Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.04.2001, Az.: L 1 RA 227/00

Fehlen einer Prozessvollmacht; Verrechnung einer Unterhaltsforderung mit Erwerbsunfähigkeitsrente

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
19.04.2001
Aktenzeichen
L 1 RA 227/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 15905
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0419.L1RA227.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 13.10.2000 - AZ: S 5 RA 293/99

Prozessführer

XXX

Prozessgegner

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,

hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle

auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2001

durch

die Richter D. - Vorsitzender -, E. und F. sowie

die ehrenamtlichen Richter G. und H.

fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

1

Der 40-jährige Kläger wehrt sich gegen die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung einer Unterhaltsforderung seiner 11-jährigen Tochter mit seiner laufenden Erwerbsunfähigkeits-Rente. Das Sozialgericht (SG) I. hat die Klage wegen fehlender Vollmacht des Prozessbevollmächtigten als unzulässig abgewiesen.

2

Der im Jahre 1960 geborene Kläger hat die Hauptschule besucht, keinen Beruf erlernt und als Hilfstischler, Bauhilfsarbeiter sowie zuletzt seit Ende der 80-er Jahre als Verkaufsfahrer gearbeitet. Der Kläger ist der Vater des am 12. März 1990 geborenen Kindes J..

3

Im September 1988 hatte er einen Verkehrsunfall erlitten und sich multiple Brüche im rechten und linken Bein sowie im linken Arm zugezogen (Unterschenkel, Sprunggelenk, Fußwurzel, Innenknöchel sowie von Hand- und Ellenbogengelenk). Die Beklagte hatte dem Kläger aufgrund der Unfallfolgen zunächst Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bewilligt (EU-Rente auf Zeit mit Bescheid vom 13. Februar 1990; EU-Rente auf Dauer mit Bescheid vom 27. Dezember 1990). Im Januar 1992 hatte der Kläger die Beschränkung auf eine BU-Rente beantragt, da er eine selbstständige Tätigkeit als Geschäftsführer einer GmbH aufnehmen wollte (Handel mit Parkettpflegemitteln sowie Holz- und Bautenschutz). Die Beklagte hatte dem Antrag entsprochen und dem Kläger Rente wegen BU auf Dauer bewilligt (Bescheide vom 27. August und 15. Oktober 1992 sowie vom 19. Februar 1993). Nachdem der Kläger im November 1994 das Gewerbe abgemeldet hatte, hatte er bei der Beklagten wieder Rente wegen EU beantragt und die Beklagte hatte auch diesem Antrag entsprochen (Bescheide vom 15. März und 8. September 1995). Seit 1999 betrug der monatliche Rentenzahlbetrag 1.472,25 DM.

4

Aufgrund zahlreicher Verbindlichkeiten des Klägers in Höhe von mehr als 100.000,00 DM (ohne Zinsen und Verfahrenskosten) waren der Beklagten seit der Rentenbewilligung von verschiedenen Gläubigern gegen den Kläger ergangene Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse sowie Kostenfestsetzungsbeschlüsse mit dem Antrag auf Verrechnung/Abzweigung vorgelegt worden. Den ersten Anträgen hatte die Beklagte zum Teil entsprochen, pfändbare Beträge vom Rentenzahlbetrag einbehalten und an die Gläubiger abgeführt. Den weiteren Anträgen hatte die Beklagte nicht mehr entsprochen, weil durch andere Verrechnungen die Pfändungsfreigrenze beim Kläger unterschritten worden war. Währenddessen hatte der Kläger beabsichtigt, seinen Wohnsitz ins Ausland zu verlegen Gran Canaria..

5

Mit zu diesem Verfahren führenden Schreiben vom 20. Januar 1999 beantragte der Landkreis (LK) K. (Kreisjugendamt) bei der Beklagten die Abzweigung gemäß § 48 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) eines angemessenen Teils aus der laufenden Rente und erklärte zur Begründung, dass der Kläger seiner Unterhaltspflicht in Höhe von monatlich 314,00 DM gegenüber seinem unterhaltsberechtigten Kind J. seit 1996 nicht nachkomme. Dazu überreichte der LK eine vollstreckbare Ausfertigung des Unterhaltstitels. Die Beklagte hörte den Kläger schriftlich an, der erklärte, keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen und nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen. Mit hier angefochtenem Bescheid vom 6. August 1999 nahm die Beklagte eine Abzweigung von der an den Kläger gezahlten Rente in Höhe von 324,00 DM monatlich vor und führte zur Begründung u.a. aus, dass die Abzweigung bei einem Rentenzahlbetrag in Höhe von 1.472,25 DM zulässig sei.

6

Gegen diesen Bescheid legte die Anwaltskanzlei L. pp. aus M. ohne Vorlage einer Vollmacht Widerspruch ein und fügte zur Begründung die Durchschrift eines Schreibens der Anwaltskanzlei an den Landkreis K. bei, worin die Aufhebung des Vollstreckungstitels mit der Begründung verlangt worden war, dass der Kläger als Bezieher einer EU-Rente nicht mehr leistungsfähig sei. Werde die Aufhebung nicht kurzfristig vorgenommen, werde Unterhaltsabänderungsklage beim Amtsgericht (AG) K. erhoben. Die Beklagte ersuchte den Landkreis K. um Auskunft, der mit Schreiben vom 9. September 1999 darlegte, dass die Unterhaltsschuld des Klägers gegenüber seiner Tochter fortbestehe, sich auf 314,00 DM monatlich belaufe und dem Landkreis von einer etwaigen Unterhaltsabänderungsklage vor dem AG K. nichts bekannt sei. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 1999 zurück.

7

Hiergegen hat die Anwaltskanzlei am 10. Dezember 1999 Klage vor dem SG N. erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass eine Unterhaltsabänderungsklage vor dem AG K. anhängig sei. Zudem habe die Beklagte bei der Bestimmung der Höhe der monatlichen Abzweigung nicht die zivilrechtlichen Pfändungsfreigrenzen von 1.350,-- bis 1.400,00 DM beachtet, wonach die Abzweigung allenfalls um 70,00 DM hätte betragen dürfen. Doch auch in dieser Höhe sei der Kläger nicht leistungsfähig, weil er im Hause seiner Ehefrau wohne und dieser eine monatliche Miete in Höhe von 650,00 DM zu zahlen habe. Schließlich habe der Kläger auch einen erhöhten Bedarf, da er infolge der durch den Verkehrsunfall erlittenen Beinlängendifferenz jeden Monat ein neues Paar Schuhe und mehr Hosen sowie wegen der Schmerzen erhebliche Schmerzmittel benötige, die nicht von den Krankenkassen bezahlt würden. Nachdem die Anwaltskanzlei weder der Klageschrift vom 8. Dezember 1999 noch der Klagebegründungsschrift vom 28. Dezember 1999 eine Vollmacht beigefügt hatte, hat das SG die Anwaltskanzlei mit Verfügungen vom 14. Dezember 1999 und 1. Februar , 5. April, 8. Juni sowie 4. September 2000 zum Teil unter Fristsetzung zur Übersendung der Prozessvollmacht aufgefordert und auf die Unzulässigkeit der Klage wegen fehlender Vollmacht hingewiesen. Nachdem sich die Anwaltskanzlei auch auf diese Verfügungen nicht gemeldet und keine Vollmacht vorgelegt hatte, hat das SG nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 13. Oktober 2000 die Klage wegen fehlender Prozessvollmacht als unzulässig abgewiesen.

8

Gegen den am 14. Oktober 2000 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 2. November 2000 eingelegte Berufung der schon in erster Instanz tätig gewordenen Anwaltskanzlei, die jedoch trotz Fristsetzung durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 9. November 2000 nicht begründet worden ist. Auf Fristsetzung des Berichterstatters vom 28. November 2000 hat die Anwaltskanzlei sodann mit Schriftsatz vom 29. November 2000 eine Prozessvollmacht vorgelegt und Akteneinsicht beantragt. Auch nach der Aktenrücksendung am 13. Dezember 2000 ist trotz Erinnerung durch den Berichterstatter eine Berufungsbegründung nicht eingegangen. Zwei Tage vor dem bereits geladenen Verhandlungstermin am 19. April 2001 hat die Anwaltskanzlei Terminsaufhebung mit der Begründung beantragt, dass der Landkreis K. "möglicherweise in die Rücknahme der Pfändung einwilligt".

9

Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen nach,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. Oktober 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 6. August 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1999 aufzuheben,

    hilfsweise,

  2. 2.

    den Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. April 2001 aufzuheben.

10

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Sie bezieht sich zur Begründung ergänzend auf den Gerichtsbescheid des SG.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von mündlicher Verhandlung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Die Berufung ist gemäß §§ 143f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Insbesondere hat die Anwaltskanzlei in der Berufungsinstanz eine Prozessvollmacht vorgelegt.

14

Die Berufung ist jedoch nicht begründet (Hauptantrag). Der Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden, denn das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

15

Zwar ist prozessual unschädlich, dass die Anwaltskanzlei bereits im Wider-spruchsverfahren keine Vollmacht vorlegen konnte, denn diese ist nur auf Verlangen der Behörde vorzulegen, § 13 Abs. 1 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Und ein solches Verlangen ist weder aus der Verwaltungsakte ersichtlich noch hat es die Beklagte vorgetragen.

16

Prozessual schädlich ist jedoch, dass die Anwaltskanzlei auch im gerichtlichen Verfahren vor dem SG eine Vollmacht nicht vorzulegen vermochte. Zwar sind die Prozesshandlungen des vollmachtlosen Vertreters vor dem SG bis zur nachträglichen Vorlage der Vollmacht schwebend unwirksam. Jedoch hat die nachträgliche Vorlage spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. bis zum Erlass des angekündigten Gerichtsbescheides zu geschehen, vgl. § 73 Abs. 2 SGG. Wird bis zu diesem Zeitpunkt die Vollmacht nicht nachträglich vorgelegt, werden aus den zunächst schwebend unwirksamen Prozesshandlungen (endgültig) unwirksame Prozesshandlungen (allgemeine Ansicht; vgl. nur: Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Aufl. 1998, § 73, Rn. 18). Auch die Klagerhebung ist eine Prozesshandlung. Daher war auch sie im vorliegenden Fall durch die fehlende (nachträgliche) Vorlage der Vollmacht unwirksam (geworden). Die Klage ist daher vom SG zu Recht aus prozessualen Gründen abgewiesen worden.

17

Auch eine Heilung des Fehlens der Vollmacht durch Vollmachtvorlage im Berufungsverfahren ist nicht eingetreten. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat für zutreffend hält und der er sich anschließt, kommt eine Heilung nur dann in Betracht, wenn eine auch für das erstinstanzliche Verfahren geltende Vollmacht erst in zweiter Instanz vorgelegt wird und das erstinstanzliche Gericht es unterlassen hatte, unter Fristsetzung zur Vorlage der Vollmacht aufzufordern. Hatte das erstinstanzliche Gericht jedoch zur Vorlage unter Fristsetzung aufgefordert, dann muss sich der Beteiligte bei gleichwohl unterbliebener Vollmachtvorlage ihr Fehlen entgegenhalten lassen; die Klage war dann unzulässig (BSG, Urteil vom 23.01.1986, 11 a RA 34/85, Breithaupt 1986, S 819; ebenso: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 73, Rn. 18a; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.11.1999, L 4 KA 4/99, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2000, S. 372 zuletzt wieder: BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000, B 6 KA 25/00 R; eine Heilung durch Vollmachtvorlage in zweiter Instanz gänzlich ablehnend: Zeihe, Kommentar zum SGG, § 73, Anm. 14 b cc) LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.05.1999, L 6 KA 13/99, Die Sozialgerichtsbarkeit 2000, S. 369). Vorliegend hat das SG gleich mehrfach zur Vorlage der Vollmacht unter Fristsetzung aufgefordert, nämlich mit den Verfügungen vom 14. Dezember 1999, 1. Februar , 8. Juni und 4. September 2000. Daneben hatte es zusätzlich mit Verfügung vom 4. September 2000 ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Klage wegen fehlender Vollmacht hingewiesen.

18

Ob es sich bei der in zweiter Instanz vorgelegten Vollmacht überhaupt um eine solche handelt, die auch für die erste Instanz (rückwirkend) gelten könnte, war daher nicht weiter zu prüfen. Gegen eine solche rückwirkende Geltung könnte immerhin sprechen, dass die Vollmacht vom Kläger am 29. November 2000 unterzeichnet war, also erst nach dem Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. hierzu nochmals BSG, a.a.O.).

19

Schließlich war auch der Hilfsantrag auf Terminsaufhebung abzulehnen, da der Kläger hierfür keine erheblichen Gründe im Sinne von § 202 SGG iVm § 227 Zivilprozessordnung (ZPO) vorgetragen hat.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.