Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 15.04.2010, Az.: 2 A 5202/08

Entstehen der Aufwendungen; Jahresfrist; Beihilfe; zahnärztliche Behandlung; Behandlung; Behandlungskosten; Aufwendungen; ärztliche Aufwendungen; lege artis; gerichtlicher Vergleich; Vergleich

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.04.2010
Aktenzeichen
2 A 5202/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47870
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger ist als Lehrer einer berufsbildenden Schule beihilfeberechtigt mit einem Bemessungssatz von 50 von 100. Zur Durchführung einer prothetischen zahnärztlichen Behandlung legte der Kläger der Beklagten einen Heil- und Kostenplan vor, bei dem die fiktive Beihilfeberechnung vom 05.10.2005 ergab, dass von den voraussichtlichen Aufwendungen mögliche Beihilfeleistungen in Höhe von 4.318,25 EUR geleistet werden können.

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In der Folgezeit unterzog sich der Kläger dieser Behandlung bei dem Zahnarzt B., der unter dem Datum des 06.06.2006 für seine zahnärztlichen Bemühungen 15.105,14 EUR liquidierte. Diesen Rechnungsbetrag zahlte der Kläger nicht, weil er der Auffassung war, dass die zahnärztlichen Leistungen insgesamt nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprachen und für ihn wertlos waren. Er ließ sich von seinem Zahnarzt verklagen, der vor dem Landgericht Verden ausgetragene Rechtsstreit führte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens am 07.02.2008 zu einem Vergleich. Da der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Versorgung mit sieben Kronen mangelhaft gewesen sei und diese wieder entfernt werden müssten, ebenso weitere sechs provisorisch eingegliederte Kronen und nur zwei Kronen ohne gravierende Mängel eingesetzt worden seien, verpflichtete sich der Kläger in dem Vergleich, dem Zahnärztlichen Rechenzentrum 2.300,00 EUR zu zahlen.

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Unter dem 25.04.2008 beantragte der Kläger eine Beihilfe zu Aufwendungen in Höhe von 2.300,00 EUR zu seiner zahnärztlichen Behandlung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Beihilfebescheid vom 19.06.2008 ab, weil der Kläger mit seinem Antrag die Jahresfrist für die Antragstellung versäumt habe. In seinem hiergegen erhobenen Widerspruch brachte der Kläger vor, über die geltend gemachten Aufwendungen habe er keine Rechnung erhalten, das Ausstellen einer neuen Rechnung sei von der Abrechnungsstelle abgelehnt worden. Seine Zahlungsverpflichtung folge auch nicht aus der zahnärztlichen Rechnung vom 06.06.2006, sondern aus dem gerichtlichen Vergleich, der nicht länger als ein Jahr zurückliege.

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Diesen Widerspruch wies der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 08.09.2008 als unbegründet zurück. Dort heißt es, der Beihilfeantrag sei verfristet gestellt worden. Eine Wiedereinsetzung wegen der Fristversäumnis könne dem Kläger nicht gewährt werden, weil der Kläger in der Lage gewesen sei, die zahnärztliche Rechnung vom 06.06.2006 vorsorglich mit dem Hinweis einzureichen, dass über die Höhe der zahnärztlichen Honorare noch ein Rechtsstreit schwebe.

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Am 20.10.2008 hat der Kläger gegen den ihn am 24.09.2008 zugestellten Bescheid Klage erhoben. Zur Begründung seines Begehrens trägt er vor: Im Mai/Juni des Jahres 2006 habe er die Behandlung bei B. abgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt sei für ihn klar gewesen, dass die bislang erbrachten Leistungen wertlos seien. Der Rechnungsbetrag sei nicht fällig gewesen, da er die zahnärztlichen Leistungen nicht abgenommen habe. Eine Zahlungspflicht könne deshalb erst durch den vor dem Landgericht Verden abgeschlossenen Vergleich entstanden sein. Er habe sich bei dem Sachbearbeiter der Beihilfestelle C. erkundigt, wie er vorgehen solle, weil er die Honorarklage des Zahnarztes erwartet habe. Insbesondere habe er sich nach geeigneten Sachverständigen für einen solchen Prozess erkundigt. Einen Hinweis auf die Notwendigkeit, die Rechnung vom 06.06.2006 gleichwohl zunächst einzureichen, habe er nicht erhalten.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung ihres Beihilfebescheides vom 19.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2008 zu verpflichten, ihm eine weitere Beihilfe in Höhe von 1.150,00 EUR zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und erwidert: Das vom Kläger behauptete Telefonat sei heute nicht mehr feststellbar. Ein weiterer ausdrücklicher Hinweis auf den Lauf der Jahresfrist sei im Übrigen auch entbehrlich gewesen, weil jeder Beihilfeantrag bereits einen solchen Hinweis enthalte. Der Kläger sei, wie das erkennende Gericht im Verfahren 2 A 4368/04 entschieden habe, nicht gehindert gewesen, die zahnärztliche Rechnung trotz des zu erwartenden Klageverfahrens einzureichen, mit dem Hinweis, dass eine abschließende Entscheidung über die Kostenhöhe noch nicht getroffen sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Beihilfevorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zu seinen Aufwendungen in Höhe von 2.300,00 EUR für seine zahnärztliche Behandlung bei Herrn B.. Dies ist antragsgemäß unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheides auszusprechen.

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Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Beihilfe sind die Regelungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (BhV), die aufgrund der Verweisung in § 87 c Abs. 1 Satz 1 NBG a.F. jeweils auch unmittelbar für die Beamten des Landes Niedersachsen Anwendung finden. Es handelt sich dabei um eine statische Verweisung auf die Beihilfevorschriften in der Fassung der 27. und 28. Änderung der Beihilfevorschriften, die auf den vorliegenden Fall weiterhin Anwendung finden. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht die Regelung des Beihilferechts der niedersächsischen Beamten durch Verwaltungsvorschrift für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten, da dies nicht der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügt. Es erklärt die Beihilfevorschriften aber für eine Übergangszeit im Interesse eines einheitlichen Handlungsprogramms für die Leistungsgewährung für weiter anwendbar, was auch die Kammer in ständiger Rechtsprechung noch zugrunde legt.

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Nach § 17 Abs. 9 BhV wird eine Beihilfe nur gewährt, wenn sie innerhalb eines Jahres nach Entstehen der Aufwendungen oder der Ausstellung der Rechnung beantragt wird, wobei zugunsten des Beihilfeberechtigten auf den jeweils späteren Zeitpunkt abzustellen ist. § 5 Abs. 2 Satz 2 BhV nennt als Entstehen der Aufwendungen den Zeitpunkt, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Das Entstehen der Aufwendungen liegt hier zeitlich nach dem Ausstellen des Rechnungsdatums vom 06.06.2006. Für den Beginn des Laufes der Jahresfrist ist deshalb nicht auf die zahnärztliche Rechnung von dem genannten Datum abzustellen. Unabhängig davon ist bei zutreffender Betrachtungsweise auch das Rechnungsdatum nachträglich korrigiert worden.

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Wenn maßgebend für das Entstehen von Aufwendungen der Zeitpunkt ist, in dem die Umstände, die die Aufwendungen verursacht haben, eingetreten sind, so sind Fälle denkbar, in dem mehrere Ursachen für die Aufwendungen vorhanden sind. So liegt es zur Überzeugung des Gerichts hier, nämlich einmal in der nur teilweise nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführten Behandlung, zum anderen in dem Abschluss des Vergleichs vor dem Landgericht Verden am 07.02.2008. Sind mehrere Ursachen vorhanden, so ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Buchholz 238.91 Nr. 3 BhV Nr. 9) auf die Ursache abzustellen, die am unmittelbarsten die wirtschaftliche Belastung in Form der Zahlungspflicht begründet, nicht aber auf zeitlich weiter zurückliegende Ursachen der Aufwendungen wie z.B. das Entstehen einer Krankheit oder auch der Abschluss eines Behandlungsvertrages. Dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass darauf abzustellen ist, wann dem Beihilfeberechtigten eine wirtschaftliche Belastung tatsächlich erwachsen ist, wann er also etwas aus seinem Vermögen aufzuwenden gehabt hatte, ist auch das Oberverwaltungsgericht Hamburg (DÖD 1978, 234) und das OVG Lüneburg (Urteil vom 22.12.1986 - 2 OVG A 168/85 -) gefolgt. Die Beihilfegewährung, die im Rahmen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn den Beamten vor wirtschaftlichen Belastungen schützen will, die er aus dem ihm regelmäßig zur Verfügung gestellten Dienstbezügen in Ausnahmefällen nicht bestreiten kann, wird erst durch Belastungen gerechtfertigt, wenn diese wirtschaftlich fühlbar werden, nicht jedoch bereits im Zeitpunkt eines zurückliegenden Behandlungsvertrages. Bei diesem Dienstvertrag bedurfte es einer Abnahme durch den Kläger nicht, um Honoraransprüche entstehen zu lassen. Die wirtschaftliche Belastung ist aber erst durch den Abschluss des zivilgerichtlichen Verfahrens mit dem Vertragsschluss entstanden, und zwar in Höhe von 2.300,00 EUR. Der Vergleich ist nämlich nicht so gehalten, dass er die vom Kläger noch zu begleichende Honorarforderung dergestalt spezifiziert, dass unter Bezugnahme auf die zahnärztliche Rechnung einzelne Positionen anerkannt, andere hingegen vom Zahnarzt fallengelassen werden. Die im Vergleichswege zu zahlende Summe ergab sich vielmehr aus einer überschlägigen Einschätzung des zahnärztlichen Honorars, soweit die beiden brauchbaren Kronen betroffen waren. Ist es aber so, wird nicht eine ursprünglich durch die Zahnarztrechnung begründete Belastung nachträglich durch den Vergleich reduziert, sondern die Belastung des Klägers und seiner beihilferechtlichen Aufwendungen entstanden erstmals unmittelbar aus der vergleichsweise eingegangenen Verpflichtung. Einen Rechnungsbeleg für Aufwendungen in Höhe von 2.300,00 EUR vorzulegen, war dem Kläger nicht möglich, weil sein entsprechender Wunsch von der Zahnärztlichen Abrechnungsstelle abschlägig beschieden worden war. Damit sind die vom Kläger mit Antrag vom 25.04.2008 geltend gemachten Aufwendungen nicht älter als ein Jahr, so dass es auf eine zu gewährende Wiedereinsetzung wegen Versäumnis der Jahresfrist und insbesondere auf das Einhalten der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag hier nicht rechtsentscheidend ankommt.

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Zu dem gleichen Ergebnis kommt man auch dann, wenn das Gericht für den Lauf der Jahresfrist auf die zahnärztlichen Rechnung abstellt. Dann nämlich kann es nicht auf das Rechnungsdatum des 06.06.2006 entscheidend und erheblich ankommen, weil die an jenem Tage erstellte Rechnung über 15.105,14 EUR jedenfalls konkludent später berichtigt worden ist. Die Berichtigung einer Rechnung kann nicht nur durch Ausstellen einer erneuten Rechnung mit einem anderen zu zahlenden Endbetrag erfolgen, sondern auch durch schlüssiges Handeln des Forderungsinhabers. Das OVG hat in seinem Urteil vom 02.12.1986 - 2 OVG A 63/85 - eine Rechnungskorrektur durch Reduzierung des erhöhten Rechnungsbetrages im buchungstechnischen Wege einer Teilgutschrift („Storno“) angenommen und zugleich den Beginn der auch in seinem Rechtsstreit entscheidungserheblichen Jahresfrist mit dem Datum der durch die „Gutschriften“ berichtigten, endgültigen Rechnungen angesehen. Die rechtlichen Überlegungen des OVG Lüneburg gelten zur Überzeugung der Kammer auch im vorliegenden Fall, weil die zugrunde liegende Überlegung, jedenfalls dann, wenn der Beihilfeberechtigte aus gutem Grund meint, er könne nur für einen Teil der „überhöht berechtigten“ Aufwendungen Beihilfe beanspruchen, und sich deswegen zunächst mit Erfolg um eine Herabsetzung der Rechnungsbeträge bemüht, könne nur das Datum der jeweils endgültigen, korrigierten Rechnung für den Beginn der Jahresfrist maßgeblich sein, auf die Interessenlage in diesem Rechtsstreit übertragbar ist. Auch hier hat der Kläger, wie der Ausgang des Zivilprozesses zeigt, mit gutem Grund, annehmen dürfen, der Zahnarzt dürfe jedenfalls die von ihm geforderte Summe nicht zur Gänze beanspruchen.

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 Dieser Argumentation kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Kammer in ihrem Urteil vom 09.10.2006 - 2 A 4368/04 - entschieden hat, die Klägerin des dortigen Verfahrens sei durch die Führung eines Rechtsstreits nicht daran gehindert gewesen, geeignete Maßnahmen zur Wahrung der Jahresfrist zu erreichen, musste sie doch damit rechnen, dass die gerichtliche Auseinandersetzung auch zu ihren Ungunsten ausgehen und sie die Kosten letztlich zu tragen haben könnte. Diese Argumentation greift durch und muss einem Beihilfeberechtigten entgegengehalten werden, der wie die Klägerin in dem von der Kammer entschiedenen Verfahren den Streit um die zivilrechtlichen Aufwendungen verliert und dem aus den genannten Erwägungen heraus Wiedereinsetzung in das Versäumen der Jahresfrist des § 17 Abs. 9 BhV nicht gewährt werden kann. In diesem Falle gibt es nämlich weder eine (konkludent) berichtigte Rechnung noch einen späteren Zeitpunkt für das Entstehen der Aufwendungen, weil das der Klage auf Zahlung des Honorars stattgebende Zivilurteil feststellt, dass der Anspruch des behandelnden Arztes von Anfang an und in voller Höhe bestanden hat. Deshalb ist es richtig, dass ein Beihilfeberechtigter, der sich wie der Kläger auf Zahlung des zahnärztlichen Honorars verklagen lässt, diesen Zivilprozess auf eigenes Risiko führt, wenn er nicht vorsorglich einen Beihilfeantrag stellt. Dieses Risiko realisiert sich aber nur bei einem vollständigen Unterliegen im Rechtsstreit. Bei einem (teilweisen) Obsiegen des Beihilfeberechtigten beginnt nach dem oben Gesagten hingegen die Ausschlussfrist zu einem späteren Zeitpunkt. Dieses Ergebnis schätzt die Kammer auch als sachgerecht ein. Zwar führt in einem solchen Fall der Beihilfeberechtigte den Zivilrechtsstreit im überwiegenden eigenen Interesse, sein teilweises Obsiegen kommt aber auch der Beihilfefestsetzungsstelle zu gute.

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Die Beklagte hat daher als Unterlegene gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Verfahrenskosten zu tragen. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.