Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.10.2011, Az.: L 7 AS 1316/09

Unzulässigkeit einer Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren; Auferlegung von Verschuldenskosten bei Rechtsmissbräuchlichkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.10.2011
Aktenzeichen
L 7 AS 1316/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 30926
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:1018.L7AS1316.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 01.10.2009 - AZ: S 44 AS 1926/07

Redaktioneller Leitsatz

1. Eine ohne nachvollziehbare Tatsachengrundlage erhobene Klageforderung von "mehr als 750,00 Euro im Monat" ist im Hinblick auf die Statthaftigkeit der Berufung rechtsmissbräuchlich.

2. Nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht im Urteil oder auch in einem Gerichtsbescheid einem Beteiligten die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Missbräuchlich ist unter anderem die Weiterführung des Rechtsstreits trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

1. Die Berufungen der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. Oktober 2009 werden als unzulässig verworfen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides des Beklagten vom 29. März 2005 (= Blatt 42 der beigezogenen Leistungsakte [LA]). Mit diesem Bescheid gewährte der Beklagte den Klägern zu 1) bis 6) Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005. Die Kläger bewohnen eine Hälfte eines im Eigentum des Klägers zu 1) stehenden Doppelhauses.

2

Nachdem der Bescheid vom 29. März 2005 von den Klägern nach dessen Bekanntgabe nicht angefochten worden war, stellten die dann anwaltlich vertretenen Kläger mit Schreiben vom 3. April 2007 bei dem Beklagten einen Antrag auf "die Rücknahme aller Bescheide" für den "Zeitraum 1-6/05" (siehe Blatt 186 LA). Zur Begründung führten sie aus, Leistungen seien in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Das Antragsschreiben trägt das Aktenzeichen des Bevollmächtigten "197/07 V". Die Kläger stellten am selben Tag vier weitereÜberprüfungsanträge mit den Aktenzeichen "197/07 I" bis "197/07 IV" für die folgenden Bewilligungsabschnitte.

3

Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Juni 2007 ab (= Blatt 194 LA). In dem Betreff des Bescheides heißt es:

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"Ihr Antrag auf Rücknahme meines Bescheides vom 29.03.05"

5

In dem Bescheid gab der Beklagte das Aktenzeichen des Bevollmächtigten der Kläger "197/07 I" an. Mit Datum desselben Tages lehnte der Beklagte auch die vier übrigenÜberprüfungsanträge der Kläger jeweils unter Angabe eines konkreten Bescheides in der Betreffzeile und der Angabe desselben Aktenzeichens des Bevollmächtigten der Kläger "197/07 I" an.

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Gegen den ablehnenden Bescheid legten die Kläger am 11. Juli 2007 Widerspruch ein (= Blatt 218 LA). Der Bevollmächtigte der Kläger gab als sein Aktenzeichen "197/07 V 1-6/05" an. Zur Begründung führte er aus, Leistungen seien in gesetzlicher Höhe bezüglich der Unterkunfts-/Heizungskosten zu zahlen. Der Beklagte lehnte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18. September 2007 (= Blatt 238 LA) ab.

7

Die Kläger haben am 22. Oktober 2007 gegen den Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2007 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben. In der Klageschrift haben sie den Antrag gestellt "Unterkunfts-/Heizungskosten in gesetzlicher/angemessener Höhe zu zahlen". Zur Begründung haben die Kläger ausgeführt, die Kosten seien aufzuschlüsseln und es sei zu prüfen, ob diese aufgrund der neuen Rechtsprechung übernommen worden seien. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 7. Mai 2008 ausgeführt, bei der Berechnung der Leistungen seien die vollen nachgewiesenen Heizkosten in Höhe von 142,00 Euro berücksichtigt worden. Hinsichtlich der Unterkunftskosten seien 391,72 Euro berücksichtigt worden, obwohl die Kläger laut Aktenlage lediglich 235,49 Euro nachgewiesen hätten. Mit Verfügung vom 12. Februar 2009 (= Blatt 12 der Akte) hat das SG die Kläger aufgefordert, vor dem Hintergrund des Beklagtenvortrages darzulegen, inwieweit die Klage aufrechterhalten werden soll. Die Kläger haben daraufhin mit Schriftsatz vom 31. März 2009 (= Blatt 16 der Akte) unter der Überschrift "Teil-Klageantrag vorerst" Folgendes geschrieben:

8

"Unter Aufhebung des Ausgangsbescheides und des Widerspruchsbescheides wird die Beklagte wie folgt verurteilt an die Kläger weiterhin zu zahlen:

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I. 1. Für 1-6/05 höhere Unterkunfts-/Heizungskosten bis zu einer Höhe von vorerst EUR aufgrund der Rundungsvorschriften ALG II-Leistungen in gesetzlicher Höhe, eine um 0,06 EUR höhere Regelleistung je Kind,

10

II. 100 % der Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten

11

- nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 SGB X - nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB X

12

festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X)."

13

Mit Verfügung vom 2. April 2009 (= Blatt 17 der Akte) hat das SG die Kläger aufgefordert, nunmehr einen abschließenden Klageantrag mit nachvollziehbarer Begründung einzureichen. Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2009 (= Blatt 22 der Akte) haben die Kläger unter derÜberschrift "Klageantrag vorerst" ausgeführt:

14

"Der Widerspruchsbescheid wird aufgehoben

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hilfsweise

16

Unter Aufhebung des Ausgangsbescheides und des Widerspruchsbescheides wird die Beklagte wie folgt verurteilt an den Kläger weiterhin zu zahlen:

17

I. ALG II Leistungen in gesetzlicher Höhe von 0,01 EUR

18

II. 100 % der Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten

19

- nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 SGB X - nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB X

20

festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X)."

21

Es liege eine selbstständige Beschwer für den Hauptantrag vor, da in der Sache nicht entschieden worden sei.

22

Das SG hat die Beteiligten wegen einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 13. Juli 2009 angehört und die Auferlegung von Mutwillenskosten in Aussicht gestellt (siehe Blatt 25 der Akte). Die Kläger haben daraufhin mit Schriftsatz vom 10. August 2009 (= Blatt 33 der Akte) unter der Überschrift "Klageantrag vorerst" ausgeführt:

23

"Unter Aufhebung des Ausgangsbescheides und des Widerspruchsbescheides wird die Beklagte wie folgt verurteilt an die Kläger weiterhin zu zahlen:

24

I. bezüglich der Rundungsvorschriften Antrag vom 31.3.09 Unterkunfts- und Heizungskosten für 1-6/05 in gesetzlicher Höhe von mehr als 750

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II. 100 % der Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten

26

- nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 SGB X - nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB X

27

festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X)."

28

Mit Gerichtsbescheid vom 1. Oktober 2009 hat das SG den Klagen teilweise stattgegeben und den Beklagten zur Bewilligung weiterer Grundsicherungsleistungen für den Kläger zu 1) für den Januar 2005 in Höhe von 0,01 Euro und für die Klägerin zu 2) für den Januar 2005 in Höhe von 0,11 Euro verpflichtet und die Klagen imÜbrigen abgewiesen. Ferner hat es gegen die Kläger Kosten in Höhe von 150,00 Euro gemäß § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgesetzt.

29

In den Entscheidungsgründen hat es - unter anderem - ausgeführt, der Antrag auf Feststellung, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren notwendig war, sei bereits unzulässig, da ihm das Feststellungsinteresse fehle. Mutwillenskosten seien den Klägern gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen, da sie den Rechtsstreit fortgeführt hätten, obwohl ihnen die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt worden und sie auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden seien. Eine tragfähige, nachvollziehbare Begründung der Klage sei durch den Bevollmächtigten der Kläger, obwohl diese bereits mit Verfügung vom 12. Februar 2009 auf deren Fehlen hingewiesen worden waren, nicht erfolgt. Der Gerichtsbescheid schließt mit einer Rechtsmittelbelehrung, die auf die Möglichkeit der Anfechtung mit der Berufung hinweist.

30

Die Kläger haben gegen den ihrem Bevollmächtigten am 12. Oktober 2009 zugestellten (vgl. Empfangsbekenntnis unter Blatt 61 der Akte) Gerichtsbescheid am 28. Oktober 2009 Berufung eingelegt.

31

Nachdem mehrere Erinnerungen erfolglos geblieben waren und nach mehreren Hinweisen auf eine fehlende Statthaftigkeit der Berufung, tragen die Kläger mit Schriftsatz vom 27. August 2011 (= Blatt 84 der Akte) vor: Der Beklagte möge vortragen, wie er auf die Höhe der gewährten Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung komme. Soweit die eine Haushälfte vermietet sei, seien vom Mietzins auch die gesamten Zins- und Tilgungsbeiträge abzusetzen. Diese lägen, wie sich einer beigefügten Zins- und Tilgungsbescheinigung der R. vom 10. April 2007 entnehmen lasse, bei durchschnittlich monatlich 516,67 Euro im Jahre 2005. Hinzu kämen Nebenkosten in Höhe von monatlich 89,55 Euro und Heizungskosten in Höhe von 142,00 Euro im Monat. Die Kosten lägen demnach bei monatlich 748,22 Euro, bewilligt worden seien 533,72 Euro. Die Berufungssumme sei daher erreicht.

32

Die Kläger beantragen,

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1.) den Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. Oktober 2009 sowie den Bescheid vom 29. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2007 aufzuheben

34

2.) den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 29. März 2005 zu ändern und ihnen vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 weiteres Arbeitslosengeld II in Höhe von 748,22 Euro abzüglich der bereits bewilligten Leistungen zu gewähren.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Berufungen der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. Oktober 2009 als unzulässig zu verwerfen.

37

Der Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG sei nicht erreicht. Der zuletzt von den Klägern gestellte Antrag, Leistungen von mehr als 750,00 Euro zu zahlen, sei rechtsmissbräuchlich gestellt worden, um die Berufungsfähigkeit zu erreichen.

38

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Verfahrensakte sowie auf den Inhalt der zum vorliegenden Verfahren und zum Verfahren L 7 AS 39/10 beigezogenen Leistungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

39

Die Berufungen der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 1. Oktober 2009 können keinen Erfolg haben. Sie sind mangels Statthaftigkeit als unzulässig zu verwerfen, § 158 Satz 1 SGG.

40

1. Gegen den Gerichtsbescheid, mit dem die Begehren der Kläger teilweise abgewiesen worden sind, findet nicht das Rechtsmittel der Berufung statt.

41

a) Die Berufung ist gegen Urteile der Sozialgerichte statthaft, § 143 Halbsatz 1 SGG, soweit sich nicht aus den (weiteren) Vorschriften des Ersten Unterabschnitts zum Zweiten Abschnitt des Sozialgerichtsgesetzes etwas anderes ergibt, § 143 Halbsatz 2 SGG. Für die Statthaftigkeit der Berufung gegen einen Gerichtsbescheid gelten über § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG im Ergebnis dieselben Vorschriften. Zu den Vorschriften im Sinne von § 143 Halbsatz 2 SGG, aus denen sich etwas anderes ergibt, zählt unter anderem § 144 SGG. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Eine Ausnahme hierzu regelt § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG für die Berufungen im Sinne von Satz 1 Nr. 1, die wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betreffen. Ob eine Beschränkung der Berufung - und gegebenenfalls eine Zulassung - vorliegt, wird von Amts wegen geprüft (Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage 2008, § 144 Rz 7).

42

Leistung im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist jedes Verhalten, das für den Berufungsführer von wirtschaftlichem Wert und deshalb mit einem Geldbetrag bezifferbar ist (Peters-Sautter-Wolff, SGG, 4. Auflage, 62. Nachtrag 12/95, § 144 Rz 45). Hierunter fallen nicht nur die Leistungen bzw. deren Gewährung durch Verwaltungsakt als solche, sondern auch Streitigkeiten über die Erstattung wieder entzogener und bereits gezahlter Leistungen (Peters-Sautter-Wolff, SGG, 4. Auflage, 62. Nachtrag 12/95, § 144 Rz 68) und über Verwaltungsakte, die als Grundlage für die Entstehung eines Anspruchs dienen und daneben keine eigenständige Bedeutung haben (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.11.1996 - 1 RK 18/95 = SozR 3-1500 § 158 Nr. 1 Seite 4 = juris Rz 19; Urteil des Senats vom 15.02.2011 - L 7 AS 763/10; Beschluss des Senats vom 19.08.2011 - L 7 AS 176/11 B).

43

b) Die Statthaftigkeit der Berufung ist vorliegend in Abweichung von dem in § 143 Halbsatz 1 SGG aufgestellten Grundsatz anhand der Voraussetzungen von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zu bestimmen, weil die Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) begehren. Dies zu Grunde gelegt, findet gegen den Gerichtsbescheid vom 1. Oktober 2009 eine Berufung nicht statt, weil die Berufung - da keine Ausnahme nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG vorliegt - zulassungsbedürftig nach§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG ist, eine Zulassung durch das SG nicht vorliegt und ein Beschwerdewert von mehr als 750,00 Euro nicht erreicht wird.

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Der Beschwerdewert im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG meint den in Euro auszudrückenden Wert des von einem Berufungskläger mit der Berufung (weiter) verfolgten Begehrens (vgl. Peters-Sautter-Wolff, SGG, 4. Auflage, 75. Lfg. 9/2002, § 144 Rz 21; siehe auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage 2011, VIII Rz 14 = Seite 313). Maßgeblich sind dabei nur solche Begehren, die bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens waren und dem Berufungskläger durch das SG versagt worden sind (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage 2008, § 144 Rz 14). Das Begehren der Kläger wechselte währende des Verfahrens vor dem SG mehrfach. Der Bevollmächtigte hat insgesamt vier Schriftsätze mit Anträgen bzw. Vorbringen, welches er unter die Überschrift "Antrag" setzte, zu den Akten gereicht. Maßgeblich ist insoweit der zuletzt gestellte Antrag aus dem Schriftsatz vom 10. August 2009. Mit diesem haben die Kläger ihre Begehren abschließend formuliert und über diesen hat das SG entschieden. Danach erstreben die Kläger einerseits die Beachtung der Rundungsvorschriften, wie sich aus der Bezugnahme auf den Antrag aus dem Schriftsatz vom 31. März 2009 ergibt. Hierbei können sie - auch bezogen auf den Bewilligungszeitraum von sechs Monaten - lediglich Beträge von insgesamt wenigen Euro erreichen. Soweit die Kläger andererseits in dem Schriftsatz vom 10. August 2009 erstmals (bezifferte) Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung von mehr als 750,00 Euro im Monat begehren, ist ein solches Begehren rechtsmissbräuchlich, weil es von keinerlei nachvollziehbarer Tatsachengrundlage getragen werden kann und offensichtlich allein darauf abzielt, die Beschwerdesumme zuüberschreiten. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

45

Das SG hat in seiner Hinweisverfügung vom 12. Februar 2009 ausgeführt, dass das mit der Klageerhebung verfolgte Begehren der Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung höherer Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung - eine betragsmäßige Bezifferung lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor - vor dem Hintergrund der Ausführungen in der Klageerwiderung nicht nachvollzogen werden könne. Daraufhin haben die Kläger ihr Vorbringen nicht etwa weiter erläutert, sondern einen unvollständigen Antrag gestellt, in dem ein Betrag, der an Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung gewährt werden solle, ausgelassen worden ist. Ein solcher Antrag entspricht nicht den Sorgfaltspflichten eines standesgemäß arbeitenden Rechtsanwalts. Er erlaubt aber den Schluss, dass selbst für die Kläger nicht zu erkennen war, inwieweit die Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II für die Monate im ersten Halbjahr 2005 zu niedrig gewesen sein sollen. Eine solche Folgerung wird insbesondere auch durch das Vorbringen in der Klageerwiderung gestützt. Dort hatte der Beklagte nachvollziehbar aufgeschlüsselt, welche Kosten die Kläger zu 1) bis 6) in ihrem Antrag auf Leistungsgewährung angegeben hatten und welche Leistungen er ihnen darauf gewährt habe. Das Zahlenwerk ergab zweifelsfrei eine zu hohe Leistungsgewährung. Auch der weitere (dritte) Antrag im Schriftsatz vom 15. Juni 2009 - auf die Verfügung des SG vom 2. April 2009 nunmehr einen vollständigen Antrag zu stellen - hatte keinen sachlichen Hintergrund, sondern konnte einzig den Kosteninteressen des Bevollmächtigten dienen. Es ist nichts dafür zu erkennen, dass es recht- oder auch nur zweckmäßig sein könnte, in der vorliegenden Fallkonstellation isoliert den Widerspruchsbescheid anzufechten und hilfsweise die Verpflichtung zur Gewährung weiterer Leistungen in Höhe von 0,01 Euro zu begehren. Eine Aufhebung des Widerspruchsbescheides hätte die Kläger einem wie auch immer gearteten Sachziel nicht näher gebracht, sondern einzig weitere Verfahren und damit Kosten verursachen können, die dem Bevollmächtigten zugute kommen sollten.

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Vollends beliebig wird das Klageinteresse der Kläger mit dem im Schriftsatz vom 10. August 2009 gestellten (vierten) Antrag. Sie führen nicht aus, auf welcher Tatsachengrundlage sie nunmehr Leistungen von mehr als 750,00 Euro begehren. Solche Tatsachen gibt es auch gar nicht, vielmehr war nach der Überzeugung des Senats allein das Schreiben des SG vom 13. Juli 2009 ursächlich für die Höhe des Betrages. Mit dem genannten Schreiben waren die Kläger zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Damit drohte aus Sicht des Bevollmächtigten der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens, denn bis zum Eingang des Schriftsatzes vom 10. August 2009 deutete - wie oben ausgeführt - nichts darauf hin, dass die Klagen vor dem Landessozialgericht im Wege der Berufung hätten fortgeführt werden können. Das Erreichen des Beschwerdewerts ist aber kein anerkennenswerter Grund für das Verfolgen eines Klagebegehrens (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.12.2009 - L 9 AS 894/09).

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Die Kläger konnten auch im Berufungsverfahren nicht plausibel darlegen, warum vorliegend Leistungen in der begehrten Höhe im Raum stehen sollten. Erst mit Schriftsatz vom 27. August 2011 - als die Sache bereits terminiert war und aufgrund der erteilten Hinweise eine Verwerfung der Berufungen als unzulässig in greifbare Nähe gerückt war -übersandten die Kläger Zahlenmaterial. Diese Zahlen stehen aber objektiv betrachtet in keinem Zusammenhang mit den Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung, der Schlüsse auf zu bewilligende Leistungen von monatlich mehr als 750,00 Euro zulässt. Dieübersandten Zahlen betreffen nämlich Zahlungsflüsse an die Bank, die auch die nicht von den Klägern bewohnte Hälfte des im Eigentum des Klägers zu 1) stehenden Doppelhauses betreffen. Eine Einbeziehung dieses Aufwands in das Begehren ist offensichtlich abwegig und dient wiederum nur dem Erreichen des Beschwerdewerts.

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2. Die Berufung ist auch nicht mit Blick auf die unter Ziffer II. im Schriftsatz vom 10. August 2009 gestellten "Anträge" statthaft. Wenn die Kläger dort Kostenerstattung für das Vorverfahren und Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts begehren, stellen sie damit - anders als vom SG angenommen - keinen Sachantrag. Vernünftigerweise begehrt ein Rechtsschutzsuchender eine gerichtliche Entscheidung, aus der sich ergibt, dass der Beklagte die Kosten des Verfahrens trägt. Nur mit einer solchen Kostengrundentscheidung kann er gegebenenfalls die Kostenfestsetzung nach § 197 SGG betreiben. Denkbar ist eine zweite sinnvolle Variante, wenn nicht die Kosten des laufenden Verfahrens, sondern Kosten eines anderen, bereits anderweitig vor Klageerhebung abgeschlossenen Verfahrens gemeint sind (so genannte isolierte Kostenentscheidung). Ein solcher Fall liegt hier allerdings ersichtlich nicht vor. Die Kläger haben mit ihren Klagen die Sachentscheidung des Beklagten angefochten und damit hat das SG von Amts wegen auch über die Kosten des Widerspruchsverfahrens im Rahmen seiner Kostenentscheidung für das Verfahren nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG (mit) zu entscheiden; die Frage nach der Notwendigkeit der Heranziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren ist in Sozialrechtsstreitigkeiten ohnehin im Zusammenhang mit der Kostenfestsetzung nach § 197 SGG zu beantworten (Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage 2008, § 193 Rz 5b). Wenn viele Rechtsanwälte dessen ungeachtet entsprechende Entscheidungen des Gerichts beantragen, stellen sie damit in den Verfahren nach § 183 SGG vernünftigerweise keine Anträge in der Sache, sondern geben Anregungen, worauf das Gericht bei der Kostenentscheidung zu achten hat. Rechtsanwälte, die auch oder ansonsten vor dem Verwaltungsgericht auftreten, pflegen zudem häufig wegen § 162 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine von den Anforderungen des Sozialgerichtsgesetzes abweichende Übung. Auch im Verwaltungsprozess gehört die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Hinzuziehung materiell zur Kostenfestsetzung; sie erfolgt dort allerdings nicht im Kostenfestsetzungsverfahren, sondern ist - abweichend von § 164 VwGO - dem Gericht übertragen. Anders als im sozialgerichtlichen Verfahren erfolgt eine Entscheidung insoweit nur auf Antrag und nicht von Amts wegen (Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 162 Rz 114; Olbertz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 162 - Stand EL 12 Oktober 2005 - Rz 83).

49

3. Die Berufung ist schließlich auch nicht deshalb statthaft, weil das SG seine Entscheidung mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen hat. Eine unrichtige Belehrung kann einen nach dem Gesetz nicht gegebenen Rechtsbehelf nicht eröffnen, insbesondere kann darin keine Zulassung der Berufung gesehen werden (Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage 2008, § 144 Rz 45).

50

4. Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG. Da die Kläger mit ihren Begehren unterliegen, findet eine Kostenerstattung nicht statt.

51

Der Senat hatte im Rahmen der von ihm zu treffenden Kostenentscheidung auch über die von dem SG nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG auferlegten Kosten in Höhe von 150,00 Euro zu entscheiden (Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2008, § 192 Rz 13). Nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht im Urteil (oder auch in einem Gerichtsbescheid, siehe Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage 2008, § 192 Rz 19) einem Beteiligten die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG für die jeweilige Instanz (das sind vorliegend 150,00 Euro). Missbräuchlich ist unter anderem die Weiterführung des Rechtsstreits trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 08.12.2010 - L 14 U 118/08; Groß in Lüdtke, SGG, 3. Auflage 2009, § 192 Rz 10; Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage 2008, § 192 Rz 9). Dies ist nach der gegebenen Sach- und Rechtslage der Fall, weil die Kläger trotz eindeutigen Beklagtenvortrags und ungeachtet eines ausdrücklichen Hinweises des SG nicht dargelegt haben, warum sie Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung begehren, die die tatsächlichen Aufwendungen übersteigen. Die zuletzt, kurz vor der Entscheidung des SG, in den Raum geworfene Zahl ist, wie gezeigt, aus der Luft gegriffen und nimmt der Prozessführung nicht die Missbräuchlichkeit. Eine eventuelle Falschberatung durch den Bevollmächtigten oder dessen Uneinsichtigkeit ist den Klägern nach § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG zuzurechnen.

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5. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.