Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 24.11.2004, Az.: 1 A 106/03
Entreicherung; Rückforderung; Soldatenversorgung; Versorgungsbezüge
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 24.11.2004
- Aktenzeichen
- 1 A 106/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50844
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 VwGO
- § 70 Abs 1 VwGO
- § 4 VwZG
- § 49 SVG
- § 812 BGB
- § 818 Abs 4 BGB
- § 818 Abs 3 BGB
- § 820 BGB
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Versorgungsbezügen.
Der am ... 1939 geborene Kläger war Berufssoldat bei der Bundesmarine, zuletzt im Range eines Kapitänleutnants (Amt der Besoldungsgruppe A 11 BBesO). Mit Ablauf des 31. März 1993 wurde er gemäß § 44 Abs. 2 SG i. V. m. § 45 Abs. 3 SG wegen Erreichens der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt und erhält seitdem ein Ruhegehalt nach dem Soldatenversorgungsgesetz.
Der Kläger war daneben seit April 1993 aufgrund privater Anstellungsverträge bei verschiedenen Firmen berufstätig. Seit dem 6. März 1997 ging er auf der Grundlage befristeter Heuerscheine bei verschiedenen Reedereien einer Beschäftigung als 1. Nautischer Offizier nach. Das aus diesen privaten Tätigkeiten erzielte Erwerbseinkommen wurde auf sein Ruhegehalt gemäß § 54 SVG angerechnet.
Mit Inkrafttreten des Versorgungsreformgesetzes 1998 vom 29. Juni 1998 (BGBl I S. 1666) am 1. Januar 1999 waren die privaten Erwerbseinkommen gemäß dem neugefassten § 53 SVG auf das Ruhegehalt anzurechnen, sofern nicht das alte Recht für den Betroffenen günstiger und deshalb für weitere sieben Jahre ab dem 1. Januar 1999 anzuwenden war. Das alte Recht war gemäß dem durch das Versorgungsreformgesetz 1998 neu eingeführten § 96 Abs. 4 SVG jedoch nur anzuwenden, solange ein am 31. Dezember 1998 bestehendes Beschäftigungsverhältnis über den 1. Januar 1999 andauerte. Auf die ab 1. Januar 1999 geänderte Rechtslage wurde der Kläger durch Bescheid vom 27. Oktober 1998 und durch Übersendung entsprechender Merkblätter Anfang des Jahres 1999, deren Kenntnisnahme der Kläger mit Formular vom 24. Februar 1999 bestätigt hatte, hingewiesen.
Nachdem der Wehrbereichsverwaltung West bekannt geworden war, dass der Kläger nur bis zum 28. Februar 1999 bei der Reederei C. beschäftigt war und danach ab 27. April 1999 bei der Reederei D., regelte sie mit Bescheid vom 22. November 2002 die Versorgungsbezüge des Klägers für die Zeit vom 1. April 1999 bis 30. September 2002 neu. Es wurde nunmehr die Ruhensregelung des § 53 SVG in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung angewandt und nicht das alte Recht mit der Folge, dass das Ruhegehalt für die verschiedenen Monate zum Teil erheblich niedriger festgesetzt wurde.
Die Wehrbereichsverwaltung West stellte für die Zeit vom 1. April 1999 bis 30. September 2002 eine Überzahlung in Höhe von 46.948,43 EUR Brutto fest und hörte den Kläger mit Schreiben vom 25. November 2002 zur beabsichtigten Rückforderung des Betrages an.
Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 22. November 2002 und die Anhörung vom 25. November 2002 mit Schreiben vom 4. Dezember 2002 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er sinngemäß im Wesentlichen an: Bei ihm sei bei der Ruhensberechnung auch ab April 1999 weiterhin die alte Rechtslage anzuwenden und nicht § 53 SVG in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung. Denn er sei durchgehend zunächst von der Firma E. danach ab ca. März 2000 von der Firma F., später G. auf Schiffe als 1. Nautischer Offizier vermittelt worden. Eine Änderung in den Heuerverhältnissen oder bei den Arbeitgebern habe er hierin nicht gesehen. Die Besonderheiten in der Seefahrt im Verhältnis zu Arbeitsverhältnissen an Land seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Hinsichtlich des Rückforderungsbetrages sei übersehen worden, dass mehr Geld zurückgefordert werde, als er netto verdient habe. Dies könne nicht Rechtens sein. Zu Berücksichtigen sei bei einer Rückforderung außerdem, dass seiner monatlichen Pension von 2.203,30 EUR Belastungen in Höhe von insgesamt ca. 1.400,- EUR gegenüberständen.
Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. November 2002 wies die Wehrbereichsverwaltung West mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2000 zurück. Am 25. Februar 2003 hat der Kläger deswegen Klage erhoben (1 A 26/03).
Mit Bescheid vom 5. März 2003 (per Einschreiben am 10. März 2003 zur Post gegeben) forderte die Wehrbereichsverwaltung West die entstandene Überzahlung in voller Höhe, d.h. in Höhe von 46.984,43 EUR brutto, vom Kläger zurück. Für die Tilgung räumte sie ihm eine ratenweise Rückzahlung ein.
Am 14. Mai 2003 hat der Kläger gegen den Rückforderungsbescheid der Wehrbereichsverwaltung West vom 5. März 2003 die vorliegende Klage erhoben.
Auf Hinweis des Gerichts, dass gegen den Rückforderungsbescheid zunächst fristgerecht Widerspruch eingelegt und ein Vorverfahren durchgeführt werden müsse, hat der Kläger gegen den Bescheid mit einem Schreiben, das als Datum den 26. März 2003 auswies, das nach dem Schreiben des Klägers vom 10. Juni 2003 aber richtig auf 26. Mai 2003 lauten muss, Widerspruch eingelegt. Das Schreiben ging am 28. Mai 2003 bei der Wehrbereichsverwaltung West ein.
Den Widerspruch wies die Wehrbereichsverwaltung West mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2003 als unzulässig mit der Begründung zurück, die Widerspruchsfrist von einem Monat sei nicht eingehalten worden und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht gegeben.
Zur Begründung der gleichwohl aufrecht erhaltenen Klage verweist der Kläger auf die Ausführungen in seinem Widerspruch vom 4. Dezember 2002.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Wehrbereichsverwaltung West vom 5. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass der angefochtene Bescheid bestandskräftig geworden sei, da der Kläger zu spät Widerspruch eingelegt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der von dem Kläger gegen den Rückforderungsbescheid der Wehrbereichsverwaltung West vom 5. März 2003 eingelegte Widerspruch im Schriftsatz vom 26. Mai 2003 ist verspätet erhoben worden und Gründe, wegen der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, sind nicht gegeben. Die Wehrbereichsverwaltung West hat daher den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2003 rechtsfehlerfrei als unzulässig zurückgewiesen. Eine Aufhebung der Bescheide kommt mithin nicht in Betracht.
Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt geworden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Dies ist hier nicht geschehen. Im vorliegenden Fall gilt der Rückforderungsbescheid der Wehrbereichsverwaltung West vom 5. März 2003, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, dem Kläger gemäß § 4 Verwaltungszustellungsgesetz am 13. März 2003 als bekannt gegeben. Denn der Rückforderungsbescheid war am 10. März 2003 per Einschreiben zur Post gegeben worden. Die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs endete mithin am 14. April 2003. Der Eingang des Widerspruchsschreibens erst am 28. Mai 2003 bei der Wehrbereichsverwaltung West wahrte die einmonatige Widerspruchsfrist nicht. Auch wenn man die vorzeitige Erhebung der Klage gegen den Rückforderungsbescheid am 14. Mai 2003 gleichzeitig als Widerspruch ansehen wollte, wäre die einmonatige Widerspruchsfrist nicht gewahrt worden.
Gründe, dem Kläger wegen der Versäumnis der Widerspruchsfrist gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, sind nicht gegeben. Voraussetzung für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 60 Abs. 1 VwGO, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Er hat es zu vertreten, dass gegen den Rückforderungsbescheid nicht rechtzeitig Widerspruch eingelegt worden ist. Der Umstand, dass der Kläger nach externer Beratung sich zunächst entschieden hatte, keine rechtlichen Schritte gegen den Rückforderungsbescheid einzuleiten und nach einer weiteren Beratung sich dann aber anders entschieden hat, ist seinem Risikobereich zuzurechnen und stellt kein entschuldbaren Rechts- oder Tatsachenirrtum dar, der das Verschulden entfallen lassen würde.
Im Übrigen ist, ohne dass es hierauf rechtlich noch ankäme, festzustellen, dass der Rückforderungsbescheid der Wehrbereichsverwaltung West vom 5. März 2003 auch rechtlich nicht zu beanstanden wäre.
Rechtsgrundlage für die Rückforderung der Versorgungsbezüge ist § 49 Abs. 2 SVG i. V. m. § 812 ff BGB. Danach regelt sich die Rückforderung zuviel gezahlter Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigenden Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes (§ 819 BGB) steht es gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger ihn hätte erkennen müssen (§ 49 Abs. 2 Satz 2 SVG).
Der Kläger hat hier das zurückgeforderte Ruhegehalt in Höhe von 46.984,43 EUR brutto ohne Rechtsgrund erhalten. Denn entgegen der zunächst erfolgten Festsetzung stand ihm Ruhegehalt der Höhe nach ab April 1999 nicht mehr in der zunächst gewährten Höhe zu. Vielmehr hätte das private Erwerbseinkommen gemäß § 53 Abs. 2 SVG in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung auf das Ruhegehalt angerechnet werden müssen. Insoweit kann auf die Gründe des Urteils vom heutigen Tag in dem Verfahren 1 A 26/03 verwiesen werden.
Gegenüber seiner grundsätzlichen Rückzahlungspflicht kann der Kläger sich nicht mit Erfolg auf einen Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen. Der Kläger unterliegt nämlich gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG i.V.m. § 820 Abs. 1 Satz 2 und § 818 Abs. 4 BGB der verschärften Haftung. Denn Verwaltungsakte, die nach § 53 SVG oder § 54 SVG ergangen sind, gelten als unter einem gesetzlichen Vorbehalt ergangen (BVerwG, Urteil vom 5.12.1968 - 2 C 41.67 -, Buchholz 232 § 158 BBG, Nr. 16). Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass Ruhensberechnungen - jedenfalls in der Regel - keine endgültigen Bescheide sind und wegen des gesetzlichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen der Versorgung und dem einem Versorgungsempfänger gleichzeitig gezahlten Verwendungseinkommen bzw. später eigenen Versorgungseinkommen den Vorbehalt einer späteren Änderung in sich tragen. Im Übrigen hätte der Kläger auch die Fehlerhaftigkeit der Abrechnung erkennen können. Auf die geänderte Rechtslage ist er in sehr eindeutiger Weise hingewiesen worden. Der Kläger hat auch zur fehlerhaften Abrechnung der Wehrbereichsverwaltung West mit beigetragen. Er hat durch Einreichen der Bescheinigung der Firma E. im November 1998 und durch seine Erklärung im Schreiben vom 20. März 1999 bei objektiver Betrachtungsweise den Eindruck erweckt, dass die Firma H. die zuständige Reederei sei, auf deren Schiffen er fährt. Dass diese Firma nur die Abrechnungen vornimmt und Reederei, d.h. Arbeitgeber, jeweils andere Reedereien sind, ist erst später aufgefallen und durch die Firma H. auf Nachfrage der Wehrbereichsverwaltung West dann klargestellt worden. Die Entscheidung der Wehrbereichsverwaltung West, beim Kläger von der Rückforderung des Überzahlungsbetrages nicht gemäß § 49 Abs. 2 Satz 3 SVG aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abzusehen, dürfte ebenfalls nicht zu beanstanden sein. Durch die dem Kläger eingeräumte Möglichkeit der ratenweise Rückzahlung ist den sich aus dieser Vorschrift ergebenden Anforderungen in ermessenfehlerfreier Weise Rechnung getragen worden. Schließlich ist es nicht zu beanstanden, dass die Bruttobeträge zurückgefordert wurden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, sind nicht gegeben.