Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 30.03.2023, Az.: 3 B 25/23

Altersbeschränkung; Aufsichtsperson; Spielhallen; Verbundspielhallen; Anwendbarkeit der Gewährleistungsverpflichtungen des § 5 NSpielhG bei (noch) nicht zertifizierten Verbundspielhallen

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
30.03.2023
Aktenzeichen
3 B 25/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 14300
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2023:0330.3B25.23.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Feststellung, dass ein Betreiber von Spielhallen in baulichem Verbund vorläufig nicht verpflichtet ist zu gewährleisten, dass die Anforderungen von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 bis 6 NSpielhG eingehalten werden, ist zulässig. Im Hinblick auf die drohende Einleitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren mit Ablauf des Übergangszeitraums nach § 18 Abs.

  2. 2.

    Der Betrieber von Verbundspielhallen, für die eine Erlaubnis nach § 2 i.V.m. § 18 Abs. 4 NSpielhG erteilt wurde, ist verpflichtet, die Anforderungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 bis 6 NSpielhG ab dem 1. April 2023 einzuhalten, auch wenn eine Zertifizierung noch nicht erfolgt ist.

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  2. 2.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Anwendung der gesetzlichen Regelungen des Nds. Spielhallengesetzes zur Altersbeschränkung sowie zur Gewährleistung einer weiteren Aufsichtsperson für Verbundspielhallen ab dem 1. April 2023.

Die Antragstellerin betreibt an dem Standort D. in E. F. zwei Spielhallen (Spielhalle 2 und Spielhalle 4) in baulichem Verbund. Ihr wurde hierfür mit Bescheid vom 3. November 2022 eine glückspielrechtliche Erlaubnis nach § 2 i. V. m. § 18 Abs. 4 des Nds. Spielhallengesetzes (NSpielhG) mit einer Befristung bis zum 31. Dezember 2025 erteilt. In der Erlaubnisurkunde ist folgender Zusatz aufgenommen:

"Diese Erlaubnis erlischt, wenn bis zum 31.03.2023 keine Zertifizierung gemäß § 5 NSpielhG für die Spielhalle und keine Sachkundenachweise gemäß § 7 Abs. 9 NSpielhG der antragstellenden Person oder einer mit der Leitung der Spielhalle beauftragten Person bei der zuständigen Behörde vorliegen. ... Diese Erlaubnis ersetzt die am 29.10.2019 erteilte Erlaubnis gemäß § 24 Glücksspielstaatsvertrag 2021 (GlüStV)."

Bisher hat die Antragstellerin Personen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr Zutritt zu ihren Spielhallen gewährt.

Unter dem 2. Februar 2023 richtete das Nds. Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung (Nds. MW) ein Schreiben an die "Gewerbebehörden (Aufsicht unmittelbar)" mit dem Betreff "Hinweise zur Ausführung des NSpielhG". Der Inhalt dieses Schreibens lautet auszugsweise:

"Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 NSpielhG

Mit dem §18 Abs. 2 Sätze 1 und 2 NSpielhG wurde eine zeitliche Übergangsregelung bis zum 31. März 2023, die u.a. die Vorlage eines Zertifikats nach § 5 NSpielhG betrifft, geschaffen. ...

Aktuelle Situation und Hinweise zur Anwendung des NSpielhG

Nach derzeitigen Erkenntnissen dauern die Akkreditierungsverfahren von insgesamt drei Zertifizierungsstellen bundesweit durch die DAkkS noch an. Laut aktueller Auskunft der DAkkS wird ein möglichst zügiger Abschluss der Akkreditierungsverfahren angestrebt, ein konkreter Termin kann derzeit von der DAkkS allerdings noch nicht genannt werden.

Aufgrund dieses Umstands konnten wegen fehlender akkreditierter Zertifizierungsstellen i.S.v. § 5 Abs. 3 NSpielhG bisher keine Zertifikate nach § 5 NSpielhG erteilt werden. Dies hätte zur Folge, dass erteilte Erlaubnisse nach § 2 NSpielhG mit Ablauf des 31. März 2023 erlöschen, da für die Spielhallen keine Zertifikate bei der jeweils zuständigen Behörde bis zum 31. März 2023 vorgelegt werden können (§ 18 Abs. 2 Satz 2 NSpielhG).

...

Sinn und Zweck der Regelung sollte also sein, einen Übergangszeitraum zu schaffen, in welchem den spielhallenbetreibenden Personen Gelegenheit gegeben werden sollte, die nötige Zertifizierung ihrer Spielhallen vornehmen zu lassen und nicht so lange vom Betrieb einer Spielhalle ausgeschlossen zu sein. Erst wenn sie nach Ablauf der Übergangsfrist von 14 Monaten diese Gelegenheit zur Zertifizierung nicht ergreifen werden, soll die erteilte Erlaubnis nach § 2 NSpielhG automatisch wieder erlöschen.

...

Aufgrund der dargelegten Sach- und Rechtslage ist bei der Anwendung des § 18 Abs. 2 Satz 2 NSpielhG wie folgt zu verfahren:

- Um eine geordnete Rechtslage über den 31. März 2023 hinaus aufrechtzuerhalten, gelten die Erlaubnisse nach § 2 NSpielhG einschließlich erlassen[d]er Nebenbestimmungen zunächst bis zum 30. September 2023 fort, wenn und solange lediglich die fehlende Vorlage des Zertifikats nach § 5 NSpielhG zum Erlöschen der Erlaubnis nach § 18 Abs. 2 Satz 2 NSpielhG führen würde. Die spielhallenbetreibenden Personen sind verpflichtet, unverzüglich das Zertifikat nach § 5 NSpielhG bei der zuständigen Behörde vorzulegen, sobald dies möglich ist.

...

- Darüber hinaus weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass für alle Verbundspielhallen unabhängig von einer ggf. noch fehlenden faktischen Möglichkeit zur Akkreditierung ab dem 1. April 2023 die Pflicht besteht, für jede Spielhalle eine separate Aufsichtsperson zu stellen (vgl. Gewährleistungspflicht aus § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NSpielhG). Ein Verstoß hiergegen kann nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 NSpielhG, welcher aufgrund der Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 Satz 3 NSpielhG lediglich bis zum Ablauf des 31. März 2023 suspendiert ist, als Ordnungswidrigkeit verfolgt und geahndet werden. ...

II. Allgemeine Hinweis, insbesondere zum Stichtag 31. März 2023

...

Hinweise zum 31. März 2023:

Mit dem Auslaufen der Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 Satz 3 NSpielhG finden folgende Regelungen ab dem 1. April 2023 für alle Spielhallen Anwendung:

- die Mindestanzahl von einer Person pro Spielhalle vor Ort zur Aufsichtsführung (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NSpielhG)

- die Zutrittsgewährung erst ab Vollendung des 21. Lebensjahres (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 NSpielG)

...

Verstöße gegen diese Bestimmungen sind nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Nr. 6 NSpielhG bußgeldbewehrt."

Am 27. März 2023 hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Die Heraufsetzung des Zutrittsalters sei keine allgemeine, für jede Spielhalle geltende Regelung, sondern eine Voraussetzung für die Zertifizierung von Spielhallen. Auch bei der Anforderung, dass der Betrieb jeder Spielhalle eine Aufsichtsperson vor Ort, bei einer Doppelspielhalle somit jeweils eine Aufsicht pro Spielhallenseite, erfordere, handele es sich nur um eine Zertifizierungsnotwendigkeit gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NSpielhG, von der die Antragstellerin nicht betroffen sein. Sie betreibe die hier betroffene Spielhalle jedoch aufgrund der Übergangsregelung des § 18 Abs. 1 NSpielhG weiterhin mit ihrer (alten) glücksspielrechtlichen Erlaubnis i.S.v. § 24 GlüStV weiter und müsse diese nicht durch eine (neue) Genehmigung nach § 2 Abs. 1 NSpielhG ersetzen. Daher müsse die Antragstellerin die hier betroffene Spielhalle auch derzeit nicht zertifizieren lassen. Jedenfalls könne sie eine Zertifizierung derzeit nicht beantragen. Zudem enthalte allein § 13 NSpielhG Verbote und Verpflichtungen, die für jede Spielhalle in Niedersachsen gelten.

Die Antragstellerin beantragt,

bis zu einer Entscheidung in einem Hauptsacheklageverfahren, längstens bis zu einer Zertifizierung der Spielhallen, festzustellen, dass die Antragstellerin berechtigt ist, ab dem 01.04.2023 in ihren nachfolgend benannten und jeweils aus zwei Spielhallen bestehenden Verbundspielhallen ("Doppelkonzessionen")

  • Spielhalle 2, D., E. F. und

  • Spielhalle 4, D., E. F.

Spielgästen mit Vollendung des 18. Lebensjahres den Zutritt zu gestatten und dass sie nicht dazu verpflichtet ist, in jeder Spielhalle eine Aufsicht (zwei Aufsichten pro Verbundspielhalle) einzusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antrag sei bereits unzulässig. Zwar folge der Antragsgegner der Rechtsauffassung der Fachaufsichtsbehörde, die unmittelbare Einleitung eines Bußgeldverfahrens sei allerdings noch nicht angedroht worden. Da eine flächendeckende Umsetzung der Zertifizierungen innerhalb des Übergangszeitraum bis zum 31. März 2023 nicht möglich gewesen sei, habe das Nds. MW mit Datum vom 2. Februar 2023 den Hinweis erteilt, dass die Erlaubnisse zunächst bis zum 30. September 2023 fortgelten sollten, wenn und solange lediglich das fehlende Zertifikat zum Erlöschen der Erlaubnis führen würde. Lediglich die Einhaltung der formellen Voraussetzung der Zertifizierung sei der Antragstellerin bislang nicht möglich gewesen. Eine explizite Verpflichtung hinsichtlich der Zutritts- und Aufsichtsregelung sei zwar nicht in das NSpielhG aufgenommen worden, sondern nur mittelbar über § 5 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4 und 5 NSpielhG normiert worden. Über den Bußgeldtatbestand des § 17 NSpielhG gelten die Gewährleistungspflichten aus § 5 NSpielhG letztlich dennoch unmittelbar gegenüber den Spielhallenbetreibern. Zu ergänzen sei, dass seit dem 16. März 2023 bzw. 17. März 2023 zwei Zertifizierungsstellen akkreditiert worden seien.

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig, aber unbegründet. Mit dem Antrag begehrt die Antragstellerin sinngemäß die vorläufige Feststellung, dass sie nicht verpflichtet ist, ab dem 1. April 2023 zu gewährleisten, dass bei dem Betrieb ihrer im baulichen Verbund bestehenden zwei Spielhallen der Zutritt nur Personen ab Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt werde und jeweils eine Person vor Ort in der Spielhalle die Aufsicht führt, für die Verbundspielhallen also mindestens eine zweite Aufsichtsperson vorhanden sein muss. Hilfsweise begehrt sie diese Feststellung befristet bis zur Zertifizierung.

1. Der Antrag ist zulässig.

Er ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag nicht nur eine einstweilige Anordnung treffen, wenn in Bezug auf den Streitgegenstand die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung, § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO), oder wenn in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine vorläufige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes kann auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Gestalt einer vorläufigen Feststellung des in der Hauptsache sachlich Begehrten geboten sein (sog. Feststellungsanordnung, vgl. jeweils m. w. N. VGH Baden-Württemberg., Beschl. v. 23.1.2023 - 9 S 2408/22 -, juris Rn. 32; OVG Nordrhein-Westfalen., Beschl. v. 25.8.2017 - 13 B 762/17 -, juris Rn. 7 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 4.4.2012 - 8 ME 49/12 -, juris Rn. 21; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 18.12.1985 - 2 BvR 1167/84 u.a. -, juris Rn. 82;).

Zwischen den Beteiligten besteht auch ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO. Unter einem solchen sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Gegenstand der Feststellungsklage muss ein streitiges konkretes Rechtsverhältnis sein, d.h. es muss die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren Sachverhalt streitig sein. Unabhängig von der Frage der Konkretisierung des Rechtsverhältnisses setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis voraus, dass zwischen den Beteiligten des Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können. Es müssen sich also aus dieser Rechtsbeziehung heraus bestimmte Rechtsfolgen ergeben können, was wiederum die Anwendung von bestimmten Normen auf den konkreten Sachverhalt voraussetzt. Daran fehlt es, wenn nur abstrakte Rechtsfragen wie die Gültigkeit einer Norm zur Entscheidung gestellt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.1.2010 - 8 C 19/09 -, juris Rn. 24; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 20.5.2022 - 3 MB 28/21 -, juris Rn. 14). Nach diesen Maßgaben besteht hier ein feststellungsfähiges und hinreichend konkretes Rechtsverhältnis. Die Antragstellerin begehrt keine abstrakte Überprüfung einer Norm. Vielmehr geht es ihr um die Klärung der Frage, ob sie ab 1. April 2023 verpflichtet ist zu gewährleisten, dass zum einen der Zutritt zu der von ihr betriebenen Spielhalle erst ab Vollendung des 21. Lebensjahres gestattet wird und zum anderen in jeder der beiden von ihr im Verbund betriebenen Spielhallen jeweils eine Person Aufsicht führt, oder ob eine einzelne Aufsichtsperson für beide Spielhallen ausreichend ist. Das Nds. MW geht in einem an die Gewerbebehörden als zuständige Aufsicht und damit auch an die Antragsgegnerin gerichteten Erlass vom 2. Februar 2023, an dem sich die Antragsgegnerin entsprechend ihrer Antragserwiderung orientiert, von einer entsprechenden Verpflichtung der Antragstellerin aus, unabhängig davon, auf welcher rechtlichen Grundlage die Erlaubnis der Antragstellerin besteht oder ob eine Zertifizierung bereits erfolgt oder tatsächlich möglich sei. Streitig sind daher die konkrete Auslegung und Anwendung der Norm des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 4 und 5 i. V. m. § 18 NSpielhG auf die von der Antragstellerin betriebene Verbundspielhalle.

Es besteht auch ein für die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes erforderliches qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG i. V. m. dem Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 GG) zwar grundsätzlich nicht vorbeugend ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt jedoch ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für einen vorbeugenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzbedürfnis notwendig. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis ist hingegen zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde (vgl. Posser/Wolf in: Beck OK, Stand: 1.7.2022, § 123 Rn. 45). Eine solche Konstellation liegt insbesondere bei drohenden Sanktionen vor, die an verwaltungsrechtliche Vorfragen anknüpfen. Denn es ist nicht zumutbar, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen "von der Anklagebank herab" führen zu müssen. Der Betroffene hat ein schutzwürdiges Interesse daran, den Verwaltungsrechtsweg als sachnähere und "fachspezifischere" Rechtsschutzform einzuschlagen, wenn ihm wegen verwaltungsrechtlicher Fragen ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren droht. Es ist weder sinnvoll noch zumutbar, ihm in einem derartigen Schwebezustand die Möglichkeit der verbindlichen Klärung streitiger Fragen des öffentlichen Rechts zu verwehren (vgl. zum Hess. SpielhG: BVerfG, Beschl. v. 16.7.2015 - 1 BvR 1014/13 -, juris Rn. 14; Hess. VGH, Beschl. v. 31.1.2019 - 8 B 225/18 -, juris Rn. 26; vgl. allg.: BVerwG, Urt. v. 23.6.2016 - 2 C 18/15 -, juris Rn. 20; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25.8.2017 - 13 B 762/17 -, juris Rn. 17; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 43 Rn. 86; anders VG Göttingen, Beschl. v. 24.3.2023 - 1 B 63/23 -, Veröffentlichung nicht bekannt).

Nach diesem Maßstab besteht ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis, da die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens - wie der Antragsgegner dem Grunde nach bestätigt hat - droht. Denn ordnungswidrig handelt gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 4 NSpielhG, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 4 bis 6 NSpielhG nicht nachkommt. Ein Verweis auf die Inanspruchnahme nachträglichen Rechtsschutzes wäre mit unzumutbaren Nachteilen für die Antragstellerin verbunden. Zwar hat der Antragsgegner bisher weder ein konkretes Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet noch die Durchführung eines solchen konkret angekündigt (vgl. dazu: Nds. OVG, Beschl. v. 4.4.2012 - 8 ME 49/12 -, juris Rn. 28). Unter Berücksichtigung des Erlasses des Nds. MW vom 2. Februar 2023, auf den der Antragsgegner Bezug nimmt und der dezidiert auf die Bußgeldbewehrung der Einhaltung der Gewährleistungen des § 5 NSpielhG gemäß § 17 NSpielhG und deren Geltung für alle Spielhallen mit Erlaubnissen sowohl nach altem als auch nach neuem Recht hinweist, muss die Antragstellerin ab 1. April 2023 jederzeit mit der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens rechnen, sofern sie weiterhin Personen unter 21 Jahren den Zutritt zu ihrer Spielhalle gestattet oder sofern sie nicht in jeder Spielhalle eine Aufsichtsperson stellt. Zuvor ist auch keine Ankündigung oder Androhung der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens durch den Antragsgegner zu erwarten. Die Einleitung eines solchen Verfahrens gegen die Antragstellerin stellt sich im Hinblick auf den die Vollzugstätigkeit der Gewerbebehörden steuernden Erlass des Nds. MW vom 2. Februar 2023, in dem insoweit eine ausdrückliche Rechtsposition eingenommen wird, nicht allein als eine bloß theoretische Möglichkeit des Verwaltungshandelns dar. Der Antragsgegner hat auch nicht erklärt, bis zur Klärung der streitigen Rechtsfrage vorerst von der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen die Antragstellerin abzusehen.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch in der Sache - sowohl mit Hauptantrag als auch mit dem Hilfsantrag - unbegründet.

Die Antragstellerin hat bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Sie ist verpflichtet zu gewährleisten, dass ab dem 1. April 2023 bei dem Betrieb ihrer im baulichen Verbund bestehenden zwei Spielhallen, für die Erlaubnisse nach §§ 2, 18 Abs. 4 NSpielhG erteilt wurden, der Zutritt allein Personen ab Vollendung des 21. Lebensjahres gestattet wird und jeweils eine Person vor Ort in jeder Spielhalle die Aufsicht führt.

Am 1. Februar 2022 ist als Artikel I des Gesetzes zur Änderung spielhallenrechtlicher Bestimmungen das Niedersächsische Spielhallengesetz (NSpielhG) in Kraft getreten. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 NSpielhG bedarf der Betrieb einer Spielhalle einer Erlaubnis, die nach § 3 Nr. 5 i. V. m. § 5 NSpielhG zu versagen ist, wenn keine Zertifizierung durch eine akkreditierte Prüforganisation erfolgt ist. Voraussetzung einer Zertifizierung ist nach § 5 Abs. 1 NSpielhG unter anderem, dass der Zutritt zu der Spielhalle erst ab Vollendung des 21. Lebensjahres gestattet wird (Nr. 5) und mindestens eine Person vor Ort in der Spielhalle die Aufsicht führt (Nr. 4). Weder verfügt jedoch die Antragstellerin bisher über eine Zertifizierung, noch besteht vorliegend Streit zwischen den Beteiligten, ob die Antragstellerin die Voraussetzungen für die Erteilung einer Zertifizierung erfüllt. Die Antragstellerin ist jedoch nach dem 31. März 2023 - unabhängig davon, ob bereits eine Zertifizierung erteilt wurde - verpflichtet, die Einhaltung der in § 5 Nr. 4 bis 6 NSpielhG normierten Anforderungen zu gewährleisten.

Das Gericht geht dabei davon aus, dass die Antragstellerin bis zum 31. März 2023 einen Antrag auf Zertifizierung gestellt bzw. ihrerseits alles getan hat, um eine Zertifizierung durch eine akkreditierte Prüforganisation zu erhalten. Für den Fall, dass die Antragstellerin dies versäumt hätte, würde ihr im vorliegenden Verfahren jedenfalls bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, da mit Ablauf des 31. März 2023 gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 NSpielhG i. V. m. dem Erlass des Nds. MW eine nach § 2 NSpielhG erteilte Erlaubnis erlischt, wenn nicht zumindest eine entsprechende Antragstellung vorliegt.

Für Erlaubnisse für Verbundspielhallen - wie hier im Fall der Antragstellerin - gilt nach § 18 Abs. 4 Satz 2 NSpielhG die Vorschrift des § 18 Abs. 2 NSpielhG entsprechend. Nach der Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 Satz 3 NSpielhG finden bis zum 31. März 2023 § 13 Abs. 4 sowie § 5 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 4 bis 6 NSpielhG, auch in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Nr. 4 NSpielhG, keine Anwendung. Die Norm schafft eine Übergangsregelung auch und gerade im Hinblick auf den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 17 Abs. 1 Nr. 4 NSpielhG, um zu verhindern, dass die nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 4 bis 6 NSpielhG bestehenden Gewährleistungsverpflichtungen bereits vor Auslaufen der in § 18 Abs. 2 Satz 1 NSpielhG geregelten Übergangsfrist für die Zertifizierungspflicht über den Ordnungswidrigkeitentatbestand mit Geldbuße sanktioniert werden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, LT-Drs. 18/10624, S. 20, zu § 20 Abs. 2 Satz 3 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, LT-Drs. 18/10585, S. 19). Bei Erlass der Übergangsregelungen des § 18 Abs. 2 NSpielhG ging der Nds. Landesgesetzgeber davon aus, dass ein Übergangszeitraum bis zum 31. März 2023 ausreichen würde, um das in § 5 NSpielhG vorgesehene Zertifizierungsverfahren bereitzustellen. Da die Akkreditierung der Prüforganisationen, welche die erforderlichen Zertifizierungen erteilen können, jedoch nicht zeitnah abgeschlossen werden konnte, sondern die ersten Akkreditierungen - wie der Kammer aus Parallelverfahren bekannt ist (vgl. www.dakks.de) - erst seit Mitte März 2023 vorliegen, konnte der nach der Begründung des Gesetzentwurfs beabsichtigte Verfahrensablauf für den Großteil der erteilten Erlaubnisse nicht eingehalten werden. Der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 20 Abs. 2 Satz 3 NSpielhG-Entwurf (LT-Drs. 18/10624, S. 20), der inhaltlich dem § 18 Abs. 2 Satz 3 NSpielhG entspricht, ist allerdings nichts zu der Frage zu entnehmen, welche Folgen es hat, wenn Zertifizierungsverfahren aufgrund von Verzögerungen bei der Akkreditierung der Prüforganisationen nicht oder in großem Umfang nicht rechtzeitig abgeschlossen werden können.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 3 NSpielhG sind die Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 4 bis 6 NSpielhG jedoch für Inhaber einer Erlaubnis nach § 2 NSpielhG unabhängig von dem Ablauf des Zertifizierungsverfahrens nicht bis zur Erteilung der Zertifizierung, sondern (nur) bis zum 31. März 2023 suspendiert (a.A. VG Braunschweig, Beschl. v. 21.3.2023 - 1 B 75/23 -, juris Rn. 13; VG Osnabrück, Beschl. v. 28.3.2023 - 1 B 23/23 -, Veröffentlichung nicht bekannt). Grund für die Suspendierung der Anforderungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 4 bis 6 NSpielhG war nach der Gesetzesbegründung zudem nicht nur, einen zeitlichen Gleichlauf zwischen Zertifizierungsverpflichtung und Sanktionierungsmöglichkeit durch den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 17 Abs. 1 Nr. 4 NSpielhG (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 SpielhG-E) herzustellen. Zugleich sollte die Übergangsfrist bis zum 31. März 2023 der Erleichterung der Anwendung der Übergangsregelung dienen. Denn nach einer Mitteilung des Nds. MW sei es den Betreibern von Verbundspielhallen nicht möglich, die dort ca. 800 zusätzlich benötigten, qualifiziert geschulten Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer kurzfristig einzustellen (vgl. LT-Drs. 18/10624, S. 20).

Die Bestimmung der Übergangsfrist in § 18 Abs. 2 Satz 3 NSpielhG diente somit auch den Interessen der Betreiber der bestehenden Verbundspielhallen - wie der Antragstellerin -, denen im Hinblick auf den benötigten Vorlauf zur Gewinnung qualifizierten Personals eine Übergangsfrist nach dem Inkrafttreten der Bestimmungen des NSpielhG eingeräumt werden sollte. Anders als die Erteilung der fristgemäß beantragten Zertifizierung, der Hindernisse entgegenstehen können, die nicht in der Sphäre des Spielhallenbetreibers liegen, hängt die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben - deren Gewährleistung der akkreditierten Prüforganisation bei Erteilung des Zertifikates nachgewiesen sein muss - jedoch allein vom Inhaber der bereits erteilten Erlaubnis ab. Bei ordnungsgemäßem Ablauf des Zertifizierungsverfahrens entsprechend der gesetzgeberischen Vorgaben wäre die Verpflichtung der Antragstellerin zur Einhaltung der Vorgaben des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 4 bis 6 NSpielhG zum 1. April 2023 in gleicher Weise entstanden.

Die Vorgaben zur Zutrittsgewährung erst ab Vollendung des 21. Lebensjahres sowie zur Mindestanzahl der Aufsichtspersonen vor Ort in der Spielhalle sind im Nds. Spielhallengesetz zwar allein als Gewährleistungsverpflichtung im Rahmen der Zertifizierung durch Prüforganisationen nach § 5 NSpielhG ausgestaltet und nicht in die allgemein für alle in Niedersachsen betriebenen Spielhallen geltenden Verbote und Verpflichtungen gemäß § 13 NSpielhG aufgenommen. Sie gelten daher entgegen den Ausführungen im Erlass des Nds. MW vom 2. Februar 2023 - auch wenn dies nach der Begründung des Gesetzentwurfs zum Nds. Spielhallengesetz wünschenswert erscheinen mag - nicht für den Betrieb aller Spielhallen in Niedersachsen, sondern sind nur von den Inhabern einer Erlaubnis nach § 2 NSpielhG einzuhalten. Insbesondere sind im Gegensatz dazu Inhaber von Erlaubnissen nach § 24 Abs. 1 GlüStV von den entsprechenden Verpflichtungen, die im Zusammenhang mit dem Zertifizierungsverfahren bestehen, nicht betroffen (vgl. Beschl. der Kammer vom 30. März 2023 - 3 B 11/23 -, n.v.). Dies ergibt sich daraus, dass - anders als die hier vorliegenden Erlaubnisse nach § 2 NSpielhG, auf welche die dargestellte Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 NSpielhG Anwendung findet - eine bei Inkrafttreten des Nds. Spielhallengesetzes bestehende Erlaubnis nach § 24 Abs. 1 GlüStV von den Vorgaben des Nds. Spielhallengesetzes gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 NSpielhG unberührt bleibt. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist sie nicht (mehr) im Besitz einer Erlaubnis nach § 24 Abs. 1 GlüStV. Mit der Erteilung von Erlaubnissen nach §§ 2, 18 Abs. 4 NSpielhG sind die bis dahin bestehenden Erlaubnisse für Verbundspielhallen unwirksam geworden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache erfolgt keine Reduzierung des Streitwerts für das vorläufige Rechtsschutzverfahren (vgl. Ziffer 1.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ-Beilage 2013, S. 57). Die danach gebildeten Einzelstreitwerte hinsichtlich der beiden Spielhallen sind gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren.