Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.02.2003, Az.: 6 K 19/00
Abgrenzung von Herstellungskosten zu Anschaffungskosten bei Beauftragung eines selbstständigen Werkzeugmachers
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.02.2003
- Aktenzeichen
- 6 K 19/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 12831
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0218.6K19.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 255 HGB
- § 5 Abs. 1 S. 1 EStG
Fundstellen
- BBK 2003, 696
- EFG 2003, 835 (Volltext mit red. LS)
- INF 2003, 402
- NWB 2003, 2369
- StuB 2003, 899
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Im Unterschied zur Anschaffung liegt bilanzrechtlich und bilanzsteuerrechtlich eine Herstellung immer dann vor, wenn der Stpfl. das Wirtschaftsgut auf eigene Rechnung und Gefahr herstellt oder herstellen lässt und das Herstellungsgeschehen beherrscht.
- 2.
Lässt ein Stpfl. Spritzgusswerkzeuge durch einen selbstständigen Werkzeugmacher im Rahmen eines Werkvertrages anfertigen und obliegt dem beauftragten Werkzeugmacher eigenverantwortlich der Herstellungsvorgang einschließlich der Gefahrtragung für eine fehlerhafte Herstellung, so beherrscht dieser allein den Fertigungsvorgang und trägt die wirtschaftlichen Folgen seines eigenverantwortlichen Tuns. Für den Auftraggeber liegt damit keine Herstellung sondern eine Anschaffung vor.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Aktivierung von Gemeinkosten zulässig waren.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, an deren Stammkapital von 1 Mio. DM A i.H.v. 570.000 DM und B i.H.v. 430.000 DM beteiligt waren. Gegenstand des Unternehmens ist die Herstellung und der Vertrieb von Kraftfahrzeug-Zubehörteilen.
Das Finanzamt führte in der Zeit vom 10. August 1992 bis zum 30. Juni 1993 eine Außenprüfung für die Jahre 1985 - 1990 durch. Dabei ermittelte der Außenprüfer, dass die Klägerin für die Spiegelfertigung Spritzwerkzeuge durch Fremdunternehmen herstellen ließ. Für diese Spritzwerkzeuge wandte die Klägerin im Jahr 1985 184.179 DM auf. In den aktivierten Kosten für die Spritzwerkzeuge sind die Kosten für die bezogenen Materialien und die Fremdherstellungskosten für die Anfertigung der Werkzeuge enthalten. Nicht erfasst wurden Leistungen der eigenen Konstruktionsabteilung, die zur Auftragsvergabe und Anfertigung der Werkzeuge erforderlich waren.
Der Außenprüfer ging davon aus, dass die zur Herstellung der Spritzwerkzeuge für die Spiegelfertigung erforderlichen "konstruktiven Vorarbeiten" als Herstellungskosten der Werkzeuge zu erfassen seien. Dementsprechend schätzte er die Fertigungsgemeinkosten i.H.v. 25 % der Fremdherstellungskosten. Für 1985 ging er von 53.770 DM aus.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen erließ der Beklagte am 19. Mai 1994 einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 1985. Den Einspruch wies er durch Einspruchsbescheid vom 06.12.1999 als unbegründet zurück.
Mit ihren hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die sofortige Abzugsfähigkeit der vom Beklagten aktivierten Fertigungsgemeinkosten und eine entsprechende Herabsetzung der Körperschaftsteuer. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Werkzeuge seien entgegen der Auffassung des Beklagten nicht hergestellt, sondern angeschafft worden. Die Werkzeuge seien bei einem fremden Werkzeugmacher bestellt und von diesem konstruiert und gefertigt worden. Somit liege ein Anschaffungsvorgang in Form einer Werklieferung vor. Die alleinige Verantwortung für die Erstellung des Werkzeuges liege in der Hand des Werkzeugbauers. Dies ergäbe sich aus den vorliegenden AGB des Werbzeugbauers. Die vom Beklagten aktivierten Gemeinkosten zählten jedoch nicht zu den betriebsinternen Anschaffungsnebenkosten, so dass eine Aktivierung nicht hätte erfolgen dürfen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Einspruchsbescheids vom 06.12.1999 den Körperschaftsteuerbescheid 1985 vom 19.05.1994 dahingehend zu ändern, dass die Körperschaftsteuer für 1985 nach einem zu versteuernden Einkommen von 4.167.260 DM festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in den Einspruchsbescheiden. Danach handele es sich bei dem Erwerb der Spritzwerkzeuge für die Spiegelherstellung nicht um eine Anschaffung, sondern um eine Herstellung. Die dabei angefallenen Gemeinkosten seien deshalb zu aktivieren. Von einer Herstellung sei auszugehen, weil zur Herstellung der Spritzwerkzeuge vorab von der Klägerin umfangreiche konstruktive Vorarbeiten erforderlich gewesen seien. Nach Festlegung von äußerer Form, technischer Ausstattung und späterer Position der Spiegel am Fahrzeug in Abstimmung mit dem Fahrzeughersteller seien die zahlreichen Komponenten der Spiegel für eine rationelle Spiegelfertigung zu entwickeln und aufeinander abzustimmen. Dazu gehörten Befestigungen, Aussparung, Verschraubungen usw. für die Heizung, den Antrieb, die Verkabelung, die Spiegelhalterung usw. Diese Detailkenntnisse könnten von einem fremden Werkzeughersteller nicht erwartet werden. Diese konstruktiven Vorarbeiten seien deshalb von der Klägerin erbracht worden. Dementsprechend handele es sich um einen einheitlichen Herstellungsvorgang, in dem lediglich Dritte einbezogen seien.
In der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2002 schränkte die Klägerin ihr Begehren auf die dargestellte sofortige Abzugsfähigkeit der aktivierten Fertigungsgemeinkosten ein. Für das weitere Verfahren verzichteten die Beteiligten einvernehmlich auf mündliche Verhandlung.
Gründe
I.
Die Klage ist in dem noch anhängigen Umfang begründet.
1.
Der Antrag der Klägerin, den sie zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor Erörterung der Streitsache gestellt hat, war aufgrund der nachfolgenden, protokollierten Einschränkungen entsprechend der Darstellung im Tatbestand anzupassen.
2.
Der Beklagte hat die Fertigungsgemeinkosten zu Unrecht als Herstellungskosten der Werkzeuge aktiviert.
Gemäß § 8 I KStG i.V.m. § 5 I 1 EStG hat die Kl. in ihrer jeweiligen Bilanz das BV anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Die Bewertung erfolgt gemäß § 6 I Nr. 1 EStG mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Für von Dritten bezogene WG sind daher die Anschaffungskosten, für selbst hergestellte WG die Herstellungskosten maßgeblich. Herstellungskosten sind gemäß § 255 II 1 1. Alt HGB die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Wirtschaftsguts entstehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Januar 1994 IV R 104/92, BFHE 174, 136, BStBl II 1994, 512; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830, 833). Anschaffungskosten sind die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, ferner die Nebenkosten und nachträglichen Anschaffungskosten.
Im Unterschied zur Anschaffung liegt (bilanzrechtlich und bilanzsteuerrechtlich) eine Herstellung immer dann vor, wenn der Steuerpflichtige das Wirtschaftsgut auf eigene Rechnung und Gefahr herstellt oder herstellen lässt und das Herstellungsgeschehen beherrscht (BFH IV B 178/90, BFHE 167, 388 [BFH 05.03.1992 - IV B 178/90]; BStBl. II 1992, 725).
3.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Kl. die Spritzgusswerkzeuge durch einen selbstständigen Werkzeugmacher herstellen lassen und damit angeschafft. Die einzelnen Werkzeuge wurden im Rahmen eines Werkvertrages angefertigt. Dies belegen die vorgelegten Auftragsbestätigungen des beauftragten Werkzeugmachers. Danach gingen die Vertragsparteien vom Abschluss eines Werklieferungsvertrages aus, da die Fertigung des Werkzeuges zu den beigefügten allgemeinen Geschäftsbedingungen des Werkzeugmachers für die Herstellung von Werkzeugen erfolgen sollte. Ihm oblag eigenverantwortlich der Herstellungsvorgang. Dieser hatte die Gefahr für eine fehlerhafte Herstellung zu tragen, leistete Gewähr für die fehlerfreie Herstellung und ihm oblag es, die Art und Weise der Herstellung zu bestimmen. Folglich beherrschte allein der mit der Fertigung der Werkzeuge beauftragte Unternehmer den Fertigungsvorgangs und trug die wirtschaftliche Folgen seines eigenverantwortlichen Tuns.
4.
Daran ändert auch die Erbringung derjenigen Vorleistungen der Kl. nichts, die erforderlich sind, um die Werkzeuge herzustellen. So bleibt die Herstellung unvertretbarer Sachen nach den genauen Vorgaben des Bestellers gleichwohl eine Anschaffung im steuerrechtlichen Sinne, solange der Dritte das Werk auf eigene Rechnung und Gefahr herstellt. Im Streitfall vereinbarten die Beteiligten entsprechend der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Herstellung von Werkzeugen (AGB-Formenbau, Nr. 107/83 Bundesanzeiger Nr. 211 vom 10.11.1983), dass der Besteller eine Artikelbezeichnung, ggf. Muster mit Angabe des zu verarbeitenden Rohstoffes und auf den Artikel bezogenen Schwingungsfaktors, dazu Maschinenblätter und eventuell weitere Unterlagen beizubringen hat. Diese allgemein für das Werkzeugmachergewerbe geltenden Vorgaben zwischen Besteller und Lieferanten beruhen auf der Notwendigkeit der für die Anfertigung eines jeweils neu zu konstruierenden Einzelwerkstücks erforderlichen detailgenauen Beschreibung des Liefergegenstandes. Die Anfertigung des jeweiligen Werkstückes erfolgt nach den Vorgaben und Erfordernissen des Bestellers, da dieser das fertige Werkzeug seinerseits in den Produktionsprozess einbringen will. Dies erfordert es, dass eine Leistungsbeschreibung derart eingehend und genau erfolgen muss, dass für den Lieferanten unverwechselbar feststeht, wie das herzustellende Werkstück beschaffen sein muss. Zu dieser Leistungsbeschreibung ist allein der Besteller in der Lage und fällt nach der gesetzlichen Regelung zu seinen vertraglichen Pflichten. Diese von der Kl. im Streitfall erbrachten Vorarbeiten waren damit Teil der Konkretisierung ihrer Bestellung und keine mitwirkende Teilnahme am Herstellungsvorgang. Demgemäß durften Fertigungsgemeinkosten nicht zu den Anschaffungskosten hinzu aktiviert werden.
II.
Die Berechnung der festzusetzenden Körperschaftsteuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihr Begehren erst in der mündlichen Verhandlung eingeschränkt hat, folglich insoweit unterlegen ist.
Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.