Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 03.01.2006, Az.: 8 C 2019/05

Anhörungsrüge; Berichterstatter; Billigkeitsentscheidung; Erledigung; Hauptsacheerledigung; Kosten; rechtliches Gehör; Selbstkontrolle; Studium; unstatthaft; Verfahrenshandlung; Zulassung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
03.01.2006
Aktenzeichen
8 C 2019/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 53158
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine gegen die lediglich deklaratorische Verfahrenseinstellung nach Eingang übereinstimmender Erledigungserklärungen gerichtete Anhörungsrüge ist unstatthaft.

2. Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs führt nicht zu einer Verpflichtung des Gerichts, den Beteiligten vor seiner Entscheidung mitzuteilen, von welcher Rechtsauffassung es ausgehe bzw. wie es aus welchen Gründen zu entscheiden beabsichtige, sofern die für die Entscheidung relevanten rechtlichen Gesichtspunkte behandelt sind.

Tenor:

Die gegen die Einstellung des Verfahrens im Beschluss vom 15.11.2005 (8 C 1709/05) gerichtete Anhörungsrüge wird verworfen.

Die gegen die Kostenentscheidung im Beschluss vom 15.11.2005 (8 C 1709/05) gerichtete Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1

I. Am 14.10.2005 beantragte die Antragstellerin bei Gericht, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie zum Studium der Humanmedizin zuzulassen (Az.: 8 C 1709/05). Mit Schreiben vom 11.11.2005 erklärte sie die Hauptsache für erledigt und führte zur Begründung aus, sie habe im sog. Auswahlverfahren der Hochschulen einen Medizinstudienplatz an der Universität Marburg erhalten. Gleichzeitig beantragte sie unter Hinweis auf eine Entscheidung des VG Berlin, der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens gemäß § 161 Abs. 2 VwGO aufzuerlegen. Die Antragsgegnerin hatte bereits mit Schreiben vom 17.10.2005 für die auf Zulassung zum Studiengang Humanmedizin gerichteten Verfahren des laufenden Semesters eine Erledigungserklärung bezogen auf den Zeitpunkt abgegeben, zu dem eine entsprechende Erklärung des jeweiligen Antragstellers bzw. der jeweiligen Antragstellerin bei Gericht eingehe.

2

Mit Beschluss vom 15.11.2005 (der Antragstellerin zugestellt am 17.11.2005) stellte das Gericht das Verfahren ein, legte der Antragstellerin die Verfahrenskosten auf und setzte den Streitwert fest.

3

Am 1.12.2005 hat die Antragstellerin Anhörungsrüge erhoben. Sie ist der Auffassung, ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei verletzt, da das Gericht sie nicht zur beabsichtigten Kostenentscheidung angehört und ihr dadurch die Gelegenheit genommen habe, die Verfahrenskosten durch Abgabe einer Rücknahme- bzw. einer Kostenübernahmeerklärung zu mindern.

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Die Antragstellerin beantragt,

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1. das Verfahren fortzuführen,

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2. den Beschluss vom 15.11.2005 (8 C 1709/05) aufzuheben, den Rechtsstreit aufgrund der hiermit abgegebenen Erledigungserklärung bzw. einer hilfsweise erklärten Antragsrücknahme einzustellen und ihr erneut die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

7

Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

9

II. Die Entscheidung über die Anhörungsrüge ist durch den Berichterstatter zu treffen, weil dieser Urheber des angegriffenen Beschlusses vom 15.11.2005 (8 C 1709/05) ist (§ 87a Abs. 1 Nr. 3 bis 5 und Abs. 3 VwGO). Außerordentliche Rechtsbehelfe wie die Anhörungsrüge (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 152a Rn. 4 m.w.N.) bezwecken eine Selbstkontrolle des Gerichtes, dessen Verfahrenshandlung als fehlerhaft gerügt wird (iudex a quo, vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 -, BVerfGE 107, 295, 412 [BVerfG 11.03.2003 - 2 BvK 1/02]; Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg, Beschluss vom 6.4.2005 - 5 B 53/04 -, NVwZ 2005, 1213).

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Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.

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Gemäß § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO ist das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn (Nr. 1) ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung nicht gegeben ist und (Nr. 2) das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

12

Soweit sich die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen die Einstellung des Verfahrens im Beschluss vom 15.11.2005 richtet, ist sie unstatthaft und daher gemäß § 152a Abs. 4 S. 1 VwGO zu verwerfen. Sobald dem Gericht - wie hier - übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten vorliegen, ist das Verfahren unmittelbar beendet. Die Einstellung des Verfahrens durch das Gericht in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO hat nur noch deklaratorische Bedeutung (BVerwG, Beschluss vom 7.8.1998 - 4 B 75/98 -, NVwZ-RR 1999, 407; Kopp/Schenke, a.a.O., § 92 Rn. 27 und § 161 Rn. 15). Die Verfahrenseinstellung ist daher keine gerichtliche Entscheidung im Sinne von § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO, durch die das rechtliche Gehör eines Verfahrensbeteiligten verletzt werden könnte. Hieraus folgt zugleich, dass die Antragstellerin ihr Ziel, das Verfahren in ein Stadium vor Abgabe der Erledigungserklärungen zurückversetzen zu lassen, um sodann erneut eine verfahrensbeendende Erklärung abgeben zu können, im Wege der Anhörungsrüge nicht erreichen kann.

13

Soweit sich die Anhörungsrüge gegen die Kostenentscheidung im Beschluss vom 15.11.2005 richtet, wird sie als unbegründet zurückgewiesen (§ 152a Abs. 4 S. 2 VwGO). Zwar enthält der Beschluss insoweit eine gemäß § 158 Abs. 2 VwGO unanfechtbare gerichtliche Entscheidung. Diese verletzt jedoch nicht das rechtliche Gehör der Antragstellerin.

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Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hingegen gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (BVerfG, Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 -, BVerfGE 96, 205 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG).

15

Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat bei Abgabe der Erledigungserklärung die Möglichkeit genutzt, sich zur Frage der Kostenlast zu äußern. Ihm war dabei bewusst, dass die Kostenentscheidung nicht - wie beispielsweise im Fall der Antragsrücknahme gemäß § 155 Abs. 2 VwGO - aufgrund einer zwingenden gesetzlichen Regelung, sondern dass sie durch das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO nach billigem Ermessen getroffen werden würde. Das Gericht hat die Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Es ist jedoch dessen Auffassung darüber, wie die Billigkeitsentscheidung zu treffen sei, nicht gefolgt, sondern hat die Kosten des Verfahrens mit ausführlicher Begründung der Antragstellerin auferlegt. Dies verletzt den Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach den oben genannten Grundsätzen nicht. Ein Gehörsverstoß ist auch nicht darin zu sehen, dass das Gericht dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nicht vorab mitgeteilt hat, dass es - entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung - eine andere Auffassung vertrete und die Billigkeitsentscheidung über die Kosten voraussichtlich zulasten der Antragstellerin treffen werde. Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs führt nicht zu einer Verpflichtung des Gerichts, den Beteiligten vor seiner Entscheidung mitzuteilen, von welcher Rechtsauffassung es ausgehe bzw. wie es aus welchen Gründen zu entscheiden beabsichtige, sofern die für die Entscheidung relevanten rechtlichen Gesichtspunkte - wie hier - bekannt sind (BVerwG, Beschluss vom 25.8.2004 - 9 BN 2/04 -, NVwZ 2004, 1510; Beschluss vom 27.11.1979 - 7 B 195/79 -, Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 12; Kopp/Schenke, a.a.O., § 104 Rn. 4 m.w.N.).

16

Die im Beschluss vom 15.11.2005 enthaltene Streitwertentscheidung ist nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ersichtlich nicht Gegenstand einer Anhörungsrüge, so dass sich das Gericht nicht mit der Frage auseinandersetzen muss, ob es sich insoweit um eine Entscheidung handelt, gegen die für die Antragstellerin ein Rechtsbehelf nicht gegeben ist (vgl. § 146 Abs. 3 VwGO).

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

18

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 S. 3 VwGO).