Sozialgericht Stade
Urt. v. 24.05.2005, Az.: S 7 U 232/03
Anspruch auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) i.H.v. 20 von Hundert
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 24.05.2005
- Aktenzeichen
- S 7 U 232/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 36790
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2005:0524.S7U232.03.0A
Rechtsgrundlage
- § 56 SGB VII
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 vH.
Die im Jahre 1955 geborene Klägerin war seit dem 1. Januar 2001 als Kraftfahrerin für eine Spedition tätig. Sie erlitt am 21. Juli 2001 einen Arbeitsunfall, indem sie aus dem Führerhaus eines Lkw abrutschte und sich dabei das rechte obere Sprunggelenk verletzte. Nach dem Durchgangsarztbericht von Prof. Dr. H. vom 16. August 2001 zog sie sich dabei eine kleine knöcherne Absprengung aus der Fibulaspitze am rechten oberen Sprunggelenk zu. Die Klägerin gab an, dass sie 1994 einmalig mit dem rechten Fuß umgeknickt sei. Prof. Dr. H. stellte ein altes Os subfibulare als Folge des Unfalls aus 1994 fest. Am 10. September 2001 erfolgte die Operation mit Entfernung des vor dem Knöchel liegenden Knöchelchens (Ossikel). Prof. Dr. H. beschrieb postoperativ eine korrekte Gelenkstelle am oberen Sprunggelenk bei entferntem Knöchelchen. Die Klägerin wurde am 14. September 2001 gehfähig mit geringen Restbeschwerden und reizlosen Wundverhältnissen entlassen.
Sie stellte sich am 3. April 2002 bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. I. vor und klagte darüber, dass sie nach der Operation nie schmerzfrei geworden sei. Nach der Fertigung von Röntgenaufnahmen beschrieb Dr. I. in seinem Nachschaubericht vom 9. April 2002 eine achsengerechte Stellung der Gelenkpartner, kein Nachweis eines freien Gelenkkörpers, keine arthrotischen Veränderungen, kein Hinweis für stattgehabte Knöchelfraktur. Dr. J. wies in seinem Befundbericht vom 19. Juni 2002 darauf hin, dass nach Angabe der Klägerin das Fußgelenk nach außen immer noch anschwelle. Er empfahl eine fachneurologische Untersuchung. Dr. K. konnte jedoch auf neurophysiologischem und nervenärztlichem Gebiet eine Nervenläsion an der rechten unteren Extremität ausschießen.
Die Beklagte holte ein unfallchirurgisches Zusammenhangsgutachten von Dres. L. vom 25. Oktober 2002 ein. Nach Auswertung des Röntgenbefundes vom 5. August 2002 beschrieben die Gutachter eine regelrechte Darstellung des rechten oberen Sprunggelenkes bei achsgerechter Stellung. Der Kalksalzgehalt sei diskret gemindert, das obere Sprunggelenk stelle sich sonst regelrecht ein. Es bestehe ein minimaler Talusvorschub von 5 bis 6 mm ohne vermehrte Aufklappbarkeit. Sie kamen zu der Auffassung, dass die von der Klägerin beklagten Beschwerden im jetzigen Zeitpunkt nur von einer Überempfindlichkeit der Narbe verursacht würden. Darüber hinaus bestehe lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenkes für die Fußhebung (Heben und Senken des Fußes 0/0/35 Grad). Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenberechtigendem Grade bestehe nicht. Aus objektiv medizinischen Gründen sei die Klägerin wieder als Lwk-Fahrerin einsetzbar.
Zuvor berichtete Prof. Dr. M. /Dr. N. in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 7. August 2002 über einen unauffälligen Röntgenbefund ohne Hinweis auf eine stattgehabte Fraktur oder Beteiligung des unteren Sprunggelenkes. Dr. J. wies in einem weiteren Befundbericht vom 29. August 2002 auf eine deutliche Schmerzhaftigkeit im Bereich des oberen Sprunggelenkes der Klägerin hin. Nach Mitteilung der Beklagten vom 21. November, dass der Klägerin keine Verletztenrente zustehe, legte diese Widerspruch ein. Dr. J. dokumentierte in seinem Befundbericht vom 28. November 2002, dass weiterhin eine deutliche Schmerzhaftigkeit im Bereich des rechten oberen Sprunggelenkes bei subjektivem Instabilitätsgefühl bestehe und eine orthopädische Schuhversorgung zur Stabilisierung des Sprunggelenkes erfolgen solle. Daraufhin holte die Beklagte ein fachchirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage von Dr. O. vom 19. Juni 2003 ein. Dieser beschrieb eine klinisch sowie messtechnisch bestehende leichte Muskelverschmächtigung im Bereich der rechten Wade. Bereits bei leichter Berührung der Narbe am rechten Sprunggelenk bestehe eine ausgeprägte Schmerzsymptomatik. Ferner bestehe eine im Bereich des rechten oberen Sprunggelenkes endgradig gering eingeschränkte Beweglichkeit. Dr. O. diagnostizierte ein chronisches Schmerzsyndrom im Bereich des rechten Außenknöchels nach knöcherner Absprengung im Bereich der Fibulaspitze und nachfolgend operativer Entfernung mit endgradiger Funktionseinschränkung im oberen Sprunggelenk, erheblich überempfindlicher Narbe, geringgradiger Muskelverschmächtigung am rechten Unterschenkel sowie geringgradiger Schwellung im Bereich der Außenknöchelregion. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in messbarer Höhe sei nicht feststellbar. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7. Oktober 2003 die Gewährung einer Verletztenrente ab und erkannte die von Dr. O. zitierten Diagnosen als Folgen des Arbeitsunfalls an. Am 29. Oktober 2003 erließ sie den Widerspruchsbescheid.
Die Klägerin hat am 19. November 2003 Klage erhoben.
Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2002 und 7. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund des Arbeitsunfalls vom 21. Juli 2001 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten von Dres. P. vom 19. Mai 2004 und 8. Juni 2004. Ferner hat das Gericht ein Gutachten von Dr. Q. vom 3. Januar 2005 sowie eine fachchirurgische Stellungnahme des Privatdozenten Dr. R. vom 3. Februar 2005 eingeholt.
Außer der Gerichtsakte haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 vH. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig.
Gemäß § 56 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, einen Anspruch auf Verletztenrente. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die der Versicherte dadurch erleidet, dass er bestimmte von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Für die Bemessung der MdE haben sich für eine vereinfachte Beurteilung seit langem Grundlagen gebildet, die im Schrifttum zusammengefasst sind (vgl insbesondere Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage). Dieses vereinfachte Verfahren kann durch ständige Übung Beachtung beanspruchen (vgl Bundessozialgericht, SozR 2200 § 581 Nr. 15, 22, 23). Bei den Erfahrungswerten handelt es sich um die prozentuale Gewichtung der geschlossenen Arbeitsmöglichkeiten bei bestimmten Funktionsbeeinträchtigungen. Sie können als antizipierte Sachverständigengutachten angesehen werden, um den unbestimmten Rechtsbegriff der MdE auszufüllen (Bundessozialgericht, SozR 3 - 2200 § 581 Nr. 5). Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin ist infolge des Versicherungsfalls vom 21. Juli 2001 nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert. Dies haben sowohl die Gutachter Dres. L. in ihrem unfallchirurgischen Zusammenhangsgutachten vom 25. Oktober 2002, Dr. O. in seinem Gutachten vom 19. Juni 2003 als auch Dr. S. in seiner fachchirurgischen Stellungnahme vom 3. Februar 2005 nachvollziehbar dokumentiert. Gegen eine rentenberechtigende MdE spricht insbesondere, dass sämtliche Gutachter, auch der im gerichtlichen Verfahren angehörte Dr. Q., zu dem Ergebnis kommen, dass bei der Klägerin lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung am rechten oberen Sprunggelenk für die Fußhebung besteht. Wird in dem Gutachten von Dres. L. eine Bewegungseinschränkung beim Heben und Senken des Fußes von 0 /0 /35 angegeben, so hat sich diese Beeinträchtigung bei Dr. Q. geringfügig verschlechtert, da dieser Bewegungsausmaße von 0 /0 /30 nachweist. Nach den allgemeinen Erfahrungswerten für die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Verletzungen am Fußgelenk ist bei einer Versteifung des oberen Sprunggelenks im Winkel von 90 bis 110 Grad zum Unterschenkel eine MdE von 20 v.H. anzunehmen. Da keine Versteifung des oberen Sprunggelenkes vorliegt, sondern lediglich eine endgradig bis geringgradige Bewegungseinschränkung, kann eine Bewertung der Unfallfolgen mit 20 v.H. nicht vorgenommen werden. Die ebenfalls dokumentierte leichte Muskelverschmächtigung im Bereich der rechten Wade sowie die ausgeprägte Schmerzsymptomatik führt nicht zu einer Anhebung der MdE auf 20 vH. Grundsätzlich ist in der Bewertung der MdE eine Schmerzhaftigkeit der Verletzungsfolgen berücksichtigt. Lediglich wenn diese Schmerzhaftigkeit über das normale Maß hinausgeht und zu einer weiteren Beeinträchtigung führt, ist diese weitere Beeinträchtigung bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen. Diese Voraussetzung ist gegeben. Denn nicht der Schmerz selber, sondern nur seine Wirkung auf die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen fließt in die Bewertung ein (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S 312).
Aus diesem Grund konnte dem Ergebnis des Gutachtens von Dr. Q., in dem dieser die MdE bei der Klägerin mit 20 v.H. nicht gefolgt werden. Auch wenn Dr. Q. von einem chronischen Schmerzsyndrom i.S. einer Schmerzkrankheit nach Gerbershagen II (morphinpflichtig) im Bereich des rechten Außenknöchels ausgeht, so muss diese Diagnose die von ihm selbst vorgelegten Befunde entgegengehalten werden. Gegen eine weitere Auswirkung der Schmerzkrankheit spricht auch die lediglich geringgradige Muskelverschmächtigung bei der von Dr. BT. ocks beschriebenen Schmerzkrankheit wäre ein weitaus höheres Maß an Muskelverschmächtigung anzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.