Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 20.03.2003, Az.: 6 A 62/02
Bestattungspflicht; Ersatzvornahme; Familienangehörige; gesamtschuldnerisch; Kostenerstattungspflicht; Niedersachsen; Unbilligkeit; Unterhaltspflichtverletzung; öffentlich-rechtlich
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.03.2003
- Aktenzeichen
- 6 A 62/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47972
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 66 Abs 1 GefAbwG ND
- § 1579 BGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Angehörige des Verstorbenen können zu den Kosten einer Ersatzvornahme herangezogen werden, wenn sie selbst der Bestattungspflicht nicht nachkommen und die Bestattung durch die Ordnungsbehörde veranlaßt werden muss.
2. Die Bestattungspflicht wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Verstorbene in der Vergangenheit seine Unterhaltspflichten verletzt hat.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem diese sie zur Übernahme von Bestattungskosten für ihren verstorbenen Vater herangezogen hat.
Am 17. November 2001 verstarb der Vater der Klägerin{A.}.
Die Bestattung des Verstorbenen wurde durch die Beklagte veranlasst. Mit Bescheid vom 23. Januar 2002 zog die Beklagte die Klägerin zu Kosten der Ersatzvornahme in Höhe von 977,35 EUR heran die sich aus Kosten des Bestattungsinstituts in Höhe von 870,90 EUR sowie Stundensätzen von Verwaltungsangestellten zusammensetzten. Zur Begründung führte die Beklagte aus, das Grünflächenamt sei nach § 66 NGefAG tätig geworden. Die Bestattungspflicht sei öffentlich rechtlicher Natur. Seien Willensäußerungen des Verstorbenen nicht bekannt, so seien die Angehörigen berechtigt aber wegen des Totenfürsorgerechts auch verpflichtet, für die Bestattung zu sorgen. Die Totenfürsorge sei gewohnheitsrechtlich eine Aufgabe der nächsten Familienangehörigen und nicht etwa der Erben. Rechte und Pflichten aus der Totenfürsorge seien eine Folge der familienrechtlichen Verhältnisse, die über den Tod hinaus fortdauerten und gegenüber einem verstorbenen Familienmitglied Pietät und Pflege seines Andenkens gebieten würden. Nach § 66 Abs. 1 NGefAG seien die Kosten der Ersatzvornahme einschließlich des einem beauftragten gezahlten Unternehmerlohns von der zur Vornahme der Handlung verpflichteten Person zu erstatten. Deshalb sei die Klägerin hier zu den Kosten heranzuziehen.
Am 18. Februar 2002 legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, sie habe die ersten zwölf Jahre ihres Lebens bei ihrer Großtante gelebt. Danach habe ihre Urgroßmutter sie unterstützt. Ihr Vater sei seinen Vater- und Unterhaltspflichten nicht nachgekommen. Das damals verdiente Geld sei in erster Linie seiner Spielsucht zum Opfer gefallen. Selbst die Ersparnisse der Kinder hätte er verspielt. Spiel- oder noch gut erhaltene Anziehsachen seien von ihm verkauft worden, damit er Geld für die Spielbank oder Trabrennbahn gehabt habe. Als dann herausgekommen sei, dass er seine Kunden betrogen und Geld unterschlagen habe, sei er zu einer Haftstrafe verurteilt worden und sei ins Gefängnis gekommen. Ihre Eltern hätten zu diesem Zeitpunkt schon getrennt gelebt. An seinem Naturell scheine sich dahingehend nichts geändert zu haben, denn nunmehr habe sie erfahren, dass er die letzten Jahre vor seinem Krankenhausaufenthalt ebenfalls im Gefängnis verbracht habe. Die letzten 15 Jahre ihres Lebens habe sie gar nichts mehr von ihm gehört. Sie sei nicht bereit, für diesen Menschen die Beerdigungskosten zu tragen. Sie beantrage, ihr die Kostenrechnung zu erlassen. Im Übrigen habe sie die Erbschaft ausgeschlagen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, auch der vorgetragene Sachverhalt enthebe die Klägerin nicht von ihrer Verpflichtung gegenüber ihrem Vater. Die familiäre Situation sei zwar bedauerlich aber in dieser Form kein Einzelschicksal.
Am 14. März 2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie nimmt Bezug auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren.
Die Klägerin beantragt,
den Heranziehungsbescheid der Stadt {B.} vom 30. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt ergänzend vor, die Klägerin und ihre beiden Schwestern seien alle bestattungspflichtig. Es liege eine gesamtschuldnerische Haftung vor, so dass die Beklagte als Gläubigerin sich aussuchen könne, welchen Schuldner sie in Anspruch nehme. Der Ausgleich innerhalb der Geschwister müsse vor den Zivilgerichten geklärt werden. Die Klägerin habe nicht darlegen können, dass der Vater seine Unterhaltspflicht im Rahmen des § 1579 Nr. 5 BGB gröblich verletzt habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Verfügung ist § 66 Abs. 1 NGefAG. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde, wenn die Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, nicht erfüllt wird, auf Kosten der betroffenen Person die Handlung selbst ausführen oder eine andere Person mit der Ausführung beauftragen.
Die Ersatzvornahme als solche ist rechtmäßig erfolgt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Vollstreckung im Wege einer Ersatzvornahme zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr lagen vor. Die Beklagte hat als zuständige Verwaltungsbehörde die Bestattung des Verstorbenen im Wege der Ersatzvornahme durch ein Bestattungsinstitut veranlasst, nachdem die drei Töchter des Verstorbenen es telefonisch ablehnten, sich um die Beisetzung zu kümmern.
Die Bestattungspflicht ist in Niedersachsen nicht ausdrücklich geregelt.
Die „Totenfürsorge“ obliegt gewohnheitsrechtlich in erster Linie den nächsten Familienangehörigen und nicht der Erben als solchen. Recht und Pflicht der Totenfürsorge sind kein von dem Verstorbenen ererbtes Recht, sondern ein Ausfluss des familienrechtlichen Verhältnisses, das den Verstorbenen bei Lebzeiten mit den Überlebenden verbunden hat, das über den Tod hinaus fortdauert und gegenüber dem toten Familienmitglied Pietät und Pflege seines Andenkens gebietet. Auch wenn also die nächsten Angehörigen enterbt sind, haben sie über die Bestattung zu bestimmen und nicht die Erben (vgl. Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 8.Auflage 1999, S. 117 f.).
Der Klägerin obliegt als Tochter und damit Verwandte ersten Grades des Verstorbenen grundsätzlich die Bestattungspflicht. Die Heranziehung der Klägerin zu den vollen Kosten der Ersatzvornahme ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil ihre beiden Schwestern gleichermaßen bestattungspflichtig sind. Die Beklagte hat zutreffend ausgeführt, dass insoweit eine gesamtschuldnerische Haftung gegeben ist und ein Ausgleich im Innenverhältnis von den Geschwistern selbst herbeizuführen ist. Eine Heranziehung nur eines von mehreren Bestattungspflichtigen ist nicht ermessensfehlerhaft.
Die Kostenforderung für die Ersatzvornahme ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil eine Heranziehung der Klägerin unbillig wäre.
Das Gericht vermag sich der Rechtsprechung des OVG Münster (Beschl. v. 2.2.1996 - 19 A 3802/95 - in NVwZ-RR 1997, 99) nicht anzuschließen. Nach Ansicht des OVG Münster soll eine Verpflichtung der Behörde bestehen, von der Kostenerstattungspflicht für die Bestattung ganz abzusehen, wenn die Voraussetzungen für eine grobe Unbilligkeit der Inanspruchnahme nach den unterhaltsrechtlichen Vorschriften der §§ 1579, 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB vorliegen, also der Verstorbene längere Zeit hindurch seine Verpflichtung, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat.
Vielmehr können die in den §§ 1579, 1611 BGB enthaltenen Wertungen hier nicht herangezogen werden, da diese Regelungen allein den Ausschluss der familienrechtlichen Unterhaltspflicht betreffen, der auch nicht zu Lasten anderer gehen soll. So sieht § 1611 Abs. 3 BGB ausdrücklich vor, dass der Bedürftige wegen einer Beschränkung seines Anspruches nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen kann.
Demgegenüber kennt die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht derartige Einschränkungen nicht: Der Staat verlangt, dass jeder menschliche Leichnam bestattet wird (vgl. Gaedke, a.a.O., S. 117). Einen gewohnheitsrechtlichen Grundsatz, dass die Bestattungspflicht bei Unterhaltspflichtverletzungen aufgehoben ist, gibt es nicht.
Der öffentlich-rechtliche Anspruch, der sich aus einem behördlichen Einschreiten gegenüber dem Bestattungspflichtigen ergibt, beruht auf einem vom Zivilrecht völlig unabhängigen Rechtsgrund. Es ist daher nicht ohne weiteres möglich, Wertungen des Zivilrechts auf die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zu übertragen. Ein mögliche Unbilligkeit i.S.d. § 1611 BGB, die im Übrigen von der Ordnungsbehörde für Jahrzehnte zurückliegende Zeiträume auch kaum mehr objektiv festgestellt werden kann, beseitigt daher allein noch nicht die Bestattungspflicht der Angehörigen. Eine Ausnahme kann allenfalls in Betracht kommen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten wegen schwerer Straftaten gegen die persönliche Integrität des Angehörigen schuldig geworden ist (so auch VG Gießen, Urt. V. 5.4.2000 - 8 E 1777/98 - in NVwZ-RR 2000, 795 [BVerwG 23.03.2000 - BVerwG 5 C 13/99]). Dies ist jedoch weder von der Klägerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Die Höhe der geltend gemachten Bestattungskosten von 977,35 € übersteigt nicht die für die Ersatzvornahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bestehende Grenze des notwendigen Mindestaufwandes für ein einfaches, aber dennoch menschenwürdiges Begräbnis (vgl. dazu VG Gießen a.a.O.).