Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 31.10.2011, Az.: L 11 AS 935/11 B ER

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
31.10.2011
Aktenzeichen
L 11 AS 935/11 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 35946
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:1031.L11AS935.11B.ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 07.09.2011 - AZ: S 47 AS 3411/11 ER

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 07. September 2011 wird zurückgewiesen.

Eine Kostenerstattung im Beschwerdeverfahren findet nicht statt.

Gründe

1

I. Der Antragsteller begehrt eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung eines Regelbedarfs nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - SGB II - in Höhe von 600,00 EUR monatlich zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung.

2

Er ist der Auffassung, dass die Neuberechnung der Regelbedarfe weder transparent noch armutsfest erfolgt sei. Auch sei der Inflationsausgleich unberücksichtigt geblieben. Der Antragsteller hat am 2. August 2011 beim Sozialgericht (SG) Hannover einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und gleichzeitig (Hauptsache-)Klage gegen Bescheide der Beklagten vom 26.03. und vom 22.06.2011 in Gestalt von zwei Widerspruchsbescheiden vom 04.07.2011 erhoben. Diese betreffen die Leistungszeiträume vom 01.01. bis zum 30.06. und vom 01.07. bis zum 31.12.2011. Der bewilligte Regelsatz beläuft sich auf 364,00 EUR. Dazu sind Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 236,99 EUR gewährt worden. Über die Klage ist - soweit ersichtlich - eine Entscheidung noch nicht ergangen.

3

Den Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtschutzes hat das SG Hannover durch Beschluss vom 07.09.2011 abgelehnt. Es bestehe kein für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlicher Anordnungsanspruch. Da das Bundesverfassungsgericht in der maßgeblichen Entscheidung vom 09.02.2010 nicht festgestellt habe, dass die Regelsätze nach der alten Rechtslage evident unzureichend seien, könne dies nunmehr erst recht nicht für die nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz erhöhten Regelsätze gelten. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber weitere flankierende Ansprüche zur Deckung besonderer Bedarfslagen geschaffen. Auch könne unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht von der erforderlichen Eilbedürftigkeit ausgegangen werden.

4

Der Antragsteller hat gegen den ihm am 13.09.2011 zugestellten Beschluss am 29.09.2011 Beschwerde erhoben. Zur Begründung macht er geltend, dass hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelbedarfe eine Sprungrevision beim Bundessozialgericht anhängig sei. Insbesondere treffe die Mehrwertsteuererhöhung die Sozialhilfeempfänger besonders hart. Im Übrigen seien die Gerichte von Haus aus verpflichtet, zu ermitteln und die Tragweite der mangelhaften Bestimmung der Höhe des Regelsatzes selbst herauszufinden.

5

Der Antragsgegner hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

6

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die von dem Antragsgegner als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

7

II. Die auf Gewährung von zusätzlichen Leistungen i.H.v. 236,00 Euro pro Monat (für den Bewilligungszeitraum von Januar bis Dezember 2011) gerichtete Beschwerde ist nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zulässig, jedoch unbegründet. Dem Antragsteller ist kein vorläufiger gerichtlicher Rechtschutz in Form einer Regelungsanordnung nach Maßgabe des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zu gewähren. Nach der genannten Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie des Anordnungsgrunds - die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung - ZPO -). Dies zu Grunde gelegt, hat der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht.

8

Voraussetzung dafür wäre, dass der Antragsteller dargelegt hätte, dass der nach Maßgabe des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl I, S. 453) für ihn nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - SGB II - zu Grunde zu legende Regelbedarf in Höhe von 364,00 EUR monatlich zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) unzureichend wäre. Insoweit hat jedoch bereits das Bundesverfassungsgericht in dem hier maßgebenden Urteil zur Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung vom 09.09.2010 (1 BVL 1/09 u.a.) festgestellt, dass bereits der von ihm überprüfte Regelsatz in Höhe von 345,00 EUR nach alter Rechtslage nicht evident unzureichend ist (vgl. BVerfG aaO., Rdnr. 151ff.). Es hat sich deshalb maßgeblich und im Hinblick auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum nicht für befugt erachtet, die von ihm überprüften Vorschriften über die Höhe der Regelleistung (vgl. § 20 Abs. 2, 1. HS, Abs. 3 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, 1. Alt SGB II a.F.) für nichtig zu erklären (vgl. § 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG -), sondern lediglich eine Unvereinbarkeitserklärung ausgesprochen (vgl. § 82 Abs. 1 i.V.m. § 79 Abs. 1, 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Ebenso wenig hat es sich deshalb für befugt gehalten, aufgrund eigener Einschätzungen und Wertungen gestaltend selbst einen bestimmten Leistungsbetrag festzusetzen (vgl. BVerfG, aaO., Rdnr. 210 ff.). Vor diesem Hintergrund legt der unspezifische und pauschale Vortrag des Antragstellers nicht nahe, dass der nach der neuen Rechtslage für ihn geltende Regelbedarf für Alleinstehende evident unzureichend zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist. Konkrete Tatsachen in diesem Sinne ergeben sich nicht aus seinem Vorbringen, die Neuberechnung der Regelbedarfe sei weder transparent noch armutsfest erfolgt und der Inflationsausgleich und die Mehrwertsteuererhöhung seien unberücksichtigt geblieben.

9

Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass die Neuregelung der Regelbedarfe bereits durch einzelne obergerichtliche Entscheidungen für verfassungskonform erachtet worden ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.06.2011 - L 12 AS 1077/11; LSG Bayern, Beschluss vom 10.08.2011 - L 16 AS 305/11 -; vgl. dagegen zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Neuregelung etwa: Münder, Verfassungsrechtliche Bewertung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und XII, Soziale Sicherheit, Sonderheft September 2011, S. 65 ff. - unter Bezugnahme auf: Becker, Bewertung der Neuregelung des SGB II, aaO., S. 9 ff.). Vor diesem Hintergrund ist der pauschale Vortrag des Antragstellers nicht geeignet, glaubhaft zu machen, dass der Regelsatz evident unzureichend ist (vgl. erneut zur Notwendigkeit der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs: § 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

10

Da somit im Ergebnis nicht begründbar ist, dass der für den Antragsteller maßgebliche Regelsatz evident unzureichend ist, konnte der angerufene Senat auch nicht zu der Überzeugung gelangen, dass der Antragsteller Anspruch auf vorläufige Gewährung höherer Leistungen hat.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

12

Dieser Beschluss ist nach Maßgabe des § 177 SGG unanfechtbar.