Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.11.2002, Az.: 1 K 3/02
Anspruch auf Kindergeld i.S.d. deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens bei geringfügiger Beschäftigung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.11.2002
- Aktenzeichen
- 1 K 3/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14090
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:1126.1K3.02.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 21.02.2008 - AZ: III R 79/03
Rechtsgrundlage
- § 62 Abs. 2 S. 1 EStG
Fundstellen
- EFG 2003, 786-787
- IWB 2003, 791
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Der Würdigung des deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens als völkerrechtlicher Vereinbarung i.S.d. § 2 AO steht nicht entgegen, dass Kindergeld zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens als Sozialleistung und nicht als Steuervergütung gewährt wurde.
- 2.
Art. 2 Abs. 1 Nr. 1d des Abkommens betrifft lediglich den Regelungsgegenstand; die Form, in welcher die Vertragsstaaten das Kindergeld gewähren, bleibt offen.
- 3.
Arbeitnehmer i.S.d. deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens sind auch solche, die in der Bundesrepublik eine Beschäftigung i.S.d. Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.03.1999 ausüben.
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob die Klägerin nach dem Deutsch-Jugoslawischen Sozialabkommen aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung einen Kindergeldanspruch hat.
Die in Hannover lebende Klägerin ist jugoslawische Staatsbürgerin, die über den ausländerrechtlichen Status einer Duldung verfügt. In dem Zeitraum vom 1. Oktober 1998 bis zum 30. April 2001 war sie bei Herrn L. geringfügig beschäftigt, ab 1. April 1999 führte der Arbeitgeber für dieses Beschäftigungsverhältnis pauschal Sozialversicherungsbeiträge an die AOK ab.
Mit Antrag vom 1. November 2001 beantragte die Antragstellerin Kindergeld für ihren im Jahre 1997 geborenen Sohn B. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 12. Dezember 2001 ab.
Im Klageverfahren trägt die Klägerin vor, dass sie Arbeitnehmerin im Sinne des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 sei. Für die Arbeitnehmereigenschaft komme es nicht auf die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden, sondern darauf an, ob der Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 29. November 2001 und der Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2001 den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin für den Zeitraum 1. April 1999 bis 30. April 2001 Kindergeld zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass Arbeitnehmer im Sinne des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 nur Arbeitnehmer seien, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung, d.h. eine Beschäftigung von mindestens 15 Stunden wöchentlich, ausübten.
Im Übrigen wird auf die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze sowie die Kindergeldakte verwiesen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat für die Zeit ihrer geringfügigen Beschäftigung (1. April 1999 - 30. April 2001) einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für ihren Sohn B.
Zwar ist die Klägerin nach den einkommensteuerrechtlichen Rechtsvorschriften über die Gewährung von Kindergeld nicht anspruchsberechtigt. Gem. § 62 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) hat ein Ausländer nur Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin, die ausländerrechtlich lediglich geduldet wird, nicht.
Der Klägerin steht jedoch nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 Kindergeld zu.
a)
Dem deutsch-jugoslawische Sozialabkommen, das keine dem § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG entsprechende Beschränkung des Kindergeldanspruchs kennt, kommt gegenüber dieser Rechtsnorm Anwendungsvorrang zu. Das ergibt sich aus § 2 AO, wonach völkerrechtliche Vereinbarungen im Sinne des Artikels 59 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz über die Besteuerung den nationalen Steuergesetzen vorgehen. Mit Zustimmungsgesetz vom 29. Juli 1969, BGBl. II 1969, 1437, ist das deutsch-jugoslawische Sozialabkommen in deutsches Recht transformiert worden. Der Senat folgt der auch vom FG Düsseldorf, Urteil vom 21. Januar 1999 10 K 5596/97 Kg, EFG 1999, 567 vertretenen Auffassung, wonach es der Würdigung des deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens als völkerrechtliche Vereinbarung im Sinne des § 2 AO nicht entgegensteht, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens Kindergeld als Sozialleistung und nicht als Steuervergütung gewährt wurde. Gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 d) bezieht sich das Abkommen auf die deutschen Rechtsvorschriftenüber das Kindergeld für Arbeitnehmer. Damit wird nur der Regelungsgegenstand des Abkommens angesprochen; die Form, in welcher die Vertragsstaaten das Kindergeld gewähren, bleibt offen. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 d) deutsch-jugoslawisches Sozialabkommen enthält somit eine dynamische Verweisung auf die jeweiligen Rechtsnormen über Kindergeld. Mit der Transformation des deutschen Kindergeldrechts vom Bundeskindergeldgesetz in das EStG wandelte sich der Charakter des Sozialabkommens hinsichtlich jener Bestimmungen, die das Kindergeld zum Gegenstand haben, von einem Abkommens i.S.d. § 30 Abs. 2 SGB I (der § 2 AO entsprechenden Regelung im Sozialrecht) zu einer völkerrechtlichen Vereinbarung über die Besteuerung gem. § 2 AO.
b)
Nach dem deutsch-jugoslawischen Sozialabkommen hat die Klägerin Anspruch auf Gewährung von Kindergeld. Gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 a) deutsch-jugoslawisches Sozialabkommen stehen bei Anwendung der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates Staatsangehörige des anderen Vertragsstaates dessen Staatsangehörigen gleich, wenn sie sich im Gebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten. Da der in Deutschland lebenden Klägerin - wäre sie deutsche Staatsbürgerin - gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 i.V.m.§ 32 Abs. 1 EStG Kindergeld zustehen würde, hat sie nach der Gleichstellungsklausel des Art. 3 Abs. 1 deutsch-jugoslawisches Sozialabkommen auch als jugoslawische Staatsbürgerin einen Kindergeldanspruch.
c)
Der Kindergeldanspruch der Klägerin ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie nur geringfügig beschäftigt ist.
Begünstigt sind nach dem Abkommen ausschließlich"Arbeitnehmer". Das ergibt sich daraus, dass sich das Sozialabkommen seinem Wortlaut nach auf die deutschen Rechtsvorschriftenüber das Kindergeld für Arbeitnehmer (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 d)) bezieht. Hintergrund dieser Beschränkung ist, dass in Jugoslawien - anders als im deutschen Kindergeldrecht - Kindergeldleistungen an die Arbeitnehmereigenschaft geknüpft waren. Eine bilaterale Vereinbarungüber Kindergeldzahlungen an Staatsangehörige des jeweils anderen Vertragsstaates konnte deshalb nur so weit gehen, als sich der Kreis der Anspruchsberechtigten in den beiden Vertragsstaaten deckte.
Die Klägerin ist jedoch als Arbeitnehmerin im Sinne des Abkommens anzusehen. Aus dem Regelungszusammenhang des Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens, der neben dem Kindergeld für Arbeitnehmer Ansprüche gegen die Krankenversicherung, die Unfallversicherung und die Rentenversicherung als Gegenstand des Abkommens definiert, ergibt sich, dass Ziel des Abkommens eine Einbeziehung der Staatsangehörigen des einen Vertragsstaates in die sozialen Sicherungssysteme des anderen Staates ist. Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung der Arbeitnehmereigenschaft nach dem Abkommen kann deshalb nur sein, ob der Antragsteller durch seine nichtselbständige Tätigkeit Ansprüche gegen die sozialen Sicherungssysteme des jeweiligen Vertragsstaates begründet hat. Das ist jedoch seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 (BGBl. I 1999, 388) zum 1. April 1999 der Fall. Auch im Fall einer geringfügigen Beschäftigung hat der Arbeitgeber gem. § 249 b SGB V und § 172 SGB VI Beiträge in Höhe von 10 v.H. bzw. 12 v.H. des Arbeitsentgelts an die Träger der Kranken- bzw. Rentenversicherung abzuführen, wodurch eigene Sozialversicherungsansprüche des Arbeitnehmers begründet werden.
Die ältere sozialgerichtliche Rechtsprechung, wonach die Anerkennung der Arbeitnehmereigenschaft eine Beschäftigung von mindestens 15 Stunden je Woche voraussetzt, worauf sich der Beklagte bezieht, ist seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse überholt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 i.V.m. § 155 FGO und§§ 708 Mr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.