Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.11.2002, Az.: 11 K 504/00
Drittwirkung der Steuerfestsetzung in Haftungsfällen; Grundsatz der anteiligen Tilgung bei Säumniszuschlägen zur Lohnsteuer und Lohnsteuernachforderungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 28.11.2002
- Aktenzeichen
- 11 K 504/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14097
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:1128.11K504.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 23.03.2006 - AZ: VI R 13/03
Rechtsgrundlagen
- § 34 Abs. 1 AO
- § 162 AO
- § 191 Abs. 1 AO
Fundstellen
- EFG 2003, 746-747
- PStR 2003, 10
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Sind Lohnsteueranmeldungen abgeben worden, trägt der GmbH-Geschäftsführer die Feststellungslast für die Behauptung, die Löhne seien nicht ausgezahlt worden.
- 2.
§ 166 AO gilt nicht für Haftungsbescheide.
- 3.
Sind Steuern nicht durch Haftungsbescheide, sondern durch Steuerbescheide gegen eine GmbH festgesetzt worden, ist § 166 AO anwendbar.
- 4.
Zur Frage der Haftung des GmbH-Geschäftsführers gem. §§ 69, 34 AO ist nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung im Wesentlichen auf den Schadensersatzcharakter der Haftungsnormen des § 69 AO abzustellen. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung kommt auch bei Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für pauschalierte Lohnsteuer zur Anwendung. Gleiches gilt für den hierauf entfallenden Solidaritätszuschlag.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kläger für rückständige Lohnsteuern, Verspätungs- und Säumniszuschläge der GmbH 1 sowie der GmbH 2 haften.
Der Kläger ist seit 1991 Geschäftsführer der GmbH 1 und seit 1993 Geschäftsführer der GmbH 2. Die Klägerin war von 1993 bis März 1999 Geschäftsführerin beider GmbHs.
Für beide GmbHs wurden 1996 keine Lohnsteuern angemeldet oder abgeführt. Ab Januar 1997 setzte der Beklagte Lohnsteuern im Schätzwege fest. Nachdem im Rahmen von Lohnsteuer-Außenprüfungen bei den GmbHs - Prüfungszeitraum 01.01.1996 bis 31.12.1997 - dem Prüfer keinerlei Unterlagen vorgelegt wurden, schätzte der Beklagte dem Prüfer folgend abzuführende Lohnsteuer 1996 und 1997 nach den vertraglich den Geschäftsführern zugesagten Gehältern, erließ gegenüber den GmbHs dementsprechende Lohnsteuerhaftungs- und -nachforderungsbescheide vom 24.11.1998 und hob den Vorbehalt der Nachprüfung in den Steuerfestsetzungen des Prüfungszeitraums auf. Diese Bescheide wurden bestandskräftig. Auch im Anschluss an den Prüfungszeitraum ergingen Steuerfestsetzungen für Lohnsteuer und Anhangsteuern, die auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhen.
Nach vergeblichen Vollstreckungsversuchen bei den GmbHs nahm der Beklagte die Kläger als deren gesetzliche Vertreter gemäß §§ 191 Abs. 1, 69, 34 Abgabenordnung (AO) für die Abgabenrückstände mit Bescheiden vom 16.09.1999 in Haftung. Dabei sind die auf den an die GmbHs gerichteten Lohnsteuerhaftungs- und -nachforderungsbescheiden beruhenden Beträge in den Positionen "Lohnsteuer 1997" der Anlagen zu den Haftungsbescheiden enthalten. Zusätzlich umfassen diese Positionen auch Beträge von 4.000 DM (GmbH 1) bzw. 1.000 DM (GmbH 2), die für 1997 mit Steuerbescheiden, die auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhen, zum 20.03.1998 fällig gestellt wurden. Die Einspruchsverfahren blieben erfolglos.
Die Kläger tragen vor, Geschäftsführergehälter seien nur 1994, aber nicht mehr in dem hier interessierenden Zeitraum 1996 bis 1999 gezahlt worden. Die GmbHs hätten keine lohnsteuerpflichtigen Beschäftigten gehabt. Dementsprechende Lohnsteueranmeldungen seien 1995 dreimal und 1997 einmal eingereicht worden. Die Geschäftstätigkeit ruhe seit dem Verkauf der von den GmbHs errichteten Immobilien. Auch dem Prüfer sei dies mitgeteilt worden. Unterlagen hätten demzufolge nicht vorgelegt werden können. Die GmbH 1 verfüge bereits seit 1996 über kein Geschäftskonto mehr. Es fehle an einer groben Pflichtverletzung der Kläger, da keine Pflicht zur Einbehaltung von Lohnsteuer bestanden habe. Die Geschäftsführerverträge seien formlos aufgelöst worden. Die an die GmbHs gerichteten bestandskräftigen Bescheide seien nicht nach § 166 Abgabenordnung (AO) bindend.
Die Kläger beantragen,
die Haftungsbescheide vom 16.09.1999 wegen Abgabenrückständen der GmbH 1 sowie der GmbH 2 und die hierzu ergangenen Einspruchsbescheide vom 18.04.2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, die behauptete Nichtzahlung der Gehälter sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Da für die GmbHs keine Steuererklärungen oder Gewinnermittlungen eingereicht worden seien, lasse sich die finanzielle Situation der Gesellschaften nicht beurteilen. Die Feststellungslast für die Behauptung, es seien keine Löhne gezahlt worden, hätten die Kläger zu tragen.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 27.11.2000 und 31.01.2002 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Gründe
Die Klage hat nur teilweise Erfolg.
Die Haftungsbescheide sind nicht bereits mangels inhaltlicher Bestimmtheit rechtswidrig oder gar nichtig. Die Zusammensetzung der Position Lohnsteuer 1997 in den Anlagen der Haftungsbescheide konnte im Verlauf des Klageverfahrens geklärt werden und ist im Tatbestand erläutert.
Der Senat legt die Klageschrift dahin aus, dass die Haftung für Kirchensteuer nicht Gegenstand des Verfahrens ist. In Kirchensteuerangelegenheiten ist der Finanzrechtsweg in Niedersachsen nicht eröffnet (§ 10 Abs. 2 Kirchensteuerrahmengesetz). Dies gilt auch für die Haftung für Kirchensteuer (vgl. BFH-Urteil vom 07.02.1969 VI R 81/66, BStBl II 1969, 406).
1.
Haftungsbescheide wegen Abgabenrückständen der GmbH 1
Die Klage wegen Abgabenrückständen der GmbH 1 hat weitgehend Erfolg. Es verbleibt nur die Haftung für einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer 1997 zuzüglich Solidaritätszuschlag.
Der Senat folgt allerdings der Begründung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, soweit es um die Haftung der Kläger für Abgabenrückstände der GmbH 1 dem Grunde nach gemäß §§ 191 Abs. 1, 69, 34 Abs. 1 AO geht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird insoweit abgesehen (§ 105 Abs. 5 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
a)
Es steht aber nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die fraglichen Lohnsteuern und Solidaritätszuschläge überhaupt entstanden sind. Es sind keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, die gegen die Darstellung der Kläger sprechen, es seien in den Jahren 1996 bis 1999 überhaupt keine Löhne gezahlt worden. Hinweise auf geschäftliche Aktivitäten der GmbH in diesen Jahren gibt es nicht. Wenn die GmbH Grundstücke erworben oder verkauft hätte, wäre dies dem Finanzamt wegen der Anzeigepflicht der beurkundenden Notare im Normalfall nicht verborgen geblieben. Der Kläger hat zudem nachgewiesen, 1996 bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt gewesen zu sein und dort einen Bruttoarbeitslohn von 97.000 DM sowie eine Entschädigung von 76.000 DM bezogen zu haben. Da später auch die Klägerin anderweitig berufstätig war, hing der Lebensunterhalt der Kläger nicht von Zahlungen der GmbH 1 ab, zumal die Kläger auch über Zahlungen der GmbH 2 verfügt haben können (siehe dazu unten unter Ziffer 2).
Den Nachteil der Nichterweislichkeit von Lohnzahlungen hat grundsätzlich der Beklagte zu tragen. Ihn trifft die Feststellungslast für solche Tatsachen, die steuerbegründend bzw. -erhöhend sind. Sind allerdings Lohnsteueranmeldungen abgegeben worden, trägt der GmbH-Geschäftsführer die Feststellungslast für die Behauptung, die Löhne seien nicht ausgezahlt worden (BFH-Urteil vom 12.07.1988 VII R 3/85, BFH/NV 1988, 7 [BFH 17.09.1987 - VII R 62/84]; BFH-Beschluss vom 08.05.2001 VII B 252/00, BFH/NV 2001, 1222). Im Streitfall sind jedoch keine Lohnsteuern angemeldet worden, so dass es bei der Feststellungslast des Beklagten verbleibt.
aa)
Danach entfällt die Haftung der Kläger für die in der Position Lohnsteuer 1997 enthaltene Haftungsschuld der GmbH 1.
Den Klägern ist der Einwand, die dem an die GmbH 1 gerichteten Haftungsbescheid vom 24.11.1998 zugrunde liegenden Löhne seien nicht gezahlt worden und Lohnsteuer sowie Solidaritätszuschlag damit gar nicht einzubehalten und abzuführen gewesen, nicht abgeschnitten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 166 AO. Nach § 166 AO muss allerdings eine unanfechtbare Steuerfestsetzung u.a. auch gegen sich gelten lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten. Der gegenüber der GmbH 1 erlassene Haftungsbescheid ist auch unanfechtbar geworden. § 166 AO befindet sich aber in dem die Steuerfestsetzung betreffenden Dritten Abschnitt des Vierten Teils der AO. Diese Vorschriften gelten - soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet ist - nicht für Haftungsbescheide. Eine entsprechende Anwendung des § 166 AO auf die unanfechtbare Festsetzung einer Haftungsschuld ist aber weder in § 191 AO noch an anderer Stelle angeordnet worden. Sie wäre auch sinnwidrig, soweit - wie im Streitfall - unterschiedliche Haftungsvoraussetzungen bestehen (BFH-Urteil vom 16.11.1995 VI R 82/95, BFH/NV 1996, 285).
bb)
Auch für Lohnsteuer und Solidaritätszuschläge 1998 und 1999 wird nicht gehaftet.
Soweit die Kläger nicht für Haftungsschulden, sondern für die in der Position Lohnsteuer 1997 enthaltene pauschalierte Lohnsteuer 1997 und einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuern 1997 sowie Lohnsteuer 1998 und 1999 zuzüglich der hierauf entfallenden Solidaritätszuschläge der GmbH 1 haften sollen, ist die Vorschrift des § 166 AO allerdings grundsätzlich anwendbar. Diese Steuern sind nicht durch Haftungsbescheide, sondern durch Steuerbescheide gegen die GmbH 1 festgesetzt worden.
Gleichwohl ist den Klägern dadurch nur gegenüber der Festsetzung pauschalierter Lohnsteuer 1997 und einzubehaltender und abzuführender Lohnsteuer 1997 sowie der hierauf entfallenden Solidaritätszuschläge der Einwand, die Bescheide seien rechtswidrig, nach § 166 AO abgeschnitten. Anders verhält es sich hingegen mit den Bescheiden für 1998 und 1999.
Die - nicht in den vorgelegten Akten vorhandenen - Bescheide über einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer 1997 bis 1999 sind - nach dem Schreiben des Finanzamts vom 24.01.2000 zu urteilen - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen. Da mit dem an die GmbH 1 gerichteten Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 24.11.1998 auch der Vorbehalt der Nachprüfung in den Lohnsteuerbescheiden 1996 und 1997 aufgehoben wurde, ist zwar die Festsetzung der Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlags 1997 unanfechtbar geworden. Dagegen besteht der Vorbehalt der Nachprüfung für die 1998 und 1999 betreffenden Festsetzungen fort. Sie sind damit auf Antrag gemäß § 164 Abs. 2 AO bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist und damit auch zum Zeitpunkt des Ergehens dieses Urteils abänderbar.
Damit sind sie nicht unanfechtbar im Sinne des § 166 AO (Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 166, 8). Zwar wird unter Unanfechtbarkeit gemeinhin die formelle Bestandskraft eines Bescheides verstanden (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28.03.2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217), die eintritt, wenn der Bescheid nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angegriffen werden kann. Im Streitfall ist die Einspruchsfrist gegen die hier in Rede stehenden Bescheide abgelaufen, die Bescheide sind formell bestandskräftig. Der BFH sieht aber Bescheide auch dann als nicht unanfechtbar an, wenn sie noch unter Vorbehalt der Nachprüfung stehen und damit noch geändert werden können. So prüft der BFH in dem Urteil vom 20.01.1998 (VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814) unter Ziffer 2 am Ende im Rahmen der Ausführungen zu § 166 AO auch, ob der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde oder entfallen ist, obwohl im Satz zuvor die formelle Bestandskraft der Bescheide festgestellt worden ist. Eine solche Prüfung wäre überflüssig, wenn Unanfechtbarkeit im Sinne des § 166 AO mit formeller Bestandskraft gleichzusetzen wäre.
Sinn der Vorschrift ist es, den Geschäftsführer einer GmbH unter den weiteren Voraussetzungen des § 166 AO mit solchen Einwänden auszuschließen, die auch der GmbH bereits abgeschnitten sind. Im Streitfall sind die Vorbehalte der Nachprüfung für die 1998 und 1999 betreffenden Bescheide nicht aufgehoben oder entfallen. Die GmbH könnte noch Änderungen der Bescheide erwirken. Demzufolge muss auch der Kläger im Haftungsverfahren mit seinen Einwänden noch gehört werden. Eine Aussetzung des Haftungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens über die Änderung der Lohnsteuerfestsetzungen ist nicht erforderlich.
Dass der Klägerin die Einwände gegen die Steuerbescheide nicht abgeschnitten sind, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sie ihre Vertretungsbefugnis im März 1999 und damit zu einem Zeitpunkt verloren hat, zu dem die Steuerfestsetzungen noch nach § 164 Abs. 2 AO änderbar waren (vgl. BFH-Beschluss vom 28.03.2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217).
b)
Die Haftung der Kläger für die pauschalierte Lohnsteuer 1997 und darauf entfallenden Solidaritätszuschlag sowie sämtliche Säumnis- und Verspätungszuschläge entfällt ebenfalls. Es ist nicht feststellbar, dass die Kläger das Finanzamt bei Zahlungen der GmbH 1 gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt haben ("Grundsatz der anteiligen Tilgung").
Der Geschäftsführer einer GmbH haftet für die von dieser geschuldeten, nicht an das Finanzamt entrichteten Abgaben - außer einzubehaltender und abzuführender Lohnsteuer - nach den §§ 69, 34 AO nur, soweit er aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Steuerschulden hätte tilgen können. Bei insgesamt nicht ausreichenden Zahlungsmitteln kommt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Geschäftsführers grundsätzlich nur in Betracht, wenn er die vorhandenen Mittel nicht zu einer in etwa anteiligen Befriedigung der privaten Gläubiger und des Finanzamts verwendet hat (BFH-Urteil vom 12.06.1986 VII R 192/83, BStBl II 1986, 657 mit weiteren Nachweisen). Zur Frage der Haftung des GmbH-Geschäftsführers gemäß §§ 69, 34 AO ist nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung im Wesentlichen auf den Schadensersatzcharakter der Haftungsnormen des § 69 AO abzustellen. Der Umfang der Haftung bestimmt sich danach, inwieweit zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Steuerausfall (Schaden) ein Kausalzusammenhang besteht. Dieser fehlt, wenn mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens die geschuldete Steuer nicht hätte beglichen werden können. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung kommt auch bei der Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für pauschalierte Lohnsteuer zur Anwendung (BFH-Urteil vom 03.05.1990 VII R 108/88, BStBl II 1990, 767). Gleiches muss für den hierauf entfallenden Solidaritätszuschlag gelten.
Es hat sich nicht feststellen lassen, dass die GmbH 1 zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben noch über irgendwelche Mittel verfügt und Zahlungen an andere Gläubiger geleistet hat. Es gilt das unter Ziffer 1 a Gesagte entsprechend. Das Finanzamt trägt die Feststellungslast für eine nicht anteilige Befriedigung (BFH-Urteil vom 08.07.1982 V R 7/76, BStBl II 1983, 249), den Klägern obliegt jedoch eine gesteigerte Mitwirkungspflicht (BFH-Urteil vom 23.08.1994 VII R 134/92, BFH/NV 1995, 570). Die Verletzung dieser Mitwirkungspflicht durch Schweigen oder eine ungerechtfertigte Weigerung, solche in seinem Wissensbereich liegende Auskünfte zu erteilen, können gegen die Kläger verwertet werden (BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 570, m.w.N.). Derartige Umstände sind im Streitfall jedoch nicht ersichtlich. Die Kläger erklären seit Jahren, die GmbH 1 sei nicht mehr wirtschaftlich aktiv. Bereits seit 1996 soll die GmbH nicht mehr über ein Geschäftskonto verfügen. Hat die GmbH aber im Haftungszeitraum über keine Mittel verfügt, kann das Finanzamt nicht gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt worden sein. Dem steht nicht entgegen, dass die GmbH 1 seit 1995 keine Steuererklärungen und Jahresabschlüsse mehr vorgelegt hat. Haftungsbescheide sind nicht dazu da, die Abgabe von Steuererklärungen zu erzwingen.
c)
Es verbleibt somit die Haftung für Lohnsteuer 1997 in Höhe von 2.045,17 (4.000 DM) und Solidaritätszuschlag 1997 in Höhe von 153,39 (300 DM). Die Kläger sind insoweit mit ihren Einwänden wegen der Drittwirkung der Steuerfestsetzung gemäß § 166 AO ausgeschlossen.
2.
Haftungsbescheide wegen Abgabenrückständen der GmbH 2
Die Klage hat nur insoweit Erfolg, als sie zur Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung führt.
Der Senat folgt der Begründung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, soweit es um die Haftung der Kläger für Abgabenrückstände der GmbH 2 dem Grunde nach gemäß §§ 191 Abs. 1, 69, 34 Abs. 1 AO geht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird insoweit abgesehen (§ 105 Abs. 5 FGO).
a)
Die Klage ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Haftung für die in der Position Lohnsteuer 1997 enthaltene Haftungsschuld der GmbH 2 und für einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer 1997 sowie gegen Lohnsteuer 1998 nebst Solidaritätszuschlägen wendet.
Die Beweislage stellt sich hier anders als bei der GmbH 1 dar. Bei den Steuerakten der GmbH befinden sich 5 Veräußerungsanzeigen für Kaufverträge über Eigentumswohnungen aus 1995, 9 für Kaufverträge aus 1996 und 2 für Kaufverträge aus 1997, in denen die GmbH 2 als Veräußerer bezeichnet ist. Wenn sich auch der Zeitpunkt der Zahlung des Kaufpreises nicht aus den Akten ergibt, war die GmbH 2 in dem hier interessierenden Zeitraum 1996 bis 1998 offenbar noch wirtschaftlich aktiv. Sie hat Einnahmen von mehr als 3 Mio DM - den Veräußerungsanzeigen des Notars nach zu urteilen - aus freihändigen Verkäufen erzielt, die zur Zahlung von Löhnen zur Verfügung gestanden haben können. Es wäre unter diesen Umständen Sache der Kläger gewesen, den Nachweis zu erbringen, wie die Einnahmen verwendet worden sind, dass daraus insbesondere keine Lohnzahlungen erfolgt sein können, weil z.B. die Kaufpreise an die Grundpfandrechtsgläubiger geflossen sind. Die Kläger sind jedoch der Aufforderung, ihre Lohnsteuerkarten und die Kontoauszüge der GmbH 2 vorzulegen, nicht nachgekommen.
b)
Die Haftungsbeträge für die pauschalierte Lohnsteuer, den hierauf entfallenden Solidaritätszuschlag, die Säumniszuschläge und den Verspätungszuschlag sind zur Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung im Wege der Schätzung auf 50 v.H. herabzusetzen.
aa)
Der Senat ist zur Schätzung befugt (§§ 96 FGO, 162 AO; BFH-Beschluss vom 31.03.2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322; vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 191, 117). Die Tilgungsquote hat sich nicht ermitteln lassen. Die Kläger haben trotz Aufforderung keine Angaben gemacht, aus denen sich eine Tilgungsquote ableiten ließe. Die Haftungsbescheide gehen von einer - geschätzten - Tilgungsquote von 100 v.H. aus. Dieser Wert ist unzutreffend. Er ist rechnerisch unmöglich. Selbst wenn die anderen Gläubiger im Haftungszeitraum vollständig befriedigt werden, kann sich nur eine Tilgungsquote unter 100 v.H. ergeben. Eine Haftung für den vollen Abgabenbetrag kommt nur in Betracht, wenn Aufrechnungs- oder Vollstreckungsmöglichkeiten des Finanzamts vereitelt worden sind. Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte.
Für die Höhe der Schätzung waren folgende Erwägungen maßgebend:
Der Haftungszeitraum, für den eine Tilgungsquote zu ermitteln ist, beginnt (erst) am 20.03.1998. Den Klägern wird in den Haftungsbescheiden (nur) vorgeworfen, Abgaben der GmbH 2 bei Fälligkeit nicht abgeführt zu haben. Die von der GmbH 2 nicht entrichteten, dem Grundsatz der anteiligen Tilgung unterliegenden Abgaben mit der ältesten Fälligkeit sind die mit Ablauf des 20.03.1998 entstandenen Säumniszuschläge zur Lohnsteuer 1997.
Ob die GmbH 2 nach dem 20.03.1998 noch Einnahmen erzielt hat, ist zweifelhaft. Veräußerungsanzeigen für 1998 befinden sich jedenfalls nicht bei der Akte. Die letzten Veräußerungsanzeigen betreffen 1997 und beziehen sich auf zwei notarielle Verträge vom 15.04.1997, wobei die Kaufpreise von zusammen 440.000 DM bei Bezugsfertigkeit fällig sind. Wann und wohin die Kaufpreise geflossen sind, hat sich nicht klären lassen. Da die Kläger insoweit ihren Mitwirkungspflichten nicht genügt haben und auch nicht auszuschließen ist, dass die GmbH 2 im Haftungszeitraum noch über Guthaben aus den hohen Einnahmen der Jahre 1995 und 1996 verfügt und zur Befriedigung anderer Gläubiger eingesetzt hat, erscheint die Herabsetzung der Haftungssumme auf 50 v.H. angemessen.
bb)
Es ergibt sich insoweit folgende Berechnung der Haftungsbeträge laut Urteil:
Für den Kläger:
bisher | laut Urteil | |
---|---|---|
Lohnsteuernachforderung 1997 | 2.000,00 DM | 1.000,00 DM |
Solidaritätszuschlag zur Nachforderung 1997 | 150,00 DM | 75,00 DM |
Säumniszuschläge | 8.607,00 DM | 4.303,50 DM |
Verspätungszuschlag | 120,00 DM | 60,00 DM |
Summe | 10.877,00 DM | 5.438,50 DM |
Für die Klägerin:
Da die Klägerin im März 1999 als Geschäftsführerin abberufen wurde, ist die Haftung für Säumniszuschläge zunächst auf die Säumniszuschläge zu begrenzen, die bis zu ihrem Ausscheiden verwirkt wurden. Ihre Abberufung ist am 29.03.1999 im Handelsregister eingetragen worden. Es wird daher davon ausgegangen, dass die konstitutive Abberufung durch die Gesellschafterversammlung am 22.03.1999 erfolgt ist. Im Haftungsbescheid sind dagegen die bis zum 06.09.1999 verwirkten Säumniszuschläge angesetzt.
Betrag | fällig | Säumniszuschläge bis 22.03.1999 | |
---|---|---|---|
Lohnsteuer 1997 | 86.314,00 DM | 28.12.1998 | 2.589 DM |
Solidaritätszuschlag | 6.473,55 DM | 28.12.1998 | 192 DM |
Lohnsteuer 1997 | 1.000,00 DM | 20.03.1998 | 130 DM |
Solidaritätszuschlag | 75,00 DM | 20.03.1998 | 0 DM |
Lohnsteuer 1998 | 1.200,00 DM | 01.03.1999 | 12 DM |
Summe | 2.923 DM |
Es wird unterstellt, dass der kürzere Haftungszeitraum der Klägerin die Tilgungsquote nicht beeinflusst. Die Haftungssumme der Klägerin für Säumniszuschläge ist daher auf die Hälfte herabzusetzen (1.461,50 DM). Bei den übrigen Positionen ergibt sich keine Änderung gegenüber den für den Kläger errechneten Beträgen.
3.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Der Streitfall wirft Rechtsfragen auf, die in einer Vielzahl von Haftungsverfahren von Bedeutung sind.
Es ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, ob in den Fällen, in denen ein gesetzlicher Vertreter für nicht mehr mit dem Einspruch anfechtbare, aber unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzte Steuern haften soll, Einwände gegen die Steuerfestsetzung im Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid unmittelbar berücksichtigt werden können, wie hier im Fall des Klägers geschehen, oder ob das Verfahren ausgesetzt werden muss, bis die Steuerfestsetzung unabänderbar geworden ist. Der BFH hat in dem Beschluss vom 28.03.2001 (VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217) lediglich entschieden, dass ein gesetzlicher Vertreter, der die Vertretungsbefugnis zu einem Zeitpunkt verliert, zu dem noch ein Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung möglich ist, im Haftungsverfahren mit Einwänden gegen die Steuerfestsetzungen nicht gemäß § 166 AO abgeschnitten ist.
Ferner bedarf die Frage der höchstrichterlichen Klärung, ob für Säumniszuschläge zur Lohnsteuer nur begrenzt nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung gehaftet wird. Aus den Ausführungen des BFH in dem Urteil vom 01.08.2000 (VII R 110/99, BStBl II 2001, 271) folgern niedersächsische Finanzbehörden teilweise, der Grundsatz der anteiligen Tilgung sei bei Säumniszuschlägen zur Lohnsteuer nicht anwendbar. Der BFH hat in dem Urteil ausgeführt, der Grundsatz der anteiligen Tilgung gelte "grundsätzlich" auch für Nebenleistungen (a.a.O. unter II 2 a am Ende). Diese Formulierung lässt den Schluss zu, es gebe auch Nebenleistungen, für die unbegrenzt gehaftet werde. In dem Urteil heißt es außerdem, § 69 Satz 2 AO führe zu einer "Haftungserweiterung für Säumniszuschläge" gegenüber anderen steuerlichen Nebenleistungen (a.a.O. unter II 4 am Ende). Da im Einleitungssatz des Abschnitts der Grundsatz der anteiligen Tilgung bei Verspätungszuschlägen für anwendbar erklärt wird, wird die Auffassung vertreten, die Haftungserweiterung schließe die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung bei Säumniszuschlägen aus.
Nachdem nach neuerer Erkenntnis die pauschale Lohnsteuer im Zeitpunkt des Zuflusses des Lohns beim Arbeitnehmer entsteht (BFH-Urteile vom 30.11.1989 I R 14/87, BStBl II 1990, 993; vom 06.05.1994 VI R 47/93, BStBl II 1994, 715), es sich dabei um die durch die Tatbestandsverwirklichung des Arbeitnehmers entstandene und vom Arbeitgeber lediglich übernommene Lohnsteuer und nicht etwa um eine Unternehmenssteuer eigener Art, die erst im Zeitpunkt der Pauschalierung entsteht, handelt, ist es fraglich, ob an der im BFH-Urteil vom 03.05.1990 (VII R 108/88, BStBl II 1990, 767) vertretenen Ansicht festgehalten werden kann, für pauschalierte Lohnsteuer werde nur nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung gehaftet.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).