Landgericht Hildesheim
Urt. v. 01.04.2004, Az.: 1 S 123/03

Anspruch auf Schadensersatz auf Grund eines Autounfalls; Grundlage der Bewertung im Falle der Unaufklärbarkeit des Unfallhergangs

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
01.04.2004
Aktenzeichen
1 S 123/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 33369
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2004:0401.1S123.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim - 02.12.2003 - AZ: 40 C 138/03

Fundstelle

  • zfs 2005, 12-13 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim
durch
den ... sowie die ... auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2004 für
Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hildesheim vom 2.12.2003 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 479,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.4.2003 zu zahlen. Im Übrigen wir die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 25 %, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 75 %.

Gründe

1

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet und führt zur Änderung des angefochtenen Urteils.

2

I.

Die Beklagten wenden sich gegen die vom Amtsgericht vorgenommene Beweiswürdigung. Anhand der Anordnung der vorgefundenen Splitter lasse sich nicht zuverlässig auf die Richtigkeit der klägerischen Darstellung des Unfallhergangs schließen.

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Sie beantragen,

das Urteil des AG Hildesheim vom 2.12.2003 - AZ. 40 C 138/03 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

4

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

5

Von einem Anscheinsbeweis könne nicht ausgegangen werden; bleibe der Unfallverlauf aber unaufgeklärt, könne zumindest Schadensersatz unter Zugrundelegung einer hälftigen Quote verlangt werden.

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Die Berufung ist zum Teil begründet.

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Der Kläger kann gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche gem. §§ 7 I, II StVG a.F. i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVersG geltend machen.

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Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer des am Unfall beteiligten Fahrzeuges und haftet nach Maßgabe des § 3 Nr. 1, 2 PflVersG für Schadensersatzansprüche, die gegenüber dem Halter geltend gemacht werden können. Dieser haftet aus § 7 I, II StVG a.F., weil er Halter eines Kraftfahrzeugs ist, das insoweit unstreitig bei dem Betrieb einen Unfall mitverursacht hat. Gem. § 17 StVG a.F. sind zur Ermittlung der Haftungsquote die jeweiligen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen.

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Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann dabei nicht sicher festgestellt werden, dass der Beklagte zu 1) den Fahrstreifen wechselte und damit die Hauptursache für die Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers gesetzt hat.

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Richtigerweise geht das Amtsgericht davon aus, dass vorliegend die Grundsätze des Anscheinsbeweises keine Anwendung finden. Unstreitig befinden sich die Anstoßstellen an den Fahrzeugen hinten links bzw. vorne rechts und deuten damit unzweifelhaft auf eine versetzte Fahrweise hin, die das Überfahren der Mittellinie eines der Fahrzeuge nahe legt. Eine hiermit im Zusammenhang stehende Kollision indes stellt keinen typischen Unfallverlauf dar, der nach allgemeiner Lebenserfahrung den Schluss zuließe, die Kollision sei durch Unaufmerksamkeit, zu geringen Sicherheitsabstand oder zu hohe Geschwindigkeit des Auffahrenden verursacht worden. Der Kläger ist damit für den von ihm behaupteten Fahrstreifenwechsel beweisbelastet.

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Diesen Beweis kann er indes nicht führen. Die Aussagen der Parteien stehen im offenbaren Widerspruch zueinander, lassen sich aber beide mit dem Schadensbild vereinbaren. Gilt dies ohne weiteres für die Darstellung des Klägers, lässt sich auch die Darstellung der Beklagten mit den vorgefundenen Indizien vereinbaren, da sie letztlich nur voraussetzt, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug zu weit auf die rechte Fahrbahn geraten ist und zu dicht aufgefahren ist. Angesichts der heftigen Deformation am Fahrzeug des Klägers und der deutlichen Beschädigung des vom Beklagten zu 1) geführten Fahrzeuges kommt auch in Betracht, dass der Beklagte zu 1.) mit seinem PKW infolge des Anstoßes durch ein möglicherweise falsches Lenkverhalten aus der Spur geriet und schließlich auf der Gegenfahrbahn hielt. Der genaue Unfallort immerhin ist anhand der Unfallberichte, der Zeugenaussage, der veränderten Endstellung der Fahrzeuge und des vorgefundenen Schadensbildes nicht sicher aufklärbar. Der Zeuge ... hat den eigentlichen Unfall nicht beobachtet. Soweit er den Hauptteil der Splitter auf der rechten Fahrbahnseite sah, was für eine Kollision im Bereich des rechten Fahrstreifens sprechen könnte, verbleiben Zweifel, weil der Zeuge erst später hinzukam und auch zu diesem Zeitpunkt durch Fahrzeuge oder Wind Veränderungen denkbar sind. Die Polizei schließlich kam noch später hinzu und dokumentiert ein für die Darstellung des Klägers sprechendes Schadensbild. Selbst wenn das vom Beklagten zu 1) geführte Fahrzeug nicht ganz mittig gefahren sein sollte, lässt sich daraus nicht mit der nötigen Sicherheit folgern, dass es in gefahrerhöhender Weise unbotmäßig nah an den Mittelfahrstreifen gefahren ist oder ihn überfahren hat, zumal hiergegen wiederum das vom Zeugen ... geschilderte Splitterbild spricht. Aus der Art der Beschädigungen im Übrigen lassen sich keine Rückschlüsse ziehen. Die Stellung der Fahrzeuge befanden sich bei Aufnahme durch die Polizei nicht mehr in ihrer Endstellung, weitere Unfallspuren fehlen.

12

Ist ein Unfallhergang jedoch unaufklärbar, ist die jedenfalls unstreitige Fahrweise der Bewertung zu Grunde zu legen (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Auflage, § 17 StVG Rz. 21). Unstreitig kam es zu einer Kollision zwischen dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug und dem PKW des Klägers. Dass der Beklagte zu 1) die Mittellinie überfuhr, nach links zog oder auch nur in irreführender Weise blinkte, hat außer Betracht zu bleiben, weil diese Umstände als die Betriebsgefahr erhöhend vom Kläger zu beweisen sind. Umgekehrt konnte auch der Beklagte nicht beweisen, dass es der Kläger war, der den Fahrstreifen nach rechts überfuhr und ohne Zutun des Beklagten auffuhr. Auch dem Umstand, dass es sich auf Beklagtenseite um einen kleineren LKW handelt, ist nicht erhöhend zu berücksichtigen, weil insoweit nicht bewiesen ist, dass sich dieser Umstand betriebsgefahrerhöhend ausgewirkt hat (vergl. OLG Hamm, VRS 100, 438[OLG Hamm 21.03.2001 - 13 U 216/00]).

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Hat hiervon ausgehend somit keine der Parteien ein betriebsgefahrerhöhendes mitursächliches Verschulden der einen oder anderen Seite bewiesen, sind die Betriebsgefahren gegeneinander abzuwägen. Dies führt vorliegend zu einer hälftigen Schadensteilung, weil die allein als unstreitig festzustellenden Fahrweisen in gleichem Maße gefährlich erscheinen und damit weder der einen noch der anderen Seite ein überwiegender Verursachungsbeitrag nachzuweisen ist (vergl. OLG Hamm, VRS 100, 438[OLG Hamm 21.03.2001 - 13 U 216/00], LG Kaiserslautern, ZfSch 1997, 9; LG Detmold, ZfSch 2000, 385; OLG Frankfurt, VersR 1997, 74; OLG Koblenz; Urteil v. 2.12.1991 - 12 U 995/90 -).

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Im Ergebnis führt dies zu einer Ersatzpflicht der Beklagten in Höhe von 959,65 EUR / 2 = 479,83 EUR. Nach dieser Maßgabe hatte die Berufung Erfolg.

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II.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 92 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO analog. Die Revision war nicht zuzulassen, weil gemäß § 543 Abs. 2 ZPO der Rechtsache weder grundsätzliche Bedeutung zukommt, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.