Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.01.2006, Az.: 4 B 195/05
Bestimmtheit; Biotop; Ermessen; Naturschutz; vorläufiger Rechtsschutz; Wiederherstellung; Wiederherstellungsgebot
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 19.01.2006
- Aktenzeichen
- 4 B 195/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 53156
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28a Abs 1 Nr 1 NatSchG ND
- § 63 S 2 NatSchG ND
- § 28a Abs 2 S 1 NatSchG ND
- § 31 Abs 1 NatSchG ND
- § 80 Abs 5 VwGO
Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich gegen einen naturschutzrechtlichen Bescheid des Antragsgegners.
Der Antragsteller ist seit 1996 Eigentümer des im Außenbereich liegenden Grundstücks Gemarkung I., Flur , Flurstück / (Größe: 18.749 qm). Auf einem Teil dieses Grundstücks befindet sich der Quellbereich zweier Sickerquellen, der im Jahr 1994 als besonders geschütztes Biotop in das Biotopverzeichnis aufgenommen worden ist. Anlässlich einer Ortsbesichtigung am 20.7.2005 stellte der Antragsgegner fest, dass der Antragsteller in dem Quellbereich zahlreiche Gräben neu gezogen hatte. Der Antragsteller gab hierzu an, die Anlage der Gräben sei notwendig geworden, da die Fläche sonst immer stärker vernässen würde.
Nach Anhörung gab der Antragsgegner dem Antragsteller durch Bescheid vom 28.10.2005 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, den ursprünglichen Zustand auf dem betreffenden Flurstück durch den vollständigen Verschluss sämtlicher neu gezogener Gräben mit dem vor Ort noch vorhandenen Bodenaushub wieder herzustellen, ohne dabei Kies oder Drainagestränge einzubauen. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte der Antragsgegner ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 Euro an. Zugleich setzte er die Gebühr für die Amtshandlung mit 308,54 Euro fest. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, eine Entwässerung der Fläche durch Gräben sei nicht zulässig, weil hierdurch das Vorkommen der Nässe anzeigenden Pflanzenarten Gegliederte Binse, Graugrüne Binse, Mädesüß u. a. sowie der landesweit gefährdeten Sumpfschrecke beeinträchtigt würde. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei geboten, da nur die rasche Verfüllung der Gräben die Voraussetzung für eine Regeneration des Quellbereiches schaffe. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung naturschutzrechtlicher Vorschriften sei höher zu bewerten als die Interessen des Antragstellers als Grundstückseigentümer.
Am 13.11.2005 legte der Antragsteller gegen den Bescheid mit der Begründung Widerspruch ein, die Fläche, die er zur Beweidung durch Pferde, Kühe und Schafe nutze, sei ohne die Gräben nicht zu bewirtschaften. Nach Anlage der Gräben habe sich die Bodenqualität verbessert. Da er einen Biobetrieb führe und weder Pestizide noch künstlichen Dünger benutze, würden auf seinem Grundstück verstärkt geschützte Pflanzen und Tiere festgestellt, was zu einer Ungleichbehandlung führe. Gegen andere Landwirte gehe der Antragsgegner nicht in gleicher Weise vor. So sei im Bereich „J.“ eine Fläche seit Jahren durch Drainagestränge trockengelegt.
Am 14.11.2005 hat der Antragsteller um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28.10.2005 wieder herzustellen, soweit ihm die Beseitigung der Gräben auferlegt worden ist, und anzuordnen, soweit gegen ihn ein Zwangsgeld angedroht und Verwaltungskosten festgesetzt worden sind.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er führt aus, das Biotop werde durch die Entwässerung des Quellbereichs erheblich beeinträchtigt. Der Rückbau müsse so schnell wie möglich erfolgen, um irreversible Schäden zu vermeiden. Es sei nur ein kleiner Teilbereich des Grundstücks betroffen, das ansonsten ohne Weiteres genutzt werden könne. Der Einbau einer Drainage im Bereich „J.“ sei nicht nachweisbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde liegen.
II. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, einstweilen von dem Vollzug der angegriffenen Verfügung verschont zu bleiben, gegenüber dem von dem Antragsgegner vertretenen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Entscheidung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Nach der im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 28.10.2005.
Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung des genannten Bescheides angeordnet, soweit der Antragsteller zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes durch vollständigen Verschluss der von ihm angelegten Gräben aufgefordert worden ist. Die Begründung des Sofortvollzuges genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Der Antragsgegner hat hierzu ausgeführt, es sei im öffentlichen Interesse dringend geboten, die Beeinträchtigung des geschützten Quellbereiches rasch und unabhängig von der Bestandskraft des angefochtenen Bescheides zu beseitigen, da zu befürchten sei, dass eine Verzögerung zum dauerhaften Verschwinden der auf Nässe angewiesenen Arten und ihres Lebensraumes führen würde.
Die Anordnung, die Gräben durch Einbau des entnommenen Bodens zu beseitigen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 63 S. 1 des Nds. Naturschutzgesetzes (NNatG), wonach die Naturschutzbehörde (und damit gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 NNatG der Antragsgegner) nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen trifft, die im Einzelfall erforderlich sind, um die Einhaltung der Rechtsvorschriften über Naturschutz und Landschaftspflege sicherzustellen. Sind Natur oder Landschaft rechtswidrig zerstört, beschädigt oder verändert worden, so kann die Naturschutzbehörde gemäß § 63 S. 2 NNatG auch die Wiederherstellung des bisherigen Zustands anordnen. Vorliegend verstieß die Anlage von Gräben im betreffenden Bereich nach summarischer Prüfung gegen § 28 a Abs. 2 S. 1 NNatG, wonach alle Handlungen, die zu einer Zerstörung oder sonst erheblichen Beeinträchtigung eines besonders geschützten Biotops führen können, verboten sind. Die Kammer geht für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon aus, dass es sich bei dem auf dem Grundstück des Antragstellers befindlichen Quellbereich um ein Biotop handelt, das gemäß § 28 a Abs. 1 Nr. 1 NNatG unter besonderem Schutz steht. Nach den Feststellungen des Antragsgegners, die zur Eintragung des Quellbereichs in das Verzeichnis besonders geschützter Biotope gemäß § 31 Abs. 1 NNatG geführt haben, handelt es sich um zwei an einem nordostexponierten Hang im oberen Gartetal gelegene kalkbeeinflusste Sickerquellen. Dominante Arten seien Flutschwaden, Knick-Fuchsschwanz und im Norden auch die Graugrüne Binse. Der Antragsteller ist der Einschätzung, dass es sich bei dem Quellbereich um ein besonders geschütztes Biotop handelt, nicht entgegen getreten.
Die Anlage von Gräben durch den Antragsteller stellt eine Handlung dar, die zu einer Zerstörung oder zumindest einer erheblichen Beeinträchtigung des besonders geschützten Biotops führen kann, und ist daher gemäß § 28 a Abs. 2 S. 1 NNatG verboten. Der Antragsteller hat selbst eingeräumt, dass er die Gräben angelegt habe, um den Quellbereich mit dem Ziel einer Verbesserung der landwirtschaftlichen Nutzung des Flurstücks zu entwässern. Das Gericht folgt der Einschätzung des Antragsgegners, dass eine solche Entwässerung dazu führen würde, dass die vorhandenen Nässe anzeigenden Tier- und Pflanzenarten beeinträchtigt und letztlich verschwinden würden. Dies gilt insbesondere auch für die Sumpfschrecke, die der Familie der Grasschrecken angehört und vor allem für die Eiablage nasse Wiesen, Moore oder Gewässerufer benötigt, nur in Feuchtgebieten auftritt und bei einer Trockenlegung verschwindet (vgl. de.wikipedia.org/wiki/Sumpfschrecke).
Der Antragsgegner war daher berechtigt, dem Antragsteller die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands aufzuerlegen. Er hat dies mit der notwendigen Bestimmtheit getan, indem er den Verschluss sämtlicher neu gezogener Gräben mit dem noch vorhandenen Bodenaushub unter Verzicht auf Kies oder Drainagestränge angeordnet hat. Er hat im Rahmen seiner Anordnung nach § 63 S. 1 NNatG auch das ihm zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt, indem er dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung naturschutzrechtlicher Vorschriften gegenüber der Position des Antragstellers als Eigentümer des Grundstücks den Vorrang eingeräumt hat. Diese Bewertung ist insbesondere deshalb nicht zu beanstanden, weil der Quellbereich nur einen kleinen Teil des Flurstücks berührt. Der Antragsteller, dem im Übrigen die Nutzung des Quellbereichs als Weide nicht untersagt worden ist, kann daher den größten Teil des in seinem Eigentum stehenden Grundstücks ohne Weiteres landwirtschaftlich nutzen. Die geringfügige Beeinträchtigung seiner Eigentümerposition hat er im Hinblick auf die Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz hinzunehmen.
Der Vortrag des Antragstellers, er werde als Betreiber eines Biobetriebes gegenüber anderen Landwirten ungleich behandelt, liegt neben der Sache, denn die Art und Weise der Bewirtschaftung steht ersichtlich nicht in Zusammenhang mit der naturschutzrechtlichen Qualität des Quellbereichs. Der Antragsteller kann sich auch nicht mit der Begründung auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, der Antragsgegner gestatte es anderen Grundstückseigentümern, besonders geschützte Biotope trocken zu legen. Der Antragsgegner hat hierzu unwidersprochen vorgetragen, dass in dem einzigen vom Antragsteller genannten Beispielsfall der Einbau einer Drainage nicht nachgewiesen werden könne.
Da der Antragsteller ohne Differenzierung vorläufigen Rechtsschutz gegen den gesamten Bescheid des Antragsgegners begehrt, richtet sich der Antrag auch gegen die kraft Gesetzes (§ 63 S. 3 NNatG i.V.m. § 64 Abs. 4 des Nds. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - Nds. SOG -) sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung. Insoweit hat der Rechtsschutzantrag gleichfalls keinen Erfolg. Die Androhung des Zwangsgeldes entspricht den §§ 64 Abs. 1, 67 Abs. 1, 70 Abs. 1, 2 und 5 Nds. SOG.
Soweit sich der Antragsgegner gegen die Festsetzung von Verwaltungskosten in Höhe von 308,54 Euro wendet, hat sein Widerspruch gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rn. 692 f.). Auch insoweit ist der Bescheid voraussichtlich rechtmäßig. Gemäß Nr. 64.2.23.1 des Kostentarifs zur Allgemeinen Gebührenordnung (AllGO) i. d. F. vom 24.11.2004 (Nds. GVBl. S. 527) besteht bei der Anordnung der Wiederherstellung des bisherigen Zustandes nach dem Nds. Naturschutzgesetz ein Gebührenrahmen von 70 bis 1.180 Euro. Die Gebührenfestsetzung, die sich nach dem in den Akten des Antragsgegners befindlichen Vermerk vom 28.10.2005 am tatsächlichen Aufwand orientiert, hält sich eher im unteren Bereich dieses Gebührenrahmens. Der Antragsteller ist der Höhe der Gebühr im Übrigen auch nicht entgegen getreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zum Streitwert ergeht nach §§ 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht schätzt den Aufwand zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes auf 500,00 Euro. Hinzuzurechnen sind die Verwaltungskosten von 308,54 Euro. Die Zwangsgeldandrohung bleibt gemäß Nr. 1.6.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 2004, 1525) bei der Streitwertfestsetzung außer Betracht.