Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.02.2003, Az.: 8 K 275/99
Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung eines Seeschiffes; Voraussetzungen für den Erlass einer Steuerschuld; Sachliche Unbilligkeit der Erhebung der Einkommensteuer; Nachversteuerung des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.02.2003
- Aktenzeichen
- 8 K 275/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 26308
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0225.8K275.99.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 31.03.2004 - AZ: X R 25/03
Rechtsgrundlagen
- § 227 AO
- § 10d a.F. EStG
- § 34 EStG
Fundstelle
- EFG 2004, 866
Redaktioneller Leitsatz
- 1
Zu den Voraussetzungen eines Erlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen.
- 2.
Die BFH-Grundsätze zur Nachversteuerung des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten sind auf Komplementäre einer KG nicht anzuwenden. Denn bei diesen ist das Kapitalkonto kein reine "Rechengröße", sondern spiegelt die Mehrung oder Minderung des Betriebsvermögens wider, sodass Verluste gem. § 10d Satz 4 a.F. EStG bei der Besteuerung zu berücksichtigen waren.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht den Erlass von Einkommensteuer infolge des Gewinns aus der Veräußerung eines Seeschiffes abgelehnt hat, obwohl sich Verluste früherer Jahre hieraus steuerlich nicht ausgewirkt haben.
Der Beklagte veranlagte die verheirateten Kläger zusammen zur Einkommensteuer. Der Kläger betreute Schifffahrtsgesellschaften, an denen er sich auch selbst beteiligte. Er war u.a. Komplementär der in 1994 im Handelsregister gelöschten W-KG. Gegenstand dieses Unternehmens war der Betrieb und die Bereederung von Seeschiffen. In 1978 erwarb die KG das Frachter- und Containerschiff MS "X" und betrieb dieses Schiff bis zu dessen Veräußerung im Jahr 1988. Von dem hieraus erzielten Veräußerungspreis entfiel auf den Kläger ein anteiliger Veräußerungsgewinn von 3.1 Mio DM, welcher das negative Kapitalkonto des Klägers minderte. Der Beklagte unterwarf den Veräußerungsgewinn in voller Höhe der Einkommensbesteuerung, gewährte aber die Tarifbegünstigung nach § 34 Einkommensteuergesetz (EStG). Ein Ausgleich mit bisher unberücksichtigten Verlusten aus den Jahren vor 1982 erfolgte nicht. Auf die Klägerin, die seit 1986 durch unentgeltliche Übertragung ebenfalls Komplementärin der W-KG war, entfiel ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 1.8 Mio DM.
Aus der eigenbetrieblichen Betätigung der KG resultierten aus den Jahren 1978 bis 1981 erhebliche Verluste, die zum weitaus überwiegenden Teil auch durch den Betrieb der MS "X" verursacht worden waren und bei denen nur teilweise ein Ausgleich durch Gewinne erfolgen konnte. Die für den Kläger insoweit nicht ausgeglichenen und aufgrund der zeitlichen Begrenzung des Verlustvortrages nach § 10 d alter Fassung auch nicht mehr abziehbaren Verluste belaufen sich nach Auffassung des Beklagten auf 2.0 Mio DM bzw. nach Auffassung des Klägers auf 2.9 Mio DM.
Mit Schreiben vom .............1995 beantragten die Kläger, die Einkommensteuer 1988, die insgesamt in Höhe von 1.2 Mio DM festgesetzt ist, in Höhe von 0.9 Mio DM gemäß § 227 Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, da weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgründe vorlägen.
Den hiergegen gerichteten Einspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück. Im Einspruchsbescheid führte er hierzu aus, es lägen weder die Voraussetzungen für einen Erlass aus sachlichen noch für einen Erlass aus persönlichen Gründen vor. Die Neufassung des § 10 d Einkommensteuergesetz (EStG) ohne zeitliche Begrenzung des Verlustvortrages sei gemäß § 52 Abs. 13 d EStG 1990 erstmals auf nicht ausgeglichene Verluste des Veranlagungszeitraums 1985 anzuwenden. Für Verluste vorangegangener Veranlagungszeiträume gelte somit weiterhin die Begrenzung auf fünf Jahre. Durch die Vorschrift des § 52 Abs. 13 d EStG habe der Gesetzgeber eine eindeutige zeitliche Anwendungsregelung geschaffen. Damit bestünde für Billigkeitsmaßnahmen grundsätzlich kein Raum mehr, denn diese dürften nicht die Geltung des Gesetzes unterlaufen, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen. Im Streitfall lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber mit der eindeutigen Anwendungsregelung nicht auch bewusst den vorhersehbaren Eintritt von Härten in Kauf genommen habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht durch die Neufassung des § 10 d EStG als solche. Nach dem Bericht des Finanzausschusses des Bundestages (Bundestagsdrucksache 11/2536, Seite 22, 52 und 78) sei die Abschaffung der Befristung erfolgt, um die Liquidität kleinerer und mittlerer Unternehmen zu verbessern, einen Ausgleich für die Versagung des Verlustabzugs nach einem sog. Mantelkauf zu schaffen und die Rechtslage entsprechend den Harmonisierungszielen der EG Kommission anzupassen. Bedenken wegen der Begrenzung in der Vergangenheit sei nicht Gegenstand der Beratung und demnach nicht Grund für die Änderung gewesen.
Im Streitfall träten auch keine besonderen Umstände hinzu, die den zeitlich beschränkten Verlustvortrag als unvereinbar mit den Wertungen des Gesetzgebers und damit unbillig erscheinen ließen. Eine Erhebung der Einkommensteuer könne nach der Rechtsprechung des BFH zwar dann sachlich unbillig sein, wenn das Zusammenwirken mehrerer Regelungen des Einkommensteuerrechts zu einer zu hohen Steuerschuld führe, ohne dass dem ein realer Zuwachs an Leistungsfähigkeit zugrunde liege. Ein solches Zusammenwirken mehrerer Regelungen sei aber vorliegend nicht gegeben. Der Umstand, dass die Kläger die Verluste im Jahr ihrer Entstehung nicht hätten ausgleichen können, sei Ausfluss des Prinzips der Abschnittsbesteuerung. Die Altregelung des § 10 d EStG, die die Vortragsfähigkeit nicht ausgeglichener Verluste auf fünf Jahre beschränke, durchbreche dieses Prinzip nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nur in sehr eingeschränktem Maße zugunsten des abschnittsübergreifenden Nettoprinzips als Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips. Die im vorliegenden Fall zu beurteilende Fallgestaltung, dass eine KG über viele Jahre Verluste erwirtschaftet habe und der Komplementär einen Teil dieser Verluste mit einem späteren Veräußerungsgewinn wegen des begrenzten Verlustvortrags nicht verrechnen könne, entspreche geradezu der typischen Problemlage, die durch diese vom Gesetzgeber seinerzeit angeordnete Regelung vorgegeben gewesen sei. Diese Härte könne deshalb keine Grundlage dafür bilden, die Einkommensteuer wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen bzw. zu erstatten.
Gründe für einen Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen seien ebenfalls nicht erkennbar.
Im Klageverfahren vertreten die Kläger die Auffassung, der Beklagte habe sein Ermessen rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Vorliegend sei eine sachliche Unbilligkeit gegeben, da gegen das besonders im Einkommensteuerrecht herrschende Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoßen werde. Der Beklagte habe den Gewinn aus dem Verkauf des Seeschiffes beim Kläger in Höhe von 3.1 Mio DM erfasst, die mit dieser Beteiligung im Zusammenhang stehenden Verluste der Vorjahre dagegen steuerlich wegen Zeitablaufs nicht berücksichtigt. Dieses Ergebnis sei sachlich nicht zu rechtfertigen, denn es sei unbillig, auf der einen Seite Steuern vom Veräußerungsgewinn zu erheben, eine Steuerentlastung durch die nicht in Ansatz zu bringenden Verlustvorträge jedoch rechnerisch zu negieren. Die nicht ausgenutzten Verlustvorträge hätten zu einer Verminderung des Kapitalkontos des Klägers bei der KG geführt. Die ihm zugewiesenen Gewinne hätten zwar das negative Kapitalkonto ausgeglichen, jedoch keinen Zuwachs an Leistungsfähigkeit erbracht. Wenn dieser Gewinnanteil steuerlich nochmals belastet würde, ergäbe sich für die Kläger eine zusätzliche Belastung aus der Beteiligung, die nur aus der unbilligen Anwendung des § 10 d EStG alte Fassung resultiere. Dies stelle eine sachliche Unbilligkeit dar, die durch einen Steuererlass zu beseitigen sei.
Zwar habe das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.07.1991 (HFR 1992, 423) festgestellt, dass § 10 d Abs. 1 Satz 4 alte Fassung EStG verfassungskonform sei. Dies bedeute jedoch nicht, dass bei Anwendung dieser gesetzlichen Vorschrift die daraus resultierenden Steuerbelastungen keine unbillige Härte für den betroffenen Steuerpflichtigen darstellen könnten, die einen Steuererlass rechtfertigen würden. In diesem Sinn sei auch das Urteil des BFH vom 25.01.1996 (BStBl II 1996, 291) zu verstehen, in dem dargelegt werde, dass der Gesetzgeber selbst die Unbilligkeit der Vorschrift des § 10 d EStG alte Fassung erkannt und durch die Neufassung dieser gesetzlichen Bestimmung die Unbilligkeit der zeitlichen Begrenzung des Verlustvortrages aufgehoben habe.
Die Einkommensteuer sei daher insoweit zu erlassen, als sie bei fiktivem Ausgleich mit den bisher nicht ausgeglichenen Verlusten nicht entstanden wäre.
Die Kläger beantragen,
den Einspruchsbescheid vom 24.03.1999 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Klage- und Erlassakte.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
Das Finanzamt hat den begehrten Erlass nach § 227 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen ermessensfehlerfrei abgelehnt.
Gemäß § 227 AO kann das Finanzamt Ansprüche aus sachlichen oder persönlichen Gründen aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre. Unter denselben Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet werden. Die Entscheidung ist eine Ermessensentscheidung, die nach § 102 FGO von dem Gericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Finanzamt von dem eingeräumten Ermessen in sachgerechter Weise Gebrauch gemacht hat. Das Gericht kann nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen.
Persönliche Billigkeitsgründe sind von den Klägern nicht vorgetragen worden und nach Aktenlage auch nicht erkennbar.
Sachlich unbillig ist die Erhebung der Einkommensteuer, wenn sie im Einzelfall nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Grundsätzlich müssen dabei solche Erwägungen unbeachtet bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Eine Billigkeitsmaßnahme darf keinesfalls dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen (vgl. Urteil des BFH vom 26.10.1994 X R 104/92, BStBl II 1995,297 m.w.N.). Ermessensfehler sind danach nach Aktenlage nicht gegeben.
Die Kläger können sich nach Auffassung des Senats nicht auf die Urteile des BFH vom 26.10.1994 X R 104/02 (BStBl II 1995, 297) und vom 25.01.1996 IV R 91/94 (BStBl II 1996, 289) berufen, denn vorliegend geht es nicht um die Auflösung eines negativen Kapitalkontos der Kommanditisten. Zwar hat der BFH entschieden, dass durch die Nachversteuerung des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten im Falle der Betriebsaufgabe nicht ein tatsächlich eingetretener Vermögenszugang der Besteuerung unterworfen, sondern ein Ausgleich dafür geschaffen werde, dass dem Kommanditisten in der Vergangenheit Verluste zugerechnet worden seien, obwohl sich sein gegenwärtiges Vermögen nicht gemindert hatte, der sich aus der Auflösung des negativen Kapitalkontos ergebende Gewinn also eine reine "Rechengröße" sei (vgl. Urteile des BFH vom 25.01.1996 IV R 91/94 und 26.10.1994 X R 104/92 a.a.O.). Die Annahme eines Gewinns bei Wegfall des negativen Kapitalkontos rechtfertige sich danach als Korrelat zu der zuvor eröffneten (abstrakten) Möglichkeit der Inanspruchnahme von Verlusten. Die Kläger waren aber nicht Kommanditisten, sondern Komplementäre der KG. Das Kapitalkonto ist in diesem Fall keine reine "Rechengröße", sondern spiegelt die Mehrung oder Minderung des Betriebsvermögens wieder. Entsprechend dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung waren diese tatsächlich entstandenen Betriebsvermögensänderungen unter Berücksichtigung des § 10 d Satz 4 a.F. EStG der Besteuerung zugrunde zu legen, denn § 10 d Satz 4 a.F. EStG war verfassungsgemäß (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.07.1991 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423). Dass auch nach der Neuregelung des § 10 d EStG durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.07.1988 (BStBl I 1988, 224) nicht alle in der Vergangenheit entstandenen Verluste zu berücksichtigen waren, entspricht nach Auffassung des Senats der typischen Problemlage, die durch diese seinerzeit vom Gesetz angeordnete zeitliche Begrenzung des Verlustvortrages und die nach § 52 Abs. 13 d EStG auf Veranlagungszeiträume ab 1985 geltende Rückwirkung des unbegrenzten Verlustvortrages vom Gesetzgeber bewusst vorgegeben worden sind (vgl. Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg 14 K 606/91, EFG 1996, 1077). Der von den Klägern begehrte Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen würde daher nach Auffassung des Senats die generelle Geltungsanordnung des Gesetzes unterlaufen.
Danach konnte die Klage keinen Erfolg haben und war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 FGO.