Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 03.11.2004, Az.: 1 A 276/04
Altersteilzeit; Ermessen; Fürsorgepflicht; Gleichbehandlung; Lehrer; Rückwirkung; Vertrauensschutz; Verwaltungspraxis
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 03.11.2004
- Aktenzeichen
- 1 A 276/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50765
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80b BG ND
Tatbestand:
Die 1949 geborene Klägerin erstrebt die Gewährung von Altersteilzeit.
Sie ist Lehrerin und unterrichtet an der Realschule „D.“ in E.. Mit Formularantrag vom 19. August 2003, den die Realschulrektorin ebenfalls am 19. August 2003 zur Kenntnis nahm, beantragte sie Altersteilzeit in der Form des Teilzeitmodells zum 1. August 2004 (bis zum Beginn des Ruhestandes verminderte Unterrichtsverpflichtung), nachdem sie sich bereits mit Schreiben vom 6. August 2002 beim Nds. Landesamt für Bezüge und Versorgung (Dez. 410 der Bezirksregierung Lüneburg) nach Modalitäten der Altersteilzeit erkundigt hatte. Zu diesem Zeitpunkt galt noch die alte Fassung des § 80 b NBG, wonach Voraussetzung für den Antrag die Vollendung des 55. Lebensjahres war. Mit Schreiben vom 21. September 2003 unterstrich sie ihren Antrag u.a. damit, dass „die Aussicht auf Altersteilzeit ihr in den letzten Jahren die Kraft gegeben habe, voll weiterzuarbeiten und alles für die Schule zu geben“, obgleich ihre Kräfte nach 28 Dienstjahren nachließen und sie bei zwei studierenden Töchtern jetzt in ihrer Familie als einzige Arbeitseinkommen habe, da ihr Ehemann ohne Arbeit sei. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2003 antwortete die Beklagte, entsprechende Anträge seien von ihr „zeitnah“ zu bearbeiten, so dass sie zu gegebener Zeit unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückkomme, eine Entscheidung über die Gewährung von Altersteilzeit werde noch nicht getroffen.
Nach Anhebung der Altersgrenze auf das 59. Lebensjahr - durch Änderung des genannten Gesetzes im Oktober 2003 - lehnte die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 23. März 2004 den Antrag nach Beteiligung des Personalrates ab.
Zur Begründung ihrer nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren am 14. Juli 2004 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, die Ablehnung verstoße gegen den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und die Gleichbehandlung mit anderen Beamtinnen/en. Eine große Zahl anderer Antragsteller/innen habe konkrete Zusagen erhalten, so dass hierdurch eine Ermessensbindung der Verwaltung eingetreten sei. Wie eine Mitteilung des Kultusministeriums v. 14.1.2004 zeige, sei auch nicht beabsichtigt, die 122 (landesweit) positiv entschiedenen Fälle aufzuheben. Es sei widersprüchlich, mit der einen Hand bei ansonsten gleicher Sach- und Rechtslage Bewilligungen auszusprechen, mit der anderen Hand aber eben diese Bewilligungen zu versagen. Das Werben für Altersteilzeit und die Praxis dazu hätten überall - auch bei ihr - ein Vertrauen erzeugt, das schützenswert sei. Auch die gerade im Beamtenverhältnis geschuldete Fürsorgepflicht sei durch das Verhalten der Beklagten verletzt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 23. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2004 zu verpflichten, der Klägerin Freizeitausgleich ab dem 1.08.2004 und Altersteilzeit zum nächstmöglichen Termin zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die geänderte Gesetzeslage sowie die einschlägige Rechtsprechung dazu sowie darauf, dass nach der Verwaltungspraxis frühestens 6 Monate vor dem Beginn der Altersteilzeit über entsprechende Anträge entschieden worden sei und werde. Verfrühte Bewilligungen von Altersteilzeit in einzelnen Fällen - wohl in 28 Fällen - änderten an der regelmäßig eingehaltenen Praxis nichts, vor allem nichts zugunsten der Klägerin, die sich insoweit nicht auf den Gleichheitssatz berufen könne. Auch Vertrauensschutz verhelfe der Klägerin nicht zu einem Anspruch.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage kann im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden als Einzelrichter entschieden werden, §§ 87a, 101 VwGO.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Hierbei ist das Klagebegehren - ohne Bindung an den gestellten Antrag (§ 88 VwGO) - dahingehend auszulegen, dass die Klägerin die Gewährung von Altersteilzeit zum 1. August 2004, wie ursprünglich beantragt, erstrebt.
1. Nach § 80 b NBG in der bis zum 7. November 2003 geltenden Fassung in Verbindung mit § 8 a der Verordnung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen - ArbZVO-Lehr - in der ebenfalls bis zum 7. November 2003 geltenden Fassung konnte u.a. Lehrkräften nach Vollendung des 55. Lebensjahres Altersteilzeit zum 1. 8. 2004 bewilligt werden. Nach einem Merkblatt (SVBl. 2000, 481) war der Antrag spätestens sechs Monate vor dem gewünschten Beginn einzureichen. Gemäß dem am 8. November 2003 in Kraft getretenen Gesetz vom 31. Oktober 2003 (Nds. GVBl. S. 372) darf eine ab dem 1. 8. 2004 beginnende Altersteilzeit jedoch - von Sonderfällen abgesehen - erst nach Vollendung des 59. Lebensjahres bewilligt werden.
2. Die Klägerin hat auf der Grundlage dieser - seit November 2003 geänderten - Gesetzeslage keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Gewährung von Altersteilzeit zum 1. August 2004. Denn es fehlt bei ihr - wie sie selbst anerkennt - an dem inzwischen gesetzlich vorgeschriebenen Alter von 59 Jahren. Da sie nicht zum Personenkreis der schwerbehinderten bzw. begrenzt dienstfähigen Lehrkräften gehört, für den es bei der Altersgrenze von 55 Jahren verblieben ist, ist für die Klägerin (inzwischen) eine gesetzliche Voraussetzung nicht erfüllt, an der sie sich jedoch - wie auch die Verwaltung und das Gericht (Art. 20 Abs. 3 GG) - jetzt festhalten lassen muss. Die neue Gesetzeslage ist für alle verbindlich. Damit kommt eine Ermessensbetätigung der Beklagten (auf der Rechtsfolgeseite) mangels Voraussetzungen erst gar nicht in Betracht.
2.1 Hieran ändert der von der Klägerin vorgetragene Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nichts. Denn ein Vertrauen in den unveränderten Fortbestand gesetzlicher Regelungen gibt es nicht - auch dann nicht, wenn das von Politikern oder vom zuständigen Ministerium zuvor noch anders dargestellt worden sein mag. Auch das Rückwirkungsverbot kommt nicht zum Zuge, da rückwirkende Gesetze - außer im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG) - nicht etwa schlechthin unzulässig sind: Auch ein Vertrauensschutz muss - je nach Sachlage - u.U. bei Gemeinwohlgründen oder einer entsprechenden Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens zurücktreten (BVerfGE 18, 439 [BVerfG 31.03.1965 - 2 BvL 17/63]). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber bei seiner Tätigkeit ohnehin stets eine weite Gestaltungsfreiheit zukommt. Hier liegt es im Übrigen so, dass die Klägerin noch keine Anspruchs- und Rechtsposition auf der Grundlage der alten Gesetzeslage erlangt hatte. Insoweit kann ergänzend auf den Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgericht vom 26. 3. 2004 - 5 ME 32/04 - verwiesen werden:
„Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Unzulässigkeit belastender gesetzlicher Vorschriften mit echter Rückwirkung ist auf die hier vorliegende Konstellation nicht übertragbar. Das maßgebliche Gesetz (§ 80 b NBG) stellte die Bewilligung von Altersteilzeit auch in der bisherigen Fassung schon in das Ermessen der Behörde und machte dies vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abhängig. Der Antragsteller musste also sowohl damit rechnen, dass sich an den Voraussetzungen (nämlich dem Nichtentgegenstehen dringender dienstlicher Belange; Erfordernisse der Unterrichtsversorgung) etwas ändern würde, als auch damit, dass in der Ermessensbetätigung aus sachlichen Gründen (wozu z.B. auch fiskalische Erwägungen gehören können) eine andere Praxis Platz greifen würde. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, dass der Antragsteller eine rechtliche Position erlangt hätte, auf deren Bestand er hätte vertrauen können. Er konnte nur die unsichere Hoffnung auf eine Fortsetzung der bisherigen großzügigen Bewilligungspraxis hegen. Dieses Interesse darf die Antragsgegnerin indessen hinter dem öffentlichen Interesse an einer möglichst ausgeglichenen Unterrichtsversorgung und an der Konsolidierung des Landeshaushalts zurück treten lassen.“
2.2 Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 Charta der Grundrechte der EU) ist hier nicht dadurch verletzt, dass - wie die Klägerin vorträgt - landesweit bei 122 Lehrkräften noch Altersteilzeit zum 1. August 2004 bewilligt wurde, ihr Antrag dagegen - obgleich schon im August 2003 gestellt - abgelehnt wurde.
Die Beklagte beruft sich insoweit nämlich auf eine von ihr verfolgte und geübte allgemeine Verwaltungspraxis, dergemäß aus Sachgründen regelmäßig erst ca. 6 Monate vor einem Altersteilzeittermin über die gestellten Anträge entschieden werde. So sei auch im Falle der Klägerin verfahren worden: Es seien daher bei der Beklagten nach dem 1. Februar 2004 insgesamt 366 Altersteilzeitanträge zum 1. August 2004 abgelehnt worden. Wenn das in Einzelfällen anders gehandhabt worden sei, so ergebe sich daraus keine Rechtsposition der Klägerin, die nicht beanspruchen könne, in fehlerhafter Abweichung von der ständigen Verwaltungspraxis mit nur wenigen Einzelfällen gleich behandelt zu werden.
Hiergegen ist nichts einzuwenden. Gerade der Gleichbehandlungssatz fordert die Behandlung und Bearbeitung des Antrages der Klägerin zusammen und in Abgleich mit der Vielzahl eingegangener Anträge, so wie das von der Beklagten im Allgemeinen auch gehandhabt worden ist. An abweichenden Einzelfällen muss sich die Beklagte nicht festhalten lassen, wenngleich der Klägerin zuzugestehen ist, dass solche Divergenzen das Vertrauen in die Verwaltung nicht fördert. Ein Anspruch auf Abweichung von der Verwaltungspraxis und verfrühte Bearbeitung ihres Antrages hatte und hat die Klägerin nicht.
2.3 Die Fürsorgepflicht vermag der Klägerin nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil diese erst auf der Rechtsfolgeseite - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Ermessens - in eine Ermessensbetätigung einzustellen wäre. Angesichts des Fehlens der Vollendung des 59. Lebensjahres kommt jedoch eine Betätigung des Ermessens erst gar nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.