Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 02.09.2004, Az.: 6 A 387/02
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung einer Klage gegen eine Gewerbeuntersagungsverfügung; Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit; Begriff der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit; Gewerbeuntersagung wegen andauernder wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit; Unzuverlässigkeit auf Grund von Steuerrückständen und Abgabenrückständen; Schutzzweck des § 35 GewO (Gewerbeordnung)
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 02.09.2004
- Aktenzeichen
- 6 A 387/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 24121
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2004:0902.6A387.02.0A
Rechtsgrundlage
- § 35 Abs. 1 S. 1 GewO
Verfahrensgegenstand
Gewerbeuntersagung
Prozessführer
Frau A.
Prozessgegner
Landkreis Cuxhaven,
vertreten durch den Landrat, Vincent-Lübeck-Straße 2, 27474 Cuxhaven
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Gärtner,
den Richter am Verwaltungsgericht Wermes,
die Richterin Reccius sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau D. und Herr E.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Gewerbeuntersagung.
Seit dem 1. Februar 1995 betreibt die Klägerin einen Fußpflegebetrieb, den sie bei der Samtgemeinde Am F. anmeldete.
Nachdem gegenüber dem Ehemann der Klägerin Herrn Thomas Rother eine Gewerbeuntersagungsverfügung wegen Abgabenrückständen in Höhe von 111.480,26 DM ergangen war, meldete die Klägerin - gelernte Friseurin - am 17. April 2000 das Gewerbe Herstellung, Handel, Bau von Holzhäusern sowie Verlegung von Bewehrungstechnik bei der Samtgemeinde Am F. an. Ab dem 1. August 2000 meldete die Klägerin ihren Ehemann als Arbeitnehmer in ihrem Betrieb bei der AOK.
Auf Anfrage des Beklagten teilte die AOK unter dem 28. Dezember 2000 mit, dass die Klägerin Beiträge in Höhe von 16.146,98 DM schulde. Bei der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes bestanden - bezogen auf den September 2000 - Beitragsrückstände in Höhe von 20.230,29 DM.
Die Handwerkskammer Lüneburg - Stade wies in ihrem Schreiben vom 05. Januar 2001 darauf hin, dass das Errichten industriell vorgefertigter Blockhäuser als wesentliche und damit eintragungspflichtige Teiltätigkeit des Zimmererhandwerks anzusehen sei. Eine Handwerksrolleneintragung bestehe für die Klägerin nicht.
Das Finanzamt G. erklärte unter dem 9. Januar 2001, die Klägerin habe keine Steuerrückstände, die laufenden Abgaben würden durch Einzug bezahlt.
Mit Schreiben vom 24. Januar 2001 hörte der Beklagte die Klägerin zum Verdacht der unberechtigten selbstständigen Handwerksausübung sowie zum Verdacht der Schwarzarbeit an.
Unter dem 23. April 2001 teilte die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes dem Beklagten mit, der Beitragsrückstand der Klägerin habe sich auf 27.146,71 DM erhöht. Das Finanzamt meldete dem Beklagten am 4. Mai 2001 einen Abgabenrückstand der Klägerin in Höhe von 26.376,56 DM. Dieser Abgabenrückstand beruhe nicht auf Schätzungen, sondern es handele sich um gemeldete Beträge.
Am 27. Juni 2001 bat der Beklagte die Samtgemeinde Am F. um Auskunft, welches Gewerbe die Klägerin gem. § 14 GewO angemeldet habe.
Mit Schreiben vom gleichen Tag gab der Beklagte der Klägerin Gelegenheit, zur beabsichtigten Gewerbeuntersagung Stellung zu nehmen.
Am 2. Juli 2001 übersandte die Gemeinde H. eine Auskunft aus der Gewerbedatei, wonach die Klägerin allein das Gewerbe Herstellung, Handel, Bau von Holzhäusern, Verlegung von Bewehrungstechnik angemeldet hat.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2001 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie sei mit der Gewerbeuntersagung nicht einverstanden. Das Gewerbe Herstellung und Handel mit Holzhäusern werde nachweislich nicht mehr ausgeübt. Wenn es gewünscht werde, werde es in den nächsten Tagen abgemeldet. Die beim Finanzamt bestehenden Rückstände seien durch eine Grundbucheintragung erst mal abgesichert. Die Rückstände bei der Zusatzversorgungskasse betrügen 12.000,00 DM und nicht 27.146,71 DM. Die Rückstände bei der AOK würden seit dem 01. April 2001 mit 1.000,00 DM getilgt.
Auf Nachfrage des Beklagten erklärte die AOK, die Klägerin halte die getroffene Zahlungsvereinbarung nicht ein. Die Rückstände hätte sich auf 20.000,00 DM erhöht. Bei der Zusatzversorgungsklasse belief sich der Beitragsrückstand im Juli 2001 auf 13.244,70 DM.
Die IHK Stade erklärte unter dem 21. Juli 2001, dass von Seiten der IHK keine Bedenken gegen die Untersagung der selbstständigen Gewerbeausübung bestünden.
Mit Bescheid vom 26. Juli 2001 untersagte der Beklagte der Klägerin unter Androhung eines Zwangsgeldes die selbstständige Ausübung des Gewerbes Handel und Bau von Holzhäusern, Verlegung von Bewehrungstechnik und erstreckte die Gewerbeuntersagung auf alle Gewerbe, die dem Anwendungsbereich des § 35 GewO unterliegen. Die Klägerin sei gewerberechtlich unzuverlässig. Sie biete nicht die Gewähr dafür, dass das Gewerbe künftig ordnungsgemäß betrieben werde. Nicht ordnungsgemäß sei die Gewerbeausübung, wenn der Gewerbetreibende nicht willens oder nicht in der Lage sei, die im öffentlichen Interesse zu fordernde einwandfreie Führung des Gewerbes zu Gewähr leisten. Das sei dann der Fall, wenn der Gewerbetreibende die öffentlich - rechtlich begründeten Verbindlichkeiten nicht erfülle. Die Steuerrückstände von gegenüber dem Finanzamt G. in Höhe von 26.376,56 DM und die Beitragsrückstände bei der AOK in Höhe von 16.146,98 DM und bei der Zusatzversorgungskasse in Höhe von 14.244,70 DM begründeten die Annahme der Unzuverlässigkeit der Klägerin.
Für ihre Unzuverlässigkeit spreche ferner, dass sie einer gewerberechtlich unzuverlässigen Person - ihrem Ehemann die Möglichkeit verschafft habe, weiterhin tatsächlich verantwortlich maßgeblichen Einfluss auf einen Gewerbebetrieb zu nehmen. Durch das Verhalten der Klägerin werde der Verdacht begründet, dass sie nach außen ihren Namen als Träger des Gewerbebetriebs in Erscheinung treten lasse, jedoch in Wahrheit ihren Namen nur für einen anderen Gewerbetreibenden hergebe, um diesem in Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse die Gewerbeausübung weiter zu ermöglichen.
Von der Klägerin seien keine Konsequenzen gezogen worden, indem sie ihre gewerbliche Tätigkeit ernsthaft und auf Dauer eingestellt habe.
Gegen diese Gewerbeuntersagung legte die Klägerin am 17. August 2001 Widerspruch ein, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass sie das Gewerbe Handel und Bau von Holzhäusern nicht mehr ausübe. Allein die Verlegung von Bewehrungstechnik werde von ihr noch ausgeübt. Ein sog. "Strohmannverhältnis" liege nicht vor, da sie nicht nur ihren Namen für das Gewerbe hergebe, sondern sich tatsächlich um das Geschäft kümmere. Sie sei wirtschaftlich leistungsfähig. Die aufgelaufenen Steuer- und Beitragsrückstände zahle sie nach Einigung mit dem Finanzamt, der AOK und der Zusatzversorgungskasse in Raten ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04. Februar 2002 wies die Bezirksregierung Lüneburg den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, die Abgabenrückstände gegenüber dem Finanzamt hätten sich am 22. Oktober 2001 auf 31.488,14 DM und am 23. Januar 2002 auf 22.764,32 EUR belaufen. Zahlungen würden nicht geleistet; eine Ratenzahlungsvereinbarung liege nicht vor. Im März 2001 habe die Klägerin zwar einen Antrag auf Ratenzahlung gestellt, diese Ratenzahlung jedoch nicht eingehalten. Die steuerlichen Erklärungspflichten seien nur unvollständig erfüllt worden. Bei der Berufsgenossenschaft sei zum 25. Oktober 2001 ein Rückstand in Höhe von 31.360,65 DM zu verzeichnen gewesen, der sich bis zum 24. Januar 2002 geringfügig auf 15.300,12 EUR verringert habe. Der Beitragsrückstand bei der AOK am 25. Oktober 2001 in Höhe von 23.418,,000,00 DM habe sich bis zum 23. Januar 2002 leicht auf 10.953,02 EUR reduziert. Bei der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes bestehe weiterhin ein Rückstand von 13.415,09 DM. Unterstrichen werde die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit der Klägerin durch drei Haftanordnungen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.
Sie habe ihrem Ehemann als unzuverlässigem Dritten einen maßgeblichen Einfluss auf ihren Gewerbebetrieb eingeräumt und sich dadurch selbst als unzuverlässig erwiesen. Die Klägerin sei nicht in der Lage sämtliche Verbindlichkeiten abzubauen. Die gesamten Verbindlichkeiten seien inzwischen auf 55.876,49 EUR angewachsen.
Die Klägerin arbeite nicht nach einem mit ihren Gläubigern abgestimmten sinnvollen und Erfolg versprechenden Sanierungskonzept. Ihr Gesamtverhalten lasse nur den Schluss zu, dass sie auch zukünftig nicht die Gewähr dafür biete, die Gewerbe "Handel und Bau von Holzhäusern, Verlegung von Bewehrungstechnik" und andere Gewerbe ordnungsgemäß zu betreiben.
Dagegen hat die Klägerin mit einem am 1. März 2002 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben.
Die Staatsanwaltschaft Stade eröffnete unter dem 25. April 2002 ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin und ihren Ehemann wegen des Verdachts des Betruges, des Vorenthaltens und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, der Steuerhinterziehung und der Beihilfe zum Betrug (141 Js 10274/02).
Am 12. Dezember 2002 eröffnete das Amtsgericht G. das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin.
Auf ein Schreiben ihres Insolvenzverwalters vom 6. Juni 2003 wurde das Gewerbe Fußpflege der Klägerin zum 31. Dezember 2002 bei der Samtgemeinde Am F. abgemeldet.
Unter dem 18. November 2003 stellte die Staatsanwaltschaft Stade das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin ein und erhob Anklage gegen ihren Ehemann vor dem Landgericht Stade.
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, dass sie rein rechtlich gesehen für die Abgaben- und Steuerrückstände einstehen müsse, da sie das Gewerbe angemeldet habe. Verantwortlich für die Rückstände sei jedoch ihr Ehemann, dem sie blind vertraut habe und ihm die Betriebsführung zum größten Teil überlassen habe. Sie sei mangels Sachkunde nicht in der Lage gewesen, das Gewerbe selbst ausreichend zu kontrollieren. Auf Grund der Insolvenz des Betriebes und des Umstands, dass sie sich von ihrem Ehemann getrennt habe, sei aber zukünftig ein solches Fehlverhalten nicht mehr zu erwarten. Die erweiterte Gewerbeuntersagung sei rechtswidrig, denn sie sei nicht für alle Gewerbe gewerberechtlich unzuverlässig. Seit nunmehr 9 Jahren übe sie das Gewerbe Fußpflege ordnungsgemäß aus, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei. In der Fußpflege verfüge sie über große Sachkunde und in diesem Gewerbe sei auch ihr Ehemann nicht beschäftigt, sodass zu erwarten sei, dass sie auch zukünftig ihr Gewerbe der Fußpflege weiter ordnungsgemäß führen werde.
Der Beklagte gehe ebenfalls davon aus, dass sie dieses Gewerbe ordnungsgemäß führe, weil er der Klägerin dieses Gewerbe nicht untersagt habe. Werde ein im Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung von dem Betroffenen ausgeübtes weiteres Gewerbe nicht untersagt, so scheide die Möglichkeit der Erstreckung auf "alle Gewerbe" schon deshalb aus, weil es an der generellen Unzuverlässigkeit fehle.
Die Erweiterung der Untersagung auf alle Gewerbe treffe die Klägerin unverhältnismäßig hart, da die Fußpflege für sie eine wichtige Einnahmequelle darstelle.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 4. Februar 2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Klägerin sei unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO. Die Klägerin habe seit Beginn ihrer selbstständigen Tätigkeit im Jahre 2000 Steuer- und Beitragsschulden aufgebaut, die für einen Einzelbetrieb eine nicht unerhebliche Höhe aufwiesen. Sie hätten sich bis zur Entscheidung über den Widerspruch am 4. Februar 2002 weiter erhöht.
Während der Dauer des Gewerbeuntersagungsverfahrens seien keine Anhaltspunkte für ein vernünftiges Sanierungskonzept ersichtlich gewesen. Vielmehr sei eine Verschlimmerung der Lage eingetreten. Zahlungsvereinbarungen seien entgegen den Angaben der Klägerin nicht eingehalten worden. Das bisherige Zahlungsverhalten der Klägerin rechtfertige die Prognose, dass sie auch zukünftig ihren Steuer- und Beitragsverpflichtungen nicht nachkommen werde und auch gar nicht mehr in der Lage sei, die Rückstände abzubauen.
Auf die Gründe, die zu den Abgaben-. und Beitragsrückständen geführt hätten, komme es nicht an. Die Annahme der Unzuverlässigkeit sei nicht von einem Verschulden des Gewerbetreibenden abhängig, sofern nicht zu erwarten sei, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in absehbarer Zeit überwunden werden könnten. Ein Überwinden der wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch die Klägerin sei insbesondere in Anbetracht der derzeitigen Höhe der Rückstände nicht zu erwarten. Darüber hinaus ergebe sich die Unzuverlässigkeit der Klägerin auch aus dem Umstand, dass die Klägerin ihrem Ehemann als einem unzuverlässigen Dritten einen maßgeblichen Einfluss auf ihren Gewerbebetrieb eingeräumt habe.
Die Gewerbeuntersagung sei gem. §§ 35 Abs. 1 S. 2 GewO auf alle Gewerbe erstreckt worden, da die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass die Klägerin auch für andere Gewerbetätigkeiten unzuverlässig sei.
Zum Zeitpunkt der Gewerbeuntersagung sei dem Beklagten nicht bekannt gewesen, dass die Klägerin das Gewerbe Fußpflege selbstständig betrieben hat. Auf Anfrage habe die Samtgemeinde Am F. dem Beklagten am 2. Juli 2001 lediglich mitgeteilt, dass die Klägerin eine Einzelunternehmung "Herstellung, Handel, Bau von Holzhäusern und Verlegung von Bewehrungstechnik" betreibe. Weiter gehende Mitteilungen seien nicht erfolgt.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Strafakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2001 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 4. Februar 2002 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Nds. OVG und der erkennenden Kammer ist für die Entscheidung einer Klage gegen eine Gewerbeuntersagungsverfügung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - hier des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2002 - maßgeblich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 1990 - 1 B 155.90 - Buchholz 451.20 Nr. 47 zu § 35 GewO m.w.N., zuletzt BVerwG, Urteil vom 14.07.2003 - BVerwG 6 C 10/03 - NVwZ 2004, 103).
Der Klägerin war die selbstständige Gewerbeausübung gemäß § 35 Abs. 1 Gewerbeordnung - GewO - zu untersagen, weil Tatsachen vorliegen, die ihre mangelnde gewerbliche Zuverlässigkeit dartun, und weil die Untersagung zum Schutz der Öffentlichkeit erforderlich ist. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Begriff der Unzuverlässigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO jedenfalls insoweit, als er im vorliegenden Fall erheblich sein kann, geklärt. Unzuverlässig ist danach ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamtbild seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Zum ordnungsgemäßen Betrieb des Gewerbes gehört u.a., dass der Gewerbetreibende die mit der Gewerbeausübung zusammenhängenden steuerlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten erfüllt. Steuer- und Abgabenrückstände sind dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig zu erweisen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur steuerlichen Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist für die Prognose, ob er seine steuerlichen Pflichten künftig erfüllen wird oder nicht, von Bedeutung (Beschluss vom 29. Januar 1988 - BVerwG 1 B 164.87 - Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 45 = GewArch 1988, 162).
Die Abgabenrückstände der Klägerin gegenüber dem Finanzamt sind während des laufenden Gewerbeuntersagungsverfahrens bis zur Widerspruchsentscheidung kontinuierlich auf 22.764,32 EUR angewachsen. Bei der AOK belief sich der Beitragsrückstand am 23. Januar 2002 auf einen Betrag in Höhe von 10.953,02 EUR. Nach Auskunft der AOK hat die Klägerin die getroffene Zahlungsvereinbarung nur teilweise eingehalten. Die Zahlungsrückstände gegenüber der Baugenossenschaft erreichten am 24. Januar 2002 eine Höhe von 15.300,12 EUR. Teilzahlungen im Jahr 2001 wurden ausschließlich durch den Gerichtsvollzieher beigetrieben. Der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes schuldete die Klägerin am 14. November 2001 Beiträge in Höhe von 6.859,03 EUR. Am 31. Januar 2002 betrug der Beitragsrückstand dort per Meldung Juli 2001 3.311,56 EUR. Diesem Betrag waren aber noch die bereits fälligen, jedoch noch nicht gemeldeten Beiträge für die Monate August bis Dezember 2001 hinzuzurechnen. Freiwillige Zahlungen leistete die Klägerin nicht.
Ein verlässliches und Erfolg versprechendes Sanierungskonzept zur Rückführung der Beitragsrückstände war zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides - 4. Februar 2002 - nicht erkennbar.
Die Klägerin kann ihrer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit nicht mit Erfolg entgegen halten, ihr Ehemann habe in Wahrheit den Gewerbetrieb maßgeblich geführt und er habe die Abgabenrückstände zu verantworten, denn letztlich ist es belanglos, welche Ursachen zur Überschuldung des Klägers geführt haben (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 15.10.1997 - 7 L 871/97).
Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit seinen Betrieb aufgibt. Diese nicht erfüllte Erwartung ist der eigentliche Grund, den wirtschaftlich leistungsunfähigen Gewerbetreibenden als gewerblich unzuverlässig anzusehen. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Gewerbetreibende trotz seiner Schulden Zahlungswilligkeit beweist und nach einem sinnvollen und Erfolg versprechendem Sanierungskonzept arbeitet.
Auch diesen Grundsätzen haben der Beklagte und die Bezirksregierung Lüneburg ausreichend Rechnung getragen, indem sie darauf abstellen, die Klägerin habe weder mit dem Finanzamt ein langfristiges Tilgungskonzept erarbeitet noch Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarungen eingehalten.
Als gewerberechtlich unzuverlässig hat sich die Klägerin auch deshalb erwiesen, weil sie letztlich - wie sie selbst einräumt - den Betrieb nur auf Drängen ihres Mannes angemeldet und ihren Namen dafür hergegeben hat, damit dieser in dem angemeldeten Gewerbe, das ihm untersagt worden war, weiter als Leiter des Betriebes tätig sein konnte, ohne dass die Klägerin einen nennenswerten Einfluss auf den Betrieb oder dessen Geschäftsablauf hatte. Sie wurde als sog. "Strohfrau" vorgeschoben, um die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern. Wer sich in diese Funktion begibt, erweist sich bereits allein deshalb als gewerberechtlich unzuverlässig.
§ 35 Abs. 1 S. 1 GewO ist unter Berücksichtigung der Schutzzwecke der Vorschrift ferner dahin zu verstehen, dass in den so genannten Strohmann-Fällen sowohl gegen den Strohmann als auch gegen den hinter diesem Stehenden eine Gewerbeuntersagung ausgesprochen werden kann.
Von einem "Strohmann" spricht man im Gewerberecht, wenn jemand (der Strohmann) zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse als Gewerbetreibender vorgeschoben wird, das in Frage stehende Gewerbe in Wirklichkeit aber von einem anderen betrieben wird (BVerwG, Urteil vom 14.07.2003 - BVerwG 6 C 10/03 - NVwZ 2004, 103).
Die eine Person gibt nur ihren Namen für den Gewerbebetrieb her und dient dem wahren Gewerbetreibenden als "Aushängeschild" (BVerwG, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 32, S. 5 = NJW 1977, 1250 [BVerwG 30.09.1976 - I C 32/74] = GewArch 1977, 14 [15]). In der Rechtsprechung ist der Strohmann auch als jederzeit steuerbare Marionette bezeichnet worden, die von dem "Hintermann" vorgeschoben wird, um zwecks Täuschung des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs die wahren faktisch-wirtschaftlichen Machtverhältnisse zu verschleiern (BVerwGE 65, 12 [13] = Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 39, S. 23 = NVwZ 1982, 559 = GewArch 1982, 334). Ein Strohmannverhältnis ist nur dann anzunehmen, wenn eine genaue Analyse der Innenbeziehungen erweist, dass ein Gewerbetreibender zur Verschleierung der wirklichen Machtverhältnisse eine natürliche oder juristische Person vorschiebt, die ohne eigene unternehmerische Tätigkeit nur als Marionette des Gewerbetreibenden am Wirtschaftsleben teilnimmt (BVerwG, Buchholz 451.20 § 30 GewO Nr. 2, S. 5 = GewArch 1982, 200 [201f.]). Dabei liegt der eigentliche Sinn der rechtlichen Erfassung des Strohmannverhältnisses darin, den Hintermann in den gewerblichen Ordnungsrahmen einzubeziehen, nicht darin, den Strohmann daraus zu entlassen (BVerwG, Buchholz 451.20 § 30 GewO Nr. 2, S. 5 = GewArch 1982, 200 [201f.], und BVerwGE 65, 12 = Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 39, S. 23 = NVwZ 1982, 559 = GewArch 1982, 334). Kennzeichnend ist danach die Teilnahme des Strohmanns/der Strohfrau am Wirtschaftsleben, die von dem Hintermann gesteuert wird. Das Gewerberecht muss im Interesse der Wirksamkeit des ordnungsrechtlichen Instrumentariums an das äußere Bild der gewerblichen Betätigung anknüpfen (BVerwG, NJW 1993, 1346 = GewArch 1993, 156 [157]). Deshalb ist nicht das Betreiben des Geschäfts durch den Strohmann/die Strohfrau auf eigene Rechnung kennzeichnend. Wesentlich ist die nach außen gerichtete Betätigung des Strohmanns, namentlich dadurch, dass die Geschäfte in seinem Namen abgewickelt werden und ihn rechtlich binden sollen (BVerwG, Urteil vom 14.07.2003 - BVerwG 6 C 10/03 - NVwZ 2004, 103).
Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Strohmann-/Strohfrauverhältnis offenkundig vor, denn die Klägerin hat ein solches Verhältnis eingeräumt. Sie habe ihrem Ehemann blind vertraut, indem sie ihm die Betriebsführung zum größten Teil selbst überlassen habe, ohne auf Grund mangelnder Sachkunde in der Lage zu sein, betriebliche Abläufe zu kontrollieren.
Ermessensfehlerfrei ist die Gewerbeuntersagung gem. § 35 Abs. 1 S. 2 GewO auf alle Gewerbe erstreckt worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt der Umstand, dass der Beklagte das von der Klägerin ausgeübte Gewerbe Fußpflege nicht unter § 35 Abs. 1 S. 1 GewO gefasst und unter I a) des angefochtenen Bescheides ausdrücklich untersagt hat, nicht zur Rechtswidrigkeit der erweiterten auf § 35 Abs. 1 S. 2 gestützten Gewerbeuntersagung. Denn weder der Beklagte noch die Bezirksregierung Lüneburg wussten, dass die Klägerin das Gewerbe der Fußpflege betrieben hat. Auf die Anfrage des Beklagten hat die Gemeinde H. dem Beklagten lediglich mitgeteilt, dass die Klägerin das Gewerbe Herstellung, Handel, Bau von Holzhäusern und Verlegung von Bewehrungstechnik betreibt.
Der Beklagte wollte vielmehr mit der erweiterten Gewerbeuntersagung diejenigen Gewerbe untersagen, die die Klägerin noch gar nicht ausübt. Damit hat der Beklagte sich im Rahmen der Ermächtigung des § 35 Abs. 1 S. 2 GewO bewegt. Diese Vorschrift schafft nämlich lediglich die Möglichkeit, die Ausübung auch solcher Gewerbe zu untersagen, die der Gewerbetreibende nicht ausübt (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 - 1 C 94.78 -, GewArch 1982, 298, 299; ebenso Friauf-Heß, Kommentar zur GewO, § 35 Rn. 88, Landmann-Rohmer-Marcks, Kommentar zur GewO, § 35 Rn. 80 und 86).
Wenn dem Beklagten bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Untersagungsverfügung das Gewerbe Fußpflege ausgeübt hätte, wäre dieses Gewerbe ebenfalls untersagt worden, da die aufgezeigten Pflichtverletzungen der Klägerin, die ihre gewerberechtliche Unzuverlässigkeit der Klägerin begründen, zahlreich waren und ein nicht unerhebliches Ausmaß angenommen hatten.
Die festgestellten Tatsachen rechtfertigten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides die Annahme, dass die Klägerin zum Betreiben jedes Gewerbes ungeeignet ist. Denn sie hat Verpflichtungen verletzt, die nicht nur in Bezug auf das von ihm konkret betriebene Gewerbe gelten, sondern für jedes Gewerbe gelten. Bei dieser Sachlage war die erweiterte Gewerbeuntersagung auch erforderlich.
Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegen halten, dass es ihr an einer generellen Unzuverlässigkeit fehle, weil sie über 9 Jahre beanstandungsfrei dem Gewerbe Fußpflege nachgehe und der Beklagte insoweit auch keine Untersagung ausgesprochen habe. Denn dem Beklagten war - wie bereits erwähnt - die Ausübung dieses Gewerbes nicht bekannt.
Die Untersagungsverfügung ist - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch nicht als unverhältnismäßig zu bewerten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Gewerbeuntersagung, die zur Verhinderung der gewerblichen Betätigung eines unzuverlässigen Gewerbetreibenden erforderlich ist, grundsätzlich auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne; "nur in ganz extremen Ausnahmefällen mag trotz Unzuverlässigkeit und trotz Untersagungserforderlichkeit der Einwand der Verletzung des Übermaßverbots mit Erfolg erhoben werden können"(BVerwG, Beschluss vom 22.09.1993 - 1 B 146.93 - GewArch 1993,117).
Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht dargetan.
Die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung ergibt sich aus §70 NVwVG i.V.m. §§ 67 und 70 NGefAG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird gem. § 72 Nr. 1 GKG n.F. i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 1 GKG a.F. auf 15.000,00 Euro festgesetzt.