Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 28.04.2010, Az.: 13 B 1651/10
Ablehnung; Aufenthaltserlaubnis; aufschiebende Wirkung; Gefälligkeitsattest; Reiseunfähigkeit; Statthaftigkeit; Verlängerung; vorläufiger Rechtsschutz; Zulässigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 28.04.2010
- Aktenzeichen
- 13 B 1651/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 47964
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 104a Abs 5 S 5 AufenthG 2004
- § 81 Abs 4 AufenthG 2004
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragssteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 EURO festgesetzt (§§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 GKG).
Gründe
I.
Die Antragsteller, eine Mutter mit zwei minderjährigen Kindern, begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse.
Bei den Antragstellern handelt es sich um türkische Staatsangehörige. Die Antragsteller zu 1.) und 2.) sind 1977 illegal in die Bundesrepublik eingereist, der Antragsteller zu 3.) wurde in Deutschland geboren. Die Antragsteller führten erfolglos Asylverfahren durch.
Da die Ausländerbehörde von einer Reiseunfähigkeit der Antragstellerin zu 1.) ausgegangen ist, wurden die Antragsteller zunächst in Deutschland geduldet. Anfang April 2008 erhielten Antragsteller dann nach § 104a AufenthG eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die bis zum 31.12.2009 verlängert wurde.
Im Herbst 2009 beantragten die Antragsteller die erneute Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse.
Mit Bescheid vom 29.12.2009, zugestellt am 05.01.2010, lehnte der Antragsgegner diese Anträge ab, forderte sie zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung an. Der Lebensunterhalt der Antragsteller sei nicht gesichert; im September 2009 seien Leistungen nach dem SGB II beantragt worden.
Die Antragsteller haben am 05.02.2010 Klage erhoben. In der Klage tragen sie vor, ihr Lebensunterhalt sei gesichert. Die Antragstellerin zu 1.) erziele als Angestellte (Verkäuferin, ab 01.05.2010) im E. Einkommen iHv. 1.800 € brutto monatlich. Allerdings sei ihre körperliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Die Voraussetzungen des § 104a Abs. 6 Nr. 3 AufenthG lägen bei ihnen vor. Auch sei die Antragstellerin zu 1.), wie eine - in Kopie mit übersandte - ärztliche Bescheinigung zeige, derzeit nicht reisefähig.
Am 31.03.2010 haben die Antragsteller dann um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Die Antragsteller beantragen
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen
Er ist der Ansicht, ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei zum Großteil bereits unstatthaft. Im Übrigen sei eine Abschiebung vorerst auch gar nicht beabsichtigt.
Der Klage tritt der Antragsgegner in der Sache entgegen. Die Antragsteller hätten nicht glaubhaft dargelegt, dass ihr Lebensunterhalt gesichert sei. Die Voraussetzungen des § 104a Abs. 6 AufenthG seien nicht nachgewiesen. Auch seien keine Gründe ersichtlich, weshalb eine Abschiebung eine unverhältnismäßige Härte darstellen würde.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 28.04.2010 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter. Zwar hatten die Antragsteller auch ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt, nicht jedoch der Antragsgegner. Er hat sich lediglich zur Frage der Übertragung der Sache auf den Einzelrichter geäußert, was jedoch nicht der Zustimmung zu einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer entspricht.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zum Teil bereits unzulässig.
Grundsätzlich ist zwar in den Fällen der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, weil im Normalfall gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die Ablehnung eines Antrages keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Ablehnung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG im Streit steht.
Ein Verlängerungsantrag entfaltet in den Fällen des § 104a AufenthG von vornherein keine Fiktionswirkung, wie sich aus § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG ergibt, der die Anwendung des § 81 Abs. 4 AufenthG ausdrücklich ausschließt. Die Ausreisepflicht entsteht nach alledem bereits mit Ablauf der bisherigen Befristung und nicht erst mit der ablehnenden Entscheidung.
Eine Umdeutung in einem Antrag nach § 123 VwGO kommt nicht in Betracht. Trotz entsprechender Hinweise haben die anwaltlich vertretenen Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren nicht umgestellt. Im Übrigen hat der Antragsgegner im Schriftsatz vom 15.04.2010 erklärt, zurzeit keine Abschiebungsmaßnahmen zu planen, so dass es einer einstweiligen Anordnung auch am Anordnungsgrund fehlen würde.
Vollständigkeitshalber weist das Gericht darauf hin, dass daneben Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung nicht bestehen und der angegriffene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung sich als offensichtlich rechtmäßig erweist. Zur Begründung wird in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Gründe des Bescheides verwiesen, denen das Gericht folgt. Der bisherige Vortrag der Antragsteller ist nicht geeignet, diese Gründe zu entkräften. Wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben, so ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel auch aus diesem Grunde abzulehnen.
Zulässig ist hingegen ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, soweit er sich auf die Abschiebeandrohung bezieht. Insoweit ist der Antrag indessen unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelf (§ 80 Abs. 1 VwGO) ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Dabei prüft das Gericht zum einen, ob im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Anordnung der sofortigen Vollziehung ordnungsgemäß nach § 80 Abs. 3 VwGO begründet wurde. Zum anderen trifft das Gericht eine eigene Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des bzw. der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aufschubinteresse) und dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes (Sofortvollzugsinteresse). Bei dieser Interessenabwägung sind wiederum zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs des bzw. der Antragsteller in der Hauptsache zu berücksichtigen, soweit diese bei summarischer Prüfung absehbar sind. Bestehen bereits bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und wird der Rechtsbehelf deshalb in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben, ist dem Antrag regelmäßig stattzugeben, denn ein überwiegendes öffentliches (oder anderes privates) Interesse am sofortigen Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kommt nicht in Betracht. Bestehen solche Zweifel nicht, erweist sich also der angegriffene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig und wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben, so ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel abzulehnen. So liegt es hier.
Die Antragstellerin zu 1.) hat sich in den Jahren 2008 und 2009 wiederholt freiwillig in der Türkei aufgehalten. Die in der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 12.03.2010 attestierte Reiseunfähigkeit der Antragstellerin zu 1.) ist damit nicht nachvollziehbar. Die Antragsteller haben jedenfalls den Verdacht, dass es sich möglicherweise um eine Gefälligkeitsbescheinigung handeln könnte, nicht ausräumen können. Hinzu kommt, dass die Diagnose auf den Vortrag von angeblichen Verfolgungsereignissen in der Türkei basiert, die die Antragstellerin zu 1.) vorgibt, erlitten zu haben („Aufgrund der Vorgeschichte in der Türkei mit Misshandlungen und sexuellen Übergriffen …“). In ihrem Asylantrag hat die Antragstellerin zu 1.) sich jedoch nur auf Verfolgung wegen ihres angeblichen jezidischen Glaubens berufen. Der Asylantrag der Antragstellerin zu 1.) wurde dann auch mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.09.1998 als offensichtlich unbegründet abgelehnt und der Vortrag der Antragstellerin als nicht glaubhaft erachtet. Auch im Klageverfahren war ausweislich des Urteils des Verwaltungsgerichts Hannovers vom 06.10.1999 - 1 A 6629/98 u.a. - nicht von im ärztlichen Attest geschilderten Verfolgungsmaßnahmen die Rede. Die Klage der Antragstellerin wurde rechtskräftig abgewiesen. Es steht nunmehr rechtskräftig fest, dass die Antragstellerin zu 1.) unverfolgt aus der Türkei ausgereist ist und es damit an jeder Grundlage für eine PTBS aufgrund erlittener Verfolgungsmaßnahmen im Heimatland fehlt. Im Übrigen hat die Antragstellerin durch ihre Reisen in die Türkei selbst gezeigt, dass sie problemlos in ihre Heimat zurückkehren kann.
Besondere Härten, die gegen eine Abschiebung sprechen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Daneben wird auch nicht Art. 8 EMRK, der als einfaches Bundesrecht gilt, jedoch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR auszulegen ist, verletzt. Auch wenn die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs uneinheitlich ist und eine fest umgrenzte Auslegung kaum zulässt, kann zwar festgestellt werden, dass die Verweigerung eines Aufenthaltsrechtes auch dann einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das Privatleben darstellen kann, wenn der Ausländer über starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt (die sich unter dem Stichwort „faktischer Inländer“ zusammenfassen lassen).
Die Situation muss dadurch gekennzeichnet sein, dass Deutschland das Land ist, zu dem der Ausländer gehört, während ihn mit seinem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band seiner Staatsangehörigkeit verbindet. Eine derartige Verankerung ist hier jedoch nicht gegeben. Zum Einen wurden die Antragsteller lange Zeit nur geduldet und ihre Aufenthaltserlaubnisse nach § 104a AufenthG waren lediglich befristet und boten kein gesichertes Aufenthaltsrecht; zum Anderen zeigt der Umstand, dass die Antragsteller ihren Lebensunterhalt immer noch nicht jedenfalls nicht vollständig aus eigener Kraft decken können, dass es an einer hinreichende Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland fehlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 52 Abs. 2 GKG n.F.; im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Eilverfahrens hat das Gericht den für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwert von 15.000 € jedoch halbiert.