Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.06.1991, Az.: 9 L 186/89

Notwendigkeit des Vorliegens einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage für die Heranziehung zu Entwässerungsbeiträgen; Möglichkeit der Belegung der Grenze für eine Rückwirkung der Beitragssatzung mit Schätzungen; Folgen des Beschließens des Beitragssatzes ohne jede Berechnungsgrundlage durch das für die Festsetzung öffentlicher Abgaben zuständige Gremium; Beachtung der Aufwandsermittlung bei der Berechnung des Beitragssatzes; Zulässigkeit einer Ermittlung der Höhe der Entwässerungsbeiträge nach dem Gebrauchswert und Nutzungswert des Grundstücks

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.06.1991
Aktenzeichen
9 L 186/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 21203
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1991:0611.9L186.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 23.11.1988 - AZ: 1 VG A 77/87

Fundstelle

  • NVwZ-RR 1992, 503-504 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Entwässerungsbeiträge

Der 9. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 1991
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schmaltz,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Munk und
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Claaßen sowie
die ehrenamtlichen Richter Endres und Heidenreich
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 1. Kammer - vom 23. November 1988 geändert.

Die Heranziehungsbescheide der Beklagten vom 1. Dezember 1986 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 10. April 1987 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger, die seit 1985 Eigentümer des Grundstücks ... 17 E, der dazugehörigen Garagenparzelle Flurstück ... und eines Miteigentumsanteils am Garagenhofgrundstück sind, wenden sich gegen die Heranziehung zu Entwässerungsbeiträgen.

2

Im März 1983 stellte die Beklagte die Schmutzwasser- und Regenwasserkanalisation im Bereich des Grundstücks der Kläger betriebsfertig her. Mit Bescheiden vom 30. Januar 1986 zog die Beklagte die Kläger zu Beiträgen für die Grundstücksanschlußleitungen in Höhe von 2.585,-- DM heran. Auf den Widerspruch der Kläger hob die Beklagte diese Heranziehungsbescheide auf.

3

Mit drei Bescheiden vom 1. Dezember 1986 veranlagte die Beklagte die Kläger zu Entwässerungsbeiträgen für den Anschluß an den Regenwasserkanal für das Hausgrundstück, das Garagengrundstück und den Garagenhof in Höhe von insgesamt 1.183,04 DM und für den Anschluß an den Schmutzwasserkanal für das Hausgrundstück in Höhe von 4.464,-- DM. Auf den Schmutzwasserbeitrag rechnete die Beklagte eine Vorauszahlung der Firma ... anteilig an, die diese 1974 als Grundstückseigentümerin an die Gemeinde ... gezahlt hatte.

4

Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 1987, dem Kläger zugestellt am 30. April 1987, zurück.

5

Mit der am 22. Mai 1987 erhobenen Klage haben die Kläger vorgetragen, die Entwässerungsabgabensatzung der Beklagten sei nichtig, weil nach der Entscheidung des OVG Lüneburg vom 20. August 1984 der Maßstab für den besonderen Anschlußbeitrag nichtig sei und sich die Unwirksamkeit dieser Satzungsregelung auf die Abgabensatzung insgesamt auswirke. Im übrigen könne die Beklagte nur denjenigen heranziehen, der im Zeitpunkt der Fertigstellung Grundstückseigentümer sei. Schließlich sei die Vorauszahlung des Voreigentümers auch nicht ausreichend berücksichtigt worden.

6

Die Kläger haben beantragt,

die drei Heranziehungsbescheide der Beklagten vom 1. Dezember 1986 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 10. April 1987 aufzuheben.

7

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 23. November 1988, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen.

9

Gegen das ihnen am 8. Dezember 1988 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. Januar 1989, einem Montag, eingegangene Berufung der Kläger. Sie halten die kumulative. Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen und Entwässerungsbeiträgen für unzulässig und wiederholen im übrigen ihr bisheriges Vorbringen.

10

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem Klageantrag zu erkennen.

11

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie erwidert, die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen und Entwässerungsbeiträgen beziehe sich auf unterschiedliche Anlagen, so daß eine unzulässige Doppelveranlagung nicht vorliege. Die mit Rückwirkung erlassene Änderungssatzung vom 26. Mai 1983 führe nicht zu einer unzulässigen Schlechterstellung der Gesamtheit der Beitragspflichten. Die neue Satzung führe bei Reihenhäusern und zwei- bis viergeschossigen Mehrfamilienhäusern zu einer Ermäßigung des Beitrags, während sie Gewerbegrundstücke und freistehende Einfamilienhäuser höher belaste. Da aber im Rückwirkungszeitraum vornehmlich Reihenhausgrundstücke angeschlossen worden seien, könne davon ausgegangen werden, daß die rückwirkend erlassene Satzung die Gesamtheit der Abgabepflichtigen nicht ungünstiger stelle. Die Satzung enthalte zwar nach der Rechtsprechung des Senats keinen wirksamen Beitragsmaßstab für bebaute Grundstücke im Außenbereich, jedoch seien von 1985 bis 1990 nur vier Außenbereichsgrundstücke veranlagt worden. Die Erfassung auch dieser Grundstücke in der Kalkulation hätte sich daher nicht ausgewirkt.

13

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Berufung der Kläger hat Erfolg, weil die Entwässerungsabgabensatzung der Beklagten keine wirksame Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Kläger zu einem Entwässerungsbeitrag darstellt.

15

1.

Da die Grundstücke der Kläger im März 1983 an Schmutz- und Regenwasserkanalisation angeschlossen worden sind, können die Kläger auf der Grundlage der Entwässerungsabgabensatzung (EAS) vom 26. Mai 1983 nur herangezogen werden, wenn die Beklagte der EAS 1983 zulässigerweise Rückwirkung beigelegt hat. Nach § 2 Abs. 3 Satz 4 NKAG darf durch die rückwirkend erlassene Satzung die Gesamtheit der Abgabepflichtigen nicht ungünstiger gestellt werden als nach der ersetzten Satzung.

16

Die Beklagte hat mit der Änderungssatzung von 1983 die Bemessungsgrundlage für den Regenwasserbeitrag und den Beitragssatz dafür geändert. Nach § 4 EAS 1977 war die Summe der Grundstücksfläche und der Fläche, die sich aus der Vervielfältigung der Grundstücksfläche mit der zulässigen Geschoßflächenzahl ergibt, Bemessungsgrundlage nicht nur des Schmutzwasserbeitrags, sondern auch des Regenwasserbeitrags. Nach § 4 Abs. 1b EAS 1983 ist die Fläche, die sich durch Vervielfältigung der Grundstücksfläche mit der zulässigen Grundflächenzahl ergibt, Bemessungsgrundlage des Regenwasserbeitrags. Da mit der Änderung des Beitragsmaßstabes auch der Beitragssatz von 1,25 DM auf 5,60 DM angehoben worden ist, läßt sich nicht ohne weiteres übersehen, ob die rückwirkende Änderung zu einer Schlechterstellung der Gesamtheit der Abgabepflichtigen geführt hat. Die Berechnungsbeispiele der Beklagten lassen gewisse Tendenzen erkennen, wegen der unterschiedlichen Verknüpfung der Grundstücksfläche mit der GFZ nach altem Recht und der GRZ nach neuem Recht ist eine durchgängige Grenzziehung für alle Baugebiete, von welchem Nutzungsmaß an eine Schlechterstellung bei der Veranlagung nach der EAS 1983 eintritt, jedoch nicht möglich. Anzumerken ist lediglich, daß das neue Recht bei Grundstücken mit einer Grundflächenzahl von 0,4 zu einer stärkeren Belastung führt, wenn die GFZ unter 0,8 liegt.

17

Die von der Beklagten vorgelegten Berechnungen reichen freilich nicht aus, um die Behauptung der Beklagten zu belegen, die Rückwirkung der EAS 1983 habe nicht zu einer Schlechterstellung der Gesamtheit der Abgabepflichtigen geführt. Gerade bei den 110 erfaßten Grundstücken ergibt sich eine Schlechterstellung durch die EAS 1983, so daß die Tragweite der anderen Rechenbeispiele dagegen verblaßt. Die Einhaltung der mit § 2 Abs. 3 Satz 4 NKAG gezogenen Grenze für eine Rückwirkung der Beitragssatzung kann nicht mit Schätzungen belegt werden, vielmehr bedarf es dazu präziser Berechnungen. Gegebenenfalls müssen alle Veranlagungsfälle des Rückwirkungszeitraumes nach altem und neuem Recht gegenübergestellt werden. Scheut die Gemeinde die Mühe und den Aufwand einer solchen Gegenüberstellung, dann muß sie auf andere Weise sicherstellen, daß die Gesamtheit der Abgabepflichtigen durch die Rückwirkung nicht schlechtergestellt wird. Durch eine Überleitungsregelung der Satzung, die den Beitrag nach neuem Recht der Höhe nach auf den Betrag begrenzt, der sich nach altem Recht ergeben würde, kann das Ziel des § 2 Abs. 3 Satz 4 NKAG ohne weiteres erreicht werden. Angesichts anderer Fehler der EAS 1983 kann aber offenbleiben, ob das Verbot der Schlechterstellung hier verletzt ist.

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2.

Der EAS 1983 liegt keine ordnungsgemäße Kalkulation i.S. des § 6 NKAG zugrunde. § 6 NKAG stellt die Berechnung des Beitragssatzes nicht in das Belieben der Gemeinde, sondern sieht gewisse Vorgaben für die Aufwandsermittlung vor. Nach § 6 Abs. 3 NKAG ist der Aufwand entweder nach den tatsächlichen Aufwendungen oder nach Einheitssätzen zu berechnen. Bei leitungsgebundenen Einrichtungen scheidet die Ermittlung des Aufwands nach Einheitssätzen aus, weil Einheitssätze nach § 6 Abs. 3 Satz 2 NKAG das Vorhandensein einer größeren Zahl von Einrichtungen voraussetzen, die die Feststellung des durchschnittlichen Aufwands vergleichbarer Einrichtungen erlauben. Die Ermittlung des tatsächlichen Aufwands der öffentlichen Einrichtungen Schmutzwasser- und/oder Regenwasserkanalisation scheitert daran, daß die Beiträge vor der Fertigstellung der öffentlichen Einrichtung ermittelt werden müssen. Es bleibt daher nur die Ermittlungsmethode nach § 6 Abs. 3 Satz 4 NKAG: "Bei leitungsgebundenen Einrichtungen kann der durchschnittliche Aufwand für die gesamte Einrichtung veranschlagt und zugrunde gelegt werden." Die Ermittlung des Aufwands nach § 6 Abs. 3 Satz 4 NKAG kann im Sinne einer Globalkalkulation vom Aufwand der gesamten Einrichtung ausgehen, wobei die tatsächlichen Kosten der Einrichtung vom Baubeginn bis zum Kalkulationszeitpunkt und die veranschlagten Kosten für die Zukunft zugrunde zu legen sind (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 11.12.1980 - 3 C 3/79 -). Der Senat (Urt. v. 11.7.1989 - 9 K 1/89 -, NdsRpfl 1990, 20) hat darüber hinaus aus der Entstehungsgeschichte des § 6 Abs. 3 Satz 4 NKAG die Zulässigkeit der sog. Rechnungsperiodenkalkulation abgeleitet. Diese Methode erleichtert die Kalkulation des Beitragssatzes für die Gemeinden, deren Einrichtungen schon sehr lange bestehen, so daß die Ermittlung der lange vor dem Inkrafttreten des NKAG getätigten Investitionen und deren Bewertung auf Schwierigkeiten stößt. Allerdings hat der Senat in Anlehnung an die Begründung des Regierungsentwurfs (LT-Drucks. 10/3930 S. 10), die die Regelung des § 8 KAG NW und die Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen zum Vorbild genommen hatte, betont, daß diese Kalkulation die Ermittlung des Aufwands einer zeitlich abgegrenzten Rechnungsperiode und die Ermittlung der Summe der Maßstabseinheiten der gesamten in der Rechnungsperiode an die Anlage angeschlossenen bzw. anschließbaren Grundstücke voraussetzt, daß aber eine Baugebietskalkulation, bei der stellvertretend für die Gesamtanlage die Beiträge nach den Kosten eines oder mehrerer Baugebiete kalkuliert werden, nach der gesetzlichen Regelung ausgeschlossen ist. Die Beklagte hat weder eine Beitragsermittlung im Sinne einer Globalkalkulation noch im Sinne einer Rechnungsperiodenkalkulation durchgeführt, sondern anhand von 18 - meist kleineren - Kanalbaumaßnahmen mit einem Investitionsvolumen von 1.870.000,-- DM eine Kontrollrechnung durchgeführt, daß die Beiträge auf der Grundlage der "gegriffenen" Beitragssätze nicht zu einer Überdeckung führen. Diese Berechnung stellt keine ausreichende Ermittlung des Beitragssatzes dar, auch wenn wegen der völligen Außerachtlassung der Zentralanlagen außer Zweifel stehen dürfte, daß eine ordnungsgemäße Kalkulation mit ziemlicher Sicherheit wohl zu höheren Beitragssätzen führen dürfte. Anzumerken ist, daß die von der Beklagten angestellte Berechnung bei einem Haushaltsergebnis von mehr als 21 Mio. DM für das Jahr 1982 und von mehr als 18. Mio. DM für das Jahr 1983 für die Erweiterung des Kanalnetzes auch wenig repräsentativ sein dürfte, zumal sie fast nur Straßenzüge mit Einfamilienhäusern und Reihenhäusern erfaßt.

19

3.

Ein weiterer wesentlicher Fehler der Kalkulation liegt darin begründet, daß der Rat der Beklagten als das nach der NGO für den Erlaß von Satzungen und die Festsetzung öffentlicher Abgaben zuständige Gremium den Beitragssatz ohne jede Berechnungsgrundlage beschlossen hat. Die Vorgaben des § 6 Abs. 3 NKAG lassen es nicht zu, daß der Beitragssatz vom Rat "gegriffen" wird oder lediglich im Hinblick auf seine Angemessenheit im Vergleich mit den Sätzen der Nachbargemeinden beurteilt wird. Die Kalkulation ist nicht ein bloßer Rechenvorgang, der ggfs. einem durch Satzungsbeschluß festgelegten Beitragssatz untergeschoben werden kann. Die Kalkulation des Beitragssatzes ist vielmehr von vielfältigen Schätzungen, Prognosen und Wertungen beeinflußt, die allein der Rat als das für den Beitragssatz verantwortliche Organ treffen kann (vgl. Urt. d. Sen. v. 14.3.1989 - 9 L 64/89 - NdsRpfl 1989, 186). So hat der Rat den künftigen Aufwand der öffentlichen Einrichtungen zu schätzen; diese Schätzung ist gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob sie methodisch einwandfrei durchgeführt und auf sachgerechtem Datenmaterial aufbaut. Die Kapazität der öffentlichen Einrichtung, die naturgemäß Einfluß auf die Kosten der Anlage hat, läßt sich nicht im Wege schlichter Rechenoperationen ermitteln, vielmehr enthält die Festlegung der Kapazität der öffentlichen Einrichtung ein voluntatives Element. Das gleiche gilt für die planerischen und zeitlichen Zielvorstellungen der Gemeinde, die Einfluß auf die Kapazitätsbemessung der öffentlichen Einrichtungen haben. Schließlich muß sich die Gemeinde im Zusammenhang mit der Festlegung des Beitragssatzes entscheiden, in welchem Umfang sie den Aufwand durch Beiträge deckt und in welchem Umfang sie - mit Auswirkungen auf die Gebührenkalkulation - Fremdmittel einsetzt. Alle diese Festlegungen, die mit dem Beschluß über den Beitragssatz verbunden sind, dürfen nicht in dem rechnerischen Endergebnis des Beitragssatzes "versteckt" werden, sondern müssen in einer Beitragskalkulation offengelegt werden, weil der Rat sonst keine abgewogene Entscheidung treffen kann. Das ergibt sich auch aus § 40 Abs. 1 Nr. 4 und 7 NGO, der nicht nur eine verfahrensmäßige Zuständigkeit begründet, sondern auch die Verantwortung des Rates für diese Entscheidung. Einen Beitragssatz von X DM/m2 Beitragsfläche kann der Rat verantwortlich eben nur beschließen, wenn Aufwand und Verteilungsfläche von der Verwaltung ermittelt und ihm vorgelegt worden sind.

20

4.

Zweifelhaft erscheint, ob der von der Beklagten gewählte Beitragsmaßstab für den Schmutzwasserbeitrag einer rechtlichen Überprüfung standhält. Nach § 4 Abs. 1a EAS 1983 ist Bemessungsgrundlage für den Schmutzwasserbeitrag die Summe der Grundstücksfläche und der Fläche, die sich durch Vervielfältigung der Grundstücksfläche mit der zulässigen GFZ ergibt. § 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG gebietet, die Beiträge nach den Vorteilen zu bemessen, die sich bei der Abwasserbeseitigung im Gebrauchs- und Nutzungswert des Grundstücks niederschlagen. Der Gebrauchs- und Nutzungswert eines Grundstücks wird in erster Linie durch seine bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit bestimmt. Diesem Vorteil wird durch einen Maßstab, der auf die zulässige Geschoßfläche abstellt, am besten Rechnung getragen. Der Maßstab der Beklagten berücksichtigt zwar auch die Geschoßfläche, aber nur zusammen mit der Grundstücksfläche. Der Maßstab der Summe der Grundstücksfläche und der zulässigen Geschoßfläche räumt dabei der Grundstücksfläche ein sehr erhebliches Gewicht ein, weil für den hier maßgeblichen Zeitraum 1983 nach § 17 BauNVO 1977 die zulässige Geschoßfläche erst bei drei- und mehrgeschossiger Bebauung in Wohn- und Mischgebieten die Grundstücksfläche erreicht. Für die ein- und zweigeschossige Bebauung in Wohn- und Mischgebieten bestimmt die Grundstücksfläche den Beitragsmaßstab stärker als die bauliche Ausnutzbarkeit. Ob die Summe von Grundstücksfläche und zulässiger Geschoßfläche unter diesen Umständen noch hinreichend vorteilsorientiert ist, erscheint daher zweifelhaft (vgl. auch Klausing in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand März 1991, § 8 Rdn. 1025). Diese Frage bedarf aber wegen der anderen Fehler der EAS 1983 keiner abschließenden Entscheidung.

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Fehlerhaft ist die EAS 1983 aber auch, weil sie keinen Maßstab für tatsächlich angeschlossene bebaute Außenbereichsgrundstücke enthält. Nach dem Grundsatz der konkreten Vollständigkeit (vgl. Klausing, a.a.O., Rdn. 1042) muß die Abgabensatzung für alle Beitragsfälle im Entsorgungsgebiet einen wirksamen Maßstab vorsehen, weil ohne Maßstab eine Kalkulation nicht möglich ist. Dieselben Anforderungen ergeben sich aus dem Gleichheitssatz und dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot, damit die Beitragsbemessung für einzelne Fälle nicht der Entscheidung der Verwaltung im Einzelfall überlassen bleibt (vgl. Scholz in Driehaus a.a.O., § 8 Rdn. 653). Eine Verteilungsregelung, die einzelne Fälle ungeregelt läßt, führt zur Unwirksamkeit der Maßstabsregelung insgesamt (vgl. Urt. v. 24.5.1989 - 9 L 1/89 -, NdsRpfl 1990, 15). Ohne wirksame Maßstabsregelung ist eine Kalkulation überhaupt nicht möglich.

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Unter diesem Blickwinkel führt der fehlende Maßstab für angeschlossene bebaute Außenbereichsgrundstücke zur Unwirksamkeit der Maßstabsregelung überhaupt. Ob und ggfs. welchen "zahlenmäßigen" Einfluß die Berücksichtigung der wenigen angeschlossenen bebauten Außenbereichsgrundstücke auf die Berechnung des Beitragssatzes hätte, ist nicht entscheidend.

23

5.

Die der EAS 1983 vorangegangenen Entwässerungsabgabensatzungen sind ebenfalls unwirksam, weil sie weder auf einer ordnungsgemäßen Kalkulation beruhten, noch diese Kalkulation vom Rat billigend zur Kenntnis genommen worden ist und ein Beitragsmaßstab für tatsächlich angeschlossene bebaute Außenbereichsgrundstücke fehlt.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

25

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 5.647,04 DM festgesetzt.

Schmaltz
Dr. Claaßen
Munk