Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.03.1997, Az.: IX 399/92

Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei der Einkommensteuer; Begriff des "Unterhaltens eines eigenes Hausstandes"

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.03.1997
Aktenzeichen
IX 399/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 16208
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0314.IX399.92.0A

Fundstelle

  • DStRE 1997, 490-491 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 1989

Doppelte Haushaltsführung bei Mitumzug der Ehefrau

In dem Rechtsstreit
hat der IX. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
im Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 14. März 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ....
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Ldw. Meister
ehrenamtlicher Richter ... Juwelier
fürRecht erkannt:

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 1989 vom 18. Februar 1991 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 1992 wird geändert und die Einkommensteuer auf 18.060 DM festgesetzt.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der an die Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob weitere Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung im Streitjahr 1989 abzuziehen sind.

2

Die Kläger sind Eheleute. Sie wurden im Streitjahr zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und ist für einen internationalen Konzern in leitender Position tätig.

3

Zur Familie der Kläger gehören drei Kinder, von denen zwei (geb. 1968) im Streitjahr in den Niederlanden studierten. Der Jüngste Sohn (geb. 1974) war in der Internationalen Schule in Rotterdam untergebracht.

4

Der Kläger wurde zum 1. Mai 1989 nach B. (B.) in die Bundesrepublik versetzt. Zuvor hatte ihn sein Arbeitgeber für drei Jahre von seinem ursprünglichen Arbeitsplatz in Rotterdam nach London versetzt. Hier hatte der Kläger zusammen mit der Klägerin in einem eigenen Haus gewohnt, während die Kinder in einem ebenfalls den Klägern gehörenden Haus in Rotterdam verblieben waren.

5

Zum 1. Juni 1989 mietete der Kläger in B. eine Ein-Zimmer-Wohnung. Zum 1. September 1989 zog er zusammen mit der Klägerin in eine größere Wohnung in B. Seit 1. Juli 1989 waren beide in B. mit ihrem ersten Wohnsitz gemeldet.

6

Im Streitjahr machte der Kläger Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung von insgesamt 21.556 DM (vgl. Bl. 5 FA-Akte) geltend, darunter u.a. 9.037 DM für 31 Familienheimfahrten von B. nach Rotterdam.

7

Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte den Abzug der Aufwendungen zunächst vollständig ab, weil der Familienwohnsitz in B. sei, wo der Kläger mit seiner Ehefrau zusammenlebe.

8

Der Einspruch war im Streitpunkt insoweit erfolgreich, als das FA nunmehr die Aufwendungen, die bis zum 1. September 1989 (Umzug in die gemeinsame Wohnung) entstanden waren (7.317,50 DM), als Werbungskosten abzog. Dagegen richtet sich die Klage, mit der die weitergehenden Aufwendungen für den Rest des Streitjahres als Werbungskosten begehrt werden.

9

Der Kläger trägt vor, der Hauptwohnsitz seiner Familie befinde sich seit jeher in Rotterdam in seinem eigenen Haus. Seine Beschäftigung bringe es mit sich, daß er in ganz Europa eingesetzt werde. So sei er für 3 Jahre nach England abgeordnet worden, habe dort ein eigenes Haus erworben und einen doppelten Haushalt begründet. Seine Ehefrau habe dort mit ihm, zusammengelebt, sei aber immer wieder nach Rotterdam gefahren, um dort die Kinder, die auf dem Wege zum Abitur gewesen seien, zu betreuen. Eine Aufgabe dieses Haushalts sei nicht angezeigt gewesen, da er damit gerechnet habe, dorthin zurückzukehren. Im Jahr 1987 habe sich die Rückkehr abgezeichnet, weshalb er in Rotterdam zum 1. Januar 1988 eine größere Wohnung gekauft habe. Anschließend sei aber die Abordnung vom 1. Juni 1989 bis April 1992 nach Deutschland erfolgt mit der Zusage, die nächste Stelle in vertretbarer Entfernung zu Rotterdam zu erhalten. Entsprechend sei er anschließend nach M. bei Köln abgeordnet worden, wo er sich eine Ein-Zimmer-Wohnung gemietet habe. Dieser Wohnsitz habe eine bessere Anbindung zu seinem Hauptwohnsitz in Rotterdam erlaubt.

10

Dort habe sich wegen der Kinder während der gesamten Abordnungszeit sein Lebensmittelpunkt befunden, auch wenn seine Ehefrau zuerst mit nach London und anschließend mit nach B. umgezogen sei. Er sei aufgrund seiner herausragenden Stellung darauf angewiesen, daß die Klägerin als seine Ehefrau aus Repräsentationsgründen und zu seiner Unterstützung am Ort seiner Tätigkeit anwesend sei. Von B. aus habe die Klägerin zusätzlich durch Fahrten nach Rotterdam auch innerhalb der Woche die Betreuung der Kinder und des dortigen Familienwohnsitzes aufrechterhalten.

11

Die Tochter habe sich ständig in der Wohnung in Rotterdam aufgehalten, ihr gleichaltriger Bruder meistens. Der schulpflichtige Sohn habe die Wohnung an seinen freien Wochenenden genutzt.

12

Unter Berufung auf die Entscheidung des FG Baden-Württemberg vom 2. Dezember 1982 (EFG 1983, 444) und eine analoge Einwendung des Abschnitts 43 Abs. 5 Nr. 2 der Lohnsteuerrichtlinien 1990 (LStR) ist der Kläger der Ansicht, er führe unter steuerlichen Gesichtspunkten während des gesamten Streitjahres einen doppelten Haushalt. Es seien deshalb auch die gesamten Kosten der größeren Wohnung in B. zu berücksichtigen, da ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als eine über den Bedarf eines Ein-Personen-Haushalts hinausgehende Wohnung anzumieten.

13

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 1989 vom 18. Februar 1991 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 1992 zu ändern und die Einkommensteuer auf 18.060 DM herabzusetzen.

14

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Die Tatsache, daß der Kläger zwei Haushalte geführt habe, sei für die steuerliche Beurteilung einer doppelten Haushaltsführung im Streitfall unerheblich. Entscheidend sei vielmehr, daß der Kläger den Haushalt in den Niederlanden nicht aus beruflichen, sondern aus privaten Gründen aufrechterhalten habe. Unstreitig sei, daß die Klägerin am Wohnort in B. zusammen mit dem Kläger gelebt habe und dort nicht nur gelegentliche Besuche abgestattet habe. Nach dem BMF-Schreiben vom 2. Mai 1990 (BStBl. I 1990, 226) werde davon ausgegangen, daß mit dem Zuzug ins Inland Ehegatten ihren bisherigen Lebensmittelpunkt im Inland hätten. Ausnahmen seien nur dann zu machen, wenn der Ehegatte sich nur besuchsweise im Inland aufhalte. Das aber sei im Streitfall nicht anzunehmen.

16

Entscheidungserheblich sei weiter, daß die Kläger gar nicht von ihrem vermeintlichen Hauptwohnsitz in Rotterdam, sondern von London nach B. gezogen seien. Eine beruflich bedingte doppelte Haushaltsführung liege deshalb nicht vor. Das Urteil des FG Baden-Württemberg sei im Streitfall nicht einschlägig, weil dort der Haushalt in der einen Wohnung geruht habe. Im Streitfall sei aber der Haushalt in Rotterdam aufrechterhalten worden durch die gelegentlichen Aufenthalte der Klägerin, des Klägers und der Kinder.

Entscheidungsgründe

17

Die Klage ist begründet.

18

Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtswidrig. Die Kläger werden dadurch in ihren Rechten verletzt, denn das FA hat den Abzug der geltend gemachten Aufwendungen unzutreffend versagt.

19

Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

20

Nach der Rechtsprechung unterhält ein Arbeitnehmer dann einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG, wenn er eine Wohnung besitzt, deren Einrichtung seinen Lebensbedürfnissen entspricht und in der auch während seiner Abwesenheit am Beschäftigungsort hauswirtschaftliches Leben herrscht, welches er durch finanzielle und persönliche Mitwirkung maßgeblich mitbestimmt. Ist ein Steuerpflichtiger außerhalb des Ortes seines Lebensmittelpunktes tätig und Laufen die durch das Familienleben anfallenden Kosten auch während seiner Abwesenheit von diesem Lebensmittelpunkt weiter, so erfordert es der bei der Einkommensbesteuerung zu beachtende Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, die durch das Wohnen und Leben am Beschäftigungsort für den Steuerpflichtigen zusätzlich entstehenden notwendigen Kosten zum Werbungskostenabzug zuzulassen.

21

Unterhalten eines eigenes Hausstandes erfordert nicht, daß dort ununterbrochen hauswirtschaftliches Leben durch die Anwesenheit von Familienangehörigen herrschen muß. Das hat zur Folge, daß ein eigener Hausstand auch dann in der bisherigen Wohnung unterhalten werden kann, wenn der Steuerpflichtige dort seinen Lebensmittelpunkt beibehält und sich dort regelmäßig, wenn auch jeweils mit Unterbrechungen an den Arbeitstagen wegen der Berufstätigkeit am auswärtigen Beschäftigungsort, aufhält.

22

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt im Streitfall, daß der Kläger in Rotterdam einen eigenen Hausstand unterhalten und dort seinen Lebensmittelpunkt gehabt hat. Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin zusammen mit dem Kläger überwiegend in B. gewohnt hat. Unstreitig hatten die Kläger einen Wohnsitz in Rotterdam. Durch die Abordnung nach London hat der Kläger nach deutschem Steuerrecht einen doppelten Haushalt begründet, weil sich die damals in der Ausbildung befindlichen Kinder weiterhin am bisherigen Familienwohnsitz Rotterdam aufhielten und dort - vom FA nicht bestritten - zumindest zeitweise durch die Eltern betreut wurden.

23

Diese Art der aufgespaltenen Familienführung haben die Kläger auch nach dem Wechsel des Klägers nach Deutschland und dem Umzug nach B. fortgeführt. Die Kinder haben sich im Streitjahr in der elterlichen Wohnung in Rotterdam aufgehalten und wurden dort - soweit es den Umständen nach erforderlich war -, von der Klägerin und dem Kläger betreut. An diesem Familienleben hat sich der Kläger sowohl persönlich als auch finanziell beteiligt. Im Streitjahr hat er sich seinen Angaben in der Steuererklärung nach an 31 Wochenenden in Rotterdam aufgehalten. Da er allein das Familieneinkommen erzielte, muß davon ausgegangen werden, daß er die finanziellen Lasten der Wohnung in Rotterdam getragen hat. Außerhalb dieses Familienwohnsitzes ist der Kläger im Streitjahr einer Beschäftigung nachgegangen, so daß alle Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung dem Grund nach vorgelegen haben.

24

Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. November 1974 VI R, 77/73 (BStBl. II 1975, 459) ab. In dem dort entschiedenen Sachverhalt hatten die Eheleute die minderjährige Tochter in die Wohnung am Beschäftigungsort nachkommen lassen und dadurch dokumentiert, daß sie am Beschäftigungsort ihre Familienwohnung genommen hatten. Imübrigen war die Tochter zuvor von der Großmutter in der eigenen Familie betreut worden. Ebensowenig liegt eine Abweichung zur Entscheidung des BFH vom 21. Januar 1972 V R 95/71 (BStBl. II 1972, 262) vor, weil die Kläger in B. keine familiengerechte Wohnung unterhalten hatten und sich die Kinder unstreitig dort nicht aufgehalten haben. Eine Vergleichbarkeit des Streitfalls mit der Entscheidung vom 25. März 1988 VI R 32/85 (BStBl. II 1988, 582) scheidet ebenfalls aus.

25

Das FA hat die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen nicht substantiiert bestritten, so daß der Senat davon ausgeht, daß der Betrag von 14.238 DM (21.556 DM ./. 7.318 DM) als die notwendigen Aufwendungen anzusehen ist. Der angefochtene Steuerbescheid 1989 ist also wie folgt zu ändern:

zu versteuerndes Einkommen bisher92.100 DM
abzgl. weiterer Werbungskosten14.239 DM
zu versteuerndes Einkommen neu77.861 DM
festzusetzende Einkommensteuer nach der Splittingtabelle18.060 DM
26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

27

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung.