Landgericht Hildesheim
Urt. v. 19.11.2004, Az.: 7 S 220/04

Beweislastverteilung zwischen Mieter und Vermieter bei der Abwicklung von Schäden an der Mietsache bzw. deren Zubehör

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
19.11.2004
Aktenzeichen
7 S 220/04
Entscheidungsform
Versäumnisurteil
Referenz
WKRS 2004, 36376
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2004:1119.7S220.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Holzminden - 21.07.2003 - AZ: 2 C 310/04

Fundstelle

  • WuM 2005, 717-718 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
hat die Zivilkammer 7 des Landgerichts Hildesheim
durch
den ..., die Richterin ... und den Richter ...
auf die mündliche Verhandlung vom 5.11.2004
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 21.7.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Holzminden wie folgt geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gebührenstreitwert für die Berufung: 632,95 EUR.

Gründe

1

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

2

Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Er ist der Ansicht, dass das Amtsgericht die Beweislastverteilung für die Verursachung des Schadens an der Balkonscheibe nach Verantwortungsbereichen verkannt habe. Aus dem Umstand, dass Scherben der Balkonscheibe auf den Balkon gelegen hätten, könne nicht geschlussfolgert werden, dass die Scheibe nur durch eine Gewalteinwirkung von außen zerstört worden sein könne. Da der Schaden im Obhutsbereich der Klägerin eingetreten sei, sei diese beweispflichtig dafür, dass die Verschlechterung der Mietsache nur auf vertragsgemäßem Gebrauch zurückzuführen oder von ihr nicht zu vertreten sei.

3

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Holzminden vom 21.7.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

4

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

5

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie ist der Ansicht, dass es sich hier um einen völlig atypischen Schadensverlauf gehandelt habe und dass deshalb den Beklagten die Beweislast für die Schadensverursachung treffe.

6

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

7

In der Sache hat das Rechtsmittel des Beklagten Erfolg.

8

Ein Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung eines Kautionsguthabens in Höhe von 632,95 EUR besteht nicht, weil dieser Anspruch durch Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch des Beklagten gegen die Klägerin aus § 280 Abs. 1 BGB erloschen ist (§ 389 BGB).

9

Der Beklagte hat hier einen Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin aus § 280 Abs. 1 BGB wegen der Beschädigung der Brüstungsscheibe am Balkon der angemieteten Wohnung in Höhe von - unstreitig - 632,95 EUR.

10

Dem Vermieter einer Wohnung steht ein Schadensersatzanspruch wegen einer Beschädigung oder Verschlechterung der Mietsache zu, soweit ein schuldhafter vertragswidriger Gebrauch des Mieters für einen Schaden ursächlich ist.

11

Die Beweislast wird in der Rechtsprechung nach Verantwortungsbereichen abgegrenzt. Stehe fest, dass die Schaden stiftende Handlung in dem durch den Mietgebrauch begrenzten Bereich stattgefunden habe, so sei eine Beweislastverteilung zu Ungunsten des Mieters gerechtfertigt (OLG München NJW-RR 1989, 1499, 1501) [OLG München 12.01.1989 - 29 U 2366/88]. Eine Beweislast des Mieters komme jedoch solange nicht in Betracht, wie der Vermieter die Möglichkeit einer in seinem Risiko - und Verantwortungsbereich liegenden Schadensursache nicht ausgeräumt habe (OLG Karlsruhe NJW 1985, 142, 143) [OLG Karlsruhe 09.08.1984 - 3 Re Miet 6/84]. Der Bundesgerichtshof hat diese Grundsätze zur Beweislastverteilung in Fällen ungeklärter Schadensursache für angemessen gehalten. Sei ungeklärt und könne nicht geklärt werden, ob der Schaden durch Mietgebrauch oder durch eine andere, dem Vermieter zuzurechnende Ursache eingetreten sei, müsse der Vermieter die in seinen eigenen Verantwortungsbereich fallende Gefahrenquelle als Schadensursache ausschließen (BGHZ 126, 124 ff.).

12

Die Anwendung dieser Rechtsprechungsgrundsätze führt jedoch im vorliegenden Fall dazu, dass die Klägerin als Mieterin zu beweisen hat, dass die Beschädigung der Mietsache nicht von ihr zu vertreten ist.

13

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Brüstungsscheibe des Balkons zu Beginn des Mietverhältnisses unbeschädigt war und dass die Beschädigung der Brüstungsscheibe während der Mietzeit der Klägerin eingetreten war.

14

Beweiserleichterungen zu Gunsten der Klägerin auf Grundlage der dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze kommen hier nicht zur Anwendung. Die Rechtsprechung hat solche Beweiserleichterungen zu Gunsten des Mieters dann angenommen, wenn als Schadensursache auch ein Defekt am Mietobjekt nahe liege. Dies sei zum Beispiel dann der Fall, wenn bei einem Brandschaden nicht auszuschließen sei, dass dieser durch einen Defekt an den verlegten elektrischen Leitungen verursacht worden sein könne (BGHZ 125, 230 ff. [BGH 03.03.1994 - III ZR 182/92]).

15

Im vorliegenden Sachverhalt steht jedoch nicht fest, dass als Schadensursache für die Beschädigung der Brüstungsscheibe auch eine unsachgemäße Befestigung der Scheibe in Betracht komme. Beweiserleichterungen zu Gunsten der Klägerin können aber nur eingreifen, wenn feststeht, dass eine andere, in den Verantwortungsbereich des Vermieters fallende Schadensursache, z.B. die unsachgemäße Befestigung der Brüstungsscheibe, nahe liegt. Solche Feststellungen sind jedoch im vorliegenden Sachverhalt nicht getroffen worden.

16

Allein der Umstand, dass die Scherben der zerstörten Brüstungsscheibe vollständig oder überwiegend auf dem Boden des Balkons lagen, lässt nicht den Schluss zu, dass die Schadensursache von außen und somit nicht durch eine Handlung der Klägerin gesetzt sein könne. Denn eine Gewalteinwirkung auf die Brüstungsscheibe von der Seite des Balkons aus lässt nicht den Schluss zu, dass die Scherben der Brüstungsscheibe dann nach außen hätten gefallen sein müssen. Ausweislich der Lichtbilder, die die Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 11.11.2004 vorgelegt hat, war die Brüstungsscheibe in einem rechteckigen Rahmen befestigt. Auf Grund dieser Befestigungsart liegt durchaus nahe, dass die Scherben der zerstörten Scheiben sowohl bei einer Gewalteinwirkung von außen als auch bei einer Gewalteinwirkung von Seiten des Balkons aus auf dem Balkonsboden zu liegen kommen.

17

Da nach alledem die Möglichkeit einer in den Verantwortungsbereich des Beklagten fallenden Schadensursache nicht nahe liegt, obliegt der Klägerin die Beweislast dafür, dass der Schaden nicht durch ihr Verschulden entstanden ist. Diesen Beweis hat die Klägerin nicht erbracht.

18

Der Vortrag der Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 11.11.2004 bot keine Veranlassung, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten (§ 156 ZPO).

19

Die Verteilung der Beweislast war Gegenstand eingehenden Vorbringens in der Berufung. Die Kammer hat ihre Rechtsauffassung in der mündlichen Verhandlung umfassend dargelegt. Die Parteien hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

20

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

21

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus der entsprechenden Anwendung der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

22

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Gebührenstreitwert für die Berufung: 632,95 EUR.