Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 20.10.2004, Az.: 2 B 317/04

Einreisegrund; Feststellungswirkung; prägender Einreisegrund

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
20.10.2004
Aktenzeichen
2 B 317/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50880
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Das Begehren der Antragsteller, die Antragsgegnerin zu verpflichten, Leistungen an sie nicht mehr unter Berücksichtigung der Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG zu bewilligen, hat keinen Erfolg (nachfolgend 1.). Deshalb haben sie auch keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (nachfolgend 2.).

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1. Ihr Antrag,

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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Antragstellern vorläufig, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, die ihnen zustehenden Leistungen gemäß § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des BSHG - hilfsweise Leistungen gem. §§ 1, 3 AsylbLG - zu gewähren,

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ist zulässig, jedoch unbegründet.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Da nach Wesen und Zweck dieses Verfahrens eine vorläufige Regelung grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird - in diesem Verfahren nur ausgesprochen werden, wenn die Antragsteller u.a. die tatsächlichen Voraussetzungen für den entsprechenden Anspruch (sogenannter Anordnungsanspruch) glaubhaft machen.

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Dies ist den Antragstellern nicht gelungen.

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Zu Recht hält die Antragsgegnerin den Antragstellern entgegen, sie hätten sich nach Deutschland begeben, um hier Leistungen nach dem AsylbLG in Anspruch zu nehmen. Nach wie vor gilt deshalb für sie die Leistungseinschränkung des § 1a AsylbLG. Insoweit kann dahin stehen, ob - wie die Antragsgegnerin meint - ihr bestandskräftiger Bescheid vom 31.19.2001 hinsichtlich des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a AsylbLG eine Feststellungswirkung für die Zukunft entfaltet. Denn das Gericht ist der Auffassung, dass auch im Zeitpunkt seiner Entscheidung über den vorliegenden Eilantrag sich keine andere Würdigung des Sachverhalts rechtfertigt als die von der Antragsgegnerin vorgenommene. Die Erklärungen der Antragsteller zu 1. und 2. vom 30.10.2001 gegenüber dem Sozialamt der Antragsgegnerin zu ihren Einreisegründen, die sich ihre Kinder, die Antragsteller zu 3. und 4. zurechnen lassen müssen, lassen nämlich nur den Schluss zu, dass prägender Grund für ihre Einreise nach Deutschland die Absicht war, hier den Lebensunterhalt aus Mitteln des AsylbLG zu bestreiten. Zur Überzeugung des Gerichts bestand also ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme der Leistungen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 12.11.1999 - 6 SN 203.99 -, FEVS 51,267). Die Formulierungen: „Von unseren Verwandten wurde uns erzählt, dass für Personen, die keine Arbeit bekommen, der Staat sorgt.“ und: „Wir sind also nach Deutschland gekommen, weil unsere Verwandten hier leben und wir staatlich durch Sozialhilfe abgesichert sind, sofern wir keine Arbeit bekommen.“ sind eindeutig und belegen die maßgeblichen Beweggründe, warum die Antragsteller, die über ein Visum für Belgien verfügten (sei es nun echt oder gefälscht), gerade nach Deutschland gekommen sind. Die Kammer hat keinerlei Zweifel daran, dass die Antragsteller diese Angaben gegenüber dem Sozialamt auch tatsächlich gemacht haben. Soweit im an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 19.09.2003 (Widerspruch) vorgetragen wird, dass die Antragsteller zu 1. und 2. nicht gewusst hätten, was sie unterzeichnet hätten und dass sie mit der Drohung eines Leistungsentzuges unter Druck gesetzt worden seien, hält das Gericht diese Behauptung für eine unsubstantiierte schlichte Schutzbehauptung, für deren Richtigkeit nichts spricht. Denn die Erklärung ist Ihnen nicht nur durch einen Dolmetscher übersetzt worden, auch ihr damals bereits volljähriger Sohn H. war bei der Erklärung anwesend und hat sie mit unterzeichnet. Die Antragsteller haben zudem ihre Vorwürfe erst knapp 2 Jahre nach Unterzeichnung der Erklärung erhoben und sie durch nichts belegt. Unabhängig von der Erklärung vom 30.10.2001 spricht für den die Einreise prägenden Willen der Antragsteller, in Deutschland Sozialleistungen zu erlangen, dass sie bei ihrer Ankunft im Bundesgebiet mittellos waren, dass die Aussichten auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit angesichts fehlender Sprachkenntnisse und ausgebildeter Fertigkeiten mehr als gering waren, sie dies auch durch in der Bundesrepublik lebende Verwandte, von denen sie keine dauernde Unterstützung erhalten konnten, wussten, sowie, dass sie sich zeitnah nach der Ankunft in G. um Sozialleistungen bemüht haben (vgl. hierzu: Urteil der beschließenden Kammer vom 01.09.2003 - 2 A 14/03 -).

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Gewährt nach alledem die Antragsgegnerin zu Recht den Antragstellern gem. § 1a AsylbLG nur die unabweisbar gebotenen Leistungen, so weist das Gericht - ohne dass dies Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens hätte - darauf hin, dass Gegenstand der vorgenommenen Anspruchseinschränkung nicht die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, sondern entsprechende Leistungen des BSHG nach § 2 AsylbLG wohl sein dürften. Denn die Antragsteller erfüllen aller Voraussicht nach dessen Tatbestandvoraussetzungen. Nach der ständigen - den Beteiligten bekannten - Rechtsprechung der Kammer können aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber Roma aus dem Kosovo derzeit nicht vollzogen werden; auch die freiwillige Ausreise ist ihnen derzeit nicht zumutbar. Die „Wartezeit“ von 36 Monaten dürften die Antragsteller erfüllt haben. Denn die Zeiträume einer Leistungsinanspruchnahme unter Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG dürften anzurechnen sein. Die Kammer folgt insoweit der Rechtsprechung der 4. Kammer des VG Braunschweig (Urteil vom 05.06.2003 - 4 A 64/03 -, Juris), die überzeugend herausgearbeitet hat, dass § 1a AsylbLGkeinen eigenen Leistungstatbestand in dem Sinne schafft, dass man von „Leistungen nach § 1a AsylbLG“ als aliud-Leistungen gegenüber „Leistungen nach § 3 AsylbLG“ sprechen könnte. Unabhängig hiervon verbleibt es aber dabei, dass die Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG nur erhalten dürfen, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.

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2. Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen, auf die insoweit Bezug genommen wird, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.