Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.12.2016, Az.: 6 T 691/16
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 13.12.2016
- Aktenzeichen
- 6 T 691/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 43160
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Treuhänders gegen den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 20.10.2016 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Wert für das Beschwerdeverfahren: Stufe bis 5000 €.
Gründe
I.
Über das Vermögen des Schuldners ist mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 09.07.2014 (Blatt 38 fortfolgende) das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Zum Treuhänder ist der Beschwerdeführer bestellt worden.
Unter dem 19.09.2016 hat der Schuldner einen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765 a ZPO gestellt und diesen Antrag damit begründet, dass er seit September 2016 in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin, Frau XXX, und deren beiden minderjährigen Kindern (geboren 2004 bzw. 2006) lebt. Die Lebensgefährtin habe kein eigenes Einkommen. Der Schuldner verweist auf einen Bescheid des Jobcenters XXX, wonach der Antrag der Lebensgefährtin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II abgelehnt worden ist. Zur Begründung hat das Jobcenter ausgeführt, Frau XXX sei nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II, weil das Einkommen ihres Partners, d.h. des Schuldners, sowie die Einkünfte der Kinder (Unterhalt des leiblichen Vaters und Kindergeld) ihren maßgeblichen Bedarf übersteige. Für die Einzelheiten des betreffenden Bescheides wird auf die Ablichtung Blatt 267 fortfolgende Bezug genommen.
Der Treuhänder ist dem Antrag des Schuldners mit Schreiben vom 29.09.2016 entgegengetreten, insbesondere mit dem Argument, mangels Bestehens einer (gesetzlichen) Unterhaltspflicht sei der Antrag unbegründet. Eine besondere Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit des Schuldners sei auch nicht ersichtlich, insbesondere seien Umstände, die für ihn eine Härte bedeuten und die mit den guten Sitten nicht vereinbar seien, weder vorgetragen noch ersichtlich.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Braunschweig gemäß § 765 a ZPO in Verbindung mit § 805 f Abs. 1 Buchstabe c ZPO festgestellt, dass die Lebensgefährtin des Schuldners XXX als Unterhaltsberechtigte im Sinne von § 805 c ZPO ab dem 21.09.2016 zu berücksichtigen ist. Der sich für die Lebensgefährtin gemäß der Tabelle zu § 805 c ZPO ergebende Betrag darf dabei die Höhe von 364 € nicht übersteigen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Unterhaltsverpflichtung des Schuldners sei gemäß §§ 35, 36 InsO in Verbindung mit § 850 c ZPO zu berücksichtigen. Zwar zähle die Lebensgefährtin des Schuldners nicht im Sinne der Norm zu dem Kreis der Unterhaltsberechtigten, weil keine gesetzliche Unterhaltspflicht bestehe. Nach § 765 a ZPO könne das Vollstreckungsgericht eine Vollstreckungsmaßnahme jedoch ändern, wenn diese unter Würdigung des Gläubigers wegen besonderer Umstände eine Härte bedeute, die mit den Sitten nicht vereinbar sei. Für diese Entscheidung sei auch das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht zuständig. Durch den Umstand, dass die Lebensgefährtin nach den Bestimmungen des Sozialgesetzes gegenüber dem Schuldner unterhaltsberechtigt sei, dies aber im Sinne der Pfändungsbestimmung nicht berücksichtigt werde, bestehe eine Regelungslücke. Dies bedeute eine besondere Härte für den Schuldner, die mit den guten Sitten nicht vereinbar sei, da der Schuldner den Unterhalt der Bedarfsgemeinschaft und somit den Unterhalt seiner Lebensgefährtin nicht aufbringen könnte und dieser gefährdet wäre. Durch das bestehende Insolvenzverfahren und der sich hieraus ergebenden Gläubigergemeinschaft trete das Schutzinteresse zurück, da es sich nicht auf einen einzelnen Gläubiger beziehe. Für die Einzelheiten dieses Beschlusses wird auf Blatt 283 folgende verwiesen.
Der Beschluss ist dem Treuhänder am 25.10.2016 zugestellt worden. Er hat mit einem per Telefax am 07.11.2016 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und diese Beschwerde unter dem 16.11.2016 begründet. Mit der sofortigen Beschwerde wird insbesondere die Rechtsauffassung des Treuhänders, die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung der Lebensgefährtin lägen nicht vor, vertieft. Für die Einzelheiten der Begründung wird auf den betreffenden Schriftsatz zugenommen.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht geholfen (Beschluss vom 17.11.2016).
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten verwiesen.
II.
Die nach § 793 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Schuldners, die der Einzelrichter gemäß § 568 S. 2 ZPO auf die Kammer übertragen hat, ist unbegründet.
Die Entscheidung des Amtsgerichts ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist bei der Berechnung des Pfändungsfreibetrags des Schuldners seine mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Lebensgefährtin zu berücksichtigen, obwohl der Schuldner ihr keinen gesetzlichen Unterhalt schuldet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung ergibt sich keine andere Bewertung:
Der Treuhänder weist zutreffend darauf hin, dass es umstritten ist, ob Personen, mit denen der Schuldner in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, denen gegenüber er aber nicht zur Zahlung gesetzlichen Unterhalts verpflichtet ist, bei der Berechnung des dem Schuldner zu belassenen Betrages nach § 850 f Abs. 1 Buchstabe a ZPO zu berücksichtigen sind. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dies sei nicht der Fall, weil mit den „Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat", nur gesetzliche Unterhaltspflichten im Sinne von § 850c ZPO gemeint seien (zum Beispiel LG Heilbronn, Beschluss vom 28.11.2011, Az. 1 T 327/11, juris; Zöller, § 850f ZPO Rn. 2a). Eine faktische Unterhaltspflicht sei nicht wie eine gesetzlichen Unterhaltspflicht zu behandeln, weil in § 850 f Abs. 1 Buchstabe a ZPO ausdrücklich auf § 850 c ZPO Bezug genommen werde und in § 850 c Abs. 2 ZPO explizit nur von gesetzlichen Unterhaltspflichten die Rede sei (siehe auch LG Mosbach, Beschluss vom 23. März 2012 – 5 T 31/12 –, juris).
Nach anderer Auffassung liegt eine faktische Unterhaltspflicht vor. Diese Unterhaltspflicht sei bei der Berechnung des notwendigen Lebensunterhalts nach § 850 f Abs. 1 Buchstabe a ZPO zu berücksichtigen. Die entsprechende Anwendung des § 850 f ZPO sei nämlich geboten, um den notwendigen Lebensunterhalt des Schuldners selbst und der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sicherzustellen. Nur mit einer solchen entsprechenden Anwendung des § 850 f ZPO könne seinem offensichtlichen gesetzgeberischen Zweck Rechnung getragen werden und eine systemwidrige Ungleichbehandlung vermieden werden (OLG Frankfurt, Urteil vom 04. Juli 2008 – 24 U 146/07 –, juris; LG Essen, Beschluss vom 04. September 2014 – 7 T 285/14 –, juris).
Die letztgenannte Ansicht, der im Ergebnis auch das Amtsgericht gefolgt ist, erscheint zutreffend, weil nach Auffassung der Kammer die gesetzgeberischen Wertentscheidungen des Sozialhilferechts, d.h. auch des SGB II, bei der Auslegung der Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts zu berücksichtigen sind. Wenn Sozialleistungen – wie im vorliegenden Fall mit Bescheid des Jobcenters vom 15.09.2016 unter Hinweis auf das Einkommen des Partners – versagt werden, könnte sich der Schuldner der daraus resultierenden finanziellen Belastung nur durch Beendigung der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin entziehen. Dies kann ihm jedoch auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen nicht zugemutet werden. Die in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind deshalb auch bei der Ermittlung des pfändungsfreien Betrags zu berücksichtigen und das Arbeitseinkommen dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen, wenn der notwendige Bedarf des Schuldners und der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ansonsten tatsächlich nicht gedeckt wäre (so auch das Landgericht Essen, ebenda).
III.
Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Kammer hat gemäß § 574 ZPO die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die Berücksichtigungsfähigkeit von Personen, mit denen der Schuldner im Sinne einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt und denen gegenüber er nicht gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist und – soweit ersichtlich – dazu noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ergangen ist.
Der Wert bemisst sich nach dem Jahresbetrag des Erhöhungsbetrags (vergleiche LG Heilbronn, Beschluss vom 28. November 2011 – 1 T 327/11 –, Rn. 8, juris).