Landgericht Hildesheim
Urt. v. 23.05.2007, Az.: 2 O 159/06
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 23.05.2007
- Aktenzeichen
- 2 O 159/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 71764
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BGH - 26.01.2010 - AZ: VI ZR 72/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Einnahme des Präparates VIOXX in Anspruch.
Die Klägerin wurde in der Zeit vom 14.10.2002 bis 07.07.2004 mit dem von der Beklagten vertriebenen Präparat VIOXX 25 mg Tabletten behandelt. Am 07.07.2004 erlitt sie einen akuten Herzinfarkt. Die Einnahme des Medikamentes VIOXX erfolgte bei der Klägerin aufgrund bestehender rheumatischer Erkrankungen. Die Klägerin war im Juli 2004 63 Jahre alt und wies bei einer Körpergröße von 154 cm ein Gewicht von 84 kg auf. Von 2001 bis Anfang 2003 nahm sie cholesterinsenkende Medikamente ein. Zumindest in der Zeit von August 1995 bis September 1999 litt sie außerdem unter Depressionen. Seit dem Herzinfarkt leidet die Klägerin unter einer Panikstörung bei rezividierenden depressiven Episoden. Sie befindet sich deshalb in psychologischer Behandlung.
Die Klägerin behauptet, die Einnahme des Medikamentes VIOXX erhöhe das Herzinfarktrisiko. Bei ihr hätten keinerlei Risikofaktoren für einen Herzinfarkt bestanden. Auch habe sie die Dosierung von täglich 25 mg VIOXX beachtet. Die Klägerin behauptet außerdem, in der Zeit, zu der sie das Medikament eingenommen habe, sei in der Gebrauchsinformation nicht auf eine erhöhte Herzinfarktgefahr hingewiesen worden. Die mit der Einnahme von VIOXX verbundenen Risiken würden das medizinisch vertretbare Maß übersteigen. Die Klägerin meint, wegen der Folgen des Herzinfarktes sei ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 40.000,00 € angemessen und erforderlich. Außerdem behauptet sie, ihr sei ein monatlicher Haushaltsführungsschaden wegen eingegrenzter Belastbarkeit in Höhe von 257,14 € entstanden, mithin für die Zeit von Juli 2004 bis März 2006 in Höhe von insgesamt 5.399,94 €. Außerdem habe sie Zuzahlungen für Medikamente in Höhe von insgesamt 168,68 € leisten müssen. Ihrem Ehemann seien für Krankenhausbesuche Fahrtkosten in Höhe von 397,30 € entstanden.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2005 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 5.966,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren materiellen Schäden, die ihr ab April 2006 aus der Einnahme des Arzneimittels VIOXX (Refecoxib) entstehen, zu ersetzen, soweit Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, der von der Klägerin erlittene Herzinfarkt sei nicht durch die Einnahme des Medikamentes VIOXX verursacht worden. Vielmehr hätten bei der Klägerin andere Risikofaktoren vorgelegen, die zu dem Herzinfarkt geführt hätten. So habe sie bereits seit Januar 1995 an pectanginösen Beschwerden gelitten. Außerdem seien ihr Blutdruck und ihre Cholesterinwerten erhöht gewesen. Seit 1990 leide die Klägerin unter schweren Depressionen. Darüber hinaus sei sie übergewichtig und altersgemäß für einen Herzinfarkt gefährdet. Die Beklagte meint, die Klägerin habe nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass sie das Medikament VIOXX richtig eingenommen habe.
Entscheidungsgründe
I.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Schadensersatz bzw Schmerzensgeld aus §§ 84 Abs. 1, 87 Satz 2 Arzneimittelgesetz - AMG - zu. Sie hat einen solchen Anspruch nicht substantiiert dargelegt.
Ein derartiger Ersatzanspruch scheidet bereits deshalb aus, weil die Klägerin nicht hinreichend substantiiert hat, dass sie das Medikament VIOXX bestimmungsgemäß eingenommen hat. Hierauf ist sie bereits mit gerichtlicher Verfügung vom 17.10.2006 (Bl. 210 d. A.) ausdrücklich hingewiesen worden. Ein ausreichender weiterer Sachvortrag ist nicht erfolgt.
Zwar dürfen nach der Rechtssprechung des BGH (Urteil vom 19.03.1991, VersR 1991, 780 f.) grundsätzlich an die Substantiierungslast des Anspruchsstellers keine überhöhten Anforderungen gestellt werden, um insbesondere ein weitgehendes Leerlaufen der Vorschriften über die Haftung für Arzneimittelschäden zu vermeiden. Auch bei Anwendung dieser Grundsätze genügt der bisherige Klägervortrag jedoch nicht, um eine bestimmungsgemäße Einnahme der Tablette VIOXX konkret darzulegen. Eine Vernehmung des insoweit benannten Ehemannes der Klägerin würde deshalb einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen. Der Vortrag der Klägerin beschränkt sich im Wesentlichen darauf, mitzuteilen, dass sie das Medikament VIOXX in der Zeit vom 14.10.2002 bis 07.07.2004 täglich in einer Dosierung von 25 mg eingenommen habe. Insoweit fehlen jegliche Angaben dazu, wie die Einnahme erfolgte, insbesondere ob beispielsweise die Einnahme mit ausreichend Flüssigkeit vorgenommen wurde, wie es in der von der Klägerin mit der Klageschrift zur Akte gereichten Gebrauchsinformation ( Bl. 14 ff d. A. ) ausdrücklich vorgegeben wird. Auch wenn danach die Tablette unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden darf, hätte die Klägerin weiterhin dazu vortragen müssen, ob das Medikament vor oder nach einer Mahlzeit und zu welcher Tageszeit eingenommen wurde. Darüber hinaus fehlt jeglicher Sachvortrag dazu, ob die Einnahme des Medikaments mit der Einnahme weiterer Arzneimittel zeitgleich erfolgte. Da laut des von der Klägerin mit der Klagschrift eingereichten Patientenfragebogens (Bl. 32 ff. d. A.) die Klägerin nach eigenen Angaben während der Zeit der VIOXX-Einnahme auch weitere Arzneimittel zu sich genommen hat, hätte Veranlassung für die Klägerin bestanden, insoweit konkret vorzutragen. Aus der von der Klägerin zur Akte gereichten Patientenlaufkarte (Bl. 27 - 31 d. A.) für den Zeitraum 14.10.2002 bis 07.04.2005 ergibt sich zwar, dass in dieser Zeit der Klägerin regelmäßig das Medikament VIOXX 25 mg á 30 Stück verschrieben worden ist. Dies genügt jedoch schon deshalb nicht, um nachzuweisen, dass täglich lediglich eine Tablette von der Klägerin eingenommen worden ist, da die Verschreibung teilweise - wie beispielsweise im Januar 2003 (Bl. 27 d. A.) - mehrmals im Monat erfolgte. Im Übrigen trifft eine solche Aufstellung keine Feststellungen dazu, dass das Medikament ausschließlich von der Klägerin eingenommen worden ist.
Ein Anspruch der Klägerin aus §§ 84, 87 AMG setzt im übrigen voraus, dass der von ihr erlittene Herzinfarkt durch die Anwendung des Medikaments VIOXX tatsächlich verursacht worden ist. Die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG findet nur dann zu Gunsten der Klägerin Anwendung, wenn sie darlegt und beweist, dass das Medikament nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet war, den Herzinfarkt zu verursachen. Die Eignung im Einzelfall beurteilt sich dabei nach den in § 84 Abs. 2 Satz 2 AMG beispielhaft genannten Faktoren. Auch diese einzelfallbezogenen Umstände hat die Klägerin darzulegen und zu beweisen. Sie hat alle in ihrer Sphäre liegenden anspruchsrelevanten Umstände im Zusammenhang mit der Arzneimittelanwendung und dem Schadensfall vorzutragen (vgl. hierzu Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 10.08.2006, Az.: 2 O 399/05 (Anlage B 21)). Die Klägerin müßte damit im Ergebnis konkret darlegen und beweisen, dass allein die Einnahme des Medikamentes VIOXX zumindest mitursächlich für den von ihr unstreitig erlittenen Herzinfarkt am 07.07.2004 geworden ist. Diesen Anforderungen wird der Klägervortrag nicht gerecht.
Insoweit findet die Vermutung des § 84 Abs. 2 Satz 1 gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 keine Anwendung, da hier ein anderer Umstand geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Insoweit hat die Beklagte anhand der von der Klägerin vorgelegten Krankenunterlagen substantiiert dargelegt, dass die Klägerin in der Zeit der VIOXX-Einnahme unter erhöhten Cholesterinwerten gelitten hat. Diesen Behauptungen ist die Klägerin nicht mit hinreichender Substanz entgegen getreten. Sie beschränkt sich im Wesentlichen darauf, mitzuteilen, dass sie in der Zeit von 2001 bis Anfang 2003 cholesterinsenkende Medikamente eingenommen hat. Bereits diese Behauptung spricht dafür, dass ihre Cholesterinwerte zumindest in dieser Einnahmezeit, in der sie teilweise auch VIOXX zu sich genommen hat, tatsächlich problematisch gewesen sind. Darüber hinaus wog die Klägerin im Zeitpunkt des Herzinfarktes bei einer Größe von 154 cm 84 Kilogramm. Es ist gerichtsbekannt, dass es sich bei diesem Gewicht um Übergewicht handelt, welches grundsätzlich das Herzinfarktrisiko erhöht. Dem diesbezüglichen Vortrag der Beklagten ist die Klägerin nicht mit hinreichender Substanz entgegengetreten. Insoweit genügt die bloße Behauptung unter Beweisantritt „Sachverständigengutachten“ nicht, dass dieses Übergewicht kein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt darstelle. Hinzukommt, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Herzinfarktes bereits 63 Jahre alt war. Damit liegen hier bereits unstreitig andere Umstände vor, die geeignet sind, den Herzinfarkt verursacht zu haben, so dass die Vermutungswirkung des § 84 Abs. 2 AMG nicht zu Gunsten der Klägerin eingreift.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass sich eine Haftung der Beklagten auch nicht aus § 84 Abs. 1 Ziffer 2 AMG ergibt. Danach besteht eine Ersatzpflicht, wenn der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation und Gebrauchsinformation eingetreten ist. Insoweit bestreitet die Klägerin nicht, dass auf das Risiko eines erhöhten Herzinfarktes jedenfalls in den damaligen Fachinformationen zu VIOXX hingewiesen worden ist. Hinsichtlich der dem Medikament jeweils beigefügten Gebrauchsinformation hat die Klägerin bereits nicht substantiiert dargelegt, dass sie einen Hinweis auf ein erhöhtes Herzinfarktrisiko im Zeitpunkt ihrer VIOXX-Einnahme, d. h. in der Zeit vom 14.10.2002 bis 07.07.2004, nicht enthalten hat. Die von der Klägerin mit der Klagschrift zur Akte gereichte Gebrauchsinformation enthält jedenfalls einen ausdrücklichen Hinweis auf ein Herzinfarktrisiko (vgl. Bl. 17 d. A.). Die Klägerin hätte etwa durch Vorlage einer aus dem fraglichen Zeitraum stammenden Gebrauchsinformation ggfs. darlegen und beweisen müssen, dass dieser Hinweis zum damaligen Zeitpunkt nicht in dem Beipack enthalten war.
Weitere Anspruchsgrundlagen für einen Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzanspruch sind nicht ersichtlich. Ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 253 BGB scheidet bereits deshalb aus, weil die Klägerin nicht substantiiert dargelegt hat, dass die Beklagte gegebenenfalls schuldhaft gehandelt hat, indem sie das Medikament VIOXX auf den Markt gebracht und bis September 2004 nicht vom Markt genommen hat.
Aus den vorstehenden Erwägungen ist der Feststellungsantrag ebenfalls unbegründet.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeitsentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.