Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 07.03.2003, Az.: 2 A 13/02
Abschiebung; Abschiebungshaft; Abschiebungskosten; Ausländer; Haftkostenbeitrag; Kostentragungspflicht
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 07.03.2003
- Aktenzeichen
- 2 A 13/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48580
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG Niedersachsen - 25.03.2004 - AZ: 11 LB 327/03
- BVerwG - 14.06.2005 - AZ: BVerwG 1 C 15.04
- OVG Niedersachsen - 22.02.2007 - AZ: 11 LB 307/05
Rechtsgrundlagen
- § 82 AuslG
- § 83 Abs 1 Nr 2 AuslG
- § 1664 BGB
- § 50 Abs 2 StVollzG
- § 57 AuslG
- § 171 StVollzG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eltern haften nicht für die Abschiebungskosten ihrer miteingereisten minderjährigen Kinder.
Die Höhe der vom Ausländer zu tragenden Haftkosten richtet sich nach dem Haftkostenbeitrag gem. § 50 StVollzG.
Tenor:
Die Bescheide der Beklagten vom 20. Dezember 2001 werden aufgehoben, soweit die Höhe der festgesetzten Abschiebungskosten 1634,00 Euro (3195,83 DM) überschreitet.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung von Kosten der Abschiebung.
Die Kläger sind albanische Staatsangehörige und wurden mit Bescheiden des Landkreises H. vom 28. Mai 2001 gemeinsam mit ihrer Tochter sofort vollziehbar aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Gleichzeitig wurde die Abschiebung nach Albanien angeordnet und den Klägern und ihrer Tochter jeweils die Kosten der Abschiebung auferlegt (Nr. 4 der Bescheide). Unter dem 29. Mai 2001 ordnete die Beklagte gegenüber den Klägern eine Sicherheitsleistung in Höhe von 6.116,00 DM für die voraussichtlich entstehenden Abschiebungskosten an. Über den dagegen eingelegten Widerspruch vom 10. Dezember 2001 hat die Beklagte nicht entschieden. Mit Bescheid vom 23. Oktober 2001 (gerichtet an die Kläger und ihre Tochter) setzte die Beklagte einen noch zu zahlenden Restbetrag von 17.107,94 DM für die Kosten der Abschiebung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2001 gab die Beklagte dem Widerspruch insoweit statt, wie die Kläger jeweils mit den auf den Ehepartner entfallenden Teil der Abschiebungskosten belastet worden waren. Gleichzeitig ersetzte die Beklagte ihren Leistungsbescheid vom 23. Oktober 2001 durch zwei neue Kostenbescheide, wobei gegenüber dem Kläger zu 2. auch die Kosten der Abschiebung für seine Tochter geltend gemacht wurden. Über die dagegen eingelegten Widersprüche hat die Beklagte in der Folgezeit nicht entschieden.
Die Kläger haben am 21. Januar 2002 gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2001 Klage erhoben. Im Einverständnis mit der Beklagten ist die Klage in der mündlichen Verhandlung dahingehend umgestellt worden, dass Gegenstand des Verfahrens nur noch die beiden Bescheide vom 20. Dezember 2001 sein sollen.
Zur Begründung dieser Klage tragen die Kläger im Wesentlichen vor, eine Verpflichtung der Eltern zur Zahlung der Abschiebungskosten ihrer Kinder sei nicht gegeben. Außerdem seien die Haftkosten von jeweils 5.045,70 DM (33 Tage á 152,90 DM) zu hoch. Allenfalls sei gerechtfertigt, einen Haftkostenbeitrag nach § 50 Abs. 2 StVollzG zu erheben. Dies ergebe sich aus § 8 Abs. 2 FrhEntzG iVm § 171 StVollzG, der auf § 50 StVollzG verweise. Bei der Höhe des Haftkostenbeitrags sei zu berücksichtigen, dass die Zellen in der Justizvollzugsanstalt L., in der sie untergebracht worden seien, jeweils mit drei und mehr Personen belegt gewesen seien.
Die Kläger beantragen,
die Bescheide der Beklagten vom 20. Dezember 2001 insoweit aufzuheben, als ein Betrag von jeweils mehr als 3.195,83 DM geltend gemacht wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Haftung der Kläger für die Abschiebungskosten ihrer Tochter ergebe sich aus § 82 Abs. 1 AuslG iVm § 1664 BGB. Die Tochter der Kläger hätte als Ausländerin im Sinne des § 82 Abs. 1 AuslG die Kosten ihrer Abschiebung selbst zu tragen. Da sie jedoch im Zeitpunkt der Anordnung des Vollzugs der Abschiebung noch minderjährig gewesen sei, seien auf der Grundlage des § 1664 BGB - als gesetzlicher Haftungstatbestand - die Eltern als Gesamtschuldner für den durch ihre Tochter entstandenen Schaden - hier die Kosten der Abschiebung - heranzuziehen. Die Kläger hätten unter Ausnutzung des Aufenthaltsbestimmungsrechts über ihre Tochter diese vorsätzlich zu einer unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und zu einem illegalen Aufenthalt bestimmt. Daher hätten sie für die sich daraus ergebenden Folgen einzutreten. Dem stünde auch die Vorschrift des § 82 Abs. 2 bis 4 AuslG, in denen weitere Kostenschuldner aufgezählt würden, die gesamtschuldnerisch neben dem Ausländer hafteten, nicht entgegen. Diese Regelung sei nicht abschließend. Die gesetzgeberische Intention sei hinsichtlich der in den Absätzen 2 bis 4 geschaffenen Haftungsfällen dahingehend auszulegen, dass diejenigen, die einen unerlaubten Aufenthalt eines Ausländers ermöglicht oder unterstützt hätten, nach dem Veranlasserprinzip des § 13 VwKostG schließlich auch für die Kosten der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung heranzuziehen seien. Diese Vorschriften erweiterten zwar abschließend den Personenkreis von Haftungsträgern, schlössen jedoch die Fälle gesetzlicher Haftung nicht aus.
Die Höhe der Haftkosten von 152,90 DM werde durch das niedersächsische Justizministerium vorgegeben. Der durchschnittliche Tageshaftkostensatz eines Gefangenen errechne sich aus den tatsächlichen Ausgaben des Vorjahres. Dabei würde von der Summe der Haushaltsausgaben die Summe der Haushaltseinnahmen abgezogen und das Ergebnis durch die Anzahl der Verpflegungstage der Gefangenen geteilt. Der zu erhebende Betrag von 152,90 DM ergebe sich aus den durchschnittlichen Tageshaftkosten eines Gefangenen ohne Baukosten. Der Haftkostenbeitrag nach § 50 StVollzG sei vorgesehen für Gefangene, die sich innerhalb des Vollzugs befänden und von dort einem freien Beschäftigungsverhältnis nach § 39 Abs. 1 StVollzG nachgingen. Dieser Betrag werde nach § 160 Abs. 2 RVO durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge durch den Bundesminister der Justiz festgestellt und bekannt gegeben. Dieser Betrag beziehe sich lediglich auf die Sachbezüge und spiegele nicht die tatsächlichen Kosten wieder, die dem Land durch die Unterbringung eines Gefangenen entstünden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, die nach der mit Zustimmung der Beklagten erfolgten Klageänderung (§ 91 Abs. 1 VwGO) als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig ist, ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind, soweit sie mit der Klage angefochten werden, rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Eine Rechtsgrundlage für die Kostentragungspflicht des Klägers zu 2. hinsichtlich der Kosten der Abschiebung seiner Tochter liegt nicht vor (1.) und die Kosten der Abschiebungshaft sind nicht in Höhe von 5.045,70 DM (152,90 DM pro Tag), sondern nur in Höhe von 500,22 DM als Haftkostenbeitrag nach § 50 Abs. 2 StVollzG gerechtfertigt (2.).
1. Der Einzelrichter kann offen lassen, ob bereits die Kostengrundentscheidung des Landkreises Harburg in den Bescheiden vom 28. Mai 2001, in denen die Kosten der Abschiebung den Klägern und ihrer Tochter jeweils einzeln auferlegt worden sind, einer Geltendmachung der Abschiebungskosten, die auf seine Tochter entfallen, gegenüber dem Kläger zu 2. entgegensteht. Denn jedenfalls ist keine Anspruchsgrundlage vorgetragen oder sonst ersichtlich, wonach der Kläger zu 2. verpflichtet wäre, diese Kosten zu bezahlen. Nach § 82 Abs. 1 AuslG hat der Ausländer die Kosten zu tragen, die durch Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung entstehen. In den nachfolgenden Absätzen 2 bis 5 AuslG ist geregelt, wer neben dem Ausländer für diese Kosten haftet. Eine Bestimmung dahingehend, dass die Eltern für die Abschiebungskosten ihrer mitgebrachten minderjährigen Kinder haften, enthält die Vorschrift nicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich eine solche Haftung nicht aus § 1664 BGB. Nach dieser Vorschrift haben die Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Sind für einen Schaden beide Eltern verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner. Die Vorschrift hat zwei Funktionen. Im Verhältnis des Kindes zu seinen Eltern ist sie Anspruchsgrundlage für einen selbständigen Schadenersatzspruch des Kindes gegen seine Eltern. Daneben gibt die Vorschrift für die Haftung der Eltern aus § 1664 BGB wie auch für andere (z.B. deliktische) Haftpflichtnormen einen Haftungsmaßstab, im vorliegenden Fall also eine Haftungserleichterung zugunsten der Eltern, die gemäß § 277 BGB eventuell nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften (Diedrichsen in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Aufl., § 1664 BGB Rdnr. 1). Auf andere Personen ist die Vorschrift nicht analog anwendbar (L. Michalski in Erman, Bürgerliches Gesetzbuch Bd. II, 10. Aufl., § 1664 BGB Rdnr. 1 m.w.N.). Aus 1664 Satz 2 BGB ergibt sich nichts anderes. Die darin geregelte gesamtschuldnerische Haftung der Eltern setzt das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs voraus und kann ihn aber nicht ersetzen. Der Bescheid vom 20. Dezember 2001 gegen den Kläger zu 2. war deshalb hinsichtlich der auf die Kosten der Abschiebung seiner Tochter entfallenden Teil in Höhe von 7.741,32 DM aufzuheben.
2. Hinsichtlich der in den angefochtenen Bescheiden gegenüber beiden Klägern enthaltenen Kosten der Abschiebungshaft in Höhe von 5.045,70 DM hat die Klage Erfolg, nachdem die Kläger ihren Antrag insoweit beschränkt haben, als ein Haftkostenbeitrag von 500,22 DM für 33 Tage (Verpflegung 366 DM/monatlich = 402,60 DM, Unterbringung bei einer Belegung mit mehr als drei Gefangenen 88,75/monatlich = 97,62; vgl. Bek. des MJ vom 28.11.2000, Nds. Rpfl. 2000, S. 13) akzeptiert wird. Nach § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG umfassen die Kosten der Abschiebung die bei der Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft und der Übersetzungskosten und die Ausgaben für die Unterbringung, Verpflegung und sonstige Versorgung des Ausländers. Eine ausdrückliche Regelung dahingehend, in welcher Höhe die Kosten der Abschiebungshaft geltend gemacht werden können, enthält das Ausländergesetz nicht. Wird die Haft nicht in eigenen Hafträumen, sondern in einer Justizvollzugsanstalt im Wege der Amtshilfe vollzogen, richten sich die Kosten nach dem sog. Haftkostenbeitrag im Sinne von § 50 StVollzG (Funke-Kaiser in Gesamtkommentar Ausländerrecht, Stand: März 2002, § 83 AuslG Rdnr. 13 m.w.N.). Die Anwendbarkeit des § 50 StVollzG ergibt sich aus § 8 Abs. 2 FrhEntzG iVm § 171 StVollzG. Wird Abschiebungshaft (§ 57 AuslG) im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen, so gelten nach § 8 Abs. 2 FrhEntzG die §§ 171, 173 bis 175 und 178 Abs. 3 StVollzG entsprechend. §171 StVollzG verweist u. a. auf die - entsprechende - Anwendung des § 50 StVollzG. Nach Abs. 2 der Vorschrift darf von Gefangenen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen, ein Haftkostenbeitrag in Höhe des Betrages erhoben werden, der nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 des 4. Buches SGB durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge festgesetzt ist. Der Bundesminister der Justiz stellt den Durchschnittsbetrag für jedes Kalenderjahr nach den am 1. Oktober des vorhergehenden Jahres geltenden Bewertungen der Sachbezüge fest und macht ihn im Bundesanzeiger bekannt. Es spricht Überwiegendes dafür, dass aus der entsprechenden Anwendung des § 50 Abs. 2 StVollzG im Rahmen der Feststellung der vom Ausländer zu erstattenden Abschiebungskosten folgt, dass der Ausländer - unabhängig davon, dass er entgegen der Regelung des § 50 Abs. 2 StVollzG nicht in einem freien Beschäftigungsverhältnis steht - einen entsprechenden Beitrag zu seinen Haftkosten zu leisten hat. Eine andere Auslegung der Vorschrift würde dazu führen, dass die Verpflichtung des Ausländers zur Erstattung der Haftkosten nach § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG durch die Regelungen des Freiheitsentziehungsgesetzes und Strafvollzugsgesetzes im Ergebnis aufgehoben würden, weil abzuschiebende Ausländer in der Regel in keinem freien Beschäftigungsverhältnis stehen. Diese Auslegung entspricht auch der Neuregelung des § 50 Abs. 2 StVollzG durch Art. 11 ERJuKoG vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3422), wonach der Haftkostenbeitrag nicht mehr vom Bestehen eines freien Beschäftigungsverhältnisses abhängig gemacht wird und die Kosten einer Zwangshaft - mithin auch der Abschiebungshaft - nach der Nr. 9010 des Kostenverzeichnisses in Höhe des Haftkostenbeitrags nach § 50 Abs. 2 und 3 StVollzG anzusetzen sind. Im Ergebnis kann dies aber offen bleiben, weil sich die Kläger nur gegen die Haftkosten in Höhe von 152,90 DM täglich wenden, den Haftkostenbeitrag für Überbringung und Verpflegung in Höhe von 500,22 DM mit der Klage aber nicht angreifen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO). Insbesondere fehlt es an der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, da die Vorschrift des § 171 StVollzG durch Art. 11 ERJuKoG vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3422) dahingehend geändert wurde, dass die Vorschrift nicht mehr auf § 50 StVollzG verweist.