Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.12.2004, Az.: 3 K 582/03
Einordnung eines Pflegekinds in Steuerklasse I des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG); Gleichstellung von leiblichen und Adoptivkindern durch den Kindesbegriff des § 15 ErbStG; Abgrenzung des persönlichen Verhältnisses zwischen Erblasser und Erwerber durch formale Kriterien des Familienstandes, der Verwandtschaft oder Schwägerschaft; Abweichung der Einordnung von Pflegekindern in der Erbschaftsteuer von der in der Einkommensteuer; Gründe für die Abweichende Einordnung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.12.2004
- Aktenzeichen
- 3 K 582/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 29611
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:1222.3K582.03.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 24.11.2005 - AZ: II B 27/05
Rechtsgrundlagen
- § 15 ErbStG
- § 1754 Abs. 1 BGB
- § 1755 Abs. 1 BGB
Fundstellen
- DB 2005, 2161
- EFG 2005, 1278-1279 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB direkt 2005, 9
Redaktioneller Leitsatz
Ein Pflegekind ist der Steuerklasse III des § 15 ErbStG zuzuordnen. Diese Zuordnung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Klägerin als Pflegekind der am x.x.2002 verstorbenen Frau E in Steuerklasse I einzuordnen ist.
Die Klägerin war seit x.x.1965 Dauerpflegekind der am x.x.2002 verstorbenen Erblasserin E und hat bei dieser bis zum 13.09.1999 gewohnt. Die verstorbene Frau E bestellte nach dem Testament vom x. x. 1999 an dem Hausgrundstück H ein Nießbrauchsvermächtnis zu Gunsten ihres zum Todeszeitpunkt 68-jährigen Lebensgefährten L. Nach dessen Tod sollte die Klägerin den Nießbrauch an dem Hausgrundstück bis zu ihrem Tod erhalten; die Klägerin war zum Todeszeitpunkt der Erblasserin 37 Jahre alt.
Als Erbe wurde der Sohn der Klägerin, S, geb. am x.x.1995, eingesetzt.
Das Finanzamt berechnete den Wert des Nießbrauchs nach § 12 Erbschaftssteuergesetz (ErbStG) i.V.m. §§ 13, 14 Bewertungsgesetz (BewG) und der Anlage 9 zu § 14 BewG.
Unter Berücksichtigung eines weiteren Vermächtnisses ermittelte es zum Zwecke der Besteuerung einen unstreitigen Vermögenswert von EUR 82.514. Unter Berücksichtigung eines Freibetrages von EUR 5.200 setzte das Finanzamt unter Annahme der Steuerklasse III eine Erbschaftssteuer von EUR 17.779 fest.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie müsse auf Grund des ehemaligen Dauerpflegeverhältnisses steuerlich wie ein Stiefkind behandelt werden und somit in Steuerklasse I eingruppiert werden.
Sie ist der Ansicht, es liege eine planwidrige Gesetzeslücke vor. Diese müsse verfassungskonform dahingehend geschlossen werden, dass Dauerpflegekinder der Erbschaftssteuerklasse I zuzuordnen seien. Eine bewusste Ungleichbehandlung des Gesetzgebers zwischen Stiefkindern und Pflegekindern liege nicht vor. Es liege deshalb ein eklatanter Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes vor.
Bei der gebotenen Anwendung der Erbschaftssteuerklasse I würde sich eine Erbschaftssteuerzahllast nicht ergeben.
Die Klägerin beantragt,
den Erbschaftssteuerbescheid aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.
Pflegekinder gehörten nach der Definition des § 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nicht zur Steuerklasse I. Das Erbschaftssteuergesetz weiche insoweit von dem früheren Vermögenssteuergesetz (§ 6 Abs. 2 VStG) und dem Einkommensteuergesetz (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG) ab. Diese Abweichung sei jedoch vertretbar, da die Vergünstigungen bei der Erbschaftssteuer nicht wie bei der Vermögenssteuer oder Einkommensteuer auf bestehende Pflegschaftskindverhältnisse beschränkt werden könne. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Pflegekinder bewusst nicht in die Steuerklasse I aufgenommen habe; sie seien deshalb der Steuerklasse III zuzuordnen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin ist als Pflegekind der Erblasserin der Steuerklasse III des § 15 ErbStG zuzuordnen. Diese Zuordnung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
1.
Die Einordnung in Erbschaftssteuerklassen erfolgt nach § 15 ErbStG. Das Erbschaftssteuerrecht hat dabei in§ 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG einen eigenen Begriff des Kindes geprägt, der sich nicht mit dem des Einkommensteuerrechts deckt.
Nach dem Kindesbegriff des § 15 ErbStG sind Kinder die ehelichen Kinder, nicht eheliche Kinder und Stiefkinder. Unter den Begriff Kinder fallen dabei leibliche Kinder als auch Adoptivkinder, bei denen das Verwandtschaftsverhältnis per Rechtsakt begründet wird, die der natürlichen Verwandtschaft (§ 1589 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) gleichwertig ist (hierzu auch Wilms, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, § 15 Rz. 84 ff). Gemäß § 1754 Abs. 1 BGB nämlich erlangt das angenommene Kind die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der annehmenden Ehegatten. Mit der Annahme erlöscht gemäß § 1755 Abs. 1 BGB das bisherige Verwandtschaftsverhältnis einschließlich aller Rechte und Pflichten des Kindes zu den bisherigen Verwandten; die Familienangehörigkeit des Adoptivkindes wird umfassend und abgesehen von der Ausnahme des § 1759 BGB unwiderruflich gewechselt.
Nach der Vorschrift des § 15 ErbStG ist Unterscheidungsmerkmal für die Steuerklassen das persönliche Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Erwerber ( Wilms, a.a.O., § 15 Rz.2). Das persönliche Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser, das § 15 Abs. 1 ErbStG zum Bestimmungsgrund der Steuerklasseneinteilung erhebt, wird nach formalen Kriterien des Familienstandes, der Verwandtschaft oder Schwägerschaft abgegrenzt (Meincke, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, § 15 Rz. 2; Troll/Gebel/Jülicher, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, § 15 Rz. 60). Die persönliche Vertrautheit, die langjährige Fürsorge oder das gemeinsame Zusammenleben spielen hingegen keine Rolle für die Bestimmung der Erbschaftssteuerklasse (Meincke a.a.O.).
2.
Die formalen Kriterien des § 15 ErbStG haben deshalb zur Folge, dass ein Pflegekind nicht zu den Kindern i.S.d. Steuerklasse I gehört, sondern immer in die Steuerklasse III fällt. Insoweit weicht das ErbStG von der Einkommensteuer ab. Die Abweichung begründet sich daraus, dass die Vergünstigung bei der Erbschaftssteuer nicht wie bei der Einkommensteuer auf bestehende Kindschaftsverhältnisse beschränkt werden könnte, sondern aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auch ehemalige Pflegschaftskindverhältnisse mit einbeziehen müsste. Nur durch die Annahme an Kindes statt ist daher eine Einordnung in die Erbschaftsteuerklasse I zu erreichen (Wilms, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, § 15, Rz. 77; Meincke, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, § 15, Rz. 8; Graf, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, § 15 Rz. 27; Kapp-Ebeling, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, § 15 Rz. 7). Verfassungsrechtliche Bedenken werden hierzu in der gesamten Literatur nicht erhoben.
3.
Auf Grund der rein nach zivilrechtlichen Vorschriften bestimmter Verwandtschaftsverhältnisse ausgerichteten Einteilung in die Steuerklassen ist auch eine Gleichstellung des nicht mit dem Erblasser verwandten Pflegekindes nicht geboten. Ein Pflegekind ist dabei nicht anders zu behandeln als eine langjährige Pflege- oder Betreuungsperson, die sich um das Wohl des Erblassers über einen langen Zeitraum gekümmert hat und zu diesem ein besonders enges Verhältnis aufgebaut hat. Dies gilt in gleichem Maße für einen langjährigen Lebenspartner des Erblassers. Auch insoweit stellt das Erbschaftssteuergesetz ausschließlich auf die formalen verwandtschaftlichen Beziehungen ab.
Allein dass der Gesetzgeber in § 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG auch Stiefkinder in die Steuerklasse aufgenommen hat, begründet keine Ungleichbehandlung der Pflegekinder. Die Pflegeperson nämlich begründet keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen zu dem Pflegekind, während gegenüber dem Stiefkind gemäß § 1590 Abs. 1 S. 2 BGB zumindest eine Schwägerschaft begründet wird.
Der BFH hat zudem zu § 16 ErbStG 1959 entschieden, dass kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin zu sehen ist, dass die damals noch nicht unter Steuerklasse I fallenden Stiefkinder nicht mit leiblichen Kindern gleichgesetzt waren. (BFH-Urteil vom 05.10.1977 II R 88/68, BStBl. II 1978, 39). Zwar seien Stiefkinder als leibliche Kinder des einen Ehegatten mit diesem und dieser wiederum mit dem andern Ehegatten in einem Familienband umschlossen; das Familienband im weiteren Sinne umschließe damit auch sie. Was daraus für die Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG im Einzelnen folge, brauche aber nicht näher untersucht zu werden. Denn jedenfalls enthalte Art. 6 Abs. 1 GG nicht die Forderung, Stiefkinder den ehelichen Kindern schlechthin gleichzustellen. So wäre es z.B. abwegig, aus Art. 6 Abs. 1 GG die Forderung abzuleiten, den Stiefkindern müsse in gleicher Weise ein gesetzliches Erbrecht und ein Pflichtteilsrecht zustehen wie den leiblichen Kindern.
Dem Steuergesetzgeber stehe es frei, Steuerbefreiungen, die er leiblichen Kindern oder im Interesse leiblicher Kinder einräume, unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen Wertentscheidungen und der Sachproblematik des jeweiligen Steuerbereichs auf andere Kinder zu erstrecken oder nicht zu erstrecken. Dementsprechend hat das Einkommensteuerrecht auf Grund der ihm eigenen Sachgesetzlichkeit einerseits die Stiefkinder nur solange einbezogen, als die Ehe besteht, durch die das Stiefkindschaftsverhältnis begründet worden ist, andererseits aber den Begriff "Kind" auch auf Pflegekinder erstreckt (§ 32 Abs. 4 EStG). Auch im Sinne des - ehemaligen - Vermögensteuerrechts galten die Pflegekinder als Kinder (§ 6 Abs. 2 VStG). Keine dieser Qualifikationen deckt sich also mit den Regelungen im ErbStG 1959.
Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Gesetzgeber auch bei der Neufassung der erbschaftssteuerrechtlichen Regelungen frei, Pflegekinder nicht in die Steuerklasse I einzubeziehen. Der Gesetzgeber ist zwar immer wieder aufgerufen, rechtspolitisch die Einordnung in Erbschaftssteuerklassen zu überdenken, um unerträgliche Härten auszugleichen. Die Nichtberücksichtigung von Pflegekindern in Steuerklasse I allerdings ist zur Überzeugung des Senats auf Grund fehlender jedweder verwandtschaftlicher Beziehungen zum Erblasser nicht zu beanstanden und begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
4.
Es fehlt zudem an einer für einen Analogieschluss erforderlichen planwidrigen Gesetzeslücke.
Eine solche Gesetzeslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Hiervon zu unterscheiden ist allerdings der so genannte rechtspolitische Fehler, der gegeben ist, wenn sich eine gesetzliche Regelung zwar als rechtspolitisch verbesserungsbedürftig, aber doch nicht - gemessen an der dem Gesetz immanenten Teleologie - als planwidrig, unvollständig und ergänzungsbedürftig erweist (BFH-Beschluss vom 28. Mai 1993 VIII B 11/92, BStBl II 1993, 665, m.w.N.). Ob es sich um eine Regelungslücke oder lediglich um einen so genannten rechtspolitischen Fehler handelt, ist unter Heranziehung des Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei für den danach erforderlichen Vergleich auf die Wertungen des Gesetzes, insbesondere die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist (BFH-Urteil vom 12. Oktober 1999 VIII R 21/97, BStBl II 2000, 220).
Danach kann offen bleiben, ob eine Gesetzeslücke vorliegt, da diese Lücke jedenfalls nicht planwidrig wäre. Der Gesetzgeber hat bewusst Pflegekinder, anders als Adoptivkinder, nicht in die Vorschrift des § 15 Erbschaftssteuergesetz aufgenommen. Es hätte der Erblasserin und der Klägerin zudem freigestanden, durch Adoption die Einordnung in die günstigere Erbschaftssteuerklasse zu erreichen.
Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.