Sozialgericht Stade
Urt. v. 01.09.2005, Az.: S 1 KR 212/04

Tragung des Inkassorisikos für die Einziehung ausstehender Zuzahlungsbeträge bei der Versorgung gesetzlich Krankenversicherter mit Hilfsmitteln

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
01.09.2005
Aktenzeichen
S 1 KR 212/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 36620
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2005:0901.S1KR212.04.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, wer das Inkassorisiko für die Einziehung ausstehender Zuzahlungsbeträge bei der Versorgung gesetzlich Krankenversicherter mit Hilfsmitteln zu tragen hat.

2

Die Klägerin ist zugelassener Leistungserbringer für Hilfsmittel i.S. von § 126 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

3

Anfang des Kalenderjahres 2004 versorgte die Klägerin nach Vorlage entsprechender vertragsärztlicher Verordnungen zwei bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Mitglieder mit jeweils einem Paar Unterarmgehstützen. Diese Mitglieder leisteten trotz Zahlungserinnerung der Klägerin die dafür in § 33 Abs. 2 Satz 5 SGB V vorgesehene Zuzahlung iH von jeweils 10,00 EUR nicht. Entsprechend forderte die Klägerin mit Schreiben vom 25. Mai 2004 die Beklagte dazu auf, ihrerseits die Eigenanteile einzuziehen und den Zuzahlungsbetrag ggf. an die Klägerin weiterzureichen. Mit Schreiben vom 27. Mai 2004 teilte die Beklagte mit, dass eine solche Zahlung nicht erfolgen werde. Ein anschließender Schriftwechsel zwischen den Beteiligten brachte keine Annäherung hinsichtlich der unterschiedlichen Standpunkte.

4

Die Klägerin hat am 23. August 2004 Klage erhoben und trägt zur Begründung vor, dass es der Beklagten nach § 43b Abs. 1 SGB V obliege, ggf. von den Versicherten nicht geleistete Zuzahlungen einzuziehen. Die Beklagte trage allein das Inkassorisiko. Sie sei daher im Ergebnis verpflichtet, der Klägerin hier die ausstehenden Zuzahlungen zu erstatten.

5

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zur Zahlung von 20,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8% über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9. Juni 1998 ab dem 27. Mai 2004 zu verurteilen,

6

hilfsweise

  1. 2.

    festzustellen, dass die Beklagte zur Einziehung der gesetzlichen Zuzahlungen nach § 33 Abs. 2 S 5 SGB V i.S. von § 43b Abs. 1 Satz 2 SGB V verpflichtet ist.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, dass die Regelung in § 43b SGB V bei Zuzahlungen im Hilfsmittelbereich nicht einschlägig sei. Dies ergebe sich neben der Gesetzesbegründung auch aus § 33 Abs. 2 SGB V. Dort sei geregelt, dass sich der Vergütungsanspruch der Klägerin um die Zuzahlung verringere.

9

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.

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Insbesondere ist für Rechtsstreitigkeiten zwischen nichtärztlichen Leistungserbringern und Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung der Sozialrechtsweg nach § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig (Urteil des BSG vom 24. Januar 1990 - 3 RK 11/88). In diesem Zusammenhang erhebt die Klägerin hinsichtlich des Hauptantrags eine statthafte allgemeine Leistungsklage i.S. von § 54 Abs. 5 SGG bzw. eine statthafte allgemeine Feststellungsklage i.S. von § 55 SGG. Die Beteiligten stehen in einem Gleichordnungsverhältnis zueinander, in dem Verwaltungsakte nicht ergehen können (vgl hierzu das Urteil des BSG vom 17. Januar 1996 - 3 RK 26/94). Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen.

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Die Klage ist aber sowohl hinsichtlich des Hauptantrags als auch hinsichtlich des Hilfsantrags unbegründet.

13

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung des Zuzahlungsbetrags, der gemäß § 33 Abs. 2 Satz 5 SGB V von den gesetzlich Krankenversicherten geschuldet wird. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, ausstehende Zuzahlungsbeträge von ihren Mitgliedern nach § 43b SGB V einzuziehen.

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Im Einzelnen:

15

1.

Die Beklagte hat die Vergütungsansprüche der Klägerin für die Versorgung ihrer Mitglieder mit Unterarmgehstützen bereits vollständig erfüllt. Ein darüber hinausgehender Vergütungsanspruch besteht nicht.

16

a)

Zunächst kommt der gesetzlichen Konzeption im SGB V folgend eine Übernahme der von den Versicherten bei der Versorgung mit Hilfsmitteln zu tragenden Zuzahlungsbeträge durch die gesetzlichen Krankenkassen schon dem Grunde nach nicht in Betracht.

17

Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Rechtsbeziehungen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Leistungserbringern von Hilfsmitteln grundlegend in den §§ 126 ff SGB V geregelt. Demnach sind die gesetzlichen Krankenkassen im Falle der Lieferung eines verordneten Hilfsmittels an einen Versicherten gemäß § 127 Abs. 1 SGB V und den dort vorgesehenen Rahmenverträgen zu einer Vergütung der Leistungserbringer verpflichtet. Die Hilfsmittel selbst sind Bestandteil der Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V und wie diese als Sachleistung i.S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V zu erbringen. Dabei findet der Leistungsaustausch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung regelmäßig in einem Dreiecksverhältnis über den Versicherten statt.

18

Dem an der medizinischen Versorgung beteiligten Vertragsarzt obliegt bei der Versorgung Versicherter mit Hilfsmitteln eine Kernfunktion: Er verordnet gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V dem Versicherten im Rahmen der medizinischen Erfordernisse ein bestimmtes Hilfsmittel und handelt dabei als Vertreter der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse. Er gibt damit für und gegen diese Krankenkasse eine Willenserklärung ab, die dem Leistungserbringer mit Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung zugeht. Die Annahmeerklärung des Leistungserbringers erfolgt, indem er dem Versicherten das verordnete Hilfsmittel aushändigt. Insoweit fungiert der Vertragsarzt hier als Vertreter der Krankenkasse, so dass zwischen dieser und dem Leistungserbringer ein Vertrag zugunsten des Versicherten zustande kommt, wonach der Leistungserbringer zur Versorgung des Versicherten und die gesetzliche Krankenkasse zur Vergütung des Leistungserbringers abzüglich etwaiger vom Versicherten zu tragender Zuzahlungen verpflichtet wird (siehe hierzu grundlegend das Urteil des BSG vom 17. Januar 1996 zur Versorgung mit Arzneimitteln - 3 RK 26/94, SozR 3-2500 § 129 Nr. 1).

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In diesem Verfahren hat die Klägerin zwei bei der Beklagten versicherte Mitglieder mit verordneten Hilfsmitteln (Unterarmgehstützen) versorgt und unstreitig die dafür nach § 127 Abs. 1 SGB V iV mit der gültigen Rahmenvereinbarung zu zahlende Vergütung seitens der Beklagten abzüglich des jeweiligen Zuzahlungsanteils erhalten. Dieser Zuzahlungsanteil soll nun ebenfalls - so das hauptsächliche Begehren der Klägerin - von der Beklagten übernommen werden. Dem steht allerdings aus Sicht der Kammer der eindeutige Gesetzeswortlaut in § 33 Abs. 2 Satz 5 SGB V entgegen, wonach sich der Vergütungsanspruch der Klägerin um diesen Zuzahlungsanteil "verringert". Danach ist es für den Umfang des Vergütungsanspruchs der Klägerin gegenüber der Beklagten ohne Bedeutung, ob und aus welchem Grund ggf. ein Zuzahlungsanteil von einem mit einem Hilfsmittel versorgten Versicherten nicht eingetrieben werden kann. Zumindest kommt den gesetzlichen Krankenkassen in diesem Zusammenhang nicht die Funktion eines Ausfallbürgen zu.

20

Schließlich ist die angeführte Vorschrift aufgrund ihres eindeutigen Wortlauts einer Interpretation im Sinne des Klagebegehrens nicht einmal im Ansatz zugänglich.

21

b)

Ein Bereicherungsanspruch der Klägerin aus § 69 Satz 3 SGB V iV mit den §§ 812 Abs. 1, 818 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) scheidet als Anspruchsgrundlage für die hier streitgegenständlichen Zuzahlungsbeträge ebenfalls aus.

22

In Betracht kommt allenfalls eine Rückabwicklung der seitens der Klägerin erbrachten Leistungen iH der Zuzahlungsbeträge über eine sog Leistungskondiktion. Eine solche sieht § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB für Leistungsverhältnisse vor, bei denen der Leistungszweck nicht erreicht wird oder sonst ein rechtlicher Grund für die durch die Leistung eingetretene Vermögensverschiebung nicht besteht. Im Ergebnis wird die streitige Leistung dem Empfänger zwar wirksam zugewendet, steht ihm aber nach den maßgeblichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Leistenden und dem Empfänger nicht zu (Palandt/Sprau, Kommentar zum BGB, 65. Auflage München 2006, § 812 BGB Rn 2 m.w.N.).

23

Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht allerdings - dies ist vorangestellt schon dargestellt worden - die Besonderheit, dass es sich regelmäßig um Leistungen im Dreiecksverhältnis handelt. Neben den Beteiligten dieses Rechtsstreits sind auch die gesetzlich Krankenversicherten in diese Leistungsbeziehung mit eingebunden, da sie letztlich Empfänger der zu erbringenden Leistung einer Hilfsmittelversorgung sind. Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Bereicherungsvorgangs (vgl dazu BGHZ 40, 272; 48, 70[BGH 29.05.1967 - VII ZR 66/65]; 50, 227) f [BGH 27.05.1968 - AnwSt R 8/67]indet in einem solchen Dreiecksverhältnis ein Bereicherungsausgleich allein zwischen den Partnern des Leistungsverhältnisses statt, in dem konkret die Leistungsstörung aufgetreten ist. Der Leistende kann sich zum Ausgleich der aus seiner Sicht bestehenden ungerechtfertigten Vermögensverschiebung nur an diesen, nicht aber an den ebenfalls beteiligten Dritten halten. Entsprechend ist in diesem Verfahren für eine sachgerechte bereicherungsrechtliche Rückabwicklung die Besonderheit des Dreiecksverhältnisses zu beachten; insbesondere kommt es darauf an, welchen Zweck die Beteiligten nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen bei der jeweiligen Leistungserbringung verfolgt haben (BGHZ 151, 127[BGH 13.06.2002 - IX ZR 242/01] m.w.N.).

24

Vor diesem Hintergrund zeigt sich für den hier geltend gemachten Anspruch, dass die Klägerin mit der Hilfsmittelversorgung der Versicherten keine bewusste und zweckgerichtete Zuwendung an diese Einzelperson erbringen wollte. Vielmehr ging es ihr um die Erfüllung des Anspruchs der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln gegen die Beklagte. Durch die Versorgung mit Hilfsmitteln selbst ist die Klägerin von ihren (rahmenvertraglichen) Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten befreit worden. Die jeweiligen Sachleistungsansprüche der Versicherten wiederum sind durch die klägerische Leistungserbringung erfüllt worden und damit erloschen; gleichzeitig hat die Klägerin die ihr nach den gültigen Rahmenverträgen geschuldete Vergütung erhalten. Insoweit hat die Beklagte hier keinerlei Leistungen erspart bzw. ungerechtfertigt erhalten. Eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung kommt insoweit mangels Leistungsstörung in der leistungsrechtlichen Beziehung zwischen Klägerin und der Beklagten nicht in Betracht.

25

c)

Weitere Anspruchsgrundlagen für den im Hauptantrag geltend gemachten Vergütungsanspruch iH der durch die Klägerin nicht eingetriebenen Zuzahlungsbeträge sind nicht ersichtlich. Die Klage konnte daher hinsichtlich des Hauptantrags keinen Erfolg haben.

26

2.

Die Beklagte ist nicht dazu verpflichtet, ausstehende Zuzahlungsbeträge bei der Versorgung Versicherter mit Hilfsmitteln einzuziehen. Das Inkassorisiko, das mit dem Einzug der Zuzahlungsbeträge verbunden ist, tragen nach der gesetzlichen Konzeption im SGB V die Leistungserbringer von Hilfsmitteln und nicht die gesetzlichen Krankenkassen.

27

a)

Nach § 43b Abs. 1 SGB V haben die Leistungserbringer die Zahlungen, die Versicherte zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen. Zahlt der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, hat die Krankenkasse die Zahlung einzuziehen. In diesem Zusammenhang ist die Klägerin der Auffassung, dass diese Vorschrift zumindest analog auf den Einzug der Zuzahlungsbeträge bei der Versorgung Versicherter mit Hilfsmitteln anzuwenden ist. Dem vermag sich die Kammer nicht anzuschließen.

28

Gegen eine direkte Anwendung von § 43b Abs. 1 SGB V beim Einzug der Zuzahlungsbeträge im Hilfsmittelbereich spricht schon der Wortlaut der hier einschlägigen gesetzlichen Vorschriften. Nach § 33 Abs. 2 Satz 5 SGB V vermindert sich - hierauf ist vorangestellt schon hingewiesen worden - der einzelne Vergütungsanspruch der Leistungserbringer von Hilfsmitteln um den Zuzahlungsbetrag des Versicherten. Insoweit ist in diesem Fall eine Verrechnung, wie sie § 43b Abs. 1 Satz 1 SGB V ausdrücklich verlangt, gar nicht möglich.

29

Diese am Wortlaut orientierte Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen war seitens des Gesetzgebers auch so gewollt. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzesentwurf für das 2. GKV-Neuordnungsgesetz vom 19. März 1997 (BT-Drs 13/7264 S 60) wird hierzu ausgeführt: "Die Leistungserbringer haben die Zuzahlungen der Versicherten von ihrem Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse (Festbetrag oder vertraglich vereinbarter Preis) abzuziehen. Die Vorschrift tritt insoweit an die Stelle der Regelung in § 43b SGB V mit der Folge, dass nicht die Krankenkasse, sondern der Leistungserbringer den Zuzahlungsanspruch gegenüber dem Versicherten durchzusetzen hat. Denn der Vergütungsanspruch des Leistungserbringers wird durch Gesetz um den Zuzahlungsbetrag verringert, so dass für die in § 43b Satz 1 SGB V vorgesehene Verrechnung der Zuzahlung mit dem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse kein Raum ist. Deshalb kann auch § 43b Satz 2 SGB V hier nicht angewendet werden." Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Aussagen zur Zuzahlungsregelung in § 33 SGB V ist für eine nicht am Wortlaut orientierte Interpretation der gesetzlichen Vorschriften kein Raum.

30

Die fehlende Anwendbarkeit der Regelung in § 43b SGB V entspricht zudem der Gesetzessystematik. So sind im SGB V derzeit nur in zwei Bereichen Zuzahlungen vorgesehen, bei denen sich der Vergütungsanspruch des Leistungserbringers aufgrund der Zuzahlungsregelung verringert: Dies gilt für den Vergütungsanspruch der Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich als auch für den der Vertrags(zahn)ärzte hinsichtlich der sog Praxisgebühr. Für die Praxisgebühr hat der Gesetzgeber allerdings über § 43b Abs. 2 SGB V hinsichtlich des Inkassorisikos eine Sonderregelung geschaffen. Danach verringert sich die nach § 83 SGB V seitens der gesetzlichen Krankenkassen an die jeweiligen kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen zu richtende Gesamtvergütung um die seitens der Vertrags(zahn)ärzte einbehaltenen Zuzahlungen. Gesetzessystematisch war demnach aus Sicht des Gesetzgebers eine Sonderregelung erforderlich, weil sich der Übergang des Inkassorisikos auf die gesetzlichen Krankenkassen nicht bereits aus § 43b Abs. 1 SGB V ergab. Nichts anderes kann aus Sicht der Kammer für die Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich gelten - auch hier wäre für die Übertragung des Inkassorisikos auf die gesetzlichen Krankenkassen eine gesonderte gesetzliche Regelung erforderlich gewesen.

31

Schließlich kommt eine analoge Anwendung von § 43b Abs. 1 SGB V aus Sicht der Kammer nicht in Betracht. Eine solch analoge Anwendung der Vorschrift würde eine planwidrige, unbeabsichtigte Gesetzeslücke voraussetzen, die im Wege der Rechtsfortbildung durch Richterrecht geschlossen werden kann (so u.a. das LSG Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 27. August 2002 - L 4 KR 838/00). Dass hier der Gesetzgeber ungewollt die Einführung einer Sonderregelungübersehen haben soll, ist angesichts der vorangestellten Ausführungen und der Eindeutigkeit des Gesetzeswortlauts aber nicht ersichtlich.

32

b)

Die Übertragung des Inkassorisikos auf die Leistungserbringer über die gesetzliche Regelung in § 33 Abs. 2 Satz 5 SGB V verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere wird der Gleichheitssatz ausArtikel 3 Grundgesetz (GG) hierdurch nicht verletzt.

33

Der in Artikel 3 Abs. 1 GG normierte Gleichheitssatz enthält über das Willkürverbot hinaus die an die Gesetzgebung und Rechtsprechung gerichtete Verpflichtung, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten nicht anders ("ungleich") zu behandeln, falls zwischen beiden Gruppen kein Unterschied von solcher Art und solchem Gewicht besteht, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (BVerfGE 55, 72, 88 f). In diesem Zusammenhang hat grundsätzlich der Gesetzgeber zu entscheiden, welche Elemente des zu regelnden Sachverhalts dabei so bedeutend sind, dass ihrer Gleichheit oder Verschiedenheit bei der Ausgestaltung der Regelung Rechnung getragen werden muss. Dies gilt zumindest dann, sofern nicht schon die Verfassung selbst Wertungen enthält, die zu einer Bindung des Gesetzgebers führen. ImÜbrigen kann die Rechtsprechung allenfalls die Einhaltung bestimmteräußerster Grenzen überprüfen und ihre Überschreitung beanstanden. Der Gesetzgeber hat nämlich einen weitest gehenden Gestaltungsspielraum auch bei der Umsetzung des grundgesetzlich normierten Gleichheitssatzes (BVerfGE 49, 260, 271 [BVerfG 10.10.1978 - 2 BvL 10/77]; 61, 138, 147) [BVerfG 19.10.1982 - 1 BvL 39/80].

34

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien verlangt die Klägerin hier im Ergebnis eine Gleichstellung mit den übrigen Leistungserbringern im SGB V, bei denen die gesetzlichen Krankenkassen das Inkassorisiko für die Einziehung ausstehender Zuzahlungsbeträge tragen. Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass vor dem Hintergrund der fehlenden Sonderregelung in § 43b SGB V einzig die Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich selbst dafür zuständig sind, die ihnen zustehenden Zuzahlungsbeträge ggf. einzutreiben. Diese Ungleichbehandlung gegenüber den übrigen Leistungserbringern ist aus Sicht der Kammer jedoch sachlich gerechtfertigt.

35

Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber unterschiedliche Strukturen bei der Versorgung der Versicherten mit einer Krankenbehandlung i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorgesehen. Grundlegend sind diese Strukturen im Leistungserbringungsrecht (§§ 69 ff SGB V) beschrieben: Gemeint sind hiermit die Rechtsbeziehungen der gesetzlichen Krankenkassen zu den einzelnen Leistungserbringern wie Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten, Krankenhausärzten, Krankenhäusern, Hochschulambulanzen, psychiatrische Institutsambulanzen und Sozialpädiatrische Zentren im Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung (§§ 72 - 106a, 116 bis 120 SGB V); zu Krankenhäusern, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sowie Hospizen im Bereich der stationären Versorgung (§§ 107 - 115c, 123 SGB V); belegärztliche Leistungen (§ 121 SGB V) sowie mit den in § 121a SGB V genannten Leistungserbringern bei Behandlungsmaßnahmen zur künstlichen Befruchtung. Ferner fallen hierunter Verträge mit Zahntechnikern (§ 88 SGB V) und beispielsweise Krankengymnasten, Ergo- und Sprachtherapeuten, Masseuren und medizinische Bademeistern als Leistungserbringer von Heil- ( §§ 124 f SGB V) bzw. Optikern, Akustikern und Orthopädiebetrieben als Leistungserbringern von Hilfsmitteln (§ 126 f SGB V); den Apothekern (129f SGB V) und sonstigen Leistungserbringern für Haushaltshilfen, häusliche Krankenpflege, Rettungsdienst- und Krankentransportleistungen sowie Hebammen und Entbindungspflegern. Die Leistungen selbst werden dem Sachleistungsprinzip (siehe hierzu § 2 SGB V) folgend regelmäßig als Dienst- oder Sachleistungen i.S. von § 11 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) - d.h. heißt als Naturalleistungen - erbracht.

36

Dabei erbringt der überwiegende Teil der im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Leistungserbringer ihre jeweiligen medizinischen Leistungen als Dienstleistungen gegenüber den Versicherten. Hierunter fallen alle im SGB V vorgesehenen persönlichen (medizinischen) Hilfen und Betreuungsleistungen, die keine Geld- oder Sachleistung sind (im Einzelnen hierzu Klattenhof in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB I, § 11 SGB I Rn 13 f m.w.N.). d.h. die jeweiligen Behandler erbringen hier Leistungen in Form einer ambulanten oder stationären ärztlichen Maßnahme oder in Form eines Heilmittels (Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie) zugunsten des Versicherten. Im Gegenzug erhalten die Leistungserbringer von den gesetzlichen Krankenkassen eine leistungsabhängige Vergütung, deren Höhe bundeseinheitlich geregelt ist bzw. auf der Grundlage bundeseinheitlicher Vergütungsordnungen (siehe beispielsweise zum Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung den Einheitlichen Bewertungsmaßstab) erfolgt.

37

Im Bereich der Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln hingegen werden die jeweiligen Leistungen als Sachleistungen erbracht. Hierunter ist die Übertragung des Eigentums, die leihweiseÜberlassung oder die Einräumung eines Nutzungsrechts an einer Sache oder einer Sachgesamtheit zu verstehen (im Einzelnen hierzu Klattenhof in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB I, § 11 SGB I Rn 15 f). Entsprechend werden den Versicherten von den zugelassenen Leistungserbringern medizinische Hilfsmittel regelmäßig gemäß den §§ 929 ff BGBübereignet oder gegen eine Leihgebühr vorübergehend überlassen. Dabei zählen die notwendigeÄnderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch ebenfalls zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine bundeseinheitliche Vergütungsordnung für die Versorgung Versicherter mit Hilfsmitteln besteht nicht. Die Preise für Hilfsmittel und deren Wiedereinsatz sind vielmehr gemäß § 127 Abs. 1 SGB V in sogenannten Rahmenvereinbarungen geregelt, die sich auf die föderale Struktur der Bundesrepublik beziehen. Dabei ist nach § 127 Abs. 2 Satz 1 SGB V auch die Vereinbarung gesonderter Verträge mit einzelnen Leistungserbringern zu niedrigeren Preisen bei gleicher Qualität möglich. Teilweise sind für einzelne Hilfsmittel (z.B. Hörgeräte) Festbetragsregelungen gemäß § 36 SGB V vorgesehen, bei denen die Versicherten in Abhängigkeit von ihren finanziellen Möglichkeiten durch Zuzahlung eines Differenzbetrags eine aufwendigere Versorgung als die im Rahmen der Festbetragsregelung bestehende wählen können (BSGE 90, 220, 224) [BSG 23.01.2003 - B 3 KR 7/02 R]. Im Bereich der Versorgung mit Sehhilfen umfasst gemäß § 33 Abs. 1 Satz 7 SGB V der Versorgungsanspruch der Versicherten nicht die Kosten des Brillengestells, so dass lediglich die Brillengläser unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitspostulats ( §§ 2, 12 SGB V) zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung zählen.

38

Die Leistungsart als Dienst- oder Sachleistung hat im Bereich der gesetzlich vorgesehenen Zuzahlungen unterschiedliche Auswirkungen für die Leistungserbringer. Bei der Versorgung Versicherter mit medizinischen Dienstleistungen ist der Kontakt zwischen Leistungserbringer und dem einzelnen Versicherten auf den Zeitraum der Leistungserbringung begrenzt. Es besteht regelmäßig keine Möglichkeit, sich gegenüber einer fehlenden Zahlungsmoral des Versicherten hinsichtlich des Zuzahlungsbetrags zu schützen. Demgegenüber haben die Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich mehrere Sicherungsmöglichkeiten: Denkbar wäre beispielsweise die Vereinbarung eines Zurückbehaltungsrechts (so Höfler in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht,§ 43b SGB V Rn 4) oder die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts bis zur vollständigen Bezahlung des übereigneten Hilfsmittels. Beide Sicherungsmittel könnten ggf. in den Rahmenverträgen nach § 127 Abs. 1 SGB V auch im Verhältnis zu den vergütenden gesetzlichen Krankenkassen ausdrücklich zugelassen werden. Die unterschiedliche Vergütungsstruktur zwischen Dienst- und Sachleistungen führt weiter dazu, dass (von zahnprothetischen und kieferorthopädischen Leistungen abgesehen) allein bei der Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln die durch die Krankenkassen an die Leistungserbringer gezahlte Vergütung teilweise nicht ausreicht, um den Endpreis der verordneten medizinischen Leistung vollständig abzudecken. In diesem Zusammenhang kann auf Hilfsmittel verwiesen werden, deren Preis oberhalb eines vorgesehenen Festbetrags liegen. Eine solche Differenzzahlung ist weiter für Hilfsmittel in § 33 Abs. 2 Satz 4 SGB V ausdrücklich gesetzlich vorgesehen, bei denen Versicherte nicht den Leistungserbringer wählen, mit denen ihre Krankenkasse einen niedrigeren Preis bei gleicher Qualität für ein Hilfsmittel vereinbart hat. Entsprechend müssen die Leistungserbringer von Hilfsmitteln unabhängig von den gesetzlich vorgesehenen Zuzahlungsbeträgen u.U. einen Differenzbetrag zwischen dem Endpreis des Hilfsmittels und der seitens der Krankenkasse gezahlten Vergütung beim Versicherten geltend machen.

39

Aufgrund dieser unterschiedlichen Versorgungs- und Vergütungsstrukturen kann es dem Gesetzgeber aus Sicht der Kammer auch vor dem Hintergrund von Art 3 Abs. 1 GG nicht verwehrt werden, hinsichtlich der in der Regel geringen Zuzahlungsbeträge und dem damit verbundenen Inkassorisiko eine gesonderte Regelung für die Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich zu treffen. Dies ist sachgerecht, weil die davon betroffenen Leistungserbringer im Gegensatz zu den übrigen Leistungserbringern im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung regelmäßig neben den Zuzahlungsbeträgen weitere Forderungen gegenüber den Versicherten geltend machen müssen, um eine vollständige Vergütung für ihre medizinischen Versorgungsleistungen zu erreichen. Daneben besteht allein im Bereich der Versorgung mit Hilfsmitteln die Möglichkeit, dass sich die Leistungserbringer gegen ausbleibende Teilzahlungen absichern. Dies mag hinsichtlich der in diesem Verfahren streitgegenständlichen Unterarmgehstützen nicht gelten bzw. unzweckmäßig erscheinen, ist aber im Ergebnis aufgrund der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit gerade im Bereich einer Massenverwaltung wie der der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem grundgesetzlich normierten Gleichheitssatz zu vereinbaren.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG iV mit den §§ 154 - 162 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Insoweit wird auf den Beschluss vom 26. Januar 2006 verwiesen, durch den der ursprünglich verkündete Kostentenor abgeändert wurde.