Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 04.05.2017, Az.: 3 A 12989/14

Aufwendungsersatzanspruch; Gegenstandswert; Jugendhilferecht; Jahreswert; selbstbeschaffte Leistungen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
04.05.2017
Aktenzeichen
3 A 12989/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54059
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. In jugendhilferechtlichen Verfahren richtet sich die Bestimmung des Gegenstandswertes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG und nicht nach § 23 Abs. 1 RVG.

2. Aufwendungsersatzansprüche für in der Vergangenheit selbstbeschaffte Jugendhilfeleistungen sind bei der Gegenstandswertbestimmung in vollem zeitlichen Umfang und damit mit ihrem vollen mit der Klage geltend gemachten betragsmäßigen Wert zu berücksichtigen. Eine Begrenzung auf maximal einen Jahresbetrag des Wertes derartiger Ansprüche findet nicht statt (entgegen OVG NW vom 23.10.2014 - 12 E 1135/14 -, juris, und OVG des Saarlands vom 01.12.2015 - 1 E 216/15 -, juris).

3. Werden mit einer Klage sowohl Aufwendungsersatzansprüche für in der Vergangenheit selbstbeschaffte Jugendhilfeleistungen als auch ein Anspruch auf Bewilligung von Jugendhilfeleistungen für die Zukunft geltend gemacht, sind die für diese Ansprüche jeweils gesondert zu berechnenden Gegenstandsteilwerte für die Bestimmung des Gegenstandswertes zu addieren.

Tenor:

Der Gegenstandswert wird auf 17.718,35 EUR festgesetzt.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

1. Gemäß § 33 Abs. 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszuges auf Antrag den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit durch Beschluss selbstständig fest, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen oder es an einem solchen Wert fehlt. Da das zugrundeliegende Verfahren, in dem es um die Gewährung von Jugendhilfeleistungen für die Zukunft sowie um Aufwendungserstattungsansprüche für über mehrere Jahre selbstbeschaffte Jugendhilfeleistungen ging, gemäß § 188 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gerichtskostenfrei war, war ein Streitwert gemäß § 63 GKG nicht festzusetzen und fehlt es deshalb vorliegend an einem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 16.08.2017 die Festsetzung des Gegenstandswertes beantragt.

Die Entscheidung ergeht durch die Kammer, nachdem der Einzelrichter das Verfahren nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung mit Beschluss vom 23.11.2017 auf die Kammer übertragen hat.

2. In gerichtskostenfreien Verfahren – wie hier aus dem Bereich des Jugendhilferechts –  ist der Gegenstandswert nach ständiger Rechtsprechung der Kammer im rechtlichen Ausgangspunkt gemäß § 23 Abs. 3 RVG zu bestimmen (ebenso zum Jugendhilferecht: Nds.OVG, Beschl. vom 29.11.2010 – 4 OA 305/10 –, www.rechtsprechung.niedersachsen.de, und Beschl. vom 26.11.2013 – 4 OA 284/13 –, juris Rn. 2; zum Personalvertretungsrecht: Sächs.OVG, Beschl. vom 12.08.2016 – 9 E 61/16.PL –, juris unter Anschluss an BVerwG, Beschl. vom 21.03.2007, – 6 PB 17/06 –, juris Rn. 1; Bay.VGH, Beschl. vom 06.04.2009 – 17 P 09.166 –, juris Rn. 7; zum Schwerbehindertenrecht: Hess.VGH, Beschl. vom 05.06.2013 – 10 E 849/13 –, juris Rn. 4 m. w. N.; zum BAföG-Recht Nds.OVG, Beschl. vom 19.03.2010 – 4 OA 28/10 –, juris Rn. 2, m. w. N.).

a) Entgegen einer in der Rechtsprechung verbreiteten Praxis ist ein Rückgriff auf § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG und davon ausgehend (unmittelbar) auf die Wertvorschriften des GKG bereits deshalb nicht möglich, weil in Verfahren dieser Art (wertabhängige) Gerichtsgebühren wegen der Gerichtskostenfreiheit nicht erhoben werden können und deshalb der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht erfüllt ist (anders, allerdings jeweils ohne Begründung: für den Bereich des Jugendhilferechts u.a. OVG des Saarlandes, Beschl. vom 01.12.2015 – 1 E 216/15 –, juris Rn. 11; Sächs.OVG, Beschl. vom 16.06.2015 – 1 E 44/15 –, juris Rn. 4; OVG NW, Beschl. vom 23.10.2014 – 12 E 1135/14 –, juris Rn. 2; Bay.VGH, Beschl. vom 02.08.2010 – 12 C 10.961 –, juris Rn. 10; i. Erg. wohl auch Thür.OVG, Beschl. vom 24.08.2017 – 3 VO 629/16 –, juris Rn. 6; wenngleich dort auf § 23 Abs. 1 Satz 2 RVG verwiesen wird, dessen Tatbestand jedoch ebenfalls nicht erfüllt ist; für das BAföG-Recht OVG Bln.-Brdbg., Beschl. vom 01.08.2017 – 6 L 50/17 –, juris Rn. 2; für das ContaganstiftungsG OVG NW, Beschl. vom 12.05.2015 – 16 E 889/13 –, juris Rn. 4).

aa) Es findet sich an keiner Stelle im Gesetz ein Hinweis, dass auch für die Bemessung des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit in gerichtskostenfreien Verfahren die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 (oder Satz 2) RVG Anwendung finden soll. Dagegen spricht schon vom Gesetzeswortlaut her, dass dort tatbestandlich ausdrücklich an die wertbezogenen Gerichtsgebühren bzw. – in Satz 2 – an die Erhebung von Gerichtskosten in Fällen, in denen gar keine bzw. nur wertunabhängige Gerichtsgebühren erhoben werden, angeknüpft wird. Hätte der Gesetzgeber für die Wertbemessung der anwaltlichen Tätigkeit in gerichtlichen Verfahren generell – d. h. auch in völlig gerichtskostenfreien Verfahren – die Anwendbarkeit der entsprechenden Regelungen im GKG für die Streitwertbestimmung anordnen wollen, hätte es dieser differenzierenden Anknüpfungen überhaupt nicht bedurft.

bb) Systematisch spricht auch der Aufbau des § 23 RVG gegen eine Erstreckung des Absatzes 1 der Norm auf völlig gerichtskostenfreie Verfahren.

Es ist erkennbar, dass der Gesetzgeber den Gegenstandswert im Ausgangspunkt mit der Grundregelung in Absatz 1 Satz 1 der Norm an den Streitwert als den für die Bemessung der Gerichtsgebühren maßgebenden Wert anknüpfen wollte; in Satz 2 nimmt das Gesetz dort ausdrücklich die Fälle auf, in denen (nur) wertunabhängige Gerichtskosten erhoben werden. Satz 3 erstreckt den Anwendungsbereich auf rein außergerichtliche Tätigkeiten in derartigen Angelegenheiten. Das ist naheliegend, weil die völlige Gerichtskostenfreiheit gerichtlicher Verfahren die Ausnahme bildet. Mit der Regelung des Absatzes 1 werden deshalb die meisten anwaltlichen Tätigkeiten, soweit sie einen Bezug zu gerichtlichen Verfahren aufweisen oder aufweisen könnten, erfasst. In Absatz 2 hat der Gesetzgeber sodann diejenigen Fälle geregelt, in denen Gerichtsgebühren in Beschwerdeverfahren entweder nicht erhoben werden oder sich nicht nach dem (Streit-)Wert richten. In Absatz 3 der Norm hat er schließlich die verbliebenen Tätigkeiten – „in anderen Angelegenheiten“ – aufgegriffen, bei denen weder eine wertabhängige Streitwertbestimmung noch die Erhebung wertunabhängiger Gerichtskosten gesetzlich vorgesehen sind. Das sind aber insbesondere die völlig gerichtskostenfreien Verfahren, also namentlich auch solche aus dem Bereich des Jugendhilferechts.

b) Soweit sich aus dem RVG nichts anderes ergibt, gelten gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 RVG in den „anderen Angelegenheiten“ für den Gegenstandswert die Bewertungsvorschriften des Gerichts- und Notarkostengesetzes und die §§ 37, 38, 42 bis 45 sowie 99 bis 102 des Gerichts- und Notarkostengesetzes entsprechend. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bestimmt, dass der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen ist, soweit er sich aus Satz 1 dieser Vorschrift nicht ergibt und auch sonst nicht feststeht.

aa) Ausgehend davon kommt eine Anwendung des § 23 Abs. 3 Satz 1 RVG zunächst nicht in Betracht, soweit die Beteiligten für die Zukunft um die Verpflichtung des beklagten Jugendhilfeträgers zur Gewährung laufender Leistungen der Jugendhilfe streiten. Insoweit handelt es sich um einen Streitgegenstand eigener Art, für den eine Entsprechung in den in Bezug genommenen Normen des Gerichts- und Notarkostengesetzes, auf die zur Bestimmung des Gegenstandswertes sinnvollerweise zurückgegriffen werden könnte, nicht besteht.

In Anwendung des deshalb einschlägigen § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG legt die Kammer für derartige Klageansprüche in ständiger Rechtsprechung in Ausübung des ihr gesetzlich eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung der Nummer 21.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (http://www.bverwg.de/medien/pdf/streitwertkatalog.pdf) den Wert der streitigen Leistung, höchstens aber deren Jahreswert zugrunde. Dabei ist anhand des Klageantrags oder -vorbringens zu klären, ob die begehrte Leistung mit der Klage zumindest für die Dauer eines Jahres erstritten werden soll, oder ob das diesbezügliche Klagebegehren sich auf einen kürzeren Zeitraum bzw. ein bestimmtes, zahlen- und davon ausgehend wertmäßig zu beschreibendes unterjähriges Leistungsvolumen (etwa eine bestimmte/bestimmbare Anzahl von Therapie- oder Fördereinheiten) bezieht.

Die allgemeine zeitliche Begrenzung auf maximal den Jahresbetrag des Wertes der streitigen Jugendhilfeleistungen rechtfertigt sich dabei aus der Überlegung, dass laufende Leistungen der Jugendhilfe in der in einer darauf gerichteten Klage zu konkretisierenden Ausgestaltung typischerweise nur zeitabschnittsweise gewährt werden und einer regelmäßigen Überprüfung hinsichtlich ihrer weiteren Erforderlichkeit und Eignung unterliegen. Namentlich bei Ansprüchen, die – wie hier – einen Bezug zu einem Schulbesuch haben, sieht die Kammer regelmäßig im Ablauf des jeweiligen Schuljahres eine wertbestimmende Zäsur, weil in derartigen Fällen über die (Weiter-)Bewilligung solcher Leistungen typischerweise regelmäßig für (zumindest) jedes Schuljahr eine neue jugendhilfefachliche Entscheidung erforderlich ist.

bb) Soweit mit einer Klage Aufwendungsersatzansprüche für in der Vergangenheit selbstbeschaffte Jugendhilfeleistungen geltend gemacht werden, ist die Gegenstandswertbestimmung ebenfalls nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG vorzunehmen. Ein Rückgriff auf § 23 Abs. 3 Satz 1 RVG scheidet auch insoweit aus, weil auch hierfür die dort in Bezug genommenen Regelungen des Gerichts- und Notarkostengesetzes keine sinnvoll zu übertragene Entsprechung enthalten. Der Höhe nach sind derartige Ansprüche für die Gegenstandswertbestimmung allerdings in ihrem vollen zeitlichen und daran anknüpfend betragsmäßig zu beziffernden Umfang zu berücksichtigen.

(1) Bei der Ausübung des nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG auszuübenden billigen Ermessens ist diesbezüglich nach Auffassung der Kammer unter Rückgriff auf den in § 52 Abs. 1, 3 GKG normierten Rechtsgedanken das im – regelmäßig bezifferten – Klageantrag oder im zumindest bezifferbaren Klagevorbringen zum Ausdruck kommende wirtschaftliche (Gesamt-)Interesse der Klägerseite maßgebend. Das ergibt sich zum einen daraus, dass in § 23 Abs. 3 Satz 2 HS. 2 RVG die Ausübung des billigen Ermessens gesetzlich im Ausgangspunkt an eine Schätzung anhand tatsächlicher Anhaltspunkte, die für sich genommen wertungsneutral ist, gebunden ist. Eine derartige Schätzung ist ein rein wirtschaftlicher Vorgang. Zum anderen geht es bei der Gegenstandswertbestimmung nach dem RVG im Grundsatz darum, eine faire Basis für den wirtschaftlichen Ausgleich zwischen der/dem tätig gewordenen Rechtsanwältin/Rechtsanwalt und deren/dessen Mandantschaft für die anwaltlich geleistete Arbeit zu schaffen. Anders als etwa in § 161 Abs. 2 VwGO richtet sich die Ausübung des gerichtlichen Ermessens bei der Gegenstandswertfestsetzung demgegenüber nicht darauf, zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits einen Interessenausgleich herbeizuführen. Es entspricht aber dem Grundprinzip des Rechtsanwaltsvergütungssystems nach dem RVG, dass sich die anwaltliche Vergütung maßgebend an dem wirtschaftlichen Interesse des Auftraggebers orientiert. Für die gerichtskostenpflichtigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat der Gesetzgeber diesen Grundsatz in § 23 Abs. 1 RVG in Verbindung mit § 52 Abs. 1, 3 Satz 1 GKG gesetzlich eindeutig geregelt. Dass dieses Grundprinzip in den Fällen des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG demgegenüber nicht leitend sein soll, ist für die Kammer weder aus dem Wortlaut der Norm noch von deren Regelungszweck her erkennbar.

(2) Soweit insbesondere das OVG NW – im rechtlichen Ansatz allerdings ausgehend von § 23 Abs. 1 RVG in Verbindung mit § 52 Abs. 1, 3 GKG, in denen von einer Wertbestimmung nach „billigem“ Ermessen überhaupt nicht die Rede ist, – auch für die hier in Rede stehenden Aufwendungsersatzansprüche eine Beschränkung des Gegenstandswertes auf maximal den Jahreswert der streitigen Ersatzansprüche propagiert (vgl. grundlegend in jüngerer Zeit Beschl. vom 23.10.2014 – 12 E 1135/14 –, juris; daran sich anschließend auch OVG des Saarlands, Beschl. vom 01.12.2015 – 1 E 216/15 –, juris), ist dem nicht zu folgen.

Bereits der rechtsdogmatische Ansatz des OVG NW ist unschlüssig. Es ist in einem rechtslogisch geordneten Gedankengang nicht nachvollziehbar, wieso das Gericht zwar im Ausgangspunkt über § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG auf § 52 Abs. 1 und 3 GKG verweist (a.a.O., Rn. 2), gleichwohl aber meint, die in § 52 Abs. 1, 3 Satz 1 GKG diesbezüglich gesetzlich ohne Ermessensspielraum angeordnete Bindung an den bezifferten Antrag nicht beachten zu müssen. Soweit das OVG NW sich stattdessen auf eine analoge Anwendung der Verfahrenswertregelung des § 51 Abs. 1 Satz 1 FamGKG stützt, ist das schon deshalb verfehlt, weil eine ungewollte gesetzliche Regelungslücke, die für eine solche Analogiebildung zum FamGKG erforderlich wäre, überhaupt nicht existiert. Vielmehr ist gerade vom rechtlichen Ausgangspunkt des OVG NW her die Gegenstandswertfestsetzung bei Leistungsklagen auf Aufwendungsersatz für selbstbeschaf-fte Jugendhilfeleistungen gesetzlich vollständig und eindeutig dergestalt geregelt, dass der bezifferte Klageantrag maßgeblich ist. Dieser spiegelt nämlich nach dem Willen des Gesetzes die „sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebende Bedeutung der Sache“ im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG unmittelbar wider.

Das OVG NW übersieht in seiner Argumentation zudem, dass die Begrenzung der Wertbestimmung für die auf eine Leistungsgewährung in der Zukunft gerichteten Anträge auf maximal den Jahreswert der streitigen Leistungen ihre grundsätzliche Rechtfertigung daraus erfährt, dass bei zukunftsoffenen Leistungsbegehren eine zeitliche Eingrenzung, die als Anknüpfungspunkt für eine betragsmäßige Bezifferung des Wertes bzw. der „Bedeutung der Sache für den Kläger“ dienen könnte, aus sich heraus nicht besteht. Die Begrenzung des Betrachtungszeitraums für die Wertbestimmung dient damit in derartigen Fällen im Grundsatz zunächst nur dazu, einen notwendigen Berechnungsparameter festzulegen, um den Gegenstandswert rechnerisch überhaupt bestimmen zu können. Erst in einem logisch nachfolgenden Schritt stellt sich dann die vom Gericht zu beantwortende weitere Frage, wie die Begrenzung inhaltlich vorzunehmen ist.

In den Fällen eines bezifferten Klageantrags, der – wie insbesondere in dem hier vorliegenden Fall eines Aufwendungsersatzanspruchs für selbstbeschaffte Jugendhilfeleistungen – seine tatbestandliche Anknüpfung in einem in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt hat, bestehen aber von vornherein keinerlei Probleme, die „sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebende Bedeutung der Sache“ wertmäßig zu bestimmen. Sie ergibt sich ohne Weiteres aus dem Klageantrag selbst. Einer vom Gericht vorzunehmenden zeitlichen Begrenzung, um das klägerische Interesse überhaupt eindeutig wertmäßig bestimmbar zu machen, bedarf es in solchen Fällen schon dem Grunde nach nicht, weshalb eine Ermessensausübung insoweit gesetzlich nicht nur nicht vorgesehen, sondern von § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG vielmehr gesetzlich ausgeschlossen ist.

Weiterhin überzeugt auch der vom OVG NW zur Rechtfertigung des Rückgriffs auf § 51 Abs. 1 FamGKG hergestellte Bezug eines jugendhilferechtlichen Aufwendungsersatz- bzw. Leistungsanspruchs zum Unterhaltsrecht nicht. Der Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe hat keinen (vornehmlich) unterhaltsrechtlichen Charakter. Jugendhilfeleistungen sind öffentlich-rechtliche Leistungen eigener Art, die nicht, jedenfalls nicht typischerweise als bloßes Surrogat an die Stelle von (ausbleibenden oder defizitären) Unterhaltsleistungen treten. Denn der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch ist ein rein monetärer Anspruch; das in § 1 Abs. 1 SGB VIII gesetzlich beschriebene „Recht [des jungen Menschen] auf Förderung der Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ kann als solches unterhaltsrechtlich gerade nicht (gerichtlich) durchgesetzt werden. Demgegenüber zielen Jugendhilfeleistungen darauf, jugendhilfefachliche (pädagogische, psychosoziale) Bedarfe im Sinne des § 1 Abs. 1, 3 SGB VIIII zu decken. Solche Bedarfe können aber auch vorliegen, wenn die Eltern ihre Unterhaltspflichten voll erfüllen.

Die Argumentation des OVG NW ist insoweit letztlich insgesamt erkennbar von dem von ihm gewollten Ergebnis bestimmt. Das zeigt sich insbesondere in der inkonsequenten Haltung des Gerichts bezüglich des Rückgriffs auf eine analoge Anwendung des § 51 FamGKG. Um diese einerseits im Grundsatz zu rechtfertigen, verweist das OVG NW auf eine „unterhaltsrechtliche Dimension“ des im dort entschiedenen Fall ursprünglich zu Grunde liegenden Anspruchs auf stationäre Eingliederungshilfe. Andererseits wird dann mit dogmatisch im hier maßgeblichen Regelungskontext zu kurz greifenden Ausführungen zum Unterschied zwischen einem Unterhaltsrechtsstreit und einem verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit dargelegt, dass aber eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 2 Satz 1 FamGKG nicht in Betracht komme, weil insoweit nun gerade keine Vergleichbarkeit zum Unterhaltsrecht bestünde. Das OVG NW erklärt dabei nicht einmal ansatzweise, weshalb die von ihm dafür zur Begründung herangezogene Frage der Titelfunktion eines Verwaltungsaktes im Jugendhilferecht in Abgrenzung zur Titelfunktion eines Gerichtsurteils in einem Unterhaltsstreit eine maßgebende Rolle für die Bestimmung des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit in dem einen oder anderen Fall haben kann. Eine solche Erklärung ist auch nicht ersichtlich. Für Fälle eines Aufwendungsersatzanspruchs greifen die Ausführungen im Übrigen schon deshalb nicht, weil dort ein Verwaltungsakt nicht erlassen worden ist und auch nicht mehr erstritten werden kann. Es kann schließlich keine Rede davon sein, dass, wie das OVG NW unterstellt, die Leistungsbegehrenden bei einer rechtswidrigen Versagung von Jugendhilfeleistungen oder einer Untätigkeit bzw. „Verschleppung“ seitens der zuständigen Behörde keine Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Zeitraum einer dann erforderlichen Selbstbeschaffung, damit auf die Höhe eines daraus erwachsenden Aufwendungsersatzanspruchs und daraus folgend auf den Wert einer darauf bezogenen anwaltlichen Tätigkeit hätten. Vielmehr stehen ihnen in derartigen Fällen verwaltungsprozessuale Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche mittels der Verpflichtungsklage und ggf. eines gerichtlichen Eilverfahrens nach § 123 VwGO durchaus zur Verfügung.

Schließlich besteht auch kein Grund für die Annahme des OVG NW und ihm folgend des OVG des Saarlands, der Gesetzgeber habe für das Jugendhilferecht auch im Bereich der Gegenstandswertbestimmung für eine anwaltliche Tätigkeit einen besonderen „sozialen Schutz“ der Klägerseite anordnen bzw. den Gerichten die Möglichkeit einräumen wollen, einen solchen in der Ausübung billigen Ermessens zu berücksichtigen. Es gibt vielmehr keinen greifbaren konkreten Anhaltspunkt dafür, dass ein vom Gesetzgeber gewollter „sozialer Schutz“ der Klägerseite in jugendhilferechtlichen Streitigkeiten über das hinausgeht, was er auch tatsächlich geregelt hat – nämlich die Gerichtskostenfreiheit derartiger Verfahren. Es ist auch kein sachlich tragfähiger Grund dafür ersichtlich, wieso ein derartiger „sozialer Schutz“ zu Lasten des Interesses der anwaltlichen Vertretung an einer sachgerechten Vergütung ihrer Tätigkeit gehen sollte. Soweit die These vom „sozialen Schutz“ darauf zielen soll, die wirtschaftliche „Hemmschwelle“ für die Inanspruchnahme und ggf. streitige Durchsetzung von Ansprüchen auf Jugendhilfe möglichst niedrig zu halten, greift das in Fällen von Aufwendungsersatzansprüchen schon deshalb nicht, weil die Leistungsbegehrenden in derartigen Fällen wirtschaftlich mit der erfolgten Selbstbeschaffung ja bereits in Vorleistung getreten sind, sich also gerade nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen davon haben abhalten lassen, die begehrte Leistung in Anspruch zu nehmen. Typischerweise geschieht solches aber gerade deshalb, weil die Leistungsbegehrenden über die entsprechende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen, eines „sozialen Schutzes“ in wirtschaftlicher Hinsicht also gar nicht bedürfen. Im Übrigen könnte eine gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse der Rechtsschutzsuchenden weitergehende Begrenzung des anwaltlichen Vergütungsanspruchs für das Ziel, den Zugang zu einer Inanspruchnahme und effektiven Durchsetzung von Jugendhilfeansprüchen aus Gründen des „sozialen Schutzes“ zu erleichtern, auch durchaus als kontraproduktiv angesehen werden. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass damit die Bereitschaft in der Anwaltschaft, derartige Rechtsangelegenheiten zu übernehmen und mit der gebotenen Sorgfalt zu verfolgen, eher verringert wird. Das aber würde den Zugang zu einer effektiven anwaltlichen Vertretung eher erschweren als erleichtern und damit die Chancen auf eine Durchsetzung von Leistungsansprüchen gerade in komplexen Fällen eher vermindern.

c) Werden in einem Rechtsstreit sowohl die Bewilligung von Jugendhilfeleistungen für die Zukunft als auch Aufwendungserstattungsansprüche für selbstbeschaffte Leistungen in der Vergangenheit eingeklagt, sind für die Bemessung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit die jeweiligen, nach den oben dargelegten Grundsätzen zu bemessenden Teilwerte zusammenzurechnen (ebenso: Thür.OVG, Beschl. vom 24.08.2017 – 3 VO 629/16 -, juris Rn. 8).

Das ergibt sich zunächst bereits aus § 22 Abs. 1 RVG mit der Überlegung, dass die Klägerseite diesbezüglich ohne Weiteres auch mehrere eigenständige Klageverfahren anhängig machen könnte, für die ggf. jeweils gesondert ein Gegenstandswert festzusetzen wäre (vgl. auch § 33 Abs. 1 Satz 1 FamGKG; § 35 Abs. 1 GNotKG). Denn es handelt es sich insoweit um selbständige prozessuale Streitgegenstände, die auch nicht zwingend derart miteinander verbunden sind, dass über den einen nur im Gleichklang mit dem anderen entschieden werden könnte. Im Übrigen kann diesbezüglich auch auf den Rechtsgedanken aus § 42 Abs. 3 Satz 1 HS. 1 GKG zurückgegriffen werden, der in § 51 Abs. 2 Satz 1 FamGKG sein Pendant gefunden hat. Schließlich entspricht auch nur eine solche Vorgehensweise dem im Gesetz in § 52 Abs. 1 GKG verankerten Grundgedanken, dass nämlich, soweit – wie in den Fällen der vorliegenden Art – nichts anderes bestimmt ist, für die Wertbestimmung das (wirtschaftliche) Interesse der Klägerseite maßgebend sein soll. Angesichts dieser gesetzlichen Grundwertung, die über § 23 RVG auch für die Gegenstandswertbestimmung herangezogen werden kann, gibt es keinen tragfähigen Grund dafür, in derartigen Fällen insgesamt nur maximal den Jahreswert der streitigen Leistungen bzw. Ersatzansprüche anzusetzen und damit einen Teil der mit der Klage verfolgten wirtschaftlichen Interessen der Klägerseite für die Wertbestimmung der darauf bezogenen anwaltlichen Tätigkeit unbeachtet zu lassen. Eine derartige Vorgehensweise würde nicht zuletzt auch zu Problemen führen, wenn sich der Wert der streitigen Leistungen in dem insgesamt von der Klage erfassten Zeitraum verändert, z. B. ein zu zahlendes monatliches Schulgeld, dessen Erstattung für die Vergangenheit und dessen Übernahme für die Zukunft begehrt wird, sich in dem Zeitraum – ggf. sogar mehrfach – verändert hätte. Welcher Monatsbetrag sollte dann mit 12 multipliziert werden?

3. Ausgehend von den dargelegten allgemeinen Bemessungsgrundsätzen ergeben sich für die vorliegend mit der Klage verfolgten Ansprüche folgende Konsequenzen zur Wertbestimmung:

Mit der Klage streitig gestellt waren vier Anspruchspositionen: Schulkosten und Beförderungskosten zur Schule jeweils für die Vergangenheit und für die Zukunft, Verzinsung des rückwirkend bewilligten und ausgezahlten Pflegegeldes sowie Zuschussleistungen zu einer angemessenen Altersvorsorge der Klägerin als Pflegeperson. Aus dem gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftverkehr lässt sich entnehmen, dass bezüglich der Schul- und der Schulbeförderungskosten Ansprüche ab Beginn des Schuljahres 12/13 geltend gemacht waren.

Daraus ergeben sich folgende Berechnungen:

Schulkosten

Die Schulkosten betrugen monatlich 235,- EUR; die Aufnahmegebühr betrug 800,- EUR.

Bei Klageerhebung Ende 2014 waren 2,5 Schuljahre verstrichen; insoweit geht es um einen Aufwendungserstattungsanspruch. Das laufende Schuljahr ging bis 07/15. Die Kammer legt bei Ansprüchen auf Jugendhilfeleistungen in Form der Übernahme von Schulkosten als Bewilligungszeitraum grundsätzlich (maximal) ein Schuljahr zu Grunde. Denn die Frage, ob der Schulbesuch im nachfolgenden Schuljahr in der bisherigen Art fortgesetzt werden soll, stellt sich mit Beginn jedes Schuljahres neu. Der Anspruch auf zukünftige Leistungen war damit durch das Ende des Schuljahres 14/15 begrenzt.

Ausgehend davon richtete sich die Klage insoweit auf Erstattung bzw. Übernahme der Schulkosten für die Schuljahre 12/13, 13/14 und 14/15 sowie zusätzlich auf Erstattung der Aufnahmegebühren. Es ergibt sich die folgende Berechnung:

235,- EUR mtl. Kosten x 36 Monate (3 Schuljahre) = 8.460,- EUR

+ Aufnahmegebühr      =  800,- EUR

Beförderungskosten

Die tatsächlich entstandenen Beförderungskosten für das Schuljahr 12/13 sind von der Klägerin nicht beziffert worden. Für das Schuljahr 13/14 liegt eine Berechnung des Fachbereichs (FB) Schulen der Beklagten in dem Erstattungsbescheid vom 03.06.2015 vor. Danach hatte das Pflegekind in jenem Schuljahr an insgesamt (nur) 34 Tagen die Schule tatsächlich besucht. Der Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Der Umfang des Schulbesuchs des Kindes im Schuljahr 12/13 kann im Wege der richterlichen Schätzung mit 50 Tagen angesetzt werden. Da nichts für eine Inanspruchnahme eines Taxiunternehmens vorgetragen ist, ist auch hierfür der Tagessatz aus dem Bescheid des FB Schulen der Beklagten vom 03.06.2015 anzusetzen, mithin ein Betrag von 14,40 EUR/Tag.

Das Schuljahr 13/14 ist in dem vorbenannten Bescheid bestandskräftig abgerechnet worden. Der insoweit bestandskräftig festgesetzte Erstattungsbetrag ist hier anzusetzen. Für das Schuljahr 14/15 sind demgegenüber die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 27.09.2017 mitgeteilten Kosten anzusetzen. Daraus ergibt sich:

Schuljahr 12/13: 50 Tage x 14,40 EUR =  720,00 EUR

Schuljahr 13/14: 34 Tage x 14,40 EUR =  489,60 EUR

Schuljahr 14/15: Taxibeförderung    =  5.448,75 EUR

Zinsen und Altersvorsorgebeiträge

Hierzu erscheint der von der Klägerseite mit dem Festsetzungsantrag vom 16.08.2017 insgesamt in Ansatz gebrachte Betrag in Höhe von 1.800,- EUR angemessen, jedenfalls aber nicht überhöht. Die Beklagte hat hierzu auch nicht vertiefend Stellung genommen.

Aus der notwendigen Addition der vorstehend dargelegten Berechnungen ergibt sich der Gegenstandswert rechnerisch mit:

8.460,- EUR + 800,- EUR + 720,- EUR + 489,60 EUR + 5.448,75 EUR + 1.800,- EUR = 17.718,35 EUR.

4. Die Zulassung der Beschwerde ergibt sich aus § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG. Die Frage, ob bei jugendhilferechtlichen Aufwendungsersatzansprüchen für selbstbeschaffte Leistungen der Gegenstandswert mit dem vollen Wert der geltend gemachten Ansprüche, auch wenn diese sich auf einen längeren Zeitraum als ein Jahr erstrecken, anzusetzen ist, hat grundsätzliche Bedeutung. Gleiches gilt für die Frage, ob in Fällen, in denen mit einer Klage – wie hier – sowohl die Bewilligung von Jugendhilfeleistungen für die Zukunft als auch Aufwendungsersatzansprüche für in der Vergangenheit selbstbeschaffte Leistungen geltend gemacht werden, für die Gegenstandswertbestimmung alle sich für die einzelnen Ansprüche ergebenden Teilwerte zusammenzurechnen sind. Diese Fragen werden in der Rechtsprechung bisher nicht einheitlich beantwortet.