Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.11.2013, Az.: 3 B 6286/13

Prüfung der rechlichen Zulässigkeit der Abschiebung in den Drittstaat bzw. Mitgliedstaat vor Erlass der Abschiebungsanordnung (hier: Drohen der Todesstrafe)

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
14.11.2013
Aktenzeichen
3 B 6286/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 51478
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2013:1114.3B6286.13.0A

Fundstelle

  • AUAS 2013, 276

In der Verwaltungsrechtssache
1. des Herrn E.
2. der D. E., gesetzlich vertreten durch den Vater, Herrn E., Staatsangehörigkeit: russisch,
Antragsteller,
Proz.-Bev.
zu 1-2: Rechtsanwältin Uzunkol,
Cloppenburger Straße 391, 26133 Oldenburg (Oldenburg), - -
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Außenstelle Oldenburg -, Klostermark 70 - 80, 26135 Oldenburg, - -
Antragsgegnerin,
Streitgegenstand: Asylrecht
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 3. Kammer - am 14. November 2013 durch
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Klage (3 A 6284/13) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 2. Oktober 2013 ist nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 34 a Abs. 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) zulässig. Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind nach § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu stellen. Diese Frist ist hier eingehalten worden.

Denn es ist davon auszugehen, dass der angefochtene Bescheid als den Antragstellern am 9. Oktober 2013 bekannt gegeben und auch zugestellt gilt. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist mit der Übersendung des Bescheids vom 2. Oktober 2013 an die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben des Bundesamtes vom 7. Oktober 2013 noch keine wirksame Zustellung erfolgt. Wird ein Asylantrag nur nach § 26 a oder § 27 a AsylVfG abgelehnt, ist die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG dem Ausländer selbst zuzustellen. Sie kann ihm auch von der für die Abschiebung oder für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde zugestellt werden (§ 31 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AsylVfG). Im Übrigen richtet sich die Zustellung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), soweit sich aus § 10 AsylVfG nichts anderes ergibt. Die wirksame Zustellung des Bescheides ist Voraussetzung für den Eintritt der Wirksamkeit des Bescheides gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird, und nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, wobei Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG unberührt bleiben.

Nach Maßgabe dessen ist der Bescheid den Antragstellern nicht durch den Zugang bei der Prozessbevollmächtigten (nach deren Mitteilung hat sie den Bescheid am 9. Oktober 2013 erhalten) wirksam zugestellt und bekannt gegeben worden, weil die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller wegen der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG insoweit nicht Empfangsberechtigte i.S.v. § 8 VwZG ist. Dementsprechend soll, wenn der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten wird oder er einen Empfangsberechtigten benannt hat, diesem gemäß § 31 Abs. 1 Satz 6 AsylVfG lediglich ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden.

Die Mängel der förmlichen Zustellung sind hier aber gemäß § 8 VwZG geheilt worden. Nach dieser Vorschrift gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. "Empfangsberechtigter" ist derjenige, an den die Zustellung des Bescheids nach dem Gesetz zu richten war (BFH, Urteil vom 25. Januar 1994 - VIII R 45/92 - [...]). Dies sind nach § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG die Antragsteller. Der Empfangsberechtigte hat das Schriftstück im Sinne von § 8 VwZG erhalten, "wenn es ihm vorgelegen hat und er die Möglichkeit hatte, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen; dass er es auch in Besitz genommen hat, ist nicht zu fordern" (BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 43.95 - [...]). Zudem setzt die Heilung von Zustellungsmängeln voraus, dass die Behörde den Willen hatte, eine Zustellung vorzunehmen und den Bescheid bekannt zu geben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 6 B 65.05 - [...], Rn. 7). Voraussetzung dafür ist, dass der maßgebliche Bescheid mit Wissen und Wollen der Behörde in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen, aus dem internen Bereich herausgegeben worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 43.95 -[...], Rn. 29).

Hier liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass das Bundesamt und damit die Antragsgegnerin einen Bekanntgabe- und Zustellungswillen gegenüber den Antragstellern hatte, als es den Bescheid der Prozessbevollmächtigten per Einschreiben übermittelt hat, da in dem Anschreiben die Namen der Antragsteller in der Betreffzeile ausdrücklich genannt worden sind und zugleich der Hinweis erfolgt ist, dass die zuständige Ausländerbehörde einen Abdruck der Entscheidung erhält. Da das Bundesamt nicht zugleich darauf hingewiesen hat, dass die Antragsteller persönlich ebenfalls den Bescheid zugestellt bekommen, ist von einer Absicht, den Bescheid jedenfalls der Prozessbevollmächtigten als - aus Sicht des Bundesamts Empfangsberechtigter - für die Antragsteller zuzustellen, auszugehen. Das Bundesamt und damit die Antragsgegnerin hatte zugleich einen Bekanntgabewillen, weil der Bescheid vom 2. Oktober 2013 am selben Tag mit Wissen und Wollen sowie in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen (hierauf weist beispielsweise die zeitgleich erfolgte Übermittlung des Bescheides an die Ausländerbehörde hin), aus dem internen Bereich herausgegeben worden ist. Selbst wenn davon ausgegangen werden müsste, dass die Antragsgegnerin systematisch und bewusst die Zustellungsvorschrift missachtet (wofür Überwiegendes spricht, weil die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2013 mitgeteilt hat, dass Bescheide immer an einen im Verfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt zugestellt würden), würde ein Bekanntgabe- und Zustellungswille nicht in Frage gestellt, sofern - wie hier - davon auszugehen ist, dass ein Wille zur Auslösung von Rechtsfolgen gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 6 B 65.05 - [...], Rn. 8).

Hier haben die Antragsteller den Bescheid vom 2. Oktober 2013 nach Auskunft ihrer Prozessbevollmächtigten am 9. Oktober 2013 persönlich von dieser ausgehändigt bekommen. Dieses Verfahren genügt nach den dargelegten Heilungsvoraussetzungen, um eine wirksame Bekanntgabe der Bescheide gegenüber den Antragstellern als Empfängern des Verwaltungsaktes annehmen zu können. Die Antragsteller, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten, haben am 10. Oktober 2013 Klage erhoben und einen Eilantrag gestellt und damit zu einem Zeitpunkt um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht, in welchem der angefochtene Bescheid bereits durch die Heilung der Zustellung wirksam erlassen worden war.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist in materieller Hinsicht begründet, wenn das Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung eines belastenden Bescheides das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsaktes überwiegt. Bei der Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Erweist sich der angegriffene Verwaltungsakt bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtswidrig, so überwiegt in der Regel das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umgekehrt geht die Interessenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers aus, wenn die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht die Interessenabwägung hier zu Lasten der Antragsteller aus, weil der angegriffene Bescheid vom 2. Oktober 2013 nach der sich dem Gericht derzeit darbietenden Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach rechtmäßig ist.

§ 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestimmt ausdrücklich, dass das Bundesamt die Abschiebung anordnet, "sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann". Die Abschiebungsanordnung darf als Festsetzung eines Zwangsmittels erst dann ergehen, wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Abschiebung nach § 26 a oder § 27 a AsylVfG i.V.m. § 34 a AsylVfG erfüllt sind. Vor Erlass der Abschiebungsanordnung ist zu prüfen, ob die Abschiebung in den Dritt- bzw. Mitgliedstaat - wenn auch nur vorübergehend - rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 2. Mai 2012 - 13 MC 22/12 - [...], Rn. 27). Rechtlich unzulässig wäre die Überstellung der Antragsteller u.a. dann, wenn die Antragsgegnerin zuständig wäre oder die Antragsteller nicht reisefähig wären.

Die Abschiebung ist aber weder rechtlich unzulässig noch tatsächlich unmöglich.

Die Antragsgegnerin ist für die Asylanträge der Antragsteller nicht zuständig. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist, vom 18. Februar 2003 (ABl. L 15/1) - Dublin II-VO -. Aufgrund der Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, nach der bei der Bestimmung des nach den Kriterien der Dublin II-VO zuständigen Mitgliedsstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt, ist Polen zuständig. Ausgehend von dem Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes an Polen vom 30. September 2013 haben die Antragsteller am 5. Mai 2013 in Polen einen Asylantrag gestellt. Die zuständige polnische Behörde hat dem Gesuch mit Schreiben vom 2. Oktober 2013 gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO zugestimmt. Rechtlich unerheblich ist es, dass die Antragsgegnerin das Wiederaufnahmegesuch auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c) Dublin II-VO gestützt hat. Danach ergibt sich die gleiche Rechtslage wie bei der Anwendung des Art. 16 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO.

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Dublin II-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen.

Für die Frage der Zuständigkeit im Asylverfahren ist hier nicht die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO einschlägig, wonach in Fällen, in denen ein Mitgliedsstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, einen anderen Mitgliedsstaat für die Prüfung des Antrages für zuständig erachtet, er in jedem Fall innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Antrages den anderen Mitgliedsstaat ersuchen muss, den Asylbewerber aufzunehmen. Im Hinblick auf die jeweils maßgeblichen Fristen ist nämlich zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 16 bis 19 der Dublin II-Verordnung - wenn ein Asylantrag in einem anderen Mitgliedsstaat noch nicht gestellt wurde - und einer Überstellung des Asylsuchenden im Wiederaufnahmeverfahren - wie es hier vorliegt (die Antragsteller haben bereits in Polen einen Asylantrag gestellt) - gemäß Art. 20 Dublin II-Verordnung zu differenzieren. Dieses Wiederaufnahmeersuchen ist nicht an eine Frist seitens des ersuchenden Mitgliedsstaates gebunden (vgl. ausführlich VG Regensburg, Beschluss vom 5. Juli 2013 - RN 5 S 13.30273 - [...]).

Die Antragsteller haben auch keinen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin ihre Asylanträge im Wege des Selbsteintritts gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO prüft.

Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 der Dublin II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung. Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen europäischen Asylsystems ist (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - [...]).

Nach dem Art. 16 a Abs. 2 GG, §§ 26 a, 27 a, 34 a AsylVfG zu Grunde liegenden Konzept der normativen Vergewisserung ist davon auszugehen, dass u.a. in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (sog. sichere Drittstaaten) die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention -GFK) vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 685, 953) sichergestellt ist und daher dort einem Asylsuchenden keine politische Verfolgung droht oder unzumutbare Bedingungen herrschen. Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. So kann sich im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der EMRK, wonach die Todesstrafe nicht konventionswidrig ist, ein Ausländer gegenüber einer Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat auf das Abschiebungshindernis des § 60 Abs. 5 AufenthG berufen, wenn ihm dort die Todesstrafe drohen sollte. Weiterhin kann er einer Abschiebung in den Drittstaat § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG etwa dann entgegenhalten, wenn er eine erhebliche konkrete Gefahr dafür aufzeigt, dass er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat dort Opfer eines Verbrechens werde, welches zu verhindern nicht in der Macht des Drittstaates steht. Ferner kommt der Fall in Betracht, dass sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26 a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht. Nicht umfasst vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird. Schließlich kann sich - in seltenen Ausnahmefällen - aus allgemein bekannten oder im Einzelfall offen zutage tretenden Umständen ergeben, dass der Drittstaat sich - etwa aus Gründen besonderer politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat - von seinen mit dem Beitritt zu den beiden Konventionen eingegangenen und von ihm generell auch eingehaltenen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, wenn die ihn begründenden Umstände sich schon im Kontakt zwischen deutschen Behörden und Behörden des Drittstaates ausräumen lassen (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. - [...]). Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der genannten im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen.

Diese Einschränkungen der Schutzgewährung und des Rechtsschutzes stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der das gemeinsame europäische Asylsystem die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so ist die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 - [...]). Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann (Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 1333/12 - [...]).

Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ist dahingehend auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung nicht als zuständiger Staat bestimmt wird, erlaubt, einen Asylantrag zu prüfen, auch wenn keine Umstände vorliegen, die die Anwendbarkeit der in Art. 15 der Verordnung enthaltenen humanitären Klausel begründen. Diese Möglichkeit ist nicht davon abhängig, dass der nach den genannten Kriterien zuständige Mitgliedstaat ein Gesuch auf Wiederaufnahme des betreffenden Asylbewerbers nicht beantwortet hat (EuGH, Urteil vom 31. Mai 2013 - C-528/11 - [...]).

Nach Maßgabe dessen besteht keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Asylanträge der Antragsteller selbst zu prüfen. Denn es liegen dem Gericht keinerlei Erkenntnisse zur Situation von Asylbewerbern in Polen vor, die ernsthaft befürchten ließen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen dort grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren.

Das VG Kassel (Beschluss vom 26. August 2013 - 4 L 984/13.KS.A - [...]) hat nach sehr ausführlicher Würdigung der Verhältnisse für Asylbewerber in Polen ausgeführt:

"Die rechtlichen Regelungen des vergemeinschafteten Asyl- und Flüchtlingsrechts der europäischen Union hat Polen in den wesentlichen Grundzügen in nicht zu beanstandender Weise umgesetzt (UNHCR, Submission by the United Nations High Commissioner for Refugees for the Office of the High Commissioner for Human Rights' Compilation Report - Universal Periodic Review: Poland, vom November 2011, abrufbar unter www.refword.org).

Die Entscheidungen in Asylverfahren sollen innerhalb von 6 Monaten getroffen werden; im Schnitt dauert ein Asylverfahren 18 Monate (Dublin Transnational Project, General information on asylum and Dublin in Poland, www.dublin-project.eu/dublin/Poland).

(...)

Insgesamt ist deshalb zur rechtlichen Regelung und der Praxis der Asylverfahren festzustellen, dass grundsätzlich von einem ordnungsgemäßen und nicht übermäßig langen Verfahren gesprochen werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass der Einzelfall nicht geprüft wird, gibt es nicht. Insbesondere bei der Information der Asylantragsteller und bei der Ausgestaltung der rechtlichen Beratung gibt es aber Mängel.

Was die Aufnahmebedingungen angeht, so kann man davon ausgehen, dass Asylbewerber in Polen entweder in einem der sog. Aufnahmezentren, in einer der geschlossenen Gewahrsamszentren oder in einem Abschiebezentrum aufgenommen werden. Dabei erfolgt die Aufnahme regelmäßig in einem der Aufnahmezentren (GfbV, Situation, a.a.O., S. 4). Dort wird den Asylbewerbern die erforderliche Verpflegung zur Verfügung gestellt, außerdem bekommen sie ein kleines Taschengeld und ggf. Reisegeld für erforderliche Fahrten. Kinder können die örtliche Schule besuchen; ihnen steht Schulmaterial kostenlos zur Verfügung (GfbV, Situation, a.a.O., S. 6, JRS, Protection, a.a.O., S. 186). Eine medizinische Basisversorgung ist in der Regel gewährleistet. Schwierigkeiten macht allerdings der Zugang zu einer zufriedenstellenden medizinischen Versorgung insbesondere für Kinder und traumatisierte Asylbewerber (GfbV, Situation, a.a.O., S., 5; Huma network, Access to healthcare and living conditions of asylum seekers and undocumented migrants in Cyprus, Malta, Poland and Romania, www.ec.europa.eu/ewsi/UDRW/-imgaes/items/doc_20498_605665099.pdf).

Soweit sie gegen die Bestimmungen des Aufenthaltsrechts während ihres laufenden Asylverfahrens verstoßen haben, werden Asylbewerber teilweise in einem der 5 geschlossenen Gewahrsamszentren untergebracht.

(...)

Soweit Asylbewerber abgeschoben werden sollen, werden sie in einer der Abschiebezentren festgehalten (GfbV, Situation, a.a.O., S. S. 4 f.). Hierzu bedarf es einer richterlichen Entscheidung. Die Haft kann bis zu einem Jahr betragen (CBAR, Procedure, a.a.O., 13 f.).

Problematisch sind die Integration und die Wohnsituation für anerkannte Flüchtlinge und für solche, die subsidiären Schutz genießen oder geduldet werden. Ein Drittel von ihnen ist obdachlos (UNHCR, Where is my home?, 2012,

www.unhcr.centraleurope.org/pdf/where-we-work/poland/where-is-my-home).

In der Vergangenheit hat es vereinzelt auch Berichte über fremdenfeindliche Vorfälle bei einigen der Aufnahmezentren gegeben (UNHCR, Submission, a.a.O., S. 4).

Insgesamt ergibt für Polen danach das Bild eines asylverfahrensrechtlichen Regimes und von Aufnahmebedingungen, das den Maßgaben der Genfer Flüchtlingskonvention und des asylrechtlichen System der Europäischen Union in den Grundlinien genügt. So wird das Refoulement-Verbot im Grundsatz eingehalten, es werden geordnete Asylverfahren geführt und in überschaubarer Zeit Entscheidungen getroffen, die Einzelfallentscheidungen darstellen und es werden den Asylbewerbern während des Asylverfahrens im Großen und Ganzen auch ausreichende Lebensgrundlagen (Unterkunft, Verpflegung, medizinische Hilfe) zur Verfügung gestellt. Allerdings gibt es, wie dargestellt, nach wie vor nicht unerhebliche Mängel. Die Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG), jetzt RL 2013/33/EU vom 26.06.2013) werden in einer Reihe von Punkten (Information, juristische Beratung, medizinische Versorgung) in der Praxis nicht immer eingehalten. Legt man aber die in der Rechtsprechung des EuGH aufgeführten Gründe für die Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO und den sich daraus ergebenden strengen Maßstab an die Qualifizierung als systemische Mängel an, so stellen sich die aufgeführten Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen in Polen auch in der Summe nicht als systemische Mängel in dem oben dargestellten Sinn dar und es gibt auch keine entsprechenden Anhaltspunkte dafür, die einer Prüfung im Hauptsacheverfahren bedürften (wie hier auch VG Saarland, Beschluss vom 26.06.2013 - 6 L 839/13 -, [...]; VG Ansbach, Beschluss vom 20.03.2012 - AN 10 E 11.30140 -, [...]; a.A. VG Meinigen, Beschluss vom 26.04.2013 - 8 E 20075/13 Me)."

Die Bundesregierung hat auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter - Drucksache 17/14713 - am 25. September 2013 (Drucksache 17/14795, S. 6f.) zu den Aufnahmebedingungen in Polen wie folgt Stellung genommen:

"Der Bericht der Helsinki-Stiftung "Migration is not a crime", der sich auf eine Überprüfung der sechs "Guarded Centres for Foreigners" in Polen, also der sechs geschlossenen/bewachten Ausländereinrichtungen im Herbst 2012 beschränkte, rügt zwar im Einzelnen die Einweisungs- und Versorgungsbedingungen in dieser Art von Einrichtungen, hebt aber auch hervor, dass sie ziemlich unterschiedlich organisiert und ausgestattet sind (siehe Seite 36 des Berichts).

Weiterhin ergibt sich aus dem Bericht der Helsinki-Stiftung zur Unterbringungssituation u. a., dass die Zentren offiziell für die Unterbringung von Ausländern umgebaut, zum Teil umfänglich renoviert wurden und sich in gutem Zustand befinden. Die umfangreiche Regulierung des Aufenthalts in diesen Unterkünften ist zwar verglichen mit den Verhältnissen in Deutschland erheblich restriktiver, erreicht aber nicht die Qualität einer Inhaftierung. Des Weiteren ist die Möglichkeit, mit der Welt außerhalb des jeweiligen Zentrums in Kontakt zu treten, sichergestellt; gleiches gilt für Besuche von Verwandten und die Möglichkeit, sich an internationale Organisationen zu wenden (vgl. VG Magdeburg, Beschluss vom 29. Juli 2013 - 3 b 185/13MD). Einem Bericht des U.S. Department of State zufolge hat die polnische Regierung zusätzlich zu den geschlossenen/bewachten Einrichtungen für Ausländer elf offene Zentren für Asylsuchende initiiert, die sich in den Gebieten Warschau, Bialystok und Lublin befinden und ungefähr 2000 Personen aufnehmen können.

Dies lässt nicht den Schluss zu, dass systematisch gegen die Vorschriften der Richtlinie 2003/9/EG (Aufnahmerichtlinie) verstoßen werden würde oder menschenrechtswidrige Aufnahmebedingungen vorherrschten (vgl. VG Münster, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 L 330/13.A; VG München, Beschluss vom 5. August 2013 - M 16 S 13.30728).

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im polnischen Asylverfahren nicht vorliegen (vgl. hierzu etwa VG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2013 - 25 L 1165/13.A; VG Potsdam, Urteil vom 4. Juni 2013 - VG 6 K 732/13.A; VG Ansbach, Beschluss vom 19. März 2013 - AN 5 E 12.00567)."

Diese Einschätzungen macht sich das Gericht in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden einschlägigen erstinstanzlichen Rechtsprechung zu Eigen (vgl. bereits VG Oldenburg, Beschluss vom 16. August 2013 - 3 B 5698/13 - V.n.b.; vgl. auch VG München, Beschluss vom 14. August 2013 - M 16 S 13.30790 - [...]; VG Potsdam, Urteil vom 4. Juni 2013 - 6 K 732/13.A - [...]; VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2013 - 5 A 265/12 - [...]; VG Stade, Beschluss vom 5. August 2013 - 3 B 2922/13 - V.n.b.; VG Lüneburg, Beschluss vom 20. August 2013 - 2 B 33/13 - V.n.b.; VG Weimar, Beschluss vom 20. Mai 2011 - 7 E 20069/11 We - [...]; VG Ansbach, Beschluss vom 20. März 2012 - AN 10 E 11.30140 - [...] und Beschluss vom 30. September 2013 - AN 10 S 13.30742 - [...] ebenfalls mit der Feststellung, dass die medizinische Versorgung von Asylbewerbern in Polen gewährleistet ist; VG des Saarlandes, welches mit Beschluss vom 24. Juni 2013 (- 6 L 839/13 - [...]) festgehalten hat, dass das Bundesamt darauf hingewiesen habe, dass in den letzten Monaten tausende Tschetschenen über Polen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien, die hier einen Asylantrag gestellt hätten, und dass aus diesen Verfahren Anhaltspunkte für systemische Mängel im polnischen Asylverfahren nicht bekannt seien; a.A. im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes VG Meiningen, Beschluss vom 26. April 2013 - 8 E 20075/13 - und VG Wiesbaden, Beschluss vom 10. September 2013 - 5 L 652/13.WI.A - beide abrufbar unter www.asyl.net).

Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass den Antragstellern im Falle einer Rückführung nach Polen dort asylverfahrensrechtlich ungeprüft eine Kettenabschiebung nach Tschetschenien droht.

Durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsanordnung bestehen auch nicht aus anderen Gründen.

Bei Fällen, in denen der Asylbewerber in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) abgeschoben werden soll, hat das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe vorliegen. Anders als bei der Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG im Zusammenhang mit dem Erlass einer Abschiebungsandrohung (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383, und vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) hat das Bundesamt vor Erlass der Abschiebungsanordnung gegebenenfalls auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu berücksichtigen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 2. Mai 2012 - 13 MC 22/12 - [...], Rn. 27; OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11- [...]).

Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller reiseunfähig sein könnten, liegen nicht vor. Auch die Tatsache, dass die (ein gesondertes Klageverfahren führende) Ehefrau des Antragstellers zu 1.) schwanger ist, führt nicht zum Vorliegen eines Abschiebungsverbotes für die Antragsteller unter Berücksichtigung des Schutzgedankens des Art. 6 Abs. 1 GG, da für die Ehefrau ebenfalls keine Reiseunfähigkeit attestiert worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).