Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 19.01.2006, Az.: 1 A 7/05
Abschiebungspraxis; Albaner; allgemeine Erteilungsvoraussetzung; Ashkali; Asylbewerber; Asylverfahren; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltstitel; ausländischer Ehegatten; Ausnahmefall; Ausweisungsgrund; besonderer Ausweisungsschutz; Bundeszentralregister; drohende Beeinträchtigungen; Ehe; Einreisevisum; Ermessen; Ermessenreduzierung auf Null; Ermessensreduzierung; Erziehungsregister; falsche Angaben; familiäre Gründe; familiäre Lebensgemeinschaft; formale Funktion; gemeinnützige Arbeit; geringfügige Ordnungswidrigkeit; geringfügiger Verstoß; gesetzlicher Anspruch; gewöhnlicher Aufenthalt; Jugendsünden; Kosovo; Minderheitengruppe; minderjähriger Asylsuchender; Niedersachsen; positive Prognose; Regelerteilungsvoraussetzung; Sozialhilfeleistungen; strafrechtliche Verurteilung; UN-Protektorat; Visumverstoß; Volkszugehörigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 19.01.2006
- Aktenzeichen
- 1 A 7/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53166
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs 1 AufenthG
- § 5 Abs 2 AufenthG
- § 5 Abs 1 AufenthG
- § 65 Nr 4 AufenthG
- § 93 Abs 3 Nr 1 AuslG
- § 8 Abs 1 Nr 1 AuslG
- § 55 Abs 2 AufenthG
- § 10 Abs 3 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG abzusehen ist.
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 20.01.2005 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der am ...1982 geborene Kläger ist serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo und reiste am 29.09.1991 mit seiner Familie im Alter von acht Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte gemeinsam mit seiner Familie einen Asylantrag, welcher mit Bescheid vom 28.12.1993 rechtskräftig abgelehnt wurde (Eintritt der Rechtskraft 04.05.1995). Auch ein Folgeantrag des Klägers und dessen Familie vom 06.01.1997 wurde mit rechtskräftigem Bescheid vom 16.01.1997 abgelehnt (Eintritt der Rechtskraft 18.03.1999). Am 01.07.1999 stellte der Kläger einen zweiten Asylfolgeantrag, der mit Bescheid vom 13.10.1999 rechtskräftig abgelehnt wurde (Eintritt der Rechtskraft 20.02.2002). Der Kläger reichte bei der Beklagten eine Bescheinigung von Nicolaus von Holtey vom 13.03.2001 ein, wo ihm und seiner Familie bestätigt wird, der Volksgruppe der Ashkali anzugehören. Diese Bevölkerungsgruppe werde nach Beendigung des Krieges im Kosovo von den Albanern nicht mehr als Albaner anerkannt, sondern als Zigeuner massiv verfolgt. In seinen Asylverfahren hatte der Kläger angegeben, der Volksgruppe der Albaner anzugehören. Der Kläger erhielt bisher fortlaufend Duldungen. Am 24.05.2004 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige. Er beantragte am 31.05.2004 bei der Beklagten, ihm eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Im Bundeszentralregister waren am 26.08.2004 keine Eintragungen für ihn vorhanden. Er erfüllt seit seiner Eheschließung seine Passpflicht.
Der Kläger beging während seines bisher 14jährigen Aufenthalts in Deutschland folgende Rechtsverstöße:
am 24.07.1998, 20.06.2001 und 06.08.2002 stellte die Staatsanwaltschaft jeweils ein Verfahren wegen Diebstahls geringwertiger Sachen gemäß § 45 Abs. 2 JGG ein.
mit Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 10.01.2003 (Geschäftsnummer 53 Ds 46 Js 24567/02-182/02) wurde er wegen einer Körperverletzung zu 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
mit Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 24.01.2003 (Geschäftsnummer 53 Ds 15 Js 29997/02-217/02) wurde er wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Verstoß gegen die räumliche Beschränkung seiner Duldung gem. § 93 Abs. 3 Nr. 1 AuslG am 05.08.2003.
Mit Bescheid vom 20.01.2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger erfülle zwar die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift stehe aber entgegen, dass er daneben nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach dem AufenthG erfülle. Er sei entgegen § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist. Es stehe im Ermessen der Behörde, ob sie von dieser Erteilungsvoraussetzung absehe. Im Falle des Klägers sei es ermessensgerecht, auf der Erfüllung der Visumspflicht zu bestehen. Der Kläger erfülle nämlich auch die weitere allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 nicht, da bei ihm Ausweisungsgründe vorlägen. Er habe mehr als 12 Jahre über seine Identität falsche Angaben gemacht, indem er sich in seinen Asylverfahren als Kosovoalbaner ausgegeben habe. Dadurch habe er den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 1 i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Durch seine falschen Angaben habe er auch Sozialhilfe in beträchtlicher Höhe bezogen und seine Abschiebung verhindert. Seiner Pflicht zur Passbeschaffung sei er erst im Rahmen seiner Eheschließung nachgekommen. Ferner verwirkliche er den Ausweisungstatbestand nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, da er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen habe. Es sei ihm durchaus zuzumuten, auszureisen, über die Deutsche Auslandsvertretung in seinem Heimatland das erforderliche Visum zu beantragen und damit der ausstehenden Visumspflicht nachzukommen.
Der Kläger hat am 01.02.2005 Klage erhoben.
Er bestreitet, mehr als 12 Jahre über seine Identität getäuscht zu haben. Bis zum Ausbruch des Kosovokrieges seien alle Menschen aus diesem Gebiet pauschal als Kosovoalbaner bezeichnet worden. Nach Ende des Krieges hätten -ethnische - Kosovoalbaner ethnische Minderheiten wie etwa die Ashkali der Kooperation mit den Serben bezichtigt und diese verfolgt. Der Kläger habe daher nicht über Nacht seine Volkszugehörigkeit gewechselt, sondern als Konsequenz der Übergriffe der Kosovoalbaner auf die Ashkali sich zu seiner Volksidentität bekannt. Die Beklagte dürfe dem Kläger auch nicht seine Straftaten entgegenhalten. Seine Verurteilungen seien allesamt nach dem Jugendgerichtsgesetz erfolgt und strafrechtlich als geringfügig einzustufen und rechtfertigten ebenfalls nicht die Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 20.01.2005 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Berufung zuzulassen.
Zur Begründung bezieht sie sich im wesentlichen auf ihren ablehnenden Bescheid und führt ergänzend aus: Die Einholung eines Visums im Heimatland sei aus generalpräventiven Gründen zu verlangen, da ausländische Staatsangehörige, die unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist seien, die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Visumspflicht nach § 5 Abs. 2 AufenthG zu umgehen versuchten. Die Einhaltung des Visumverfahrens habe ferner eine Ordnungsfunktion. Eine Umgehung dieser Vorschriften könne nicht hingenommen werden. Aufgrund seiner Einreise ohne Visum sei der Kläger unerlaubt i. S. v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in das Bundesgebiet eingereist und habe auch hierdurch einen Ausweisungstatbestand verwirklicht. Ferner sei sein Aufenthalt im Bundesgebiet zwischen den Asylanträgen sowie nach Abschluss des letzten Asylverfahrens rechtsmissbräuchlich gewesen. Der Kläger sei zur Ausreise verpflichtet gewesen und mehrfach hierzu aufgefordert worden. Ihm sei auch nicht im Ermessenswege und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Im übrigen scheitere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch an § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG, Satz 3 von Abs. 3 sei nicht einschlägig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Da es sich um eine Verpflichtungsklage handelt, ist für die Frage, ob der Kläger Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hat, das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende AufenthG anzuwenden.
Der Bescheid der Beklagten vom 20.01.2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 6 des AufenthG (Aufenthalt aus familiären Gründen). Dem steht nicht bereits § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf unter anderem einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor seiner Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen) erteilt werden. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG findet diese Vorschrift im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis jedoch keine Anwendung. Der Kläger hat nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Nach dieser Vorschrift ist die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Der Kläger ist seit dem 24.05.2004 mit einer Deutschen verheiratet, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Zwar beziehen der Kläger und seine Ehefrau, bzw. Familie zur Zeit Sozialhilfeleistungen und erfüllen damit nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Dies ist für einen gesetzlichen Anspruch nach § 28 Abs. 1 AufenthG jedoch unbeachtlich.
Der Kläger erfüllt auch die übrigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG. Zwar liegen für ihn Ausweisungsgründe vor, was gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der Regel der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht. Dabei kommt es im Rahmen von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG allein darauf an, ob ein Ausweisungsgrund objektiv vorliegt. Voraussetzung ist nicht, dass der Ausländer auch ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte. Besonderer Ausweisungsschutz kann nur bei der Prüfung, ob ein Regelfall vorliegt, berücksichtigt werden. Für den Kläger liegen Ausweisungsgründe vor, dies steht aber abweichend von der Regel nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausnahmsweise der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen.
Das Gericht teilt allerdings nicht die Auffassung der Beklagten, der Kläger habe den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Er hat nicht entsprechend den Voraussetzungen dieser Norm falsche Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels gemacht. Er, bzw. seine Eltern hat/haben in seinem/ihren Asylverfahren keine falschen Angaben über ihre Volkszugehörigkeit gemacht; vielmehr dürfte die Angabe, der Kläger und seine Familie seien Albaner, nach bestem Wissen und Gewissen erfolgt sein. Bis zum Kriegsende im Kosovo im Juni 1999 wurden von der ehemaligen jugoslawischen Regierung alle Nichtserben im Kosovo als Albaner angesehen und deshalb verfolgt. Dementsprechend dürften der Kläger, bzw. dessen Eltern sich bei ihrer Einreise nach Deutschland auch als Albaner gefühlt haben. Die Zugehörigkeit zu einer - weiteren - Minderheitengruppe spielte damals keine Rolle. Dies änderte sich jedoch, nachdem der Krieg beendet war und das Kosovo als UN-Protektorat eine eigene Regierung und Verwaltung aufbaute, in der nunmehr die - ethnischen - Albaner die Mehrheit haben und Angehörige der Minderheiten im Kosovo - wie Ashkali - z.T. der Kollaboration mit den Serben beschuldigen. Insofern ist es nachvollziehbar, das für den Kläger seit Beginn des UN-Protektorats im Juni 1999 seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ashkali wieder in den Vordergrund rückt.
Der Kläger verwirklicht aber den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer nach Abs. 1 insbesondere ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Dies trifft auf den Kläger unter Berücksichtigung seiner strafrechtlichen Verurteilungen wegen Körperverletzungen vom 10.01.2003 und vom 24.01.2003 zu. Darüber hinaus ist der Kläger entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ohne erforderliches Visum eingereist. Auch ein Asylbewerber benötigt für seine Einreise ein Visum. Die nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG gegebene Ausweisungsgründe sind aber nur beachtlich, wenn dadurch aktuell eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 55 Abs. 1 AufenthG zu befürchten ist (siehe auch Nr. 5.1.4.2 der “Vorläufigen Niedersächsischen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 30. November 2005“ - vorl. Nds. VV-AufenthG -). Nicht die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Vergangenheit steht einem weiteren Verbleib in Deutschland entgegen, sondern nur in Gegenwart und Zukunft drohende Beeinträchtigungen. Nur diese Überlegungen rechtfertigen die Verweigerung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes (Renner, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 8. Auflage, § 5 Rn. 22).
Nach diesen Maßstäben liegt für den Kläger ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Zwar dürften die mit Urteilen vom 10.01. und 24.01.2003 ausgesprochenen Weisungen von 30 bzw. 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit für den Kläger noch im Erziehungsregister eingetragen sein (§ 60 Bundeszentralregistergesetz (BZRG)), denn Eintragungen im Erziehungsregister werden gemäß § 63 Abs. 1 BZRG erst entfernt, wenn der Betroffene das 24. Lebensjahr vollendet hat. Dies trifft auf den am 04.11.1982 geborenen Kläger noch nicht zu. Demnach sind die Verurteilungen wegen Körperverletzungen zwar noch nicht im “formellen Sinne“ verbraucht. Sie rechtfertigen aber nicht die Prognose, der Kläger werde auch in Zukunft in gleicher Weise strafrechtlich in Erscheinung treten. Dagegen spricht, dass diese Verurteilungen aufgrund von Straftaten vom 31.05.2002 und 27.07.2002 erfolgten; die Taten selbst also bald 4 Jahre zurückliegen. Darüber hinaus hat der Kläger diese Körperverletzungen im Zusammenhang mit Pöbeleien unter Jugendlichen begangen. Da er seitdem nicht mehr in gleicher Weise aufgefallen ist, spricht vieles dafür, dass es sich hierbei um “Jugendsünden“ handelt. Unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Entwicklungs- und Reifeprozesses des Klägers ist deshalb zur Zeit nicht zu befürchten, dass sich diese Vorfälle wiederholen könnten. Der weitere dem Kläger vorgeworfene Verstoß gegen die räumliche Beschränkung seiner Duldung am 05.08.2003 ist als Ordnungswidrigkeit nach § 93 Abs. 3 Nr. 1 AuslG eher als geringfügig zu bewerten. Eine Wiederholungsgefahr wäre zudem ausgeschlossen, wenn der Kläger die beantragte Aufenthaltserlaubnis erhalten würde. Die Diebstähle geringwertiger Sachen stehen einer positiven Prognose bereits deshalb nicht entgegen, weil sie weit zurückliegen und nicht mehr im Bundeszentralregister eingetragen sind. Der Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist unbeachtlich, wenn gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 - Einreise mit dem erforderlichen Visum - abzusehen ist. Dies ist hier der Fall (wird ausgeführt). Neben der positiven Prognose für den Kläger ist darüber hinaus zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Nr. 4 AufenthG besitzt, da er mit einer deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt. Nach alledem ist deshalb ein Ausnahmefall anzunehmen, der es rechtfertigt von der Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen.
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ferner voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Hiervon kann gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sind erfüllt (s. o. ). Über die Frage, ob von der Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden kann, hat die Ausländerbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Soweit der Behörde Ermessen eingeräumt ist, ist es dem Gericht im Rahmen der Überprüfung ihrer Entscheidungen verwehrt, sein eigenes Ermessen anstelle des behördlichen Ermessens zu setzen. Das Gericht überprüft vielmehr lediglich, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von diesem in einem dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 Satz 1 VwGO). Anderes gilt, wenn angesichts der besonderen Umstände des zu entscheidenden Falles nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei sein könnte und das Ermessen der Behörde infolge dessen “auf Null“ reduziert ist. Dieser Fall liegt hier vor.
Es kann dahinstehen, ob eine Ermessensreduzierung “auf Null“ bereits deshalb anzunehmen ist, weil eine Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben ist. Eine Ermessensreduzierung “auf Null“ liegt hier deshalb vor, weil zum einen dem Kläger sein Visumsverstoß nicht angelastet werden kann, da er als - minderjähriger - Asylsuchender “naturgemäß“ ohne Visum einreiste. Eine Ermessensreduzierung “auf Null“ liegt aber zum anderen auch deshalb vor, weil die Forderung nach Einhaltung der Visumsvorschriften im vorliegenden Fall eine reine Förmelei darstellt. Die Beklagte hat gegenüber dem Gericht ausdrücklich erklärt, dass sie dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis erteilen würde, wenn dieser ausreist und von seinem Heimatland aus ein Visum beantragt (siehe Gesprächsvermerk vom 10.01.2006 über ein Telefongespräch zwischen der Einzelrichterin und der Beklagten, Blatt 49 Gerichtsakte). Eine erneute Sachprüfung soll dann offenbar nicht mehr erfolgen. Dies ist erstaunlich, da die Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch deshalb abgelehnt hat, weil für den Kläger Ausweisungsgründe vorliegen. Im Grunde geht es der Beklagten bei ihrer ablehnenden Entscheidung aber offenbar ausschließlich um die rein formale Einhaltung der Visumsvorschriften durch den Kläger. Dies zeigt sich auch daran, dass sie in ihrer Klageerwiderung ausdrücklich auf die „Ordnungsfunktion“ des Visumverfahrens abstellt. Erfüllt das Visumverfahren wie im vorliegenden Fall aber nur eine rein formale Funktion, rechtfertigt dies insbesondere unter Berücksichtigung des hier in Rede stehenden hohen Schutzgutes der grundgesetzlich geschützten Ehe es nicht, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis allein unter diesem Gesichtspunkt abzulehnen (siehe auch vorl. Nds. VV AufenthG, a.a.O. Nr. 5.2.2). Einer Ermessensreduzierung “auf Null“ steht auch nicht entgegen, dass nach Auffassung der Beklagten der Aufenthalt des Klägers zwischen seinen Asylverfahren und nach Abschluss des letzten Asylverfahrens rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Dieser Vorwurf ist bereits deshalb unberechtigt, weil während dieses Zeitraumes Angehörige der Volksgruppe der Albaner bzw. Ashkali aufgrund der geltenden Erlasslage und Abschiebungspraxis in Niedersachsen nicht abgeschoben werden konnten.
Das Gericht sieht keine Veranlassung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO die Berufung zuzulassen. Insbesondere handelt es sich bei der vorliegenden Entscheidung nicht um eine grundsätzliche Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, sondern um eine Einzelfallentscheidung zu der Frage, wann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls trotz der Nichterfüllung allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG eine Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht.