Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.03.1997, Az.: VI 687/93
Anforderungen an die Bildung einer Rückstellung im Rahmen eines Kontokorrentverhältnisses; Unzulässigkeit der Bildung von Rückstellungen im Rahmen der Kontokorrentkreditzusagen als Dauerschuldverhältnis; Voraussetzungen der Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 04.03.1997
- Aktenzeichen
- VI 687/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 17852
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0304.VI687.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 1 EStG
- § 8 Abs. 1 KStG
- § 249 Abs. 1 S. 1 HGB
Fundstelle
- WM 1998, 124-126 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Körperschaftsteuer 1987
Amtlicher Leitsatz
Soweit ein Kontokorrentkredit von einem Schuldner noch nicht in Anspruch genommen worden ist, kann eine Bank weder wegen einer Ungewissen Verbindlichkeit noch wegen eines drohenden Verlustes aus einem schwebenden Geschäft eine Rückstellung bilden.
In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 4. März 1997,
an der mitgewirkt haben:
Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender
Richterin am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ... Zahnärztin
ehrenamtlicher Richter ... Kaufmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist die Bildung einer Rückstellung im Rahmen eines Kontokorrentverhältnisses.
Die Klägerin ist eine Kreditanstalt des öffentlichen Rechts. Sie erteilte der Firma R. GmbH & Co. KG (R.), ein Textilunternehmen in N., mit Schreiben vom 6. Mai 1980 eine Kontokorrentkreditzusage in Höhe von 1 Mio. DM. Ferner bestand mit der Firma S. Technik GmbH (S.) in S. aufgrund einer Vereinbarung vom 5. August 1987 eine Kreditzusage in Höhe von 3,2 Mio. DM. Die Kredite waren beiderseits jederzeit fristlos kündbar. Wegen des Wortlautes der Kreditvereinbarungen wird auf Bl. 16, 17 der Rechtsbehelfsakte sowie Bl. 43 bis 45 der Finanzgerichtsakte Bezug genommen. An dem Risiko des der S. erteilten Kredites war die Norddeutsche Landesbank (NordLB) mit 50 v.H. beteiligt.
Die Inanspruchnahme der Kontokorrentkredite stellte sich zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1987 bzw. bei Aufstellung der Bilanz der Klägerin wie folgt dar:
Kreditengagement S. | Kreditengagement R. | |||
---|---|---|---|---|
31.12.1987 | 31.03.1988 | 31.12.1987 | 31.03.1988 | |
Kontokorrentkreditzusage | 3.200.000 | 3.200.000 | 1.000.000 | 1.000.000 |
Inanspruchnahme | 2.559.600 | 2.703.300 | 565.700 | 185.200 |
640.400 | 496.700 | 434.300 | 814.800 | |
./. Anteil NordLB (50 %) | 320.200 | 248.350 | - | - |
offene Kreditlinie | 320.200 | 248.350 | 434.300 | 814.800 |
Die höchste Inanspruchnahme des Kontokorrentkredites durch S. betrug im Dezember 1987 2.972.700 DM und im März 1988 2.977.500 DM; die Inanspruchnahme des Kredites durch R. erreichte im Dezember 1987 1.280.000 DM und im März 1988 1.066.500 DM.
Die Klägerin bildete in ihrer Handels- und Steuerbilanz zum 31. Dezember 1987 wegen der offenen Kreditlinien aus den Vereinbarungen mit der R. und der S. in Höhe von 434.300 DM bzw. 320.200 DM mit der Begründung einer Rückstellung, die Kontokorrentkredite seien im Falle ihrer Inanspruchnahme ausfallgefährdet. Die Klägerin hatte aus anderen der R. und der S. gewährten Krediten zum 31. Dezember 1987 Einzelwertberichtigungen in Höhe von 595.000 DM bzw. 2.404.000 DM vorgenommen; diese Einzelwertberichtigungen sind zwischen den Beteiligten unstreitig.
Das Finanzamt (FA) erteilte zunächst für 1987 einen Körperschaftsteuerbescheid, dem es die von der Klägerin abgegebene Körperschaftsteuererklärung und Bilanz zugrunde legte; der Bescheid erging gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
In der Zeit vom 18. Oktober 1988 bis 2. Oktober 1990 führte das FA bei der Klägerin u.a. für den Veranlagungszeitraum 1987 eine Außenprüfung durch. Der Außenprüfer gelangte zu der Auffassung, daß die Bildung von Rückstellungen im Rahmen der Kontokorrentkreditzusagen als Dauerschuldverhältnis nicht zulässig sei, weil sich Leistung und Gegenleistung ausgewogen gegenüberstünden. Das FA erteilte am 26. März 1991 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Körperschaftsteuerbescheid, dem des die Auffassung des Außenprüfers zugrunde legte.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage, zu deren Begründung die Klägerin vorträgt, es sei die Bildung von Rückstellungen wegen drohender Verluste aus beiden schwebenden Geschäften geboten. Entgegen der Auffassung des FA fehle es an der Ausgewogenheit der Kontokorrentverhältnisse. Es sei von einem Verpflichtungsüberschuß auf Seiten der Darlehensgeber in auszugehen.
Die mangelnde Ausgewogenheit der Kreditverhältnisse folge bereits daraus, daß gegenüber beiden Kreditnehmern Einzelwertberichtigungen hätten vorgenommen werden müssen.
Sie, die Klägerin, habe das Kontokorrentverhältnis auch nicht durch eine fristlose Kündigung beenden können, um sich der Inanspruchnahme durch die Kontokorrentkreditnehmer zu entziehen, selbst wenn die fristlose Kündigung in den Verträgen vereinbart gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) habe ein Kreditinstitut selbst in Verlustsituationen lediglich das Recht, ein Kreditverhältnis zu kündigen, wenn es dem Kreditnehmer für die Rückzahlung eine angemessene Frist gewährt habe, innerhalb derer dieser sich um eine andere Bankverbindung oder sonstige Lösung bemühen könne. Das Sperren eines Kontos bzw. die Nichteinlösung von Schecks, die der Kreditnehmer im berechtigten Vertrauen auf den zugesagten Kredit bereits ausgestellt und in Verkehr gebracht habe, sei nicht zulässig. In diesem Zusammenhang sei hervorzuheben, daß insbesondere die R. derartige sogenannte Postlaufkredite aus Wechseln in einer Größenordnung von 1,8 Mio. DM in Anspruch genommen habe.
Da die Kontokorrentkreditverhältnisse zum 31. Dezember 1987 nicht gekündigt gewesen seien und auch nicht hätten gekündigt werden können, sei nach dem Grundsatz vorsichtiger Bilanzierung die Bildung einer Rückstellung geboten gewesen. Dies gelte selbst dann, wenn ein Verlust bei Vertragsabschluß voraussehbar gewesen wäre.
Die Klägerin beantragt,
den Körperschaftsteuer 1987 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 10. November 1993 unter Berücksichtigung einer weiteren Rückstellung in Höhe von 754.500 DM zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften setze voraus, daß ernsthaft mit Verlusten zu rechnen sei, die wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht worden seien. Bei Einräumung eines Kreditrahmens erkläre die Bank nur ihre Leistungsbereitschaft. Es habe am Bilanzstichtag noch nicht einmal festgestanden, ob die Kontokorrentkreditnehmer den Kredit in Anspruch genommen und auch von der Klägerin erhalten hätten.
Da die Klägerin die Kontokorrentkredite weder im Streitjahr 1987 noch im darauffolgenden Jahr gekündigt habe, sei davon auszugehen, daß ihre Interessen nicht gefährdet gewesen seien und ein ernsthaftes Kreditrisiko nicht bestanden habe. Sie habe insbesondere in der Folgezeit die Kreditengagements gegenüber der R. und der S. in vollem Umfang aufrechterhalten. Dies spreche für eine Ausgewogenheit der Leistungsverhältnisse.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Gemäß § 7 Abs. 1 und 2 Körperschaftsteuergesetz (KStG) bemißt sich die Körperschaftsteuer nach dem zu versteuernden Einkommen, wobei für den Einkommensbegriff und die Ermittlung des Einkommens gemäß § 8 Abs. 1 KStG die Vorschriften des EStG zugrunde zu legen sind. Rückstellungen sind gemäß § 5 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 249 Abs. 1 Satz 1 Handesgesetzbuch (HGB) für Ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden. Die Klägerin kann weder wegen einer bestehenden Ungewissen Verbindlichkeit noch wegen, drohender Verluste aus schwebenden Geschäften im vorliegenden Fall eine Rückstellung bilden.
1.
Eine Rückstellung für eine Ungewisse Verbindlichkeit ist zu bilden, wenn das Bestehen oder künftige Entstehen einer betrieblichen Verbindlichkeit dem Grunde und/oder der Höhe nach sowie die Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen wahrscheinlich sind und, sofern es sich um eine künftige Verbindlichkeit handelt, wenn die Verbindlichkeit wirtschaftlich in abgelaufenen oder in vorangegangenen Wirtschaftsjahren verursacht ist (Urteil des Bundesfinanzhof - BFH - vom 5. Februar 1987 IV R 81/84, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1987, 845). Es muß sich um einen Erfüllungsrückstand aus einem bereits abgewickelten Schuldverhältnis handeln, so daß der Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung, daß Forderungen und Schulden aus schwebenden Geschäften nicht angesetzt werden dürfen, nicht entgegensteht (Schmidt, Kommentar zum EStG § 5 Anm. 317).
Hinsichtlich der Verpflichtung der Klägerin zur Gewährung des Kontokorrentkredites in vollem Umfang bestand kein Erfüllungsrückstand. Vielmehr handelt es sich insoweit um ein zwischen der Klägerin und ihren Kreditnehmern schwebendes Dauerrechtsverhältnis, bei dem keiner der Vertragsbeteiligten bis zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1987 sich mit seiner Leistung oder einem Teil seiner Leistung in Rückstand befand. Die Gewährung und Inanspruchnahme von Krediten im Kontokorrentverhältnis konkretisiert sich vielmehr typischerweise nur im jeweiligen Wirtschaftsjahr bei konkreter Inanspruchnahme. Die betragsmäßige Bezifferung des Kontokorrentrahmens stellt nur eine vertraglich vereinbarte Höchstgrenze dar.
2.
Ebensowenig ist für die Bildung einer Rückstellung wegen eines drohenden Verlustes aus schwebendem Geschäft Raum.
Zwar stellt das Kontokorrentverhältnis, wie bereits ausgeführt, als Dauerrechtsverhältnis ein schwebendes Geschäft dar, es fehlt jedoch an der Erfüllung des Tatbestandsmerkmales des drohenden Verlustes im Sinne des § 249 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative HGB.
Ein Verlust droht, wenn der Wert der eigenen Verpflichtung den Wert des Anspruchs auf die Gegenleistung übersteigt (Urteil des BFH vom 10. Dezember 1992 XI R 34/91, Der Betrieb 1063 m.w.N.). Umstritten ist dabei in Rechtsprechung und Literatur, ob ein drohender Verlust aus Dauerschuldverhältnissen voraussetzt, daß aus dem Dauerschuldverhältnis insgesamt ein Verlust droht (sogenannte Gesamtheitsbetrachtung) oder ob ein drohender Verlust bereits anzunehmen ist, wenn sich bei Gegenüberstellung der noch zu erbringenden Leistungen und Gegenleistungen ein negativer Ertrag für den Unternehmer ergibt (sogenannte Restwert- oder Stichtagsbetrachtung) [Schmidt, a.a.O., § 5 Anm. 462 mit Nachweisen zur Rechtsprechung und Literatur]. Für den vorliegenden Sachverhalt kann dahingestellt bleiben, welcher Auffassung zu folgen ist. Denn für die Ermittlung eines Verpflichtungsüberschusses als Voraussetzung eines drohenden Verlustes dürfen nur die Leistungsbeziehungen herangezogen werden, die in einem synallagmatischen Verhältnis zueinanderstehen (Littmann, Das Einkommensteuerrecht §§ 4, 5 Anm. 903 a.E.). Dies trifft auf den Anspruch auf Rückzahlung des Darlehenskapitals nicht zu (Palandt, Kommentar zum HGB, 56. Aufl. 1997, § 607 Anm. 19), so daß die Gefährdung der (künftigen) Forderung der Klägerin auf Darlehensrückzahlung nicht geeignet ist, eine Drohverlustrückstellung im Sinne des § 249 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative HGB zu rechtfertigen.
3.
Soweit die Klägerin die Gefährdung ihres - nicht synallagmatischen - Rückforderungsanspruches dartut, könnte dem allenfalls durch eine Forderungsabschreibung Rechnung getragen werden. Mangels Auszahlung der Kontokorrentmittel bis zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1987 ist jedoch noch keine aktivierungsfähige Forderung auf Rückzahlung entstanden. Die Abschreibung einer noch nicht entstandenen Forderung ist nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nicht zulässig.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1. Die Frage der Ausgeglichenheit von Leistungsbeziehungen im Darlehensverhältnis und die bilanzielle Erfassung des Darlehensverhältnisses ist von grundsätzlicher Bedeutung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.