Landgericht Hildesheim
Urt. v. 04.06.2004, Az.: 7 S 72/04

Rüge einer schwer wiegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellungen eines Urteils; Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine üble Nachrede; Zumutbarkeit eines Blickes in einen juristischen Standardkommentar zur Vergewisserung über die Wahrheit einer Behauptung durch einen Rechtsanwalt unter dem Gesichtspunkt einer üblen Nachrede

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
04.06.2004
Aktenzeichen
7 S 72/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 33474
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2004:0604.7S72.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Gifhorn - 02.03.2004 - AZ: 2 C 1385/03

Fundstellen

  • NJW 2004, XIV Heft 41
  • NJW 2004, 3569 (red. Leitsatz)
  • NJW-RR 2004, 1418-1420 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit hat die Zivilkammer 7 des Landgerichts Hildesheim
durch
... die mündliche Verhandlung vom 28.05.2004
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 02.03.2004 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gifhorn unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 285,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 19.07.2003 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 78 % und die Beklagte 22 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert der Berufung wird auf 1.285,07 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

2

Der Kläger rügt, dass das Amtsgericht zu Unrecht angenommen habe, dass eine schwer wiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht vorgelegen habe. Die Schwere der Ehrkränkung ergebe sich bereits daraus, dass die Beklagte die ehrverletzende Behauptung wiederholt und dass sie sich geweigert habe, die ihr zugesandte Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Obwohl er der Beklagten noch vor der Klageerhebung mit Schreiben vom 09.12.2002 erläutert habe, dass seine Ausführungen zur Wirksamkeit der Kündigung eine Rechtsauffassung darstellten, habe die Beklagte die persönlichen Anfeindungen nicht unterlassen, sondern sie in der Klageschrift wiederholt. Dadurch, dass sie sich geweigert habe, die ihr vorgelegte Unterlassungserklärung abzugeben und stattdessen lediglich durch ihren Prozessbevollmächtigten, ohne eine Rechtspflicht anzuerkennen, hat mitteilten lassen, dass sie die streitgegenständlichen Erklärungen zukünftig nicht mehr abgeben werde, halte sie die beleidigenden Äußerungen weiter aufrecht.

3

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, und 285,07 EUR zu zahlen, beides nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.07.2003.

4

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

5

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Eine schwer wiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liege durch die getätigten Äußerungen nicht vor. Diese hätten lediglich dem Interesse der von ihr vertretenen Partei gedient, da die zwischen ihrer Mandantin und den Mandanten des Klägers geschlossene Vereinbarung habe rückgängig gemacht werden sollen. Nicht der Kläger, sondern die durch ihn vertretene Partei sei Adressat des Vortrags gewesen. Dies werde schon daran deutlich, dass die geschlossene Vereinbarung zunächst durch einen Kollegen der Beklagten mit Schriftsatz vom 22.10.2002 angefochten worden sei.

6

Der Tatbestand des § 185 StGB sei nicht erfüllt, da die Äußerung von einem verständigen Dritten nur so habe verstanden werden können, dass es der Beklagten allein um die Interessen ihrer Mandantin gegangen sei.

7

Die zulässige Berufung ist hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs begründet und im Übrigen unbegründet.

8

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB.

9

a)

Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist durch eine üble Nachrede nach § 186 StGB verletzt.

10

aa)

Auf Grund der Behauptung der Beklagten im Schriftsatz vom 25.11.2002 und in der Anspruchsbegründung vom 27.05.2002, dass der Kläger der ehemaligen Mandantin der Beklagten, ..., erklärt habe, dass deren Kündigung vom 09.07.2003 unwirksam sei, obwohl er gewusst habe, dass dies nicht der Fall gewesen ist, ist der Tatbestand einer üblen Nachrede gemäß § 186 StGB erfüllt.

11

Es handelt sich dabei um eine Tatsachenbehauptung, nämlich um die so genannte "innere" Tatsache, dass der Kläger die Wirksamkeit der Kündigung gekannt und trotzdem das Gegenteil behauptet habe (vgl. Zum Begriff der Tatsachenbehauptung: Palandt-Sprau, BGB, 63. Aufl., Rz. 2 § 824 m.w.N.).

12

Diese Behauptung der Beklagten ist erweislich unwahr. Der Mietvertrag zwischen den Mandanten der Parteien im Vorprozess wurde am 11.08.2001 für die Zeit ab dem 01.10.2001 geschlossen. Dies Mietrechtsreformgesetz, welches u.a. die Regelung des § 575 BGB n.F. umfasste, trat am 01.09.2001 in Kraft. Da der am 11.08.2001 geschlossene Mietvertrag eine dreijährige feste Mietzeit vorsah, wäre bei Anwendung des neuen Rechts, also des § 575 BGB n.F. statt des § 564 c BGB a.F., der Vertrag als Mietvertrag auf unbestimmte Zeit zu behandeln gewesen, so dass die Kündigung vom 09.07.2002 wirksam gewesen wäre. Es ist aber streitig und wurde ersichtlich noch nicht höchstrichterlich entschieden, ob für Mietverhältnisse, die vor dem 01.09.2001 geschlossen wurden aber für den Zeitraum ab dem 01.09.2001 gelten sollten, §575 BGB n.F. Anwendung findet oder die Übergangsvorschrift des Art. 229 §3 Abs. 3 EGBGB gilt (Palandt-Weidenhoff a.a.O., Rz. 1, Art. 229 § 3 EGBGB). Es ist deswegen sowohl die Rechtsansicht des Klägers als auch die Rechtsansicht der Beklagten vertretbar. Dem steht im Übrigen die von dem Kläger in der Berufung wiederholt bemühte Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 18.06.2003 -VIII ZR 240/02- nicht entgegen. Jenem Urteil lag ein anderer Sachverhalt zu Grunde. Dort war der Vertrag am 02.07.1987 geschlossen worden, so dass das hier erörterte Problem dort gar nicht zu behandeln war. Zudem ging es um die Anwendbarkeit des § 573 c Abs. 4 BGB nach Art. 229 § 3 Abs. 10 EGBGB.

13

Schließlich bleibt darauf hinzuweisen, dass jenes Urteil erst nach den hier inkriminierten Äußerungen ergangen ist, so dass es zur Bildung der Rechtsansichten der Parteien damals nicht herangezogen werden konnte. Das am 16.07.2003 verkündete Urteil des Bundesgerichtshofes - VIII ZR 274/02- betraf ebenfalls ein bereits lange vor dem 01.09.2001 bestehendes Mietverhältnis.

14

Zwar ist der Beklagten nicht nachzuweisen, dass sie wusste, dass der Kläger eine vertretbare Rechtsansicht geäußert hat. Der Tatbestand der üblen Nachrede gemäß § 186 StGB ist aber trotzdem gegeben, da bei diesem Straftatbestand kein Vorsatz hinsichtlich der Unwahrheit der Tatsachenbehauptung vorliegen muss.

15

Beim Absenden des außergerichtlichen Schreibens vom 25.11.2002 und bei der Einreichung der Anspruchsbegründung bei Gericht war der Beklagten bewusst, dass auch Dritte, nämlich das Gericht und die gegnerische Partei von der geäußerten streitgegenständlichen Tatsachenbehauptung Kenntnis nehmen würden.

16

bb)

Die Beklagte ist auch nicht gemäß § 193 StGB gerechtfertigt. Schon bei einem Minimum an Sorgfalt hätte die Beklagte erkennen können, dass ihre Behauptung unwahr gewesen ist. Die Beklagte hätte lediglich einen Blick in den Standardkommentar Palandt werfen müssen, um festzustellen, dass sowohl die von ihr als auch die vom Kläger vertretene Meinung hinsichtlich der Anwendung des § 575 BGB n.F. vertretbar ist. Einer Rechtsanwältin ist dies selbstverständlich zumutbar. Eine Äußerung ist aber gemäß § 193 StGB nicht gerechtfertigt, wenn schon ein Minimum an Sorgfalt dazu geführt hätte, zu erkennen, dass die Behauptung unwahr ist. Ansonsten würde kein gerechter Ausgleich zwischen den Grundrechten der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) gefunden werden können. § 193 StGB soll aber gerade einem gerechten Ausgleich zwischen diesen beiden Grundrechten Rechnung tragen.

17

b)

Trotz der Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers durch die Beklagte besteht aber kein Anspruch auf ein Schmerzensgeld. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld ist gerechtfertigt, wenn eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt und Genugtuung durch Unterlassen, Gegendarstellung oder Widerruf nach der Art der Verletzung nicht ausreicht und auf andere Weise als die Zubilligung von Schmerzensgeld nicht zu erreichen ist (Palandt-Sprau, a.a.O., § 823, Rdn. 124). Ob eine schwer wiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner vom Beweggrund des Handelnden sowie vom Grad seines Verschuldens und davon ab, in welcher geschützter Sphäre der Eingriff stattgefunden hat.

18

Aus dem Gesichtspunkt der Prävention ist die Zubilligung von Schmerzensgeld nicht angezeigt. Da die Beklagte nicht mehr als Rechtsanwältin in Darmstadt zugelassen ist und nach Auskunft des Rechtsanwalts des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 28.05.2004 auch keinen neuen Zulassungsantrag gestellt hat, besteht ohnehin keine Gefahr, dass der Kläger noch einmal beruflich mit der Beklagten konfrontiert wird.

19

Auch aus dem Gesichtspunkt der Genugtuung ist Schmerzensgeld nicht erforderlich. Von einer derart schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers, bei der eine Genugtuung durch Unterlassen nicht mehr erreicht werden kann, ist nicht auszugehen. Dies folgt insbesondere daraus, dass der Kreis derjenigen, die von der üblen Nachrede der Beklagten Kenntnis genommen haben, relativ klein ist. Lediglich der Amtsrichter und die gegnerische Partei haben zunächst Kenntnis von der Behauptung der Beklagten genommen. Zudem wurde im amtsgerichtlichen Urteil festgestellt, dass kein Anfechtungsgrund wegen einer arglistigen Täuschung bzw. einer widerrechtlichen Drohung bestanden hat, so dass den von den Parteien vertretenen Mandanten im Vorprozess deutlich geworden ist, dass sich der Kläger nicht falsch verhalten hat. Es ist ferner zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht in seiner Intims- oder Privatsphäre, sondern in seiner Individualsphäre, also der dritten Stufe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, betroffen worden ist. Die Beklagte hat auch zumindest durch ihre Prozessbevollmächtigte erklären lassen, dass sie die streitgegenständliche üble Nachrede nicht fortsetzen wird. Sie handelte zudem, um einen Anfechtungsgrund zu konstruieren und damit vermeintlich im Interesse ihrer Mandantin, wenn die Kammer auch nicht verkennt, dass eine derartige Interessenvertretung unangebracht gewesen ist. Auch wenn ein Anwalt im "Kampf um das Recht" gleichstarke eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagwörter benutzen oder "ad personam" argumentieren darf, hatte die Beklagte allerdings diese Grenze überschritten (vgl. Feuerich/Braun, BRAO, 4. Aufl. Rz. 33 f. § 43 a).

20

Obwohl die Beklagte nicht nur einmal im Schriftsatz vom 25.11.2002, sondern zudem in der Anspruchsbegründung vom 27.05.2003 die üble Nachrede wiederholt hat, nachdem der Kläger vorher erläutert hatte, dass er eine vertretbare Rechtsansicht angewendet habe, ist bei einem Abwägen dieser verschiedenen Kriterien dennoch nicht von einer derart schweren Persönlichkeitsverletzung auszugehen, welche nur durch die Zahlung von Schmerzensgeld zur Genugtuung des Klägers ausgeglichen werden kann.

21

2.

Der Kläger hat gegen die Beklagte aber einen Anspruch auf Zahlung von 285,07 EUR aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. §249 Abs. 1 BGB.

22

Der Kläger kann von der Beklagten Ersatz der gezahlten Rechtsanwaltskosten für die übersandte strafbewährte Unterlassungserklärung verlangen. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts war kausal für das Entstehen der Rechtsanwaltskosten.

23

Der Kläger hat dabei nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen.

24

Er hatte gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Behauptung aus §§ 1004 i.V.m. 823 BGB. Zwar bestand im Zeitpunkt der Übersendung der Unterlassungserklärung keine Wiederholungsgefahr mehr, da am 01.07.2003 die Beklagte nicht mehr als Rechtsanwältin im Prozess aufgetreten ist und zu diesem Zeitpunkt wohl auch nicht mehr als Anwältin zugelassen war. Dies war dem Kläger im Zeitpunkt des Verfassens der Unterlassungserklärung aber noch nicht bekannt. Erst mit Schriftsatz vom 07.07.2003 wurde auf Grund des Briefkopfes und des Inhalts des Schriftsatzes deutlich, dass die Beklagte nicht mehr im Rechtsstreit auftreten wird. Der Kläger war auch berechtigt, einen Rechtsanwalt damit zu beauftragen, seine Interessen durchzusetzen. Hierdurch sind keine höheren Kosten entstanden, da der Kläger, wenn er sich selber vertreten hätte, die gleichen Rechtsanwaltskosten hätte geltend machen können. Es liegt auch kein derart einfach gelagerter Fall vor, bei dem auch eine juristisch nicht vorgebildete Person einen Rechtsanwalt nicht hätte einschalten dürfen. Aber nur wenn ein solch einfach gelagerter Fall vorgelegen hätte, wären dem Kläger die Anwaltskosten nicht zu ersetzen gewesen (vgl. Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 249, Rdn. 39).

25

3.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

27

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

28

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert der Berufung wird auf 1.285,07 EUR festgesetzt.