Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.04.2023, Az.: 2 A 368/21

Grabstätte; Nutzungsrecht; Rücknahme; Totenfürsorge; Anspruch auf Rücknahme des Nutzungsrechts an einer Grabstätte

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.04.2023
Aktenzeichen
2 A 368/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 22738
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2023:0406.2A368.21.00

Amtlicher Leitsatz

Das Nutzungsrecht an einer Wahlgrabstätte steht demjenigen zu, dem es auf Antrag verliehen wurde. Ein Anspruch auf Rücknahme des Nutzungsrechts kann nur bestehen, wenn die Verleihung des Nutzungsrechts willkürlich oder missbräuchlich erfolgt ist.

[Tatbestand]

Die Klägerin wendet sich gegen die Verleihung einer Nutzungsberechtigung für das Grab ihres verstorbenen Sohnes durch die Beklagte an die Beigeladene und begehrt die Verleihung der Nutzungsberechtigung an sich.

Die Klägerin ist Mutter des am 6. Januar 2019 verstorbenen Herrn F. A.. Herr A. war zum Zeitpunkt seines Todes ledig und kinderlos, es bestand zwischen Herrn A. und der Beigeladenen aber eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, die sie unter gemeinsamer Adresse lebten. Die Bestattung wurde über das Bestattungshaus G. organisiert. Mit an das Bestattungshaus G. gerichteter E-Mail vom 8. Januar 2019 teilte Herr H. A., ebenfalls Sohn der Klägerin, diesem mit, dass die Kosten für die Beisetzung seines Bruders von der Mutter, der Klägerin, übernommen würden. Ferner teilte er mit, dass die Beigeladene von ihnen bevollmächtigt worden sei, alle Entscheidungen bezüglich der Beisetzung zu treffen. Diese E-Mail wurde vom Bestattungshaus G. auch an die Beklagte weitergeleitet.

Mit Antrag vom 10. Januar 2019 beantragte die Beigeladene u.a. die Verleihung eines Nutzungsrechts an einer Wahlgrabstätte auf dem Grabfeld H/3, Grabnummer I. auf dem städtischen Michaelisfriedhof an sich. Mit Verleihungsurkunde vom 18. Januar 2019 übertrug die Beklagte der Beigeladenen befristet bis zum 31. Dezember 2044 das Nutzungsrecht an o.g. Grabstätte. Am gleichen Tag wurde Herr F. A. auf der Grabstelle beigesetzt. Ein Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2019 u.a. über die Festsetzung von Gebühren für das Wahlgrab in Höhe von 1.450,- EUR erging an die Beigeladene. Beglichen wurde die Gebührenrechnung durch das Bestattungshaus G.. Die Klägerin erstattete dem Bestattungshaus G. später die Kosten für die Beisetzung inklusive der Gebühren für das Wahlgrab.

Am 8. Mai 2019 beantragte die Beigeladene ein Nutzungsrecht an der Grabstätte H/3 Nr. J., welche sich neben der Grabstätte befindet, in der Herr F. A. bestattet wurde, sowie die Verbindung beider Grabstätten zu einer Doppelgrabstätte. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurden die Grabstätten verbunden und der Beigeladenen das Nutzungsrecht an der Doppelgrabstätte verliehen. Die festgesetzten Gebühren wurden von der Beigeladenen erstattet.

Mit Schreiben vom 18. April 2020 wandte sich die Klägerin über das Bestattungshaus G. an die Beklagte und bat um Erklärung, wie es dazu gekommen sei, dass das Nutzungsrecht an der Grabstätte der Beigeladenen verliehen worden sei. Nach weiterer Korrespondenz beantragte die Klägerin unter dem 19. Februar 2021 bei der Beklagten, ihr unter Aufhebung des entgegenstehenden Nutzungsrechts der Beigeladenen und unter Aufhebung der Zusammenführung der Grabstellen Nr. I. und Nr. J. zu einer Doppelgrabstätte das Nutzungsrecht an der Grabstätte Nr. I. zu verleihen.

Mit Bescheid vom 1. Juli 2021 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen einer Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 VwVfG lägen nicht vor. Es fehle an einem rechtswidrigen Verwaltungsakt. Die Verleihung des Nutzungsrechts an eine Grabstätte werde zwar durch Verwaltungsakt begründet, da die Vergabe eines Nutzungsrechts an einer Grabstätte Teil und Aufgabe der Verwaltung des Friedhofs und damit einer öffentlichen Einrichtung sei und die Beklagte als Friedhofsträgerin den Nutzern hoheitlich gegenübertrete. Die Verleihung des Nutzungsrechts an der Grabstätte Nr. I. an die Beigeladene sei jedoch nicht rechtswidrig. Rechtsgrund für die Entstehung eines Nutzungsrechts an einer Grabstätte und dessen Zuordnung zu einer nutzungsberechtigten Person sei der antragsgemäß erlassene Bescheid in Gestalt einer Verleihungsurkunde. Das Nutzungsrecht an der Grabstätte sei zutreffend an die Beigeladene verliehen worden, da diese das Nutzungsrecht beantragt habe. Die Beigeladene habe nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen und - wie sich aus der E-Mail des Bruders des Verstorbenen ergebe - mit Zustimmung der nächsten Angehörigen das Recht zur Ausübung der Totenfürsorge gehabt. Somit habe der Beigeladenen rechtmäßig das Nutzungsrecht an der Grabstätte Nr. I. zur Beisetzung des Verstorbenen übertragen werden können.

Die Klägerin hat am 5. August 2021 Klage erhoben.

Sie trägt vor, die Erteilung der Nutzungsberechtigung an die Beigeladene sowie die Zusammenlegung der Grabstätten sei rechtswidrig. Es bestehe ein Anspruch auf Rücknahme der Bescheide. Die Beigeladene sei nicht berechtigt gewesen, das Nutzungsrecht an der Grabstätte zu erwerben, da sie nicht Inhaberin des Totenfürsorgerechts sei. Vielmehr stehe ihr als vorrangig Bestattungspflichtiger sowie als Erbin das Recht der Totenfürsorge zu. Etwas anderes gelte nur, wenn ein anderslautender Wille des Verstorbenen mit Sicherheit festgestellt werden könne. Dies sei hier nicht der Fall. Sie habe die Beigeladene auch nicht ermächtigt, das Nutzugsrecht für sich selbst zu beantragen, da die Beigeladene ausweislich der E-Mail an das Bestattungshaus ausschließlich für alle Entscheidungen bezüglich der Beisetzung bevollmächtigt gewesen sei, nicht aber für das Nutzungsrecht an der Grabstätte. Die Übertragung des Nutzungsrechts an die Beigeladene widerspreche auch § 15 Abs. 6 der Friedhofssatzung der Beklagten, da eine Übertragung eines zu Lebzeiten erworbenen Nutzungsrechts an die Beigeladene als Lebensgefährtin ausgeschlossen gewesen wäre.

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 1. Juli 2021 zu verpflichten, die an die Beigeladene am 19. Januar 2019 und am 8. Mai 2019 verliehenen Nutzungsberechtigungen für die Grabstellen Nr. I. und Nr. J. sowie die Umwandlung der beiden Grabstellen in eine Doppelgrabstelle zurückzunehmen,

  2. 2. die Beklagte zu verpflichten, ihr, der Klägerin, das Nutzungsrecht an der Grabstelle Nr. I. zu verleihen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass bereits kein rechtswidriger Verwaltungsakt vorliege, der zurückgenommen werden könnte, da die Verleihung des Nutzungsrechts an die Beigeladene rechtmäßig gewesen sei. Nach Würdigung der Gesamtumstände sei davon auszugehen, dass es zum einen dem Wunsch und Willen des Verstorbenen entsprochen habe, dass die Beigeladene zur Totenfürsorge berufen sein solle und dass ihr zur Ausübung der Totenfürsorge auch das Recht zur Nutzung der Grabstätte zu erteilen gewesen sei, da eine nichteheliche Lebensgemeinschaft bestanden habe. Zudem sei in dem Verhalten des Bruders des Verstorbenen eine Zustimmung zur Erteilung des Grabnutzungsrechts auf die Beigeladene zu erkennen gewesen, zumal die Klägerin durch Tilgung der Gebührenschuld selbst dazu beigetragen habe, dass das Nutzungsrecht wirksam bei der Beigeladenen habe entstehen können.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass kein Rechtsgrund für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin ersichtlich sei. Die Einräumung des Nutzungsrechts sei nicht rechtswidrig. Es bestünden keine Ausschlussgründe, weshalb ihr das Nutzungsrecht zu versagen gewesen wäre. Die Einräumung eines Nutzungsrechts gegen Zahlung einer Gebühr könne nicht rechtswidrig sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme der an die Beigeladene am 19. Januar 2019 und am 8. Mai 2019 verliehenen Nutzungsberechtigungen für die Grabstätten Nr. I. und Nr. J. sowie die Umwandlung der beiden Grabstätten in eine Doppelgrabstelle (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Vorschrift setzt in ihrem Tatbestand somit einen rechtswidrigen Verwaltungsakt voraus. Hieran fehlt es aber vorliegend. Die der Beigeladenen am 19. Januar 2019 und am 8. Mai 2019 verliehenen Nutzungsberechtigungen für die Grabstätten Nr. I. und Nr. J. sowie die Umwandlung der beiden Grabstätten in eine Doppelgrabstätte sind rechtmäßig.

Das Nutzungsrecht an einer Grabstätte ist ein personengebundenes, hoheitlich verliehenes Sondernutzungsrecht nicht vermögensrechtlicher Art (vgl. VG Köln, Urt. v. 10.8.2021 - 22 K 3112/20 -, juris Rn. 33). Die Rechtmäßigkeit des ein Nutzungsrecht an einer Grabstätte begründenden Verwaltungsakts bestimmt sich maßgeblich nach der Friedhofssatzung (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 15.1.2010 - 8 OA 225/09 -, juris Rn. 5). Nach § 15 Abs. 1 der Friedhofssatzung der Beklagten in der zum Zeitpunkt der Verleihung des Nutzungsrechts geltende Fassung vom 26. November 2009 sind Wahlgrabstätten Grabstätten für Erdbeisetzungen, an denen auf Antrag ein Nutzungsrecht für die Dauer von 25 Jahren (Nutzungszeit) verliehen und deren Lage im Benehmen mit dem Erwerber bestimmt wird. Das Nutzungsrecht entsteht gemäß § 15 Abs. 3 dieser Satzung nach Zahlung der fälligen Gebühr mit Aushändigung der Verleihungsurkunde. Das Grabnutzungsrecht steht somit grundsätzlich demjenigen zu, dem die Beklagte das Nutzungsrecht eingeräumt hat. Die Vergabe des Nutzungsrechts ist nur dann rechtmäßig, wenn der Nutzungsberechtigte das Nutzungsrecht auch beantragt hat (vgl. zur entsprechenden landesrechtlichen Regelung VG Würzburg, Urt. v. 7.5.2003 - W 2 K 02.796 -, juris). Dabei ist nicht die nachträgliche Beurteilung, sondern allein die für die Überlassung einer Grabstätte rechtserheblichen Aspekte Maßstab für die Frage, wem die Inhaberschaft daran zusteht (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 13.5.2014 - 9 A 133/13 -, juris Rn. 34). Von dem Nutzungsrecht an der Wahlgrabstätte zu unterscheiden ist das Totenfürsorgerecht. Das Recht auf Totenfürsorge obliegt gewohnheitsrechtlich den nächsten Angehörigen, sofern kein ausdrücklicher Wille des Verstorbenen festgestellt werden kann. Bei Vorhandensein mehrerer Angehöriger ist eine bestimmte Reihenfolge zu beachten, die sich nach der Nähe der familienrechtlichen Beziehung bestimmt und die sich an der Reihenfolge der Bestattungspflichtigen nach § 8 Abs. 3 NBestattG orientiert. Dabei kann Personenverschiedenheit hinsichtlich des Nutzungsrechts an einer Grabstätte und des Rechts der Totenfürsorge bestehen (vgl. zu den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen OVG NRW, Urt. v. 12.12.2012 - 19 A 2207/11 -, juris Rn. 11; VG München, Urt. v. 1.12.2016 - M 12 K 16.3936 -, juris Rn. 27 f.). Während das Nutzungsrecht dem Inhaber die öffentlich-rechtliche Befugnis einräumt, die Grabstätte nach Maßgabe der jeweils geltenden Friedhofsordnung für die Bestattung, Grabanlage und Errichtung eines Grabmals zu nutzen (vgl. auch § 15 Abs. 10 und 11 der Friedhofssatzung), handelt es sich bei der Totenfürsorgeberechtigung um die zivilrechtliche Befugnis, Art, Ort und Durchführung der Bestattung zu bestimmen (vgl. VG München, Urt. v. 1.12.2016 - M 12 K 16.3936 -, juris Rn. 27 f.).

In Anwendung dieser Grundsätze steht das Nutzungsrecht an einer Wahlgrabstätte demjenigen zu, der dieses beantragt und verliehen bekommen hat, ohne dass es zum Zeitpunkt der Verleihung missbräuchlich oder willkürlich gewesen wäre, dem Antragsteller dieses Nutzungsrecht zu verleihen. Es gibt somit ggf. nicht nur eine Person, der ein Nutzungsrecht rechtmäßig verliehen werden kann. Sofern eine der berechtigten Personen ein Nutzungsrecht verliehen bekommen hat, scheidet aber die Verleihung an eine andere, ebenfalls berechtigte Person aus.

Die Beigeladene hat das Nutzungsrecht für die Grabstätte Nr. I. am 10. Januar 2019 bei der Beklagten beantragt und am 18. Januar 2019 verliehen bekommen. Diese Verleihung des Nutzungsrechts war rechtmäßig, da Missbrauch oder Willkür nicht ersichtlich sind. Bei der Beigeladenen handelte es sich um die Lebensgefährtin des Verstorbenen, die mit diesem in einer gemeinsamen Wohnung lebte. Zudem war sie durch die Familie des Verstorbenen bevollmächtigt, alle Entscheidungen bezüglich der Beisetzung zu treffen. Dabei ist unerheblich, dass nach § 164 Abs. 1 BGB eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt. Denn die Beklagte konnte aufgrund der Umstände davon ausgehen, dass hier durch die E-Mail des Bruders des Verstorbenen vom 8. Januar 2019 nicht eine klassische Vollmacht für die Abgabe von Willenserklärungen erteilt werden sollte, sondern vielmehr die Beigeladene durch die Familie den Auftrag dazu erhalten hatte, die Beisetzung und Bestattung abzuwickeln, also die Totenfürsorge insoweit wahrzunehmen. Dass auf Grundlage dieser Erklärung die Verleihung des Nutzungsrechts ausschließlich für die Klägerin oder andere Familienangehörige möglich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Vielmehr konnte die Beklagte auf Antrag der Beigeladenen als Lebensgefährtin des Verstorbenen (auch) an diese rechtmäßigerweise das Nutzungsrecht verleihen.

Auch die Verleihung des Nutzungsrechts an der Grabstätte Nr. 419 am 8. Mai 2019 war rechtmäßig, so dass die Verbindung der beiden Grabstätten zu einer Doppelgrabstätte ebenfalls rechtmäßig erfolgte.

2. Die Klage ist ebenfalls unbegründet, soweit die Klägerin die Verleihung des Nutzungsrechts an der Grabstätte Nr. I. an sich beantragt. Das Nutzungsrecht wurde, wie oben dargestellt, rechtmäßig der Beigeladenen verliehen. Aus diesem Grund scheidet die (zusätzliche) Verleihung an die Klägerin aus, da das Nutzungsrecht an einer Grabstätte nur einer Person zukommen kann (vgl. auch § 15 Abs. 6 der Friedhofssatzung, der von einem einzigen Nutzungsberechtigten ausgeht).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der erfolglos gebliebenen Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen. Denn die Beigeladene hat einen eigenen Antrag gestellt und ist damit ein Kostenrisiko eingegangen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.