Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.06.1991, Az.: 8 L 35/89

Architekt; Charakterliche Mängel; Handelskammer; IHK; Bestellung zum Sachverständigen; Widerruf der Bestellung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.06.1991
Aktenzeichen
8 L 35/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 13123
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1991:0617.8L35.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 29.03.1989 - AZ: 1 VG A 38/88
nachfolgend
BVerwG - 15.11.1991 - AZ: BVerwG 1 B 136.91

Fundstellen

  • NJW 1992, 591-592 (Volltext mit red. LS)
  • NVwZ 1992, 501 (amtl. Leitsatz)

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 1. Kammer - vom 29. März 1989 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

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I.

Der am 17. Mai 19... geborene Kläger ist als Architekt in Braunschweig tätig. Die beklagte Industrie- und Handelskammer bestellte ihn im Jahre 1964 zum öffentlichen Sachverständigen für technische Fragen des Bauwesens. Die Bestellung wurde im Jahre 1968 auf das allgemeine Bauwesen sowie die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken ausgedehnt. Seit dem Jahre 1975 gingen bei der Beklagten wiederholt Beschwerden über eine verzögerliche oder fehlerhafte Bearbeitung der Gutachtenaufträge ein, die zu einer Ermahnung des Klägers führten.

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Der Kläger ist wie folgt bestraft worden:

3

1. Am 20. 12. 1982 vom Amtsgericht Braunschweig wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 80,-- DM. Außerdem wurde eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 19. 7. 1983 angeordnet.

4

2. Am 15. 6. 1983 vom Amtsgericht Helmstedt wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 80,-- DM. Außerdem wurde eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 14. 6. 1985 angeordnet.

5

3. Am 13. 6. 1985 vom Amtsgericht Winsen/Luhe wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100,-- DM. Außerdem wurde eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 26. 2. 1987 angeordnet.

6

4. Am 13. 8. 1985 vom Amtsgericht Braunschweig wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten, deren Vollstreckung auf die Dauer von 2 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem wurde eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 20. 8. 1987 angeordnet.

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5. Am 13. 12. 1985 vom Amtsgericht Braunschweig wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässigem Verstoß gegen das 0,8-Promillegesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem wurde gegen den Angeklagten ein Fahrverbot von 3 Monaten verhängt. 2 Pkw's wurden eingezogen.

8

6. Am 10. 10. 1986 durch Berufungsurteil des Landgerichts Braunschweig wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, die vollstreckt wurde.

9

Nachdem diese Verurteilungen der Beklagten bekanntgeworden waren, widerrief sie mit Bescheid vom 1. Dezember 1987 die Bestellung des Klägers zum Sachverständigen und forderte ihn auf, Bestallungsurkunde, Ausweis und Siegel zurückzugeben. Sie führte aus, die wiederholten Straftaten ließen auf charakterliche Mängel des Klägers schließen, die seine Vertrauenswürdigkeit und persönliche Zuverlässigkeit in Frage stellten. Die Eignung als Sachverständiger sei nicht mehr gegeben. Der Kläger legte Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 1988 zurückwies.

10

Am 30. März 1988 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat vorgetragen, die Straftaten ständen nicht im Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit und berührten seine Eignung als Sachverständiger nicht. Zudem habe er sich seit der letzten Verurteilung einwandfrei geführt. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig habe nach Verbüßung der Haftstrafe eine günstige Zukunftsprognose gestellt. Der Widerruf der Bestellung wirke sich als Doppelbestrafung aus. Soweit ein Ansehensverlust eingetreten sei, sei dieser inzwischen wiedergutgemacht. Er sei bereit und in der Lage, die Rechtsordnung zu achten und seine Pflichten als Sachverständiger zu erfüllen. Die Verurteilungen habe er der Beklagten auf Rat seines Anwalts nicht mitgeteilt. Der Widerruf verstoße schließlich gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Beklagte habe ihn weder verwarnt noch ihm Auflagen erteilt.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 1988 aufzuheben.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide vorgetragen, die zahlreichen Verurteilungen des Klägers ließen erkennen, daß er die Rechtsordnung einschließlich der Sachverständigenordnung gering schätze. Dies begründe die Gefahr weiterer Rechtsverletzungen, die durch die Mißachtung der Anzeigepflichten nach der Sachverständigenordnung erhärtet werde. Die Straftaten hätten das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit soweit herabgesetzt, daß die Eignung als Sachverständiger nicht mehr gegeben sei. Der Zeitablauf seit der letzten Straftat falle nicht ins Gewicht. Die Arbeit des Klägers als Sachverständiger sei immer wieder beanstandet worden.

16

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. März 1989 abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe die Bestellung des Klägers zum Sachverständigen gemäß § 25 Sachverständigenordnung - SVO - zu Recht widerrufen. Die öffentliche Bestellung erfordere eine uneingeschränkte Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Auch ohne Zusammenhang zur Sachverständigentätigkeit könnten der Ruf und das Ansehen eines Sachverständigen durch Straftaten derart geschädigt werden, daß er für die Herausstellung in der Öffentlichkeit nicht mehr geeignet sei. Dies gelte unter Berücksichtigung der Bestimmungen für die Übernahme öffentlicher Ämter insbesondere bei Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Taten. Die Vielzahl der Verfehlungen innerhalb kurzer Zeit falle besonders ins Gewicht. Der Ansehensverlust habe durch die straffreie Führung bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung im Widerspruchsverfahren nicht wiedergutgemacht werden können. Ermessensfehler der Beklagten seien nicht ersichtlich.

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Gegen dieses am 14. April 1989 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. Mai 1989 eingegangene Berufung des Klägers. Er trägt vor, für den öffentlich bestellten Sachverständigen gebe es anders als für ehrenamtliche Richter keine gesetzliche Regelung, nach der die Bestellung bei Freiheitsstrafen von einer bestimmten Höhe an zu widerrufen sei. Der Gesamtsachverhalt sei zu würdigen. Bei Berücksichtigung aller Umstände könne ihm die charakterliche Eignung und die für die Tätigkeit als Sachverständiger erforderliche Integrität nicht abgesprochen werden. Die tadelsfreie Führung seit der letzten Verurteilung zeige, daß die Straftaten auf ein kurzfristiges, persönlichkeitsfremdes Fehlverhalten zurückzuführen seien. Das nachträgliche Wohlverhalten müsse - auch soweit es den Zeitraum nach der Widerspruchsentscheidung betreffe - als Bestätigung in die Prognose einbezogen werden. Soweit das Verwaltungsgericht bei der Verurteilung vom 15. Juni 1983 einen Zusammenhang mit seiner Sachverständigentätigkeit gesehen habe, sei dies nach dem Ermittlungsergebnis nicht gerechtfertigt. Entgegen der Behauptung der Beklagten sei er auch seinen Hinweispflichten nachgekommen. Seine Tochter habe dem Geschäftsführer der Beklagten den Haftantritt mitgeteilt. Insgesamt könne es nur darum gehen, daß kurzfristig Zweifel an seiner Eignung aufgetaucht seien. Diese Zweifel seien inzwischen ausgeräumt. Bei Abwägung seiner Belange mit dem öffentlichen Interesse sei es nicht mehr gerechtfertigt, ihm seine einmal erlangte Rechtsposition zu entziehen.

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Der Kläger beantragt,

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unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 1. Kammer - vom 29. März 1989 nach seinem Klagantrag zu erkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor, das Fehlverhalten des Klägers habe bereits im Jahre 1975 eingesetzt. Auf die Verletzung der Hinweispflichten komme es nicht entscheidend an.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien, den Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die beigezogenen Strafakten (Beiakten A bis G) Bezug genommen.

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II.

Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

25

Für den Widerruf der öffentlichen Bestellung des Klägers als Sachverständiger ist § 25 Abs. 1 der Sachverständigenordnung der Beklagten vom 16. September 1986 - SVO - maßgebend. Nach dieser Bestimmung kann die Beklagte die öffentliche Bestellung zurücknehmen oder widerrufen, wenn die Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG iVm § 1 Abs. 1 des Vorläufigen Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Niedersachsen gegeben sind. § 49 Abs. 2 Ziffer 3 VwVfG läßt den Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakts zu, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Der Widerruf muß binnen Jahresfrist seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den rechtfertigenden Tatsachen erfolgen, § 49 Abs. 2 Satz 2 iVm § 48 Abs. 4 VwVfG.

26

Die Beklagte wäre im Zeitpunkt des Widerrufs der Bestellung des Klägers zum Sachverständigen berechtigt gewesen, ihm diese Bestellung zu versagen. Nach § 36 Abs. 1 GewO können als Sachverständige für bestimmte Gebiete Personen bestellt werden, die die besondere Sachkunde nachweisen und gegen deren Eignung keine Bedenken bestehen. In § 2 Ziffer 2 Buchst. c, d SVO werden diese tatbestandlichen Voraussetzungen für die im Ermessen der Beklagten liegende Bestellung sinngemäß wiederholt, ohne gegenüber der gesetzlichen Regelung inhaltlich verändert zu werden (vgl. Ziffer 2 Punkt 4 der Richtlinien zur Anwendung und Auslegung der Muster-Sachverständigenordnung des DIHT vom 5. Juni 1986, abgedr in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Bd. II Nr. 276).

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Eine erstmalige Bestellung des Klägers zum Sachverständigen hätte im Zeitpunkt des Widerrufs wegen mangelnder persönlicher Eignung unterbleiben dürfen.

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Die Frage, ob ein Sachverständiger zur öffentlichen Bestellung geeignet ist, muß im Einzelfall anhand der besonderen Aufgabe dieser Gruppe von Sachverständigen beantwortet werden. Dabei ist der Beklagten kein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der dem Gericht nur eine eingeschränkte Kontrolle ihrer Entscheidung erlaubte. Das Eignungsurteil stellt keine Ermessens-, sondern eine Rechtsentscheidung dar (BVerwG, Urt. vom 24. 6. 1975, GewArch. 1975, S. 333; ebenso zur Sachkunde des Sachverständigen: Urt. vom 26. 6. 1990, DVBl 1991, 49).

29

Die öffentliche Bestellung erfolgt im Interesse der Allgemeinheit, um dieser die Möglichkeit zu geben, sich solcher Sachverständiger zu bedienen, die nach der aufgrund eingehender Feststellungen von der zuständigen Kammer getroffenen Entscheidung die Gewähr für besondere Sachkunde und Eignung bieten (BVerwG, Urt. vom 24. 6. 1975 aaO). Sie soll sicherstellen, daß Behörden wie Einzelpersonen im Bedarfsfall auf Sachverständige zurückgreifen können, deren gutachtliche Äußerungen als fachlich und persönlich objektiv und zuverlässig anerkannt werden können, ohne daß der Auftraggeber zuvor zusätzliche Nachforschungen über Ruf und Eignung des Sachverständigen anstellen muß (Bleutge in Landmann/Rohmer, GewO, RdNr. 9 zu § 36). Der öffentlich bestellte Sachverständige ist deshalb nicht nur Fachmann. Um die ihm zugedachte Vertrauensstellung einnehmen zu können, bedarf er auch persönlicher Integrität. Unzuverlässige Sachverständige und solche, die aufgrund besonderer Umstände ihrer Berufstätigkeit oder Lebensführung nicht das Ansehen genießen, dessen es bedarf, um die Vertrauensstellung eines öffentlich bestellten Sachverständigen zu bekleiden, sind zur öffentlichen Bestellung nicht geeignet. Der Wert ihrer Gutachten wäre insbesondere im gerichtlichen Verfahren in Frage gestellt. Befangenheitsanträge könnten die Folge sein (BVerwG, Urt. vom 24. 6. 1975, aaO; Bleutge aaO, RdNr. 9, 53 zu § 36). Die Kammer, die mit der öffentlichen Bestellung und Vereidigung eines Sachverständigen gegenüber der Öffentlichkeit die Gewähr für dessen Eignung übernimmt, dürfte sich deswegen weigern, den in Betracht kommenden Interessenten einen persönlich ungeeigneten öffentlich bestellten Sachverständigen zu präsentieren. Ebenso ist sie berechtigt, die Bestellung eines Sachverständigen zu widerrufen, der seine persönliche Eignung als öffentlich bestellter Sachverständiger nachträglich einbüßt.

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Diese Voraussetzungen können erfüllt sein, wenn ein öffentlich bestellter Sachverständiger - wie der Kläger - strafrechtlich in erheblichem Maße belangt werden muß und sich damit als rechtsuntreu erweist. Angesichts der gebotenen zweckorientierten Betrachtung können dabei auch solche strafrechtlichen Verurteilungen die Eignung zum öffentlich bestellten Sachverständigen ausschließen, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit begangen wurden. Im Hinblick auf die besonderen Erwartungen, die nicht nur an die Fachkunde, sondern auch an die Person eines öffentlich bestellten Sachverständigen geknüpft werden dürfen, reicht es aus, wenn sie insoweit berufsbezogen sind, als sie negative Rückschlüsse auf die Gesamtpersönlichkeit des Täters rechtfertigen. Das ist hier der Fall.

31

Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, daß die strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers grundlegende Bedenken gegen dessen Eignung als öffentlich bestellter Sachverständiger begründen, obwohl sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Sachverständigentätigkeit standen, weil es sich ausnahmslos um Verkehrsdelikte handelte. Einen Bezug zur Sachverständigentätigkeit des Klägers weist allein die der Verurteilung vom 15. Juni 1983 zugrundeliegende Verfehlung insoweit auf, als der Kläger den Weg zu dem Ort seiner Sachverständigentätigkeit als Führer eines Kraftfahrzeugs zurücklegte, obwohl ihm seinerzeit die Fahrerlaubnis entzogen war.

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Die Mängel in der persönlichen Eignung des Klägers zum öffentlich bestellten Sachverständigen zeigt eine Gesamtschau seiner strafrechtlichen Verfehlungen und des Verhaltens, das er im Zusammenhang damit an den Tag gelegt hat. Der Kläger ist in einem Zeitraum von 3 Jahren sechsmal straffällig geworden. Von einem kurzfristigen, persönlichkeitsfremden Versagen kann deshalb nicht gesprochen werden. Seine Verstöße gegen die Rechtsordnung, die mehrmaliges vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie die fahrlässige oder vorsätzliche Trunkenheit im Straßenverkehr einschließen, wiegen bereits für sich genommen schwer. Der Kläger ist deswegen allein dreimal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die letzte Freiheitsstrafe von 6 Monaten konnte nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden, sondern wurde vollstreckt. Das Landgericht Braunschweig hebt in diesem Zusammenhang im Urteil vom 10. Oktober 1986 die schnelle Rückfallgeschwindigkeit hervor, die die günstige Sozialprognose früherer Urteile widerlege. Zusätzlich sprechen die Begleitumstände einzelner Verfehlungen des Klägers wie auch die Art und Weise seiner Rechtswahrnehmung gegen ihn. So hat der Kläger im Verfahren vor dem Amtsgericht Winsen 3 Ds 33 Js 22051/84 die Vernehmung einer Zeugin in der vom Gericht vermuteten Erwartung beantragt, diese werde zu seinen Gunsten falsch aussagen. Das Amtsgericht wirft ihm deshalb im Urteil vom 13. Juni 1985 eine erhebliche kriminelle Energie und gesteigerte Dreistigkeit vor. Bei der Straftat, die zur Verurteilung durch das Amtsgericht Braunschweig vom 13. August 1985 führte, hat sich der Kläger hartnäckig der Feststellung seiner Personalien entzogen und falsche Angaben zum Zeitpunkt des Alkoholgenusses gemacht.

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Die Anzahl und die Art der strafgerichtlichen Verurteilungen, insbesondere aber die in ihnen zum Ausdruck kommende beharrliche und nachhaltige Mißachtung der Rechtsordnung wie auch die bedenkenlose Voranstellung eigener Interessen, erlaubten in dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt keine günstige Eignungseinschätzung. Sie lassen vielmehr eine Willensschwäche und Rechtsfremdheit des Klägers erkennen, die seinem Ansehen als öffentlich bestellter Sachverständiger in hohem Maße abträglich sein mußte. Parteien und Gerichte konnten ihm in diesem Zeitpunkt nicht mehr das für seine Tätigkeit unabdingbare Vertrauen entgegenbringen.

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Die prozessualen Bestimmungen für die Tätigkeit der ehrenamtlichen Richter, auf die bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, bestätigen dieses Ergebnis. Die Sachverständigenordnung der Beklagten enthält zwar keine dem § 21 Nr. 1 VwGO entsprechende Regelung, nach dem Personen, die wegen vorsätzlicher Taten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten verurteilt wurden, vom Amt des ehrenamtlichen Richters ausgeschlossen sind. Dieser Bestimmung der Verwaltungsgerichtsordnung läßt sich jedoch der allgemeine Rechtsgedanke entnehmen, daß mit einer empfindlichen strafrechtlichen Verurteilung regelmäßig ein Ansehensschaden verbunden ist, der die Eignung zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in Frage stellt. Die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegende Auffassung der Beklagten, dem Kläger ermangele als Folge seiner strafrechtlichen Verfehlungen die für eine weitere Tätigkeit als öffentlich bestellter Sachverständiger erforderliche Eignung, kann nach alledem aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden.

35

Das Wohlverhalten des Klägers nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn für die Überprüfung im gerichtlichen Verfahren ist - wie regelmäßig bei Anfechtungsklagen - die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides maßgeblich (Kopp, VwGO, 8. Aufl., RdNr. 23 zu § 113). Der Widerruf der Erlaubnis ist kein Dauerverwaltungsakt in dem Sinne, daß die Behörde ihren Bescheid während des gerichtlichen Verfahrens unter Kontrolle zu halten hat und auf Änderungen der Sach- und Rechtslage reagieren muß. Es handelt sich vielmehr um einen gestaltenden Verwaltungsakt, der den Betroffenen in die Lage eines Sachverständigen zurückversetzt, der nicht gemäß § 36 GewOöffentlich bestellt wurde. Der Widerruf der Bestellung zum öffentlich bestellten Sachverständigen ist damit der gewerberechtlichen Untersagungsverfügung gemäß § 35 Abs. 6 GewO in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 13. Februar 1974 (BGBl I S. 161) rechtsähnlich. Für sie ergibt sich aus § 35 Abs. 6 GewO, daß eine erneute Erlaubnis nur nach einem nochmals durchgeführten Antragsverfahren erteilt werden darf. Diese Bestimmung ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens (Marcks in Landmann/Rohmer aaO, RdNr. 21, 22 zu § 35; vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 9. 5. 1989 - 6 A 124/88 - zum Widerruf einer Approbation).

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Daraus folgt, daß Tatsachen, die erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch eingetreten sind, vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürfen, dies auch nicht im Sinne eines Rückschlusses auf die Richtigkeit prognostischer Elemente der angegriffenen Verwaltungsentscheidung. Deswegen kann dahinstehen, ob der vom Kläger angegriffene Widerruf seiner Bestellung zum öffentlich bestellten Sachverständigen überhaupt eine prognostische Einschätzung enthält.

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Im übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung zu § 35 GewO mehrfach entschieden, daß ein Wohlverhalten unter dem Eindruck eines behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens allein nicht die Annahme rechtfertigt, der Betreffende werde sich auch ohne diesen Verfahrensdruck pflichtgetreu verhalten (Marcks in Landmann/Rohmer, aaO, RdNr. 10 b, 20 zu § 35).

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Die Beklagte hat auch zu Recht angenommen, daß ohne den Widerruf der Bestellung des Klägers zum öffentlich bestellten Sachverständigen eine konkrete Gefährdung öffentlicher Interessen im Sinne des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG zu besorgen wäre. Nur mit dem Widerruf kann verhindert werden, daß der Kläger weiterhin als öffentlich bestellter Sachverständiger tätig wird, obwohl er nach der rechtsfehlerfreien Einschätzung der Beklagten die dafür erforderlichen Eignungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt.

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Ein Verstoß der Beklagten gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit läßt sich nicht feststellen. Insbesondere kam ein ermahnender Hinweis gemäß § 25 Ziffer 3 SVO als mildere Maßnahme nach Lage der Dinge nicht in Betracht. Durch ihn hätte der eingetretene Ansehensschaden weder behoben noch der Öffentlichkeit verdeutlicht werden können, daß die Beklagte nicht mehr in der Lage ist, die in der öffentlichen Bestellung liegende Gewähr für die persönliche Integrität des Klägers und das daraus fließende Vertrauen in die allseitige Anerkennung seiner Sachverständigenleistungen zu übernehmen.

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Soweit der Kläger auf sein besonderes, persönliches und wirtschaftliches Interesse zum Fortbestand der mit seiner öffentlichen Bestellung erlangten Rechtsposition hinweist, ist nicht ersichtlich, daß die Beklagte dies und die Folgen des Widerrufs der Bestellung verkannt hat. Angesichts des Gewichts der strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers war sie aber gleichwohl berechtigt, von der ihr in der Sachverständigenordnung eingeräumten Ermächtigung zum Widerruf der Bestellung Gebrauch zu machen (vgl. Richtlinien zur Anwendung und Auslegung der Muster-Sachverständigenordnung des DIHT vom 5. Juni 1986, Ziffer 25.3). Sie konnte sich dabei im übrigen durch die einhellige Auffassung des DIHT und derjenigen Kammern bestärkt fühlen, die sie um ihre Meinungsäußerung gebeten hatte.

41

Ob der Widerruf der Bestellung darüber hinaus auch im Hinblick auf die Beanstandungen der gutachterlichen Tätigkeit des Klägers oder die Verletzung von Anzeigepflichten gemäß § 19 SVO gerechtfertigt war, kann auf sich beruhen. Der Eignungsmangel wird durch die strafgerichtlichen Verurteilungen allein hinlänglich begründet. Auch die angefochtenen Bescheide stellen hierauf maßgeblich ab.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Gründe gegeben ist.

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Dr. Schinkel

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Dubslaff

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Groepper