Landgericht Braunschweig
Urt. v. 12.12.2016, Az.: 8 O 863/16
Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 12.12.2016
- Aktenzeichen
- 8 O 863/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43118
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG - 07.09.2017 - AZ: 8 U 7/17
- BGH - AZ: XI ZR 613/17
Rechtsgrundlagen
- § 91 ZPO
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte nach Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages in Anspruch.
Am 04.11.2005 unterzeichneten ein Mitarbeiter der Beklagten und der Kläger einen Darlehensvertrag über 77.000 €. Dem Darlehensvertrag war auf einem gesonderten Blatt eine Widerrufsbelehrung beigefügt. Sie lautet bezüglich des Widerrufsrechts: „Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 2 Wochen ohne Angaben von Gründen in Textform (Z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Sofern sie nicht taggleich mit dem Vertragsschluss über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sind, beträgt die Frist einen Monat. Der Lauf der Frist beginnt mit Aushändigung der Ausfertigung der Vertragsurkunde und dieser Information über das Recht zum Widerruf an den Darlehensnehmer. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs“.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K1 Bezug genommen. Ein fester Zinssatz bis zum 30.10.2015 war vereinbart. Am 12.11.2012 wandte sich der Kläger an die Beklagte und wollte das Darlehen vorzeitig tilgen. Die Beklagte errechnete eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 6074,93 €. Am 25.04.2013 löste der Kläger den Darlehensvertrag durch Zahlung von 68.800,10 € ab. Am 01.09.2015 erklärte der Kläger den Widerruf. Die Beklagte wies den Widerruf zurück. Der Widerruf wurde nochmals durch Anwaltsschreiben vom 24.09.2015 erklärt.
Der Kläger vertritt die Auffassung,
die Widerrufsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß. Er habe den Darlehensvertrag wirksam widerrufen.
Der Kläger hat zunächst beantragt, festzustellen, dass der Darlehensvertrag wirksam widerrufen sei. Er beantragt nunmehr,
1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 19.480,50 € zu zahlen.
2. die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vorgerichtliche Kosten in Höhe von 1590,91 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die Klageänderung für unzulässig.
Sie ist der Auffassung, die Widerrufsbelehrung entspreche den Vorgaben des § 355 BGB in der Fassung, die vom 08.12.2004 bis zum 10.06.2010 galt. Im Übrigen habe der Kläger den Widerruf verwirkt. Die Berechnung des Schadens durch den Kläger sei unzutreffend.
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage nicht begründet.
1.
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt keine Klageänderung vor. Die Erweiterung der Klage von einem Feststellungsbegehren auf ein Leistungsbegehren unterfällt § 264 Nummer 2 ZPO.
2.
Dem Kläger steht ein Widerrufsrecht nicht zu.
a.
Die Widerrufsbelehrung entsprach dem § 355 BGB in der zur Zeit der Vertragsunterzeichnung geltenden Fassung. Das Gericht folgt insoweit den Erwägungen des Landgerichts Hamburg in der Entscheidung 301 O 100/15. Die von der Beklagten gewählte Widerrufsbelehrung klärte den Kläger als Verbraucher hinreichend über das Widerrufsrecht auf. Unstreitig haben der Mitarbeiter der Beklagten und der Kläger den Darlehensvertrag am selben Tag unterzeichnet. Die Widerrufsbelehrung ist vom Kläger ebenfalls an demselben Tag unterschrieben worden. Die von der Beklagten verwendete Belehrung knüpft, für einen durchschnittlichen und nicht rechtskundigen Verbraucher unter Berücksichtigung des zeitlichen Ablaufs deutlich erkennbar, daran an, dass die Widerrufsfrist beginnt, wenn ihm eine Ausfertigung der Vertragsurkunde und der Widerrufsbelehrung übergeben worden sind. Es war für den Kläger aus der Sicht eines unbefangenen und rechtsunkundigen Erklärungsempfängers zu ersehen, dass der Beginn der Widerrufsfrist einen bereits geschlossenen Vertrag, eine eigene Erklärung und die Überlassung von Ausfertigungen voraussetzt.
Da die Widerrufsbelehrung auch im Übrigen Unklarheiten nicht erkennen lässt und solche vom Kläger auch nicht geltend gemacht werden, kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte die Widerrufsbelehrung einer Bearbeitung unterzogen hat, die möglicherweise die Fiktionswirkung aus § 14 BGB Info-VO entfallen lässt. Auf diese Fiktionswirkung kommt es nur in Fällen an, in denen die Widerrufsbelehrung den Vorgaben des § 355 Abs. 2 BGB nicht genügt.
b.
Der Kläger hat sein Widerrufsrecht darüber hinaus auch verwirkt.
Der Darlehensvertrag ist abgewickelt. Die Rechtsprechung des BGH, wonach es auf die Motive des Verbrauchers für den Widerruf nicht ankommt und eine Verwirkung aus dem Umstand, dass ein Darlehen regelrecht bedient worden ist, nicht hergeleitet werden kann, ist auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht übertragbar. Ausnahmsweise ist unter bestimmten Umständen von einer Verwirkung auszugehen. Solche Umstände liegen hier vor. Das Gericht folgt den Erwägungen des Schleswig- Holsteinischen Oberlandesgerichts in 5 U 72/16.
Der Kläger hat den Darlehensvertrag nicht nur regelrecht bedient und ihn dadurch zum Abschluss gebracht, sondern er hat die Initiative ergriffen und am 12.11.2012 eine vorzeitige Tilgung gewünscht. Unter Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung hat er am 25.04.2013 das Darlehen abgelöst. Mehr als 2 Jahre später, am 01.09.2015 hat er den Widerruf erklärt.
Die Dauer des Zeitmoments richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und begann nach der Rechtsprechung des BGH mit dem Zustandekommen des Vertrages am 04.11.2005. Bis zur vorzeitigen Ablösung waren etwa sechseinhalb Jahre, bis zum Widerruf waren nahezu zehn Jahre vergangen. Das genügt für die Bejahung des Zeitmomentes.
Auch das Umstandsmoment liegt vor. Das Umstandsmoment für die Verwirkung ist erfüllt, wenn bei objektiver Betrachtung die Beklagte aus dem Verhalten des Klägers den Eindruck gewinnen durfte, dass dieser ein Widerrufsrecht nicht mehr ausüben werde. Bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen kann das Vertrauen der Bank auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein. Ein solcher Fall ist hier – streng einzelfallbezogen – zu bejahen. Denn der Kläger hat das Darlehen unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung auf eigene Initiative abgelöst. In dieser Situation durfte die Beklagte nach einer angemessenen Zeitspanne den Eindruck gewinnen, dass der Kläger einen Widerruf nicht mehr erklären würde. Diese Zeitspanne hat das Oberlandesgericht Schleswig Holstein mit – nur – etwa 6 Monaten bemessen. Das kann in dem hier zu entscheidenden Sachverhalt offen bleiben, weil zwischen Ablösung des Darlehens und Widerruf mehr als 2 Jahre vergangen sind. Diese Zeitspanne reicht jedenfalls aus, um einen Vertrauenstatbestand bei der Beklagten zu schaffen, der eine Verwirkung des Widerrufsrechts des Klägers begründet. Denn es ist allgemein bekannt, dass Banken das Kapital, das ihnen zur Verfügung steht, dazu nutzen, ihre Geschäfte zu betreiben.
Daher war die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.