Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.10.2004, Az.: 3 A 57/03

Amtsarzt; Beweislast; Beweiswert; Darlegungslast; Dienstbezüge; Dienstfähigkeit; Dienstunfähigkeit; Fernbleiben vom Dienst; Mitwirkungspflichten

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.10.2004
Aktenzeichen
3 A 57/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50769
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Verlustes seiner Dienstbezüge ab dem 03.06.2002 gemäß § 9 BBesG, welche das Grenzschutzpräsidium Mitte - GSP - mit Bescheid vom 21.06.2002 traf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei seit Jahren unter der Vorlage privatärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dem Dienst ferngeblieben. Zwar lägen nach amtsärztlichen Feststellungen beim Kläger neben einer Erkrankung des Rückgrats eine neurotische Angststörung, eine Alkoholabhängigkeit sowie eine psychosomatische Reaktionsbereitschaft vor; dennoch sei er dienstfähig, seine Arbeitsaufnahme bzw. eine gezielte Behandlung der psychiatrisch-psychosomatischen Beschwerden scheiterten lediglich an der fehlenden Bereitschaft des Klägers, eine Therapie durchzuführen. Damit sei er schuldhaft ohne Genehmigung dem Dienst ferngeblieben. Seine Angststörung mache den Kläger nicht dienstunfähig, sondern hindere ihn nur, den Dienst aufzunehmen, weil er nicht arbeiten wolle. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das GSP mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2003, zugestellt am 21.02.2003, zurück. Die umfangreichen amtsärztlichen Feststellungen zur Dienstfähigkeit des Klägers hätten Vorrang vor den - seit dem 23.06.2002 lückenlos vorgelegten - privatärztlichen Krankschreibungen. Der Kläger sei schuldfähig und verfolge weiterhin bewusst den Plan, sich ohne Dienstleistung lebenslang versorgen zu lassen.

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Am 12.03.2003 hat der Kläger Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt, dem das erkennende Gericht mit Beschluss vom 25.04.2003 - 3 B 58/03 - stattgegeben hat; die Beschwerde der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (Nds.OVG, Beschluss vom 08.07.2003 - 2 ME 151/03 -).

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Der Kläger ist der Auffassung, er sei wegen der amtsärztlich festgestellten Angstneurose an der Aufnahme seines Dienstes gehindert; insofern sei er nicht steuerungsfähig und habe seine Dienstunfähigkeit durch die vorgelegten privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hinreichend nachgewiesen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Grenzschutzpräsidiums Mitte vom 21.06.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19.02.2003 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie beharrt darauf, dass der Kläger trotz vorhandener Dienstfähigkeit schuldhaft dem Dienst ferngeblieben sei. Seine psychischen Gesundheitsstörungen würden ihn zwar hindern, seinen Dienst aufzunehmen, dienstunfähig sei er damit jedoch nicht. Die Frage, ob bei bestehender Arbeitsunwilligkeit psychische Störungen die Dienstunfähigkeit begründeten, sei durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Die Entscheidungen im Eilverfahren hätten missachtet, dass privatärztlichen Bescheinigungen gegenüber amtsärztlichen Feststellungen kein entscheidender Beweiswert zukomme. Der Kläger habe die ihm auferlegte Verpflichtung verletzt, Erkrankungen durch amtsärztliche Atteste nachzuweisen; als Indiz, dass er in Wirklichkeit nicht krank gewesen sei, müsse gewertet werden, dass er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Auch das Gesamtverhalten des Klägers lasse nur den Schluss zu, dass jeder seiner Arztbesuche ausschließlich das Ziel habe, krankgeschrieben zu werden.

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Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und zur Sachlage wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des GSP Bezug genommen; diese Unterlagen sind Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Grenzschutzpräsidiums Mitte vom 21.06.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19.02.2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 3 B 58/03 hat die Kammer ausgeführt, woran der Einzelrichter auch nach umfassender Prüfung der Sach- und Rechtslage festhält:

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Seine materiellrechtliche Grundlage findet der festgestellte Verlust der Dienstbezüge in § 9 BBesG, dessen Voraussetzungen vorliegend ... nicht erfüllt sind. Nach § 9 Satz 1 BBesG verliert ein Beamter, der ohne Genehmigung dem Dienst schuldhaft fern bleibt, für die Zeit des Fernbleibens seine Dienstbezüge. Der Verlust der Dienstbezüge ist nach § 9 Satz 3 BBesG vom Dienstvorgesetzten festzustellen. Diese Feststellung ist sowohl rückwirkend (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.05.1997 - 1 DB 6.97 -) als auch für unbestimmte künftige Zeiträume (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07.2000 - 1 DB 9.00 -) zulässig. Zwar hat der Antragsteller unstreitig seit dem 03.06.2002 - wie auch in der hier nicht streitgegenständlichen Zeit davor - keinen Dienst geleistet; er war seither an keinem Arbeitstag beurlaubt oder auf sonstige Weise seitens seiner Dienstvorgesetzten (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG) von der Dienstleistung befreit worden. Sein Fernbleiben vom Dienst ist jedoch im Ergebnis als durch die vorgelegten privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als gerechtfertigt anzusehen.

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Die aktuelle, absolute Dienstunfähigkeit infolge einer Erkrankung ist im Rahmen des § 9 Satz 1 BBesG als Rechtfertigungsgrund anerkannt (Schwegmann/ Summer, BBesG, Stand: 09/02, § 9 BBesG Rn 9 a und d) und auf Verlangen nachzuweisen (§ 73 Abs. 1 Satz 2 BBG; vgl. auch die sog. Drei-Tage-Regelung des § 94 Abs. 2 Satz 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien). Der Nachweis wird im Regelfall durch (privat-)ärztliches Attest erbracht. Die verbindliche und abschließende Entscheidung, ob ein Beamter dienstunfähig ist, hat regelmäßig der Dienstvorgesetzte auf Grundlage der ärztlicherseits erteilten medizinischen Begutachtungen zu treffen (BVerwG, Beschluss vom 18.09.2002 - 1 DB 13.02 -, Dok.Ber. 2003, 48, 54). Zweifelt der Dienstvorgesetzte an der Richtigkeit einer privatärztlich diagnostizierten Dienstunfähigkeit, beispielsweise wegen des Verdachts einer zu großzügigen Krankschreibungspraxis oder aufgrund einer engen und häufigen zeitlichen Abfolge von Krankheits- und dienstfreien Tagen, kann er die Untersuchung des Beamten durch einen Amtsarzt anordnen oder dem Beamten aufgeben, jede Dienstunfähigkeit infolge von Krankheit durch ein amtsärztliches Attest oder ein substantiiertes, eine Diagnose enthaltendes privatärztliches Attest zu belegen. Kommt der Beamte einer solchen Anordnung nicht nach, verletzt er seine Mitwirkungspflicht und begeht ein Dienstvergehen.

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Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Beamte seine Dienstunfähigkeit nicht mehr auf andere als die von Dienstvorgesetzten angeordnete Weise belegen könnte und z.B. das Nichterbringen eines Nachweises durch amtsärztliches Attest trotz entsprechender Anordnung dem vollständigen Fehlen jeglichen Nachweises gleich zu behandeln wäre. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Satz 1 BBesG kommt es grundsätzlich (zu einer hier nicht relevanten Ausnahme vgl. Nds.OVG, Beschluss vom 17.03.2003 - 1 NDH M 3/02 -) nicht darauf an, ob Mitwirkungspflichten verletzt worden sind. Die Bestimmung beschränkt sich auf schuldhaft unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst und setzt die Pflicht zur Dienstleistung voraus, die für einen Dienstunfähigen nicht besteht. Daher obliegt dem Dienstherrn die materielle Beweislast für den Sachverhalt, der den Wegfall der Dienstbezüge begründet. Verletzt der Beamte ihm nach § 73 Abs. 1 Satz 2 BBG und aufgrund seiner Treuepflicht bei der Feststellung des Sachverhaltes obliegende Mitwirkungspflichten, schafft er damit zwar ein erhebliches Indiz dafür, dass er tatsächlich nicht dienstunfähig war. An der Beweislast ändert diese Verpflichtung jedoch nichts. Keinesfalls kann die Verletzung von Mitwirkungspflichten im behördlichen oder gerichtlichen Verfahrensabschnitt als „rechtsmissbräuchliches Verhalten" den Verlust der Dienstbezüge für sich allein bereits herbeiführen (BVerwG, Beschluss vom 11.02.1997 - 1 DB 12.96 -, Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 6 m.w.N.; GKÖD-Schinkel, Band III, Stand: 01/03, K § 9 Rn 35).

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Die Anwendung dieser Grundsätze bedeutet im vorliegenden Fall:

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Dem Antragsteller ist durch Verfügung des GSP Mitte vom 18.07.2001 aufgegeben worden, eine amtsärztliche Bestätigung vorzulegen, soweit er sich gegenüber der für den 26.07.2001 angeordneten Wiederaufnahme seines Dienstes auf gesundheitliche Hinderungsgründe berufen wolle. Der Antragsteller hat seit diesem Zeitpunkt keinen Dienst mehr geleistet, sondern vielmehr in ununterbrochener Folge privatärztliche Bescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit vorgelegt. Die Zweifel des Dienstvorgesetzten an der Berechtigung dieser Bescheinigungen führten zu amtsärztlichen Begutachtungen des Gesundheitszustandes des Antragstellers, zuletzt vom 22.04.2002. Hierin führte der Amtsarzt unter anderem aus, die erlittenen wiederholten Bandscheibenvorfälle schränkten die Fähigkeit des Antragstellers zu leichten Verwaltungstätigkeiten nicht dauerhaft ein; in seinem vorhergehenden Gutachten vom 08.06.2001 hatte er jedoch bereits darauf hingewiesen, dass die Rückenbeschwerden durchaus weiterhin zu kurzfristigen gerechtfertigten Krankschreibungen führen könnten. In Bezug auf die neurotische Erkrankung hielt der Amtsarzt am 22.04.2002 fest, das ursprüngliche „Nicht-arbeiten-wollen“ des Antragstellers habe sich inzwischen zu einer neurotischen Erkrankung in Sinne einer Angststörung entwickelt, die den Antragsteller an der Aufnahme der Verwaltungstätigkeit hindere. Da im vorherigen Gutachten vom 08.06.2001 noch trotz einer vorhandenen psychischen Störung von einer grundsätzlichen Dienstfähigkeit des Antragstellers ausgegangen wurde, hat sich die Angststörung des Antragstellers innerhalb von wenig mehr als einem Jahr deutlich progressiv entwickelt.

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Für den Zeitraum vom 19.08.2002 bis einschließlich zum 02.12.2002 hat der Antragsteller fortlaufende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Arztes für physikalische und rehabilitative Medizin G. aus Göttingen vorgelegt. Sie enthalten jeweils die Diagnose „M54.1“, was nach dem ICD-Diagnoseschlüssel eine Radikulopathie, also eine Nervenreizung oder -beschädigung der aus dem Spinalkanal austretenden Nerven, bedeutet. Die Diagnose steht offensichtlich im Zusammenhang mit den Rückenbeschwerden des Antragstellers, die nach den amtsärztlichen Feststellungen durchaus zu kurzfristigen Phasen vollständiger Dienstunfähigkeit führen können. Wäre der Dienstvorgesetzte im September 2002 zu der Auffassung gelangt, dass die diagnostizierte Radikulopathie, die daraus hergeleitete Dienstunfähigkeit oder das Merkmal der „Kurzfristigkeit“ zweifelhaft sei, so hätte er eine erneute amtsärztliche Untersuchung des Antragstellers anordnen oder ggf. den Sozialmedizinischen Dienst des GSP Mitte damit beauftragen müssen, um die indizielle Wirkung der privatärztlichen Krankschreibungen aufheben und die - zumindest partielle - Dienstfähigkeit des Antragstellers nachweisen zu können. Solange dies jedoch unterblieb, ist mangels anderer Anhaltspunkte, die gegen die Seriosität von G. sprechen könnten, für die Kammer nicht zu erkennen, dass seitens des Dienstvorgesetzten berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der bescheinigten absoluten Dienstunfähigkeit des Antragstellers ab dem 19.08.2002 bestanden, geschweige denn, dass die Antragsgegnerin die Dienstfähigkeit des Antragstellers nachgewiesen hätte. Unter diesen Umständen endete die Wirkung des mit Bescheid vom 21.06.2002 deklaratorisch festgestellten Verlustes der Bezüge mit Ablauf des 18.08.2002 kraft Gesetzes (§ 43 Abs. 2 VwVfG; vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07. 2000 - 1 DB 9.00 -).

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Im Ergebnis kann dahinstehen, ob der Dienstvorgesetzte des Antragstellers lediglich verpflichtet gewesen wäre, einen ab dem 19.08.2002 beginnenden Zeitraum im Hinblick auf den Alimentationsgrundsatz im Sinne einer vorübergehenden Unterbrechung unverzüglich von der Feststellungswirkung des Bescheides vom 21.06.2002 auszunehmen, oder ob vielmehr die kraft Gesetzes eingetretene Beendigung des Verlustes der Bezüge als Folgewirkung auch die Wirksamkeit des Bescheides vom 21.06.2002 mit der Folge beendete, dass eine erneute deklaratorische Feststellung des Verlustes der Bezüge ab dem Zeitpunkt erforderlich gewesen wäre, ab dem der Dienstvorgesetzte nach dem 19.08.2002 die Voraussetzungen des § 9 Satz 1 BBesG wieder als erfüllt ansehen durfte. Im letztgenannten Sinne dürfte die Entscheidung des BVerwG vom 07.07.2000 (aaO., sub 3.) zu verstehen sein, wonach die Fehlzeiten, die nach einer Unterbrechung des pflichtwidrigen Fernbleibens des Beamten vom Dienst aufliefen, nicht mehr Gegenstand des Verfahrens seien, und wonach in Bezug auf diese Fehlzeiten der Verlust der Bezüge noch erneut rückwirkend festgestellt werden könne. Eine erneute Feststellung ist im vorliegenden Fall nicht ergangen, so dass schon aus diesem Grund der Widerspruchsbescheid vom 19.02.2003 keinen Bestand haben könnte. Auf eine Entscheidung dieser rechtlichen Problematik kommt es jedoch nicht an. Denn der Antragsteller hat im Anschluss an die bis zum 02.12.2002 geltenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von G. ab dem 03.12.2002 Atteste des Arztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin H. aus Göttingen bis mindestens zum 18.03.2003 vorgelegt, die ihm ebenfalls eine Arbeits- bzw. Dienstunfähigkeit bescheinigten.

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Auch hinsichtlich der von H. ausgestellten Atteste kann nicht als nachgewiesen angesehen werden, dass der Antragsteller während des fraglichen Zeitraums dienstfähig war. Hinsichtlich der Angstneurose stellen die angegriffenen Bescheide des GSP Mitte maßgeblich darauf ab, die amtsärztlichen Gutachten kämen zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller nicht als Verwaltungsbeamter arbeiten wolle, dass er diese Einstellung bewusst gesteuert und damit seine neurotische Erkrankung willentlich herbeigeführt habe; außerdem blockiere er die Möglichkeit einer erfolgreichen Therapie, weil er die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand anstrebe. Insoweit teilt die Kammer zwar die Einschätzung der Antragsgegnerin; wenn auch die Verweigerungshaltung des Antragstellers als selbst verschuldete Ursache seiner Erkrankung und deren Aufrechterhaltung einer disziplinarrechtlichen Untersuchung bedürfen wird, ist jedoch im Rahmen des § 9 Satz 1 BBesG unerheblich, was die Ursache für die Dienstunfähigkeit eines Beamten ist. Allein maßgeblich ist, ob Anzeichen vorlagen, die entgegen den privatärztlichen Attesten eine zumindest partielle Dienstfähigkeit des Antragstellers annehmen ließen. Derartige Indizien sind von der Antragsgegnerin nicht vorgebracht worden. Soweit sie sich auf die amtsärztlichen Begutachtungen beruft, ist zwar richtig, dass bezüglich der Feststellung der Dienstfähigkeit eines Beamten die amtsärztlichen Äußerungen grundsätzlich einen höheren Beweiswert haben als privatärztliche Atteste, weil der beamtete Arzt im Vergleich zu einem Privatarzt in der Regel bessere Kenntnisse hinsichtlich der Belange der öffentlichen Verwaltung und der vom Beamten zu verrichtenden Tätigkeiten sowie größere Erfahrung bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit besitzt (BVerwG, Beschluss vom 07.07.2000, aaO., sub 1.).

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Im vorliegenden Fall lässt sich dem letzten amtsärztlichen Gutachten vom 22.04.2002 jedoch gerade nicht entnehmen, dass der Antragsteller trotz seiner neurotischen Erkrankung eingeschränkt dienstfähig bleibt. Im Gegenteil hindert nach amtsärztlicher Einschätzung die Angstneurose den Antragsteller, eine Verwaltungstätigkeit aufzunehmen, so dass der Amtsarzt in seinem Schlusssatz ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand hinweist. Im Vergleich zum Gutachten vom 08.06.2001, worin lediglich eine Behinderung der Arbeitsaufnahme diagnostiziert und eine Psychotherapie vorgeschlagen wurde, kommt das Gutachten vom 22.04. 2002 zu dem Schluss, dass der Antragsteller ohne eine Therapie der Angstneurose - zu der er offenbar nicht bereit ist - keine Verwaltungstätigkeit wird verrichten können. Ihm kommt deshalb keine Indizwirkung zu, dass der Antragsteller entgegen den Attesten von H. teilweise dienstfähig wäre. Auch hinsichtlich dieser Erkrankung gelten die obigen Ausführungen, wonach für die Kammer sonstige Indizien, insbesondere in der Person von H., für die Ausstellung von Gefälligkeitsattesten nicht ersichtlich sind und es dem Dienstvorgesetzten des Antragstellers obliegt, bei Zweifelsfällen den Beweiswert privatärztlicher Krankschreibungen durch zusätzlich angeordnete Untersuchungen zu entkräften, was vorliegend nicht geschehen ist.

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Das Nds.OVG (Beschluss vom 08.07.2003 - 2 ME 151/03 - teilt diese Rechtsauffassung und führte dazu (Seite 5) aus, dass eine nunmehr „manifeste neurotische Erkrankung im Sinne einer Angststörung“ bei dem Antragsteller vorliegt, die ihn daran hindert, eine Tätigkeit im Polizeiverwaltungsdienst aufzunehmen. Dies kann bei verständiger Würdigung nur dahin gedeutet werden, dass auch die Amtsärzte wegen einer psychischen Erkrankung (Angstneurose) die Dienstfähigkeit des Antragstellers (auch für den Polizeiverwaltungsdienst) verneint haben.

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Soweit die Beklagte unter Berufung auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausführt, dass die Frage noch zu erörtern sei, wann psychische Störungen bei bestehender Arbeitsunwilligkeit die Dienstunfähigkeit begründeten, und dass die vom Kläger eingereichten privatärztlichen Atteste neben den amtsärztlichen Gutachten keinen entscheidenden Beweiswert hätten, kommt es nach den vorstehend aus dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zitierten Darlegungen hierauf nicht an. Denn die Beklagte hat trotz ihrer Darlegungs- und Beweislast (vgl. Nds.OVG, aaO., Seite 4 m.w.N.) für die durchgängig bestehende Dienst- (und Schuld-) -fähigkeit des Klägers ab dem 03.06.2002 in Bezug auf die amtsärztlich diagnostizierte Angststörung keine Beweismittel vorgelegt, aus denen sich frei von vernünftigen Zweifeln ergeben würde, dass die vom Kläger eingereichten privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seit dem 23.06.2002 samt und sonders dessen Dienstfähigkeit falsch beurteilen bzw. zwischen dem 03. und dem 23.06.2002 keine Angststörung vorgelegen hätte. Im Gegenteil sind nach der Erstellung des amtsärztlichen Gutachtens vom 22.04.2002 keine Aktivitäten der Vorgesetzten des Klägers mehr erkennbar, die auf eine Aufklärung seiner aktuellen Dienstfähigkeit trotz durchgängiger Abwesenheit von seiner Dienststelle gezielt hätten.

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Dieses Unterlassen mag seine Ursache in einer Auslegung des amtsärztlichen Gutachtens vom 22.04.2002 haben, dass die beim Kläger diagnostizierte Neurose im Sinne einer Angststörung ihn zwar hindere, eine Tätigkeit im Verwaltungsdienst aufzunehmen, hieraus aber nicht unbedingt folge, dass der - weiterhin steuerungsfähige - Kläger infolge der Angststörung dienstunfähig sei. Das Gericht teilt diese Auffassung im Einklang mit dem Nds.OVG (aaO.) zwar nicht, weil niemand eine dienstliche Tätigkeit durchführen kann, wenn er sie nicht einmal aufzunehmen in der Lage ist. Selbst bei der vorgenannten Interpretation ergibt sich jedoch aus dem amtsärztlichen Gutachten vom 22.04.2002 keinesfalls, dass der Kläger am 03.06.2002 unter allen denkbaren Umständen seine krankhafte Angst vor der Wiederaufnahme des Dienstes überwinden werden könne und müsse, so dass unmittelbar mit dem Beginn des von den streitbefangenen Bescheiden erfassten Zeitraumes seitens der Beklagten kein Beweis für die Dienstfähigkeit des Klägers erbracht wurde. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger seinen Krankheitszustand - zumindest in Bezug auf die Angststörung - bewusst und gewollt herbeigeführt hat. Selbst wenn sich ein Beamter vorsätzlich mit Krankheitserregern infizieren oder sich eine Verletzung beibringen würde, um keinen Dienst leisten zu müssen, würde er damit zwar Kernpflichten aus seinem Dienstverhältnis erheblich verletzten; dies würde aber nichts daran ändern, dass der Beamte ggf. objektiv dienstunfähig wäre und darum keinen Dienst zu leisten hätte.

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Das Gesamtverhalten des Klägers lässt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur den Schluss zu, dass jeder seiner Arztbesuche ausschließlich das Ziel der Fortschreibung seiner Dienstunfähigkeit hatte; vielmehr ließ der Kläger ersichtlich seine Erkrankungen mit Ausnahme der Angstneurose medizinisch behandeln. Im Übrigen hält es das Gericht nicht zwingend für ein Indiz der Arbeitsunwilligkeit, wenn sich ein tatsächlich dienstunfähig erkrankter Beamter durch einen Arztbesuch den Nachweis der Dienstunfähigkeit beschafft. Eine krankheitsbedingte und damit nicht pflichtwidrige Abwesenheit des Klägers vom Dienst am 03.06.2002 ist somit nicht ausgeschlossen. Weil ein pflichtwidriges Fernbleiben vom Dienst i.S.d. § 9 BBesG aber mit dem Beginn einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.08. 1993 - 1 DB 15.93 -), eines Erholungsurlaubs (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.12.1996 - 1 DB 23.96 -) oder der erklärten Bereitschaft, den Dienst wieder aufnehmen zu wollen (BVerwG, Beschluss vom 07.07.2000 - 1 DB 9.00 -), unmittelbar endet, und damit auch der kraft Gesetzes eingetretene und deklaratorisch gemäß § 9 BBesG festgestellte Verlust der Dienstbezüge in demselben Zeitpunkt sein Ende findet, ohne dass es hierfür weiterer Anforderungen bedürfte, ist der streitbefangene Bescheid vom 21.06.2002 bereits mit dem Beginn seines Feststellungszeitraumes unwirksam geworden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.