Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 06.11.2013, Az.: 3 B 6437/13

Abschiebungsanordnung; Bekanntgabe; Heilung; Zustellung; Zustellungsmangel

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
06.11.2013
Aktenzeichen
3 B 6437/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64401
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bescheide in Verfahren, in denen der Asylantrag nach §§ 26 a, 27 a AsylVfG abgelehnt worden ist, sind auch nach der Änderung des § 34 a AsylVfG gemäß der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG weiterhin dem Ausländer selbst zuzustellen. Die Übersendung des Bescheids ausschließlich an den Prozessbevollmächtigten bewirkt keine ordnungsgemäße Zustellung und Bekanntgabe. Dieser Zustellungsmangel kann jedoch gemäß § 8 VwZG geheilt werden.

Zur Kostentragung nach § 155 Abs. 4 VwGO.

Gründe

Der am 23. Oktober 2013 gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Klage (3 A 6435/13) gegen die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 15. Oktober 2013 ist nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 34 a Abs. 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) unzulässig, weil die von den Antragstellern am 23. Oktober 2013 erhobene Klage gegen die in den Bescheiden vom 15. Oktober 2013 enthaltenen Abschiebungsanordnungen unzulässig ist. Denn zum Zeitpunkt der Erhebung der Anfechtungsklage (hilfsweise auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gerichtet) waren die Bescheide vom 15. Oktober 2013 gegenüber den Antragstellern noch nicht wirksam bekannt gegeben worden und damit noch nicht anfechtbar.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist mit der Übersendung der Bescheide vom 15. Oktober 2013 an den Prozessbevollmächtigten mit Schreiben des Bundesamtes vom 15. Oktober 2013 noch keine wirksame Zustellung erfolgt. Wird ein Asylantrag nur nach § 26 a oder § 27 a AsylVfG abgelehnt, ist die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG dem Ausländer selbst zuzustellen. Sie kann ihm auch von der für die Abschiebung oder für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde zugestellt werden (§ 31 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AsylVfG). Im Übrigen richtet sich die Zustellung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), soweit sich aus § 10 AsylVfG nichts anderes ergibt. Die wirksame Zustellung des Bescheides ist Voraussetzung für den Eintritt der Wirksamkeit des Bescheides gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird, und nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, wobei Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG unberührt bleiben.

Nach Maßgabe dessen sind die Bescheide den Antragstellern nicht durch den Zugang beim Prozessbevollmächtigten (nach dessen Mitteilung hat er die Bescheide am 18. Oktober 2013 erhalten) wirksam zugestellt und bekannt gegeben worden, weil der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller wegen der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG insoweit nicht Empfangsberechtigter i.S.v. § 8 VwZG ist. Dementsprechend soll, wenn der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten wird oder er einen Empfangsberechtigten benannt hat, diesem gemäß § 31 Abs. 1 Satz 6 AsylVfG lediglich ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden.

Die Mängel der förmlichen Zustellung sind hier auch nicht gemäß § 8 VwZG geheilt worden. Nach dieser Vorschrift gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. "Empfangsberechtigter" ist derjenige, an den die Zustellung des Bescheids nach dem Gesetz zu richten war (BFH, Urteil vom 25. Januar 1994 - VIII R 45/92 - juris). Dies sind nach § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG die Antragsteller. Der Empfangsberechtigte hat das Schriftstück im Sinne von § 8 VwZG erhalten, "wenn es ihm vorgelegen hat und er die Möglichkeit hatte, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen; dass er es auch in Besitz genommen hat, ist nicht zu fordern" (BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 43.95 - juris). Zudem setzt die Heilung von Zustellungsmängeln voraus, dass die Behörde den Willen hatte, eine Zustellung vorzunehmen und den Bescheid bekannt zu geben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 6 B 65.05 - juris, Rn. 7). Voraussetzung dafür ist, dass der maßgebliche Bescheid mit Wissen und Wollen der Behörde in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen, aus dem internen Bereich herausgegeben worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 43.95 - juris, Rn. 29).

Hier liegen zwar hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass das Bundesamt und damit die Antragsgegnerin einen Bekanntgabe- und Zustellungswillen gegenüber den Antragstellern hatte, als es die Bescheide dem Prozessbevollmächtigten per Einschreiben übermittelt hat, da in dem Anschreiben die Namen der Antragsteller in der Betreffzeile ausdrücklich genannt worden sind und zugleich der Hinweis erfolgt ist, dass die zuständige Ausländerbehörde einen Abdruck der Entscheidung erhält. Da das Bundesamt nicht zugleich darauf hingewiesen hat, dass die Antragsteller persönlich ebenfalls die Bescheide zugestellt bekommen, ist von einer Absicht, die Bescheide jedenfalls dem Prozessbevollmächtigten als - aus Sicht des Bundesamts Empfangsberechtigtem - für die Antragsteller zuzustellen, auszugehen. Das Bundesamt und damit die Antragsgegnerin hatte zugleich einen Bekanntgabewillen, weil die Bescheide vom 15. Oktober 2013 am selben Tag mit Wissen und Wollen sowie in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen (hierauf weist beispielsweise die zeitgleich erfolgte Übermittlung des Bescheides an die Ausländerbehörde hin), aus dem internen Bereich herausgegeben worden sind. Selbst wenn davon ausgegangen werden müsste, dass die Antragsgegnerin systematisch und bewusst die Zustellungsvorschrift missachtet (wofür Überwiegendes spricht, weil die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2013 mitgeteilt hat, die Zustellung an den Bevollmächtigten verbessere die effektive Wahrnehmung des Rechtsschutzes nach § 34 a AsylVfG n.F., verletze den Ausländer nicht in seinen Rechten und dieser könne sich nicht mit Erfolg auf eine unwirksame Zustellung berufen), würde ein Bekanntgabe- und Zustellungswille nicht in Frage gestellt, sofern - wie hier - davon auszugehen ist, dass ein Wille zur Auslösung von Rechtsfolgen gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 6 B 65.05 - juris, Rn. 8).

Allerdings haben die Antragsteller die Bescheide vom 15. Oktober 2013 nach Auskunft ihres Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 4. November 2013 nicht von diesem per Post übermittelt bekommen oder diese zumindest gegenständlich inhaltlich zur Kenntnis nehmen können - zum Beispiel im Rahmen eines Gespräches - , sondern ihnen ist der Inhalt der Bescheide von ihrem Prozessbevollmächtigten lediglich am 19. Oktober 2013 fernmündlich erläutert worden. Dieses Verfahren genügt nach den dargelegten Heilungsvoraussetzungen nicht, um eine wirksame Bekanntgabe der Bescheide gegenüber den Antragstellern als Empfängern der Verwaltungsakte annehmen zu können. Da die Antragsteller, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, jedoch bereits am 23. Oktober 2013 Klage erhoben und einen Eilantrag gestellt haben, haben sie zu einem Zeitpunkt um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht, in welchem die angefochtenen Bescheide noch nicht wirksam erlassen worden waren. Ein Rechtsbehelf gegen einen noch nicht existenten Verwaltungsakt ist nicht zulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 58 Rn. 16).

Eine Umdeutung des gestellten Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verhilft dem Begehren der Antragsteller ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn auch ein solcher Antrag wäre mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Da zum jetzigen Zeitpunkt noch keine wirksamen Abschiebungsanordnungen erlassen worden sind, droht den Antragstellern derzeit auch kein Vollzug der Abschiebung, da die Antragsgegnerin eine Überstellung nach Polen aufgrund der rechtlich noch nicht existenten Abschiebungsanordnungen derzeit nicht vollziehen darf. Dadurch wird also nicht den Antragstellern eine Rechtsschutzmöglichkeit genommen, sondern es begibt sich vielmehr die Antragsgegnerin möglicherweise in eine im Einzelfall nachteilige Lage, wenn nämlich die Antragsteller bis zur Durchführung eines Vollzugs der Abschiebungsanordnungen vortragen sollten, dass ihnen die Bescheide nicht bekannt gegeben worden sind und eventuell dadurch ein Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist, vom 18. Februar 2003 (ABl. L 15/1) - Dublin II-VO -, eintritt.

Die Antragsteller sind daher darauf zu verweisen, im Falle einer eventuell noch erfolgenden wirksamen Bekanntgabe und Zustellung der angefochtenen Bescheide die Möglichkeit zu nutzen, erneut einen - dann zulässigen - Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen.

Mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß §§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 4 VwGO, 83 b AsylVfG. Zwar ist der Eilantrag wie ausgeführt unzulässig und hat keinen Erfolg. Dennoch entspricht es unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 155 Abs. 4 VwGO billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Diese Vorschrift ist eine Ermessensnorm und Ausnahmeregelung, die enge Voraussetzungen hat. Primär erfasst werden gesonderte Mehrkosten, die kausal auf ein Verschulden eines Verfahrensbeteiligten zurückzuführen sind. Die Norm erfasst aber auch die gesamten Rechtsmittelkosten, wenn das Fehlverhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass für das Verfahren war. Zu Lasten der Behörde kommt dies etwa in Betracht, wenn der Kläger unnötig in das Klageverfahren gedrängt worden ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 30. März 2011 - 7 KS 25/11 - juris).

So liegt es hier. Denn die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtlichen Eilverfahrens schuldhaft mitverursacht. Sie hat entgegen der gesetzlichen Zustellungsvorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG die angefochtenen Bescheide nicht den Antragstellern persönlich zugestellt, sondern lediglich deren Prozessbevollmächtigtem per Einschreiben übermittelt. Aufgrund dieser Vorgehensweise und der Tatsache, dass die Bescheide eine Rechtsmittelbelehrung enthalten, in welcher auf die Frist von einer Woche für die Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hingewiesen wird, hat die Antragsgegnerin objektiv den Eindruck erweckt, dass die Bescheide vom 15. Oktober 2013 sofort vollziehbar sind und ohne die Einlegung eines Rechtsmittels ggf. ein zeitnaher Vollzug der Abschiebungsanordnungen durch die ebenfalls in Kenntnis gesetzte Ausländerbehörde erfolgt. Dass die Antragsteller aus diesem Grund trotz der noch nicht ordnungsgemäß erfolgten Zustellung der Bescheide an sie persönlich um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht haben, ist daher nachvollziehbar und nicht mutwillig oder vermeidbar gewesen, da selbst die Antragsgegnerin ausgehend von ihren Ausführungen im Schriftsatz vom 31. Oktober 2013 aufgrund der Zustellung der Bescheide an den Prozessbevollmächtigten davon ausgegangen ist, dass diese wirksam geworden sind. Das Verschulden der Antragsgegnerin liegt darin, dass diese für die ordnungsgemäße Zustellung und Bekanntgabe ihrer Bescheide verantwortlich ist und sie durch die Befolgung der gesetzlichen Zustellungsvorschrift dem (noch) nicht zulässigen Ersuchen um vorläufigen Rechtsschutz durch die Antragsteller hätte vorbeugen können.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).