Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.04.2001, Az.: L 8 AL 489/00
Gewährung von Arbeitslosengeld; Rücknahme der Ernennung in ein Beamtenverhältnis (§ 14 BBG); Umdeutung eines nichtigen Beamtenverhältnisses in Form eines (faktischen) Arbeitsverhältnisses gem. § 140 BGB
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 19.04.2001
- Aktenzeichen
- L 8 AL 489/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 25205
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0419.L8AL489.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 15.11.2000 - S 20 AL 48/00
Rechtsgrundlagen
- § 104 AFG
- § 168 AFG
- § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG
- § 14 BBG
- § 14 Satz 1 BBG
- § 134 Abs. 1 Nr 4b AFG
- § 134 Abs. 2 Nr 1 AFG
- § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG
- § 153 Abs. 2 SGG
- § 153 Abs. 4 SGG
- § 140 BGB
- § 2 ArbGG
- § 134 Abs 2 Nr 1 AFG
Prozessführer
A.
Prozessgegner
Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, vertreten durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen, Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover,
Der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen
in Celle hat
am 19. April 2001
gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz
durch die Richter
B. - Vorsitzender -, C. und D.
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. November 2000 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt ab 13. August 1997 die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) statt der erhaltenen Arbeitslosenhilfe (Alhi). Streitig ist die Erfüllung der Anwartschaftszeit (§ 104 Arbeitsförderungsgesetz - AFG -).
Der 1948 geborene Kläger war von 1969 bis zu seiner Entlassung im Mai 1987 Beschäftigter der Zollverwaltung der ehemaligen DDR. Nach seiner förmlichen Rehabilitierung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung wurde er 1990 wieder in den Zolldienst eingestellt. Dabei verneinte der Kläger die im Personalfragebogen enthaltene Frage nach einer Mitarbeit für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit. Der Kläger wurde mit Wirkung vom 22. Oktober 1991 zum Zollhauptsekretär unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe und mit Wirkung vom 3. April 1996 zum Beamten auf Lebenszeit ernannt.
Das Bundesministerium der Finanzen nahm mit Erlass vom 16. Juni 1997 die unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe erfolgte Ernennung des Klägers zum Zollhauptsekretär zurück, weil diese vom Kläger durch arglistige Täuschung herbeigeführt worden sei. Aus dem Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR habe sich ergeben, dass der Kläger von November 1972 bis Februar 1988 als inoffizieller Mitarbeiter unter einem Decknamen für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen sei und in dieser Funktion zahlreiche Berichte mit personenbezogenen Informationen aus dem dienstlichen und privaten Umfeld abgegeben habe. Die hiergegen gerichtete Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht F. (Urteil vom 16. September 1999 -G.) und vor dem H. Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom 13. Juni 2000 -I.) erfolglos.
Auf die Arbeitslosmeldung des Klägers bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 14. November 1997 Alhi ab 13. August 1997 in Höhe von 375,83 DM wöchentlich. Den Widerspruch, mit dem der Kläger statt Alhi die Gewährung von Alg verlangte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2000 zurück, weil der Kläger innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist nicht mindestens 360 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden habe.
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat mit Urteil vom 15. November 2000 die am 9. Februar 2000 erhobene Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, dass die erforderliche Anwartschaftszeit gemäß § 104 AFG nicht erfüllt sei. Die vom Kläger begehrte nachträgliche Umdeutung einer im Beamtenverhältnis ausgeübten Tätigkeit in eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach § 168 AFG sei rechtlich nicht möglich. Dies gelte auch dann, wenn - wie hier - die Ernennung des Beamten gemäß § 12 Abs 1 Nr 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) zurückgenommen worden sei und der zuvor Ernannte in die Rechtsstellung zurückversetzt werde, in der er sich vor der das Beamtenverhältnis begründenden Ernennung befunden gehabt habe. Dies ergebe sich aus § 14 Satz 1 BBG, wonach eine Änderung der rechtlichen Qualität der geleisteten Dienste im Zeitraum zwischen der Ernennung und ihrer Zurücknahme nicht eintrete. Es handele sich weiterhin um Tätigkeiten, die ihrer Art nach nicht die Merkmale der in § 168 AFG beschriebenen versicherungspflichtigen Beschäftigungen aufweisen. Die Tätigkeit des Klägers sei arbeitsförderungsrechtlich als Zeiten eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses nach § 134 Abs 1 Nr 4b, Abs 2 Nr 1 AFG anzusehen, die den Beitragszeiten nur im Hinblick auf die Anwartschaft für die Alhi gleichgestellt werden, nicht aber für einen Anspruch auf Alg anwartschaftsbegründend wirken können.
Am 3. Dezember 2000 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er trägt vor, der Beamtenstatus sei rückwirkend entfallen, obwohl er die Dienstbezüge behalten habe. Das faktische Beamtenverhältnis müsse einer beitragspflichtigen Tätigkeit gleichgesetzt werden. Nur auf diese Weise werde er in die Rechtsstellung zurückversetzt, in der er sich zum Zeitpunkt der Ernennung befunden habe. Unerheblich sei es, dass an die Beklagte keine Beiträge abgeführt worden seien. Denn dieser Umstand sei keine Voraussetzung für den Anspruch auf Alg.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. November 2000 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. November 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2000 zu ändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 13. August 1997 Arbeitslosengeld abzüglich der erhaltenen Arbeitslosenhilfe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung mit Hinweis darauf, dass der Kläger von 1991 bis 1997 nicht tatsächlich als Arbeiter oder Angestellter gegen Entgelt beschäftigt gewesen sei, sondern in einem beitragsfreien Dienst- und Treueverhältnis gestanden habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die den Kläger betreffende Leistungsakte des Arbeitsamtes Hildesheim (Stamm-Nr: J.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden. Deren Einverständnis für die hier gewählte Verfahrensart ist nicht erforderlich.
Die gemäß § 144 Abs 1 Satz 2 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht ab 13. August 1997 kein Alg zu.
Zwecks Vermeidung von unnötigen Wiederholungen wird auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil des SG Bezug genommen (§ 153 Abs 2 SGG). Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
Bei der Rücknahme der Ernennung in das Beamtenverhältnis handelt es sich um einen einseitig gestaltenden Verwaltungsakt, der rückwirkend eine Rechtssituation herbeiführt, als wenn die Ernennung nicht ausgesprochen worden wäre (BVerwGE 16, 340). Die Folgen der Rücknahme der Ernennung sind in § 14 BBG geregelt. So wird für das Außenverhältnis an der Gültigkeit der Amtshandlungen des Ernannten festgehalten; für das Innenverhältnis ist geregelt, dass die gezahlten Dienstbezüge dem ehemaligen Beamten belassen werden können. Im Falle einer fehlerhaften Beamtenernennung besteht ein faktisches öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, sodass alle für die Beamten geltenden Regelungen unmittelbar oder entsprechende Anwendung finden (BVerwGE 100, 280, 283) [BVerwG 22.02.1996 - 2 C 12/94].
Auf Grund des faktischen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) es abgelehnt, ein nichtiges Beamtenverhältnis gemäß § 140 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in ein Arbeitsverhältnis, sei es nur in Form des faktischen Arbeitsverhältnisses, umzudeuten (BAG AP Nr 18 zu § 2 ArbGG). Das gilt auch für den Fall, dass vor der Ernennung zum Beamten ein Arbeitsverhältnis bestanden hat; auch hier lebt das Arbeitsverhältnis nach Rücknahme der Beamtenernennung nicht wieder auf (BAG vom 24. April 1997, NZA 1997, 1045). Eine nachträgliche Umdeutung des faktischen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses in eine beitragspflichtige Beschäftigung scheidet deshalb aus.
Es ist richtig, dass der Anspruch auf Alg nicht die tatsächliche Abführung von Beiträgen voraussetzt. Denn die Arbeitslosenversicherung ist keine Formalversicherung und will alle abhängig Beschäftigten schützen, die sich in einem beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis nach § 168 AFG befinden. Es muss jedoch die rechtliche Möglichkeit bestehen, dass die Beklagte vom Arbeitgeber Beiträge einziehen kann. Daran fehlt es in dem Rechtsverhältnis des Klägers zum Bundesministerium der Finanzen nach Rücknahme der Ernennung.
Der Kläger ist schließlich nicht völlig recht- und schutzlos geblieben. Seine Beschäftigungszeiten von 1991 bis 1997 sind als gleichgestellte Zeiten eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses, insbesondere als Beamter, angesehen worden. Diese haben einen Anspruch auf Alhi begründet, obwohl der Kläger aus seiner Erwerbstätigkeit in dieser Zeit keine Beiträge an die Beklagte abgeführt hat. Aus der Regelung des § 134 Abs 2 Nr 1 AFG wird gleichzeitig die Intention des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht, dass beitragsfreie Zeiten als Beamter - bzw eines als solchen zu behandelnden Beamten nach Rücknahme der Ernennung - nicht der Anwartschaftszeit für den Anspruch auf Alg dienen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.