
Die Klägerin war in der Zeit vom 17.12.2007 bis zum 19.01.2008, vom 03.06.2008 bis zum 10.07.2008 und seit dem 10.09.2008 bis auf Weiteres dienstunfähig erkrankt. Diesen Umstand nahm die Beklagte zum Anlass, unter dem 25.09.2008 der Klägerin aufzugeben, sich amtsärztlich zur Feststellung ihrer Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen. Das amtsärztliche Gutachten der Region Hannover datiert vom 29.10.2008 und kommt zu dem Ergebnis, die Klägerin sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, den Vorbereitungsdienst zu absolvieren. Nach Anhörung der Klägerin verfügte daraufhin die Beklagte am 20.10.2008 unter Feststellung ihrer Dienstunfähigkeit die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Ablauf des 31.03.2009. Ein gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung von der Klägerin angestrengtes Eilverfahren blieb erfolglos (Beschluss der Kammer vom 09.03.2009 - 2 B 1034/09 -; Beschluss des Nds. OVG vom 03.06.2009 - 5 ME 76/09 - ).
Die Klägerin hat am 05.02.2009 Klage erhoben. Sie erachtet die Entlassungsverfügung als rechtswidrig, weil ihre Erkrankungen in der konkreten Prüfungssituation aufgetreten seien. Eine Hausarbeit bei gleichzeitiger Teilnahme am Vorbereitungsdienst zu erstellen, habe sie über das normale Arbeitsmaß einer Lehrkraft hinaus in Anspruch genommen. Anhaltspunkte für eine weitere Dienstunfähigkeit über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus hätten nicht vorgelegen. Die Beklagte habe pflichtwidrig verabsäumt, sie auf die Möglichkeit hinzuweisen, einen Antrag auf Beteiligung der Personalvertretung zu stellen. Auch dieser Gesichtspunkt führe, wie bereits das VG Göttingen (Beschluss vom 12.10.2007 - 3 B 366/09 -) entschieden habe, zur Rechtswidrigkeit der Entlassungsverfügung.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.01.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
weil die Entlassung rechtmäßig verfügt worden sei und insbesondere ein Hinweis auf eine gegebene Personalvertretungsbeteiligung nicht habe ergehen müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogene Personalakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg, weil der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2009, der die Entlassung der Klägerin aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Ablauf des 31.03.2009 verfügt, rechtmäßig ist, sodass er die Klägerin in ihren Rechten nicht verletzen kann.
Rechtsgrundlage für die streitbefangene Entlassungsverfügung ist § 37 Abs. 1 Nr. 3 NBG a. F., nach dem ein Beamter auf Widerruf zu entlassen ist, wenn er dienstunfähig ist und das Beamtenverhältnis nicht durch Versetzung in den Ruhestand endet. Die Kammer hat in ihrem Beschluss vom 09.03.2009 im Verfahren 2 B 1034/09 im Einzelnen dargestellt, warum in Ansehung dieser Rechtsgrundlage der angefochtene Bescheid keiner Bedenken begegnet, insbesondere die Klägerin zu Recht als dienstunfähig erachtet wurde. Die entsprechende Feststellung des Dienstherrn gründet sich in der gutachterlichen Stellungnahme des Amtsarztes der Region Hannover vom 29.10.2006. Die dort getroffenen Feststellungen sind von der Klägerin nicht erschüttert worden und auch ansonsten in jeder Hinsicht plausibel. Bei dem diagnostizierten Krankheitsgeschehen ist davon auszugehen, dass die Klägerin in ihrem Beruf einer Lehrerin nicht wird arbeiten können. Die Klägerin kann diesem Gutachten auch nicht entgegenhalten, es fehle dem Amtsarzt an psychiatrischen Fachkenntnissen. Auf eine Zusatzbegutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie hat die Klägerin bei ihrer amtsärztlichen Untersuchung nämlich verzichtet.
Das Entlassungsverfahren ist ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Kammer teilt nicht die Auffassung des VG Göttingen in seinem Beschluss vom 12.10.2007 - 3 B 366/07 -, wonach die Entlassung eines Beamten auf Widerruf in erweiternder Auslegung dem personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmungstatbestand des § 65 Abs. 1 Nr. 11 NPersVG in der bis zum 31.03 2009 geltenden Fassung unterfalle mit der Folge, dass wie bei einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand ein Beteiligungsrecht der Personalvertretung besteht, auf das die Dienststelle rechtzeitig hinzuweisen hat. Einer solchen erweiternden Auslegung steht zum einen schon die Systematik des Personalvertretungsgesetzes entgegen. In § 64 Abs. 3 S. 2 NPersVG ist nämlich bestimmt, dass die Mitbestimmungstatbestände der §§ 65 bis 67 NPersVG die dort aufgeführten Sachverhalte abschließend regeln. Ein Mitbestimmungstatbestand im Falle der Entlassung eines Widerrufsbeamten auf der Grundlage des § 37 NBG a. F. wegen Dienstunfähigkeit sieht das Gesetz nicht vor. Deshalb ist es unerheblich, ob eine solche Maßnahme in nicht geringerem Maße belastend ist als eine Entlassungsverfügung, die auf § 40 Abs. 1 NBG a. F. gestützt ist, und bei der ausdrücklich durch § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG eine Mitbestimmung gefordert wird. Der Versuch einer Auslegung durch das VG Göttingen muss scheitern, weil sein Beschluss den Wortlaut des Gesetzes missachtet, der Grenze jeder Auslegung ist.
Unabhängig davon trägt auch die vom VG Göttingen in Anlehnung an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.1999 (E110, 173) befürwortete erweiternde Auslegung des § 65 Abs. 1 Nr. 11 NPersVG über seinem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut und den des § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG hinaus auf den vorliegenden Fall nicht. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betrifft die Entlassung einer Beamtin auf Lebenszeit wegen Dienstunfähigkeit, die nicht in den Ruhestand hatte versetzt werden können, weil die dafür notwendigen ruhegehaltfähigen Dienstzeiten nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 BeamtVG nicht vorlagen. Deshalb musste auf der Grundlage des § 35 S. 2 BBG a. F. das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit statt durch Eintritt in den Ruhestand durch Entlassung enden. Das Beteiligungsrecht der Personalvertretung, bei Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit besteht, soll nach dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht deshalb entfallen, weil im konkreten Fall auf Grund der besonderen versorgungsrechtlichen Vorgaben eine andere Rechtsfolge, nämlich die Entlassung, eintrat. Das Bundesverwaltungsgericht sieht in diesem Fall eine Hinweispflicht auf das personalvertretungsrechtliche Mitbestimmungsverfahren ferner auch deshalb, weil auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entlassung nach § 35 S. 2 BBG a. F. ebenso wie die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand denselben Anforderungen unterstellt ist, insbesondere auch hier das formenstrenge Zwangspensionierungsverfahren durchzuführen ist und weil des Weiteren der Personalrat auch bei der Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Dienstunfähigkeit auf Antrag hin mitzuwirken hat.
Von diesem entschiedenen Fall unterscheidet sich der hier zu entscheidende Rechtsstreit deutlich. Bei einem dienstunfähigen Widerrufsbeamten ist ein förmliches Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit (sogenanntes Zwangspensionierungsverfahren) von Gesetzeswegen gerade nicht vorgesehen. In dieser Konsequenz liegt es wenn auch bei der Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Dienstunfähigkeit auf der Grundlage des § 37 Abs. 1 Nr. 2 NBG a. F. eine Mitbestimmung des Personalrats nicht gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.1988, Buchh 237.6 § 37 NBG Nr. 2 ((am Ende)) unter Geltung des inhaltsgleichen § 78 Abs. 1 Nr. 8 NdsPersVG i. d. F.v. 24.04.1972 NdsGVBl. S. 231). Auch die sich aus den verschiedenen Beamtenverhältnissen unterschiedlich ergebenden Schutzbedürfnisse der Beamten sind nicht vergleichbar. Während es keinen Zweifel daran geben kann, dass ein Beamter auf Lebenszeit, auch wenn er die Versorgungsanwartschaften des § 4 Abs. 1 BeamtVG noch nicht erfüllt hat, im höheren Maße die Fürsorge seines Dienstherrn beanspruchen kann als ein Probebeamter, gilt dies nicht in gleicher Weise für Widerrufsbeamte. Der Widerrufsbeamte befindet sich in einem vorläufigen Dienstverhältnis und wird vorübergehend beschäftigt, ohne dass ihm ein Amt in konkret-funktionellem Sinne zugeteilt würde. Grundsätzlich kann er deshalb jederzeit entlassen werden. Die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 09.12.1999 ist deshalb auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar.
Schließlich verfängt auch das Argument des Verwaltungsgerichts Göttingen nicht, bei der hier vertretenden Rechtsauffassung käme man zu einer eindeutigen Unterschreitung des im Bund und in sämtlichen Bundesländern üblichen personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsstandards, was der Gesetzgeber nicht gewollt habe. Im Gegenteil ergibt sich nämlich aus der Gesetzeshistorie, dass das Fehlen eines Mitbestimmungstatbestandes bei einer Entlassung eines Widerrufsbeamten wegen Dienstunfähigkeit vom Gesetzgeber gewollt war. Die Regelung in § 65 Abs. 1 Nr. 3 NPersVG knüpft nämlich an § 78 Abs. 1 Nr. 8 NdsPersVG in der Fassung vom 24.04.1972 (Nds. GVBl. S. 231) an. Diese wiederum erhielt ihre Gestalt durch das 4. Änderungsgesetz vom 20.03.1972 (NdsGVBl. S. 145). Mit der dort erfolgten Neufassung des § 78 Abs. 1 Nr. 8 wurde klargestellt, dass der Personalrat bei Probe- und Widerrufsbeamten nur in den Fällen der §§ 39 und 40 NBG mitbestimmen soll (vgl. Engelhard/Ballerstedt, Personalvertretungsgesetz Niedersachsen, 3. Aufl. 1973, § 78 Rz. 31 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Aus dieser (Landtagsdrucksache 7/559, S. 36) ergibt sich, dass dem Gesetzgeber bewusst war, dass er die Mitbestimmung des Personalrates nur in den Fällen der §§ 39 und 40 NBG a. F. regeln wollte, es darüber hinaus aber auch für diesen Personenkreis weitere Entlassungstatbestände gibt, die mithin der Mitbestimmung entzogen sein sollten.
Nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 65 Abs. 1 NPersVG hat das Gericht folglich keinen Zweifel daran, dass die Entlassung eines Widerrufsbeamten auf der Grundlage des § 37 Abs. 1 Nr. 3 NBG a. F. nicht der Mitbestimmung unterliegt, sodass es eines Hinweises der Beklagten auf ein entsprechendes Antragsrecht nicht bedurfte.
Hat nach alldem die Beklagte die Entlassung der Klägerin auch verfahrensfehlerfrei verfügt, musste die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 176 Abs. 2 VwGO.