Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 01.10.2003, Az.: 9 U 95/03

Verkehrssicherungspflichten bei Beschäftigung privater Firmen durch eine Gemeinde

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
01.10.2003
Aktenzeichen
9 U 95/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 34002
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:1001.9U95.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 03.04.2003 - AZ: 5 O 366/02

Fundstellen

  • MDR 2004, 632-633 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2004, 58-60

In dem Rechtsstreit
...
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter
auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2003
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 3. April 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

Die Berufung ist unbegründet; im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen, da der Klägerin weder gegen die Beklagte zu 1, den Flecken L., noch die Beklagte zu 3, die E. K. GmbH, Ansprüche aufgrund ihres Unfalls am 15. Mai 2000 zustehen.

2

I.

Ansprüche gegen den Flecken L. stehen der Klägerin nicht zu, da diesem nicht der Vorwurf einer Verkehrssicherungspflichtverletzung gemacht werden kann.

3

Zwar trifft es im Grundsatz zu, dass dem Flecken L. die Verkehrssicherungspflicht für den A. ... weg traf. Es bestehen aber keine Bedenken dagegen, dass der beklagte Flecken zur Vornahme von Arbeiten, die auch die Fahrbahn- bzw. Gehwegfläche betreffen, selbstständige Firmen beauftragt. Ein Vorwurf hinsichtlich Auswahl oder Überwachung dieser Firma kann dem beklagten Flecken nicht gemacht werden, da es sich bei der Firma E. K. GmbH - unstreitig - um eine zuverlässige Firma handelte. Die Beklagte war deshalb auch nicht gehalten, sich bei der beklagten Firma zu erkundigen, ob deren Maßnahmen möglicherweise zu Gefährdungen der Verkehrsteilnehmer führen würde. Mangels besonderer gegenteiliger Information durfte der Flecken vielmehr davon ausgehen, dass Mitarbeiter der Firma E. K. GmbH die Arbeiten entweder ohne Gefahrenstellen erledigt hätten bzw. diese beseitigt haben würden.

4

Nach dem Vortrag der Klägerin waren Mitarbeiter des Fleckens L. zudem gerade nicht darüber informiert, dass der Mitarbeiter W. der Beklagten zu 3 die Pflastersteine zwar aufgenommen, jedoch den Weg nicht wieder eingeebnet hatte. Den entsprechenden Vortrag, dass der Mitarbeiter W. bereits am 10. Mai 2000 einem Mitarbeiter des Bauhofs der Beklagten zu 1 mitgeteilt habe, dass die Arbeiten der Beklagten zu 3 abgeschlossen gewesen seien und noch die Pflasterung durchzuführen sei, hat die Klägerin ausdrücklich im Schriftsatz vom 8. September 2003 bestreiten lassen. Demnach ist Mitarbeitern der Beklagten zu 3 kein Vorwurf daraus zu machen, dass die entsprechenden Pflasterarbeiten nicht schon am 15. Mai 2000 vorgenommen wurden.

5

Für ein mögliches Fehlverhalten der Beklagten zu 3 bzw. deren Mitarbeitern haftet der beklagte Flecken nicht. In Betracht kommt lediglich eine Haftung gemäß § 831 BGB. Die Beklagte zu 3 bzw. deren Mitarbeiter können indes nicht als "Verrichtungsgehilfen" i. S. dieser Vorschrift angesehen werden. Dazu ist nämlich erforderlich, dass der Gehilfe von den Weisungen des "Geschäftsherrn" abhängig ist. Das ist hier nicht der Fall. Bei der Firma E. K. handelt es sich um eine Firma, die lediglich - im Hinblick auf eine Störung der Elektroleitungen - eingeschaltet worden ist. Sie schuldete aufgrund Werkvertrags dem beklagten Flecken einen bestimmten Erfolg, ohne im Detail - was die Ausführung der Arbeiten anbelangt - von diesem abhängig zu sein.

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II.

1.

Die gegen die Beklagte zu 3 in der Berufungsinstanz erhobene Klage ist zulässig. Zwar hat der Parteiwechsel in der zweiten Instanz Ausnahmecharakter; er ist nur bei Zustimmung bzw. deren rechtsmissbräuchlicher Verweigerung zulässig (vgl. BGH NJW 1998, 1446). Hier indes hat die Beklagte zu 3 keine Interessen geltend gemacht, die für eine Unzulässigkeit des Parteiwechsels sprechen könnten. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass sich die Verteidigungslinie der Beklagten zu 3 - wie aus dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 2. September 2003 deutlich geworden ist - nicht von der bisherigen Prozessführung des Beklagten zu 2 unterscheidet. Im Hinblick darauf, dass sich der Unfall am 15. Mai 2000 ereignete und zu diesem Zeitpunkt der Beklagte zu 2 - noch - Geschäftsführer der Beklagten zu 3 war (er ist, wie sich aus dem Handelsregister ergibt, zum 22. Januar 2001 ausgeschieden) war er - etwas anderes ist nicht vorgetragen worden - über den Sach- und Streitstand zutreffend informiert, sodass davon auszugehen ist, dass er auch während dieser Zeit Gelegenheit hatte, die Informationen der GmbH selbst - und demzufolge seinem Sohn, der sodann zum Geschäftsführer bestellt worden ist - zu überlassen.

7

2.

Deliktische Ansprüche gegen die Beklagte zu 3 gemäß §§ 823, 831 BGB wegen eines möglichen Fehlverhaltens des Mitarbeiters W. stehen der Klägerin nicht zu, da die Ansprüche gemäß § 852 BGB verjährt sind. Die Verjährungsfrist begann spätestens am 14. Juli 2000. Die Verjährungsfrist beginnt nämlich dann, wenn der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und der Person des Schädigers hat bzw. wenn es ihm aufgrund des Hergangs der Schädigung zumutbar ist, eine Feststellungsklage zu erheben. Dabei steht es der Kenntnis einzelner für die Geltendmachung des Anspruchs erforderlicher Tatsachen, wie insbesondere des Namens und der Anschrift der Verantwortlichen, gleich, wenn sich der Verletzte diese Kenntnis in zumutbarer Weise mühelos und ohne erheblichen Kostenaufwand verschaffen kann (vgl. BGH NJW 1996, 2932, 2934) [BVerwG 31.08.1995 - 5 C 9/95]. Dies war jedenfalls Mitte Juli 2000 der Fall. Wie sich nämlich den Ermittlungsakten entnehmen lässt, hatte der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin jedenfalls vor dem 30. Juni 2000 Gelegenheit gehabt, Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen, da diese an diesem Tag wieder an die Staatsanwaltschaft Verden zurückgelangt ist (Bl. 21 der Ermittlungsakte). Aus dem Vermerk der Polizeistation L. vom 24. Mai 2000 (Bl. 4 Ermittlungsakte) war zu diesem Zeitpunkt bereits ersichtlich, dass der Flecken L. den Auftrag zur Behebung eines Fehlers in der Stromleitung an die Firma "E. K.", E. ...straße ..., L.-E. erteilt hatte. Durch einen Einblick in öffentliche Register hätte danach unschwer festgestellt werden können, dass es sich bei der Firma E. K. dabei um die E. K. GmbH handelte.

8

Vor Ablauf der Verjährungsfrist am 14. Juli 2003 sind keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen erfolgt. Verjährungsunterbrechende Wirkung hätte insofern erst die Zustellung des Schriftsatzes der Klägerin vom 19. August 2003 gehabt, mit dem sie - in der Berufungsinstanz - Klage auch gegen die Beklagte zu 3 erhoben hat; dieser Schriftsatz ist der Beklagten zu 3 erst am 26. August 2003, also nach Ablauf der Verjährungsfrist, zugestellt worden. Dabei ist es rechtlich unerheblich, dass zum 1. Januar 2002 erhebliche Änderungen im Verjährungsrecht eingetreten sind. Diese betreffen nach Art. 229 § 6 Abs. 1 und Abs. 2 EGBGB in erster Linie Ansprüche, bei denen bereits vor dem 1. Januar 2002 die Verjährung gehemmt bzw. unterbrochen worden ist; die weiteren Übergangsregelungen des Art. 229 § 6 Abs. 3 bzw. Abs. 4 EGBGB betreffen Fälle, in denen die Verjährung nach neuem Recht entweder länger oder kürzer ist als die Verjährung nach altem Recht. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, da deliktische Ansprüche sowohl nach altem als auch nach neuem Recht innerhalb von drei Jahren verjähren, was sich aus § 852 BGB a.F. sowie § 195 BGB ergibt. Da die Verjährungsfrist nach altem Recht - wie oben ausgeführt - bereits am 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hatte, war gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 BGB dieser Zeitpunkt auch maßgeblich für den Beginn der Verjährung.

9

III.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch in der Sache selbst keine Schadensersatzansprüche der Beklagten bestünden. Der Klägerin ist nämlich - bei einer unterstellten Verkehrssicherungspflichtverletzung - der Vorwurf überwiegenden Mitverschuldens (§ 254 BGB) am eingetretenen Schadensfall zu machen. Der für die Klägerin bedauerliche Unglücksfall ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Klägerin nicht in der Lage war, mögliche sich auf dem Gehweg befindliche Gefahren wahrzunehmen. Wie die Klägerin nämlich bei ihrer Anhörung vor dem Senat am 17. September 2003 angegeben hat, war sie (auch) bereits am Schadenstag, dem 15. Mai 2000, stark sehbeeinträchtigt. Auf dem rechten Auge war sie blind, ihre Sehfähigkeit auf dem linken Auge stark eingeschränkt. Die Klägerin trug auch zum Zeitpunkt des Schadensfalles keine ihrer Sehkraft angepasste Brille, sondern eine Sonnenbrille, durch die jedoch ihre Sehfähigkeit nicht verbessert war. Mit der Klägerin sind in der mündlichen Verhandlung ihre Angaben im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erörtert worden, die relativ zeitnah - nämlich am 5. Juni 2000 - gemacht worden sind (vgl. Bl. 18 R der Ermittlungsakten 23 Js 16107/00 der Staatsanwaltschaft Verden). Hier hatte die Klägerin angegeben, sie habe "eine dunkle Sonnenbrille auf" gehabt. Zwar konnte sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung unmittelbar nicht mehr erinnern, ob sie diese Sonnenbrille getragen hatte. Sie hat jedenfalls erklärt, sie habe den Text gelesen und unterschrieben, sodass der Senat davon überzeugt ist, dass ihre drei Wochen nach dem Unfall gemachten Angaben zutreffen. Damit indes hat sich die Klägerin selbst in eine für sie außerordentlich gefährliche Situation gebracht, sodass es ihr selbst anzulasten ist, dass sie nicht in der Lage war, auf die bei "normaler Sehfähigkeit" erkennbare Gefahr angemessen zu reagieren, zumal da sie - was ebenfalls in ihren Verantwortungsbereich fällt - durch ihr Kind abgelenkt war und zudem - beim Laufen - nicht rechtzeitig ausweichen konnte.

10

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

11

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