Landgericht Hildesheim
Urt. v. 26.03.2004, Az.: 7 S 364/03
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 26.03.2004
- Aktenzeichen
- 7 S 364/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 42617
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:2004:0326.7S364.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Gifhorn - AZ: 33 C 1197/03
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29.10.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gifhorn geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert der Berufung: 1.183,20 €.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die Beklagte rügt, dass das Amtsgericht übersehen habe, dass der Beklagte nicht mit ihr, sondern mit ihrem Ehemann einen anwaltlichen Beratungsvertrag geschlossen habe. Sie habe sich lediglich in die Beratung ihres Ehemannes "eingeklinkt".
Da das Amtsgericht trotz dieses Vortrags davon ausgegangen sei, dass der anwaltliche Beratungsvertrag mit ihr und ihrem Ehemann geschlossen worden sei, hätte es einen Honoraranspruch des Klägers mit der Begründung, dass ein Verstoß gegen § 43 a Abs. 4 BRAO vorliege, verneinen müssen. Die Beratung sei trotz widerstreitender Interessen der Eheleute erfolgt.
Der Kläger habe allein die Interessen ihres geschiedenen Ehemannes vertreten.
Die Beklagte beantragt,
das am 29.10.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gifhorn abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und behauptet, dass die Beklagte und ihr Ehemann sich in allen Punkten einig gewesen seien und dass er die Beratung sofort abgebrochen hätte, wenn Interessengegensätze deutlich geworden wären.
Er ist der Auffassung, dass § 43 a Abs. 4 BRAO nicht einschlägig sei, wenn Ehegatten sich einvernehmlich scheiden lassen wollen und keine Interessengegensätze bei der Beratung deutlich werden.
Der Beratungsvertrag sei mit beiden Ehegatten geschlossen worden.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf ein Anwaltshonorar aus einem angeblich am 15.03.2002 zustande gekommenen Beratungsvertrag.
Es kann dahin stehen, ob ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien und dem inzwischen von der Beklagten geschiedenen ... oder lediglich zwischen diesem und dem Kläger bestand, da ein Vertrag zwischen den Parteien und dem geschiedenen Ehemann der Beklagten gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 43 a Abs. 4 BRAO nichtig wäre und bei einem anwaltlichen Beratungsvertrag des Klägers allein mit .... kein Anspruch auf eine Honorarzahlung gegen die Beklagte bestehen würde.
Ein Beratungsvertrag zwischen einem Rechtsanwalt auf der einen Seite und scheidungswilligen Ehegatten auf der anderen Seite verstößt auch dann gegen § 43 a Abs. 4 BRAO, wenn die Ehegatten deutlich machen, dass sie sich in allen Punkten einig sind und widerstreitende Interessen bei der Beratung nicht deutlich werden, also eine vermeintlich einverständliche Scheidung vorliegt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.04.2001, Az.: 2 U 1/00, Hartung, Die einverständliche Scheidung aus berufsrechtlicher Sicht in FF 2003, 156, Hartung/Holl-Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., § 3 BerufsO Rn. 19.
Bei einer Scheidung von Ehegatten treten gerade typischerweise Interessenkonflikte auf. Auch eine vermeintliche Interessengleichheit beruht in der Regel auf fehlender rechtlicher Aufklärung des einen Ehepartners oder aufgrund psychischen Druckes des anderen (Hartung/Holl-Hartung, anwaltliche Berufsordnung, 2. Auflage, § 3, Rdn. 20). Es gibt in der Regel widerstreitende Interessen, auch wenn die Eheleute überzeugt sind, sich einig zu sein.
Deswegen darf der Rechtsanwalt nicht beide Parteien gleichzeitig vertreten. Wenn scheidungswillige Eheleute gemeinsam beim Rechtsanwalt erscheinen, ist dieser verpflichtet, sofort zu klären, welche der beiden Parteien er vertreten wird (vgl. Hartung/Holl, a.a.O.; Henssler/Prütting, BRAO, 2. Auflage, § 43 a, Rdn. 150; Amtsgericht Neunkirchen, FamRZ 1996, S. 298).
Die Kammer verkennt nicht, dass vereinzelt in der Literatur vertreten wird, dass bei einer sogenannten einverständlichen Scheidung § 43 a Abs. 4 BRAO nicht einschlägig sein soll (vgl. Schlosser, Anwaltsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, NJW 2002, 1376). Insbesondere wird diese Meinung darauf gestützt, dass die Tätigkeit des beratenden Rechtsanwalts bei einer einverständlichen Scheidung mit der Arbeit eines Mediators bzw. eines Notars vergleichbar ist (Schlosser, a.a.O).
Die rechtliche Beratung von scheidungswilligen Eheleuten, die eine einverständliche Scheidung durch einen gemeinsamen Rechtsanwalt anstreben, ist aber nicht mit einer Mediation vergleichbar. Die Aufgabe eines Mediators besteht gerade nicht darin eine rechtliche Beratung vorzunehmen. Statt dessen sollen die Interessen der Parteien ermittelt und befriedet werden (vgl. nur Henssler/Schwackenberg, Der Rechtsanwalt als Mediator, MDR 1997, 409, 410). Der Rechtsanwalt hingegen muss die Parteien zunächst einmal über die rechtliche Sachlage bei einer Scheidung informieren und erarbeitet in der Regel nach dieser Rechtsberatung eine einverständliche Regelung.
Dem steht nicht entgegen, dass die Tätigkeit als Mediator auch als Teilbereich der anwaltlichen Berufstätigkeit anzusehen ist. Mediation ist aber kein Rechtsgebiet, sondern eine alternative Methode der Konfliktlösung (BGH NJW 2002, 2948).
Der beratende Rechtsanwalt ist auch nicht mit einem Notar zu vergleichen, da der Rechtsanwalt als solcher Interessenvertreter ist und der Notar im Rahmen der Vorschriften der §§ 14 ff. BNotO die Interessen der Parteien, die zur Vornahme von Beurkundungen zu ihm kommen, auszugleichen hat. Der Gesetzgeber hat also gerade eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Notar und dem Rechtsanwalt als Interessenvertreter vorgenommen.
Die teilweise in strafgerichtlichen Urteilen zu Parteiverrat vertretene Meinung, dass bei einverständlichen Scheidungen nicht notwendigerweise ein Interessengegensatz von Ehegatten besteht (vgl. BayObLG in NJW 1981, 832; OLG Karlsruhe in NJW 2002, 3561, läßt sich nicht auf das Berufsrecht übertragen.
Während das Standesrecht vom Anwalt verlangt, dass er schon den Anschein einer Vertretung widerstreitender Interessen vermeidet, stellt § 356 StGB nur das festgestellte Dienen eines Anwalts für mehrere Parteien mit gegensätzlicher Interessenlage unter Strafe (OLG Stuttgart in NJW 1986, 948, [OLG Stuttgart 14.11.1985 - 4 Ss 609/85] Hartung, a.a.O.).
Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Erfüllung der dem Rechtsanwalt obliegenden Aufgabe, der berufene unabhängige Berater und Verteter in allen Rechtsangelegenheiten zu sein (§ 3 Abs. 1 BRAO, ist ein strenges Berufsethos und ein uneingeschränktes Vertrauen der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwaltschaft. Deswegen ist im Berufsrecht eine rein objektive Bewertung der Interessenlage ohne Rücksicht auf die Beurteilung der Parteien angezeigt (Hartung, a.a.O.).
Das Einverständnis der Beteiligten mit der Doppelvertretung kann den Interessengegensatz nicht aufheben, da das Verbot der Doppelvertretung grundsätzlich nicht der Verfügungsmacht der Parteien obliegt (Feurig/Braun, BRAO, 4. Auflage, § 43 a, Rdn. 68, Hartung a.a.O.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus der entsprechenden Anwendung der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage ist - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam.