Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 31.05.2017, Az.: 13 B 3486/17

Asylverfahren; Einstellung; Rechtsschutzbedürfnis; Zustellung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
31.05.2017
Aktenzeichen
13 B 3486/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53600
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der am 27.04.2017 erhobenen Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.04.2017 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Asylgesetz durch den Einzelrichter.

Der Antrag der Antragsteller,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 27.04.2017 gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.04.2017 anzuordnen,

hat Erfolg.

Der Antrag ist zulässig.

Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO) der gegen die Abschiebungsandrohung gerichteten Klage statthaft. Dieser Klage kommt gemäß §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 75 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, weil das Bundesamt das Asylverfahren des Antragstellers gestützt auf §§ 32 Satz 1 und 33 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG eingestellt und dem Antragsteller gemäß § 38 Abs. 2 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt hat. Eine Frist für die Stellung des Antrags gibt das Asylgesetz anders als in §§ 34a Abs. 2 Satz 1 oder § 36 Abs. 3 Satz 1 nicht vor (VG Minden, Beschluss vom 28. 02.2017 – 10 L 162/17.A –, Rdnr. 22, juris).

Für den Antrag besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis.

Die Antragsgegnerin hat das Asylverfahren der Antragsteller eingestellt, nachdem sie nicht zur Anhörung erschienen waren. Mit Schriftsatz vom 29.05.2017 hat zwar nun die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass sie aufgrund eines Fortführungsantrages der Antragsteller das Asylverfahren weiter fortführen wird. Durch die Möglichkeit nach § 33 Abs. 5 Asylgesetz, die Wiederaufnahme eines eingestellten Verfahren zu beantragen, wird das Rechtsschutzbedürfnis aber weder für den vorliegenden Antrag noch für die erhobene Klage beseitigt (a.A. VG Köln, Beschl. v. 16.12.2016 - 23 L 2982/16.A -, juris, Rdrn. 4; wohl auch VG Kassel, Beschl. v. 06.03.2017 - 6 L 437/17.KS.A -, das ein Rechtsschutzbedürfnis nur deshalb bejaht hat, weil das Bundesamt über den Fortführungsantrag der dortigen Antragsteller noch nicht positiv entschieden hatte, juris, Rdnr. 6).

Der Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG legt nahe, dass die erste Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Einstellung des Verfahrens rechtswidrig gewesen ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dem Asylbewerber hiermit die Möglichkeit der Heilung eines einmaligen Fehlverhaltens eingeräumt werden (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 17). Wäre die erstmalige Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG aber zu Unrecht erfolgt, weil die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 und 2 AsylG nicht vorgelegen haben, und könnte der Asylbewerber diese Entscheidung im Eilverfahren - und auch im nachfolgenden Klageverfahren - gerichtlich nicht angreifen, sondern wäre er vielmehr gezwungen, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen, so stünde ihm diese Möglichkeit der Heilung für die Zukunft nicht mehr zur Verfügung. Denn verhielte sich der Asylbewerber im weiteren Verlauf seines Asylverfahrens (nochmals) in einer Weise, die die Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtfertigen würde, so wäre der Antrag zum einen als Folgeantrag mit den sich hieraus ergebenden Einschränkungen (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG) zu behandeln (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG); zum anderen würden für eine Entscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG die in § 33 Abs. 6 AsylG geregelten Besonderheiten gelten, ohne dass der Asylbewerber jemals die Möglichkeit gehabt hätte, die Einstellungsentscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen. Zudem ist gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG der Wiederaufnahmeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in welcher der Ausländer vor der Einstellung des Verfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wird einem Asylbewerber die gerichtliche Überprüfung der Einstellungsentscheidung aber verweigert und gelänge es ihm nicht, vor einer - nicht mehr anzukündigenden - Abschiebung (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs.1 Satz 6 AufenthG) die für ihn zuständige Außenstelle des Bundesamtes persönlich aufzusuchen, so bliebe ihm die Heilungsmöglichkeit des § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG gänzlich verwehrt. Auch dies spricht dafür, in Fällen wie dem vorliegenden ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers als gegeben zu erachten (VG Stuttgart, Beschluss vom 06.02.2017 – A 1 K 198/17 –, Rn. 5, juris). Dementsprechend steht bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der hier angesprochenen Fragen nicht fest, dass das mit dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers verfolgte Ziel durch ein gleich geeignetes, keine anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren ebenso erreicht werden kann, wie in dem vorliegenden gerichtlichen Verfahren. In einer solchen Fallgestaltung verstößt es gegen das in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Gebot des effektiven Rechtsschutzes, das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu verneinen (so auch VG Minden, a.a.O., Rdnr. 25, juris)

Der Antrag ist auch in der Sache begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelf (§ 80 Abs. 1 VwGO) ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Dabei prüft das Gericht zum einen, ob im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Anordnung der sofortigen Vollziehung ordnungsgemäß nach § 80 Abs. 3 VwGO begründet wurde. Zum anderen trifft das Gericht eine eigene Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des bzw. der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aufschubinteresse) und dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes (Sofortvollzugsinteresse). Bei dieser Interessenabwägung sind wiederum zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs des bzw. der Antragsteller in der Hauptsache zu berücksichtigen, soweit diese bei summarischer Prüfung absehbar sind. Bestehen bereits bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und wird der Rechtsbehelf deshalb in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben, ist dem Antrag regelmäßig stattzugeben, denn ein überwiegendes öffentliches (oder anderes privates) Interesse am sofortigen Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kommt nicht in Betracht. Bestehen solche Zweifel nicht, erweist sich also der angegriffene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig und wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben, so ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel abzulehnen. Bestehen aber erhebliche Zweifel, dass der zugrunde liegende Verwaltungsakt rechtmäßig ist, so spricht eine Interessenabwägung regelmäßig dafür, die aufschiebende Wirkung anzuordnen. So liegt es hier.

Gemäß § 33 Abs. 2 Ziff.1 Asylgesetz wird vermutet dass ein Ausländer ein Asylverfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung nicht nachgekommen ist. Entsprechend gilt dann gemäß § 33 Abs. 1 Asylgesetz der Asylantrag als zurückgenommen. So ist hier die Antragsgegnerin auch verfahren, weil die Antragsteller nicht zur Anhörung erschienen sind.

Die Antragsteller konnten hier jedoch deshalb nicht zur Anhörung erscheinen, weil die Ladung zu dieser Anhörung sie nicht erreicht hat. Nach der in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Postzustellungsurkunde wurde die Ladung ihnen nicht zugestellt. Vielmehr wurde auf der Postzustellungsurkunde vermerkt: „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln.“

Grundsätzlich hat ein Ausländer nach § 10 Asylgesetz zwar während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen. Der Ausländer muss Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen.

Im vorliegenden Fall sind die Antragsteller jedoch nach wie vor unter der in der Postzustellungsurkunde angegebenen Anschrift wohnhaft. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Post nicht in der Lage war, die Antragsteller unter dieser Anschrift zu ermitteln. Fragen zur Sachverhaltsaufklärung in der gerichtlichen Verfügung vom 04.05.2017 hat die Antragsgegnerin nicht beantwortet.

Nach alledem war die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller hier anzuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).