Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 06.08.2008, Az.: 6 B 3368/08
Aufnahmeanspruch: Schule; Aufnahmebeschränkung: Schule; Aufnahmekapazität: Schule; Gesamtschule, Kapazität; Gesamtschule: Aufnahme; Schule, Aufnahme: Rechtsschutz; Schule: Aufnahmeanspruch; Schule: Aufnahmekapazität
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 06.08.2008
- Aktenzeichen
- 6 B 3368/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 45440
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2008:0806.6B3368.08.0A
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- NVwZ-RR 2009, VI Heft 1 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ-RR 2009, 205-208 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Das Recht auf Bildung verdichtet sich zu einem Anspruch auf Besuch einer bestimmten Schule, wenn
a) innerhalb der von den Erziehungsberechtigten ausgeübten Wahl der Schulform nur diese Schule im Gebiet des Schulträgers besucht werden kann,
b) die gewählte Schule über eine tatsächlich ausreichende Ausbildungskapazität verfügt und
c) Regelungen des Bildungsweges der Aufnahme im Einzelfall nicht entgegenstehen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wohnt mit ihren Eltern im Schulbezirk der Antragsgegnerin, einer vierzügigen Integrierten Gesamtschule in Hannover, und hat im vergangenen Schuljahr 2007/2008 den vierten Jahrgang der E.-Schule, einer Grundschule im Schulbezirk der Antragsgegnerin, besucht. Die E.-Schule hat der Antragstellerin empfohlen, ihre Schullaufbahn im Sekundarbereich I an einer Realschule fortzusetzen.
Die Erziehungsberechtigten der Antragstellerin meldeten ihre Tochter am 19. Juni 2008 zur Aufnahme in den 5. Schuljahrgang der Antragsgegnerin an. Nachdem der Antragsgegnerin insgesamt 264 Anmeldungen für die Aufnahme in den 5. Jahrgang, davon 150 Anmeldungen für Schülerinnen und Schüler mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Schulbezirk der Gesamtschule, vorlagen, führte sie ein Auswahlverfahren in Gestalt eines differenzierten Losverfahrens auf der Grundlage der Schullaufbahnempfehlungen durch. Als Ergebnis des Auswahlverfahrens nahm sie 119 Schülerinnen und Schüler in den 5. Jahrgang des Schuljahres 2008/2009 auf. Einen Schülerplatz in der Klasse 5a hielt die Antragsgegnerin für einen nicht in die 6. Klasse versetzten Schüler frei.
Am 1. Juli 2008 wurde der Mutter der Antragstellerin ein Bescheid der Antragsgegnerin vom selben Tag ausgehändigt. Darin wurde den Erziehungsberechtigten der Schülerin bekannt gegeben, dass die Antragstellerin als Ergebnis der Auslosung der im Schulbezirk zur Verfügung stehenden Plätze nicht aufgenommen werde und Platz 29 der Warteliste für Nachrücker erhalten habe. Gegen den Bescheid vom 1. Juli 2008 hat die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 11. Juli 2008 Widerspruch erhoben.
Die Antragstellerin hat am 7. Juli 2008 bei dem Verwaltungsgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur Regelung ihrer vorläufigen Aufnahme in die Gesamtschule gestellt.
Zur Antragsbegründung trägt sie vor, die Antragsgegnerin habe in der schriftlichen Einladung zum Tag der offenen Tür am 23. Februar 2008 selbst darauf hingewiesen, dass sie auch Schülerinnen und Schüler aufnehmen könne, die außerhalb des Schulbezirks wohnten, da ihr Schulbezirk sehr klein gehalten sei. Im Vertrauen auf diese Information seien ihre Eltern davon ausgegangen, dass alle Schulkinder der im Bezirk der Gesamtschule gelegenen E.-Schule bei der Antragsgegnerin aufgenommen würden. Weil ihre Eltern aber am 27. Juni 2008 noch keine Aufnahmebestätigung in Händen hielten, habe ihr Vater in der Schule vorgesprochen und dort die Auskunft erhalten, dass seine Tochter zu den aufgenommenen Kindern zähle. Nachdem allerdings auch in der darauf folgenden Woche immer noch keine Bestätigung der Aufnahme vorgelegen habe, habe ihre Mutter am Nachmittag des 1. Juli 2008 in der Schule angerufen und dabei erfahren, dass sie, die Antragstellerin, auf Platz 29 der Warteliste vermerkt sei. Ihre Mutter habe im Anschluss an das Telefonat die Schule persönlich aufgesucht. Erst bei dieser Vorsprache sei der ablehnende Bescheid gefertigt und vom Schulleiter der Antragsgegnerin unterzeichnet worden. Dieses Verfahren der Antragsgegnerin habe ihren Eltern eine andere Wahl der Schullaufbahn abgeschnitten, denn der 1. Juli 2008 sei zugleich der letzte Termin für die Anmeldung an den Realschulen gewesen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, sie vorläufig für den Zeitraum bis einen Monat nach Entscheidung über den Widerspruch vom 11. Juli 2008 in den 5. Jahrgang der Gesamtschule aufzunehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen
Die Antragsgegnerin macht geltend, dass sie als vierzügige Gesamtschule nach Maßgabe des Klassenbildungserlasses vom 9. Februar 2004 höchstens 120 Schülerinnen und Schüler in den 5. Jahrgang aufnehmen könne. Die von ihr im Einladungsschreiben zum Tag der offenen Tür gewählte Formulierung erfülle nicht die rechtlichen Anforderungen an eine bindende Zusicherung einer Aufnahme der Antragstellerin. Das von ihr praktizierte differenzierte Losverfahren werde auf der Grundlage der von den Grundschulen erteilten Schullaufbahnempfehlungen durchgeführt. Insoweit hätten im Lostopf der Realschulempfehlungen nur 45 Plätze zur Verfügung gestanden, wobei auf die Antragsteller das Los mit Platz 29 der Warteliste gefallen sei. Schließlich habe die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass es ihren Eltern nicht möglich gewesen wäre, sie noch im Verlauf des 1. Juli 2008 bei einer Realschule zur Aufnahme anzumelden.
Das Verwaltungsgericht hat der Antragsgegnerin mit Aufklärungsverfügung des Berichterstatters vom 16. Juli 2008 aufgegeben, unter anderem zum Rechtsgrund der Bildung eines Aufnahmeausschusses, zur Bedeutung früherer Gesamtkonferenzbeschlüsse über die Ausgestaltung des Losverfahrens und der vorrangigen Aufnahme von Kindern aus dem Schulbezirk und Geschwisterkindern sowie zu den rechtlichen und tatsächlichen Gründen der Beschränkung der Aufnahmekapazität von 30 Kindern je Klasse Stellung zu nehmen.
Wegen der diesbezüglichen Ausführungen der Antragsgegnerin wird im Einzelnen auf den Inhalt des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 25. Juli 2008 verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts nimmt die Kammer ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (Beiakte A) Bezug.
Neben der Antragstellerin hat im Verfahren 6 B 3398/08 ein weiterer Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz zur vorläufigen Aufnahme in den 5. Jahrgang der Antragsgegnerin beantragt.
II.
Der gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach Maßgabe des Beschlusstenors begründet.
Die Antragstellerin hat neben dem durch die besondere Eilbedürftigkeit der Regelung bedingten Anordnungsgrund auch einen auf eine vorläufige Aufnahme in den 5. Jahrgang der Antragsgegnerin gerichteten Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht.
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer haben Schülerinnen und Schüler sowie ihre Erziehungsberechtigten einen Anspruch darauf, dass über ihre Aufnahme in eine öffentliche Schule rechtsfehlerfrei entschieden wird und dass sie gegen die Ablehnung der Aufnahme in eine öffentliche Schule effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) in Anspruch nehmen können. Das gilt auch für Schulen, für die der Gesetzgeber in § 59a Abs. 1 und 3 NSchG Aufnahmebeschränkungen vorgesehen hat. Dieser Anspruch lässt sich im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO durch Erlass einer auf fehlerfreie Wiederholung des Aufnahmeverfahrens gerichteten Regelungsanordnung sichern.
Wird darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine wirksame Aufnahmebeschränkung nach § 59a Abs. 1 NSchG nicht eintritt, weil die Kapazität der aufnehmenden Gesamt- oder Ganztagsschule (noch) nicht vollständig ausgeschöpft ist, verdichtet sich der Anspruch der bei dieser Schule angemeldeten Schülerinnen und Schüler und ihrer Erziehungsberechtigten zu einem Anspruch auf unmittelbare Aufnahme in die Schule, der sich für die Dauer des Hauptsacheverfahrens mit einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Aufnahme in die Gesamtschule sichern lässt. Dieser Anspruch folgt als eigenes Recht der Schülerinnen und Schüler aus dem in Art. 4 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung gewährleisteten und in § 54 Abs. 1 und 7 NSchG hervorgehobenen Recht auf Bildung, das ein subjektives Teilhaberecht der Schülerinnen und Schüler an den vorhandenen öffentlichen Bildungseinrichtungen des Landes Niedersachsen vermittelt. Das Recht auf Bildung korrespondiert mit dem Erziehungsgrundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, welches die grundsätzlich freie Wahl zwischen den verschiedenen vom Staat in der Schule zur Verfügung gestellten Bildungswegen ( BVerfG, Urteil vom 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 u.a. - BVerfGE 34, 165 [BVerfG 06.12.1972 - 1 BvR 95/71] ) umfasst und auf einfachgesetzlicher Ebene in § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG näher ausgestaltet worden ist. Danach wird den Erziehungsberechtigten (§ 55 Abs. 1 NSchG) das Recht eingeräumt, für ihr Kind im Rahmen der Regelungen des Bildungsweges zwischen den zur Verfügung stehenden Schulformen und Bildungsgängen frei zu wählen. Dieses Recht verdichtet sich nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. grundlegend: Beschluss der Kammer vom 8.8.2003 - 6 B 3150/03 -; http://www.dbovg.niedersachsen.de) unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Anspruch auf Besuch einer bestimmten Schule:
Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass innerhalb der von den Erziehungsberechtigten ausgeübten Wahl der Schulform nur diese Schule besucht werden kann, weil entweder eine andere Schule derselben Schulform im Gebiet des Schulträgers nicht zur Verfügung steht oder der Schulbesuch gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG an den Schulbezirk dieser Schule gebunden ist. Weitere Voraussetzung ist, dass die gewählte Schule über eine tatsächlich ausreichende Ausbildungskapazität verfügt und ferner, dass Regelungen des Bildungsweges der Aufnahme im Einzelfall nicht entgegenstehen.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Für die Antragsgegnerin hat die Landeshauptstadt Hannover in § 8 Abs. 2 ihrer Satzung über die Festlegung von Schulbezirken für die in ihrer Trägerschaft stehenden allgemein bildenden Schulen (in Gestalt der 4. Änderungssatzung vom 23.6.2003, ABl. RBHann. 2003 S. 450) einen Schulbezirk festgelegt, in welchem die Antragstellerin ihren Wohnsitz hat. Da die Antragstellerin gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Durchlässigkeits- und VersetzungsVO in den 5. Schuljahrgang aufrückt und die Wahlfreiheit ihrer Eltern auch nicht durch andere Regelungen des Bildungsweges eingeschränkt ist, erfüllt die Schülerin die persönlichen Aufnahmevoraussetzungen der Gesamtschule.
Die Antragstellerin kann auch zur Überzeugung der Kammer glaubhaft machen, dass die Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin nicht im Sinne von § 59a Abs. 4 NSchG überschritten ist, wenn sowohl sie als auch der im Verfahren 6 B 3398/08 mit seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erfolgreiche (weitere) Antragsteller in den 5. Jahrgang des Schuljahres 2008/2009 aufgenommen werden.
Der Gesetzgeber verlangt in § 59a Abs. 4 NSchG, dass die Kapazität einer aufnahmebeschränkten Schule zu Gunsten des Rechts auf Bildung der Schülerinnen und Schüler vollständig ausgeschöpft wird. Das folgt eindeutig aus dem Wortlaut dieser Rechtsnorm, wonach die Aufnahmekapazität einer Schule erst überschritten ist, wenn nach Ausschöpfung der verfügbaren Mittel unter den personellen, sächlichen und fachspezifischen Gegebenheiten die Erfüllung des Bildungsauftrags der Schule nicht mehr gesichert ist
Die Frage, ob für die Aufnahme in eine bestimmte Gesamtschule nach § 59a Abs. 1 Satz 1 NSchG eine Beschränkung eintritt, hängt somit nach dem Willen des Gesetzgebers von der Beantwortung der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vollständig nachprüfbaren Tatsachenfrage ab, ob angesichts der Zahl der Anmeldungen in der Gesamtschule trotz vollständiger Ausschöpfung aller Ressourcen eine Unterrichts- und Betreuungssituation zu erwarten ist, die eine planmäßige, den für die Schule geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie der Schulordnung entsprechenden Unterrichts-, Erziehungs- und Aufsichtstätigkeit der Schule nicht mehr gewährleisten würde. Da der Verordnungsgeber bisher nicht von der Ermächtigung des § 60 Abs. 1 Nr. 1 NSchG Gebrauch gemacht hat, bestehen keine rechtlich bindenden Vorgaben dazu, welche personellen, sächlichen und fachspezifischen Gegebenheiten erfüllt sein müssen, damit die Grenze der Sicherung des Bildungsauftrags im Sinne von § 59a Abs. 4 NSchG nicht überschritten wird. In dieser Situation kann nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.12.2007 - 2 ME 601/07 -, Nds. VBl. 2008 S. 109 ff.m.w.N.) zur Bestimmung der Kapazitätsgrenze im Einzelfall ergänzend auf die Schülerhöchstzahlen für die Bildung von Klassen im Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums "Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemein bildenden Schulen" (vom 9.2. 2004, SVBl.S. 128) zurückgegriffen werden, da sie sich auf allgemeine Erfahrungssätze von Schüler-Lehrer-Relationen stützen.
Dass bedeutet aber entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung nicht, dass die Schülerhöchstzahlen des Runderlasses als rechtlich bindende Grundlage für die Bestimmung der Aufnahmekapazität heranzuziehen wären. Entsprechendes folgt auch nicht aus dem von der Antragsgegnerin zur Begründung ihrer Auffassung zitierten Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2007 (a.a.O.). Das Oberverwaltungsgericht stellt in diesem Beschluss im Ergebnis entscheidend darauf ab, dass sich die Tatsachenfrage, ob die Aufnahmekapazität einer Gesamtschule überschritten ist, allein nach objektiven Kriterien beurteilt und die tatsächlichen Kapazitätsverhältnisse ihre Grenze daher nicht zwingend in der in Nr. 3.1 des Runderlasses vorgeschriebenen Schülerhöchstzahl finden müssen. Vielmehr sieht der Runderlass in Nr. 3.3 selbst vor, dass nach Entscheidung der Landesschulbehörde im 5. Jahrgang Klassen auch so gebildet werden können, dass dabei die Schülerhöchstzahl um bis zu eine Schülerin oder einen Schüler je Klasse überschritten werden kann, was deutlich macht, dass die Schülerhöchstzahl von 30 keine absolute Obergrenze einer noch ausreichenden Unterrichtssituation in der Integrierten Gesamtschule darstellt. Demzufolge sieht der Runderlass in Nr. 3.4 auch nicht zwingend vor, dass Klassen infolge eines späteren Anstiegs der Schülerzahlen zu teilen wären; vielmehr liegt die Zustimmung zur Klassenteilung nach Überschreitung der Höchstzahlen im Ermessen der Schulbehörde.
Schon diesen Modifikationen der Bestimmungen über die Klassenbildung lässt sich entnehmen, dass die in Nr. 3.1 des Runderlasses bestimmte Schülerhöchstzahl von 30 für die Klassenbildung im Sekundarbereich I der Integrierten Gesamtschule keine allgemein gültige objektive Kapazitätsgrenze kennzeichnet. Darüber hinaus darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei den Höchstzahlen nur um Richtwerte in Gestalt pauschaler Vorgaben handelt, die nicht dazu dienen, die Kapazität einer Schule festzulegen, sondern ausschließlich die für personalwirtschaftliche Maßnahmen notwendige Verteilung von Lehrer-Sollstunden durch die Schulbehörden lenken sollen (Abschnitt 1 des Runderlasses). Die Richtwerte schließen folglich höhere Schülerfrequenzen in den Klassen nicht zwingend aus. Diesem Gesichtspunkt wird mit der ausdrücklichen Befugnis zur Abweichung in Abschnitt 9.1 des Runderlasses des Niedersächsischen Kultusministeriums
"Übertragung erweiterter Entscheidungsspielräume an Eigenverantwortliche Schule" (vom 9.6.2007, SVBl.S. 241) Rechnung getragen. Daraus folgt, dass die Richtwerte des Klassenbildungserlasses über Schülerhöchstzahlen einem ansonsten gegebenen Aufnahmeanspruch nicht dem Vortrag der Antragsgegnerin entsprechend schematisch entgegengehalten werden. Schließlich waren auch die Schülerhöchstzahlen als Instrument der Personalbewirtschaftung Gegenstand mehrerer Erlassänderungen. Auch die für die Klassenbildung im 5. Jahrgang der Integrierten Gesamtschule maßgebliche Höchstzahl unterlag in der Vergangenheit mehrfach Schwankungen sowohl in Gestalt einer Verminderung als auch von Erhöhungen, was deutlich macht, dass sie allein sich nicht zur Bestimmung einer absoluten Grenze der Gefährdung des Bildungsauftrags der Schule eignet.
Eine Schule, die sich auf eine Erschöpfung ihrer Aufnahmekapazität beruft, muss daher im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes darlegen und glaubhaft machen, dass mit der sich aus dem Klassenbildungserlass ergebenden rechnerischen Aufnahmekapazität gleichzeitig auch die tatsächliche Aufnahmekapazität im Sinne von § 59a Abs. 4 NSchG ausgeschöpft ist, also mit der (vorläufigen) Aufnahme eines weiteren Schülers die Erfüllung des Bildungsauftrages der Schule nicht mehr gesichert wäre. An diese Darlegungslast sind nach Auffassung der Kammer, die sich auch insoweit durch die Ausführungen in den Gründen des Beschlusses des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2007 (a.a.O) bestätigt sieht, erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn das durch den Grundsatz der Chancengleichheit bestimmte subjektive Teilhaberecht einer Schülerin oder eines Schülers (s.o.) bereits durch Rechtsfehler im Aufnahmeverfahren verletzt worden ist und eine fehlerfreie Wiederholung des Aufnahmeverfahrens angesichts der bis zum Unterrichtsbeginn verbleibenden Kürze der Zeit sich aller Voraussicht nach nicht mehr durchführen lässt. So verhält es sich auch im Fall der Antragstellerin:
Die Ausführungen der Antragsgegnerin auf die Aufklärungsverfügung des Berichterstatters vom 16. Juli 2008 und der Inhalt ihrer Verwaltungsvorgänge lassen nicht erkennen, dass der Schulleiter der Antragsgegnerin eine generelle Festlegung der Auswahlkriterien und der Abwandlung des Losverfahrens nach Maßgabe des § 59a Abs. 1 Satz 2 NSchG getroffen hat. Soweit dieser in seinem Bericht an die Landesschulbehörde vom 9. Juli 2007 maßgeblich auf den letzten Beschluss der Gesamtkonferenz vom 6. Dezember 2004 abstellt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dieser Beschluss mit der am 1. August 2007 in Kraft getretenen Neuordnung der Zuständigkeiten der Schulorgane durch das Gesetz zur Einführung der Eigenverantwortlichen Schule gegenstandslos geworden ist. Entscheidungen über die Abwandlung des Losverfahrens stellen seit dem 1. August 2007 Angelegenheiten dar, die zu den ausschließlichen Aufgaben der Schulleitung der Gesamtschule zählen (§§ 43 Abs. 3 Satz 1, 44 Abs. 4 Satz 1 NSchG). Zwar kann sich die Schulleitung einen vor dem 1. August 2007 von der seinerzeit noch zuständigen Gesamtkonferenz gefassten Beschluss zu § 59a Abs. 1 Satz 2 NSchG für die Zukunft zu Eigen machen und dieses dokumentieren. Den Beschluss der Gesamtkonferenz vom 6. Dezember 2004, der im Übrigen als Festlegung auch nicht geeignet wäre, weil er ausweislich der Konferenzniederschrift keine Konkretisierung hinsichtlich der näheren Ausgestaltung des qualifizierten Losverfahrens erkennen lässt, hat sich der Schulleiter aber offenbar nicht zu Eigen gemacht. Vielmehr hat er in seinem Bericht an die Landesschulbehörde vom 9. Juli 2007 ausführt, er habe das Auswahlverfahren selbst in eigener Zuständigkeit festgelegt. Diese Tatsachendarstellung lässt sich wiederum angesichts der vorgelegten Niederschrift über die Sitzung des Aufnahmeausschusses vom 19. Juni 2008 nicht nachvollziehen. Die Niederschrift beweist in Verbindung mit der Einladung vom 19. Juni 2008, dass unter dem Tagesordnungspunkt nicht der Schulleiter, sondern ein aus ihm, einer Jahrgangsleiterin und einer Elternvertreterin bestehender Aufnahmeausschuss selbst die Beschlüsse über die vorrangige Aufnahme von Kindern aus dem Schulbezirk und von Geschwisterkindern sowie das differenzierte Losverfahren gefasst hat. In diesem Punkt lässt der Wortlaut der Einladung zur Ausschusssitzung ("Beschlussfassung über die Aufnahme von Schülern ...") im Zusammenhang mit den Ausführungen im Sitzungsprotokoll zu Tagesordnungspunkt 5 keine andere Auslegung zu. Dass es sich hierbei nicht um bloße Auslassungen und Ungenauigkeiten der Dokumentation der Willensbildung in der Schule handelt, wird dadurch bestätigt, dass der Aufnahmeausschuss auch im Widerspruchsverfahren tätig werden wollte, was sich mit der Stellung des Schulleiters als nach § 43 Abs. 4 NSchG allein verantwortliches Schulorgan nicht vereinbaren lässt. Im Schreiben des Schulleiters an die Erziehungsberechtigten der Antragstellerin vom 9. Juli 2008 (Bl. 50 d. GA) heißt es eindeutig, dass der Aufnahmeausschuss beschlossen habe, dem Widerspruch gegen die Ablehnung der Aufnahme nicht abzuhelfen.
Danach findet der Vortrag der Antragsgegnerin, allein ihr Schulleiter habe das Auswahlverfahren festgelegt, in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Schule keine Stütze. Ein aus der Schulleitung, einer Lehrkraft und einem Mitglied der Elternvertretung bestehender Aufnahmeausschuss als Beschlussorgan ist aber im NSchG nicht vorgesehen und kann daher keine bindenden Festlegungen über Abwandlungen des Losverfahrens treffen.
Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass das tatsächlich durchgeführte Auswahlverfahren den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Nach § 59a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NSchG kann das Auswahlverfahren dahingehend abgewandelt werden, dass Schülerinnen und Schüler, die nicht ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Schulbezirk der Schule haben, diejenigen Schulplätze erhalten, die nicht an Schülerinnen und Schüler aus dem Schulbezirk der Schule vergeben worden sind. Alternativ hat die Schule nach § 59a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NSchG die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler vorrangig aufzunehmen, wenn dadurch der gemeinsame Schulbesuch von Geschwisterkindern ermöglicht wird. Weil beide Regelungen zu einem gleichberechtigten Vorrang entweder von Kindern aus dem Schulbezirk oder aber von Geschwisterkindern vor jeweils allen anderen Aufnahmebewerberinnen und -bewerbern führen, muss die Schule darauf achten, dass die Vorrangregelungen nicht miteinander kollidieren. Sie muss daher festlegen, welche Vorrangregelung bei der Auswahl an erster und welche an zweiter Stelle Anwendung findet. Dies hat die Antragsgegnerin nicht berücksichtigt. Sie hat eine grundlegende Bestimmung darüber, welche der beiden Vorrangregelungen des § 59a Abs. 1 Satz 2 NSchG Priorität genießt und daher im ersten Auswahlschritt anzuwenden wäre, nicht getroffen, sondern ausweislich der Niederschrift der Aufnahmeausschusssitzung vom 23. Juni 2008 sowohl Schülerinnen und Schüler aus dem Schulbezirk als auch Geschwisterkinder mit Wohnsitz außerhalb des Schulbezirks in der ersten Auswahlstufe zusammengeführt und aus einem Lostopf als vorrangige Bewerberinnen und Bewerber gemeinschaftlich ausgelost, was dem Sinn der Vorrangregelungen widerspricht.
In Anbetracht des rechtsfehlerhaften Auswahlverfahrens reicht es nicht aus, dass sich die Antragsgegnerin zur Begründung einer Erschöpfung ihrer tatsächlichen Aufnahmekapazität nur auf die Einhaltung der Schülerhöchstzahl von 30 in den zu bildenden vier Klassen des 5. Jahrgangs beruft. Vielmehr hätte sie unter Darlegung der tatsächlichen räumlichen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen ihres Schulbetriebs im 5. Jahrgang im Einzelnen darlegen müssen, dass und warum der Bildungsauftrag der Gesamtschule nicht mehr gesichert wäre, wenn nach Aufnahme der Antragstellerin sowie des Antragstellers des Verfahrens 6 B 3398/08 zwei von vier Klassen im 5. Jahrgang künftig eine Klassenstärke von jeweils 31 Schülerinnen und Schüler aufweisen.