Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 06.09.2023, Az.: 10 A 602/22

Fahndungsausschreibung; Reichweite einer Fahndungsausschreibung nach § 30 Abs. 5 BPolG

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.09.2023
Aktenzeichen
10 A 602/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 38870
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:0906.10A602.22.00

Amtlicher Leitsatz

Die Fahndungsausschreibung nach § 30 Abs. 5 BPolG ermächtigt nicht dazu, eine Kontrollmeldung durch die antreffende Stelle zu ermöglichen. Die Vorschrift dient nicht dazu, Bewegungsprofile der ausgeschriebenen Person zu erstellen. Vielmehr liegt die Entscheidung über die zu treffende Maßnahme bei der antreffenden Stelle, die in eigener Verantwortung und nach Prüfung der Voraussetzungen - ggfs. unter Einbeziehung der vorliegenden Informationen aufgrund der Fahndung - Maßnahmen treffen kann.

Urteil
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 2023 durch die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Reccius, den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Lodzig, die Richterin am Verwaltungsgericht Gogolin, sowie die ehrenamtliche Richterin Voigt und der ehrenamtliche Richter Fahlbusch für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Ausschreibungen der Klägerin zur Fahndung vom 29. Januar 2020 bis 29. Januar 2021 und vom 29. Januar 2021 bis zum 20. Januar 2022 durch die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2022 rechtswidrig waren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Ausschreibung ihrer Person zur Fahndung rechtswidrig war.

Die Klägerin ist Umweltaktivistin und seit vielen Jahren in der Umweltbewegung aktiv. Sie ist u.a. auch Mitglied von "D.", einer deutschen Umwelt- und Naturschutzorganisation. In diesem Rahmen hat sie an einer Vielzahl von politischen Protesten teilgenommen. Sie erlangte dabei besondere öffentliche Bekanntheit durch ihre Kletter- und Abseilaktionen, die sie auch im Bereich der Bahnanlagen des Bundes durchführte. Sie tritt öffentlich unter dem Beinamen "E." auf. Sie hat im Klettern eine Grundkonditionierung und ist in der Lage, professionell zu klettern. Neben der Durchführung eigener Protestaktionen ist die Klägerin auch journalistisch tätig und berichtet über die Protestaktionen anderer Personen. Zudem vermittelt sie ihr Wissen über das Protestklettern in Form von Vorträgen, Kursen und Beiträgen in den sozialen Medien und stellt hierzu Videobeiträge und schriftliche Erläuterungen bereit. Die Klägerin ist an einer chronischen Autoimmunerkrankung (Rheumatoide Arthritis) erkrankt und sitzt im Rollstuhl. Sie ist schwerbehindert.

Mit Schreiben vom 7. Januar 2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Auskunft über die bei der Beklagten über sie gespeicherten Daten. Im Wege dieses Auskunftsersuchens erlangte die Klägerin Kenntnis darüber, dass sie zur Fahndung im Informationssystem der Polizei (INPOL) ausgeschrieben war. Sie beantragte daraufhin die Löschung dieser Fahndung.

Mit Bescheid vom 3. Juni 2021 lehnte die Beklagte den Antrag auf Löschung des Fahndungseintrages ab und teilte der Klägerin mit, dass die Ausschreibung bis zum 29. Januar 2022 verlängert worden ist. Im Ergebnis war die Klägerin im Zeitraum vom 29. Januar 2020 bis zum 29. Januar 2021 und vom 29. Januar 2021 bis zum 29. Januar 2022 durch die Beklagte zur Fahndung ausgeschrieben. Zur Begründung gab die Beklagte an, dass sie hierzu nach § 30 Abs. 5 BPolG befugt sei. Auf folgende Erkenntnisse bezüglich der Klägerin habe sie ihre Einschätzung gestützt:

- "04.10.2019: Sie seilten sich mit anderen Personen in Hamburg an der Kattwykbrücke in Richtung Wasseroberfläche ab. Die Aktion stand im Zusammenhang mit einer Versammlung mit dem Tenor "Aufzüge gegen Kohle". Es kam hierbei zu Verkehrsbeeinträchtigungen.

- 18.11.2019: Sie traten als Kletteraktivistin auf. Zusammen mit anderen Beteiligten seilten sie sich über der Bahnstrecke Metelen-Land und Steinfurt - Burgsteinfurt ab, um einen Urenco-Transport zu blockieren. Der Zug hatte durch die Aktion eine Verspätung von ca. sieben Stunden.

- 21.11.2019: Am Hamburger Flughafen fand für eine Stunde durch D. eine Abseilaktion unter der Dachkonstruktion im Flughafenterminal 1 statt. Die Aktion stand unter dem Tenor "Flughafen wächst - Klima stirbt, Ausbau stoppen! D.". Sie gehörten zu den Teilnehmern. Die Teilnehmer waren durch die Bekleidung als Anhänger von D. zu erkennen und waren mittels Funkgeräte miteinander verbunden. Die Aktion steht im Zusammenhang mit dem Flughafenausbau. Hierbei befanden sie sich als mögliche Unterstützerin im Terminalbereich und nicht als Kletteraktivistin an einem Seil."

Als weitere Begründung gab die Beklagte den erwarteten Nukleartransport von Sellafield nach Biblis für das Jahr 2020 an.

Im Rahmen der Prüfung einer Verlängerung oder Löschung der Fahndung habe sie sich zusätzlich auf nachfolgende Erkenntnisse gestützt:

- "02.06.2020: Im Zusammenhang mit einer Gerichtsverhandlung in Wolfsburg (Anlass Blockadeaktion auf den Gleisanlagen VW Werk am 13.08.2019) befanden sie sich vor Ort und wollten im Rollstuhl sitzend eine versuchte Abseilaktion an der Stadtbrücke/Mittellandkanal durch 4 Aktivisten von D. filmen. Sie hatten sich im Vorfeld mit den Kletteraktivisten getroffen.

- 16.07.2020: Antreffen von Frau A. mit zwei weiteren Personen gegen 02:15 Uhr an der Brennelementefabrik Framatome Lingen (Ems/Niedersachsen).

- 05.10.2020 Sie seilten sich anlässlich eines Urenco Transportes mit einer zweiten Person von einer Autobahnbrücke BAB 1 über die Bahnstrecke 2014 bei Bahnkilometer 8,507 (Nähe HP Münster-Häger) ab. Die Bahnstrecke wurde nach Notrufanruf gesperrt. Der geplante Zug hatte 336 Minuten Verspätung. Der Bahnbetreib wurde beeinträchtigt.

- 01.11.2020: Im Rahmen des Nukleartransportes von Sellafield nach Biblis erfolgte eine Kletteraktion durch D. an der Hausfassade im Bereich des Hauptbahnhofs Bremen. Sie befanden sich vor Ort, filmten die Aktion, stellten Szenen in das Internet ein und hielten gegenüber den Teilnehmenden eine Ansprache.

- 03.11.2020: Im Bereich Steinau/Hessen erfolgte im Zusammenhang mit dem angesprochenen, durchgeführten Atomtransport in den frühen Morgenstunden eine Kontrolle einer Personengruppe von 18 Personen durch die Landespolizei Hessen. Diese Kontrolle fand in unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Transport durch eingesetzte Kräfte statt. Bei den Personen handelte es sich um Personen, welche auf den Weg in Richtung Transportstrecke zu einer Aktion gegen den NUK-Transport waren. Sie waren ein Mitglied in der Gruppe."

Die Ausschreibung zur Fahndung sowie die Ablehnung einer Löschung begründete die Beklagte damit, dass sich aus den ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ergebe, dass sich die Klägerin aktiv an Aktionen im Bereich der Umweltbewegung beteilige, wobei ihre Art der Beteiligung stark variiere. Die Beklagte verweist dabei auf insgesamt neun einzeln aufgeführte Vorfälle. Bei wenigstens drei der Aktionen habe sich die Klägerin selbst abgeseilt, im Übrigen habe sie die Aktionen begleitet. Zwar achte die Klägerin darauf, bei ihren Aktionen keine Strafrechtsnormen zu verletzten, jedoch lenkten vor allem die Kletteraktionen im öffentlichen Raum bzw. im Bereich des öffentlichen Verkehrsgeschehens die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit vom Verkehrsgeschehen ab und beeinträchtigten damit den Verkehrsfluss zum Teil stark. Dies führe zum Teil zu Personen- und Sachschäden im öffentlichen Raum. Auch führten ihre Kletteraktionen im bahnpolizeilichen Aufgabenbereich der Bundespolizei, insbesondere aus Anlass von Atomtransporten, dazu, dass es durch die zum Zwecke der Gefahrenprävention durchgeführten Gleissperrungen zu unnatürlichen Eingriffen in den Betriebsablauf der Bahn komme. Die Maßnahme sei verhältnismäßig. Die Fahndungsausschreibung sei eine Maßnahme mit vergleichsweise geringem Eingriffscharakter. Die Überprüfung, ob eine Ausschreibung zur Fahndung vorliege, folge nur subsidiär nach einer Identitätsfeststellung und einem Abgleich mit dem polizeilichen Fahndungssystem, deren Voraussetzungen im Einzelfall zu prüfen seien. Auch handele es sich gerade nicht um eine Ausschreibung zur Festnahme oder Ingewahrsamnahme; vielmehr werde lediglich die ausschreibende Behörde über den Umstand des Fahndungstreffers in Kenntnis gesetzt.

Den Widerspruch der Klägerin auf Löschung der Fahndungsausschreibung wies die Beklagte mit Bescheid vom 18. Januar 2022 zurück. Sie gab nur dem Widerspruch gegen die beantragte Akteneinsicht statt. Auch den Antrag, die Hinzuziehung der Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, lehnte die Beklagte ab.

Mit Schreiben vom 8. Februar 2022 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Fahndungsausschreibung am 29. Januar 2022 ausgelaufen und nicht weiter verlängert worden sei.

Am 15. Februar 2022 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor: Sie habe einen Anspruch auf Feststellung, dass die Fahndungsausschreibungen rechtswidrig gewesen seien. Ihr Feststellungsinteresse folge aus dem mit der Fahndungsausschreibung einhergehenden schweren Grundrechtseingriff und aus der Wiederholungsgefahr. Die Fahndungsausschreibung sei rechtswidrig gewesen, da sie schon nicht auf einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage beruhe. § 30 Abs. 5 BPolG lege Anlass, Zweck und Umfang einer INPOL-Fahndungsausschreibung nicht bereichsspezifisch, präzise und normenklar fest. Zumindest seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 5 BPolG nicht gegeben. Diese Vorschrift setze voraus, dass die Bundespolizei nach den Vorschriften des BPolG befugt sei, die mit der Ausschreibung bezweckte Maßnahme selbst vorzunehmen. In Betracht komme für den konkret vorliegenden Fall jedoch nur die Überprüfung einer Person nach § 23 BPolG. Eine solche Überprüfung setze aber das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus. Zum Zeitpunkt der Ausschreibung zur Fahndung hätten jedoch keine Tatsachen vorgelegen, die die hme gerechtfertigt hätten, dass durch jedes Erscheinen der Klägerin der Eintritt eines Schadens für die Sicherheit und Ordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu befürchten gewesen wäre. Vor allem sei im Hinblick auf die Rechtsprechung zum Versammlungsgrundrecht zu beachten, dass die im angegriffenen Bescheid angeführten Verkehrsbeeinträchtigungen, selbst wenn sie eine mittelbare Folge von Aktionen der Klägerin sein sollten, als sozialadäquate Nebenfolge einzustufen und nicht als polizeilich zu verhindernde Gefahr zu werten seien. Die von der Beklagten aufgeführten Aktionen seien zudem allesamt nicht strafrechtlich relevant gewesen. Teilweise sei nur ihr Aufenthalt festgestellt worden, aber keinerlei Aktivitäten. Alle Aktionen hätten zudem im Zusammenhang mit Versammlungen gestanden. Diese dürften nicht als Begründung für eine Fahndungsausschreibung herhalten. Die Ausschreibung ihrer Person zur Fahndung sei auch unverhältnismäßig. Sie stelle einen schweren Eingriff in ihre Grundrechte dar, namentlich in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Ausschreibung sei vor allem auf Informationen zu ihrer politischen Betätigung gerichtet. Dies ergebe sich bereits aus der Fahndungsausschreibung, die die Übermittlung bestimmter Informationen beinhalte und auch auf die Verhinderung versammlungstypischer Aktionen gerichtet sei. Sie vermittele jeder am INPOL-Verbundsystem beteiligten Stelle die Information, dass die Bundespolizei mit ihrer Person die konkrete Gefahr des Eintritts einer Rechtsgutbeeinträchtigung verbinde. Auch werde aufgrund der Ausschreibung der Beklagten bei jeder mit einem Datenabgleich verbundenen Maßnahme durch eine am INPOL-Verbund teilnehmenden Stelle der Beklagten die Information übermittelt, die diese Stelle zu ihrer Person erhoben habe, was der Beklagten die Erstellung eines Bewegungsprofils ermögliche. Wenn sie vermeiden wolle, dass die Beklagte Informationen zu ihr erhebt und speichert, bliebe ihr als einziger Ausweg, nicht bei politischen Aktionen öffentlich in Erscheinung zu treten. Es gebe zudem keine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der Daten in INPOL. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten für das vorangehende Vorverfahren sei für notwendig zu erklären. Es gebe zu der einschlägigen Rechtsgrundlage bisher keine Rechtsprechung, so dass sie nicht darauf verwiesen werden könne, sich selbst zu vertreten.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die Ausschreibungen der Klägerin zur Fahndung vom 29.01.2020 bis 29.01.2021 und vom 29.01.21 bis 20.01.2022 durch die Beklagte mit Bescheid vom 03.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2022 rechtswidrig waren,

unter Aufhebung von Nr. 3 des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2022 die Hinzuziehung der Bevollmächtigten für das vorangehende Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt ihre Maßnahme und trägt ergänzend vor: Die Ausschreibungen zur Fahndung seien rechtmäßig gewesen. Die Rechtsgrundlage des § 30 Abs. 5 BPolG sei verfassungsgemäß. Es sei naheliegend, dass diese Norm weiter gefasst sein müsse, um den zahlreichen verschiedenen Fallkonstellationen im Polizeialltag zum Zwecke einer effektiven Gefahrenabwehr und damit auch der in § 30 BPolG zum Ausdruck gebrachten Intention des Gesetzgebers gerecht zu werden. Dies sei zulässig, da etwaige Folgemaßnahmen, auf die § 30 Abs. 5 BPolG auch abstelle, stets einer Prüfung im Einzelfall unterlägen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 5 BPolG seien gegeben. Vor allem die im Bescheid aufgeführten Kletteraktionen hätten zu einer Gefahr für Leib und Leben führen können. Bahnanlagen seien nicht dafür bestimmt, an ihnen zu klettern. Die elektrifizierten Oberleitungen führten eine elektrische Spannung von bis zu 15.000 Volt. Das Abseilen und Besteigen von Brücken und/oder Masten sei per se lebensgefährlich. Es bestehe stets die Gefahr, dass die Klägerin in den sog. Regellichtraum, also den Platz, den alle angrenzenden Bebauungen entlang von Eisenbahngleisen mindestens freilassen müssen, damit sich alle Fahrzeuge gefahrlos bewegen können, stürzen könnte, sodass eine Gefahr für Leib bzw. Leben der Klägerin bestehe. Schon der Aufenthalt in der Nähe des Regellichtraums sei gefährlich, da es stets zu Stromüberleitungen von Oberleitungen kommen könne. Zu einem Sturz könne es bereits aufgrund möglicher Mängel an der Kletterausrüstung oder dem Kletterobjekt kommen. Zudem bestehe auch stets eine Gefahrenlage für die vor Ort eingesetzten Einsatzkräfte, u.a. durch Stürze oder aufgrund der einsatzbedingten engen körperlichen Nähe durch die zum Zeitpunkt der Anordnung bestehende Gefahrenlage durch die weltweite COVID-19 Pandemie. Dieser Schutz vor Gefahren für Leib bzw. Leben von Personen überwiege im konkreten Fall den Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung der Klägerin, sodass die Maßnahme auch verhältnismäßig sei. Ein darüberhinausgehender Eingriff in das Recht der freien Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht der Klägerin sei nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig (I) und begründet (II).

I. Die Klage ist zulässig. Statthaft ist vorliegend eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog. Diese entspricht dem gemäß § 88 VwGO maßgeblichen klägerischen Begehren. Bei der Fahndungsausschreibung handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Dieser hat sich bereits i.S.d. § 43 Abs. 2 Var. 4 VwVfG durch Zeitablauf erledigt. Die Fahndungsausschreibung war ausdrücklich auf den 29. Januar 2021 bzw. nach Verlängerung auf den 29. Januar 2022 befristet. Begehrt ein Adressat die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes, ist die Fortsetzungsfeststellungsklage analog einschlägig (BVerwG, Urteil vom 14.07.1999 - 6 C 7.98 -, NVwZ 2000, 63, 64).

Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist zu bejahen. Ein derartiges berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts ist vorliegend bereits unter dem Gesichtspunkt eines Grundrechtseingriffs gegeben, bei dem sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Geschehensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (BVerfG, Urteil vom 27.02.2007 - 1 BvR 538.06 -, BVerfGE 117, 244-272, juris Rn. 69; Nds. OVG, Urteil vom 6.10.2020 - 11 LC 149/16 -, juris Rn. 86). Teilweise wird insoweit das Vorliegen eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs verlangt (OVG Bremen, Urteil vom 8.1.2019 - 1 LB 252/18 -, juris Rn 30; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25.4.2001 - 2 W 29/01 -, juris Rn 16). Die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es jedoch, nicht nur für schwerwiegende Grundrechtseingriffe, sondern auch für einfachrechtliche Rechtsverletzungen, die von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten einen effektiven Hauptsacherechtsbehelf zur Verfügung zu stellen (Nds. OVG, Beschluss vom 17.12.2018 - 11 LA 66/18 -, juris Rn. 8). Die Fahndungsausschreibung greift stark in die Rechte der Klägerin ein, u.a. in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, u.U. auch in ihre Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG und ihre Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG. Hiergegen konnte die Klägerin vor Eintritt der Erledigung keinen wirksamen Rechtsschutz erlangen.

Offenbleiben kann, ob darüber hinaus ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch wegen eines bestehenden Rehabilitationsinteresses der Klägerin und Wiederholungsgefahr gegeben ist.

Die Klägerin hat zudem fristgerecht nach Kenntniserlangung von der Ausschreibung zur Fahndung Widerspruch erhoben. Sie kann daher Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit ihrer Ausschreibung zur Fahndung erheben (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.2.1967 - I C 49.64 -).

II. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausschreibung zur Fahndung ihrer Person in der Zeit vom 29. Januar 2020 bis zum 29. Januar 2021 und vom 29. Januar 2021 bis zum 29. Januar 2022. Die Ausschreibungen der Klägerin zur Fahndung durch die Beklagte waren rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 und 4 VwGO analog.

Als Rechtsgrundlage für die Ausschreibung zur Fahndung kommt § 30 Abs. 5 BPolG in Betracht. Danach kann die Bundespolizei personenbezogene Daten der in Absatz 1 des § 30 BPolG bezeichneten Art im automatisierten Verfahren in den Fahndungsbestand des polizeilichen Informationssystems zum Zwecke der Einreiseverweigerung, Ingewahrsamnahme, Aufenthaltsermittlung oder Überprüfung der Person eingeben, wenn sie nach den Vorschriften des BPolG befugt ist, die mit der Ausschreibung bezweckte Maßnahme selbst vorzunehmen oder durch eine zum Abruf der Daten im automatisierten Verfahren berechtigte Stelle vornehmen zu lassen.

Die Kammer hat - anders als die Klägerin meint - keinen Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des § 30 Abs. 5 BPolG. Dies kann aber letztlich dahingestellt bleiben. Auch kann offen bleiben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift vorliegen. Denn jedenfalls hat die Beklagte die Reichweite der Norm auf der Rechtsfolgenseite nicht beachtet. § 30 Abs. 5 BPolG ermächtigt nicht zu einer Fahndungsausschreibung, wie sie die Beklagte vorgenommen hat. Insbesondere ermächtigt sie nicht dazu, eine Rückmeldung von den Polizeibeamten, die die Klägerin antreffen, anzuordnen. Hierzu im Einzelnen:

Eine Ausschreibung zur Fahndung nach § 30 Abs. 5 BPolG ist ein - aufschiebend bedingtes - Ersuchen der Bundespolizei an die Stellen, die im polizeilichen Informationssystem (INPOL, §§ 13, 29 und 30 BKAG) zum Abruf von Daten im automatisierten Verfahren berechtigt sind, im Fall des Antreffens der ausgeschriebenen Person die mit der Ausschreibung bezweckte Maßnahme - hier: Überprüfung der Person (bzw. "Kontrolle, soweit zulässig") - vorzunehmen. Außerdem können in der Ausschreibung weitere Hinweise zu der ausgeschriebenen Person - hier: "Sondervermerk" - eingetragen werden, um der Stelle, die die ausgeschriebene Person antrifft, weitere Informationen über die betreffende Person zu vermitteln.

Die Entscheidung über die Vornahme der mit der Ausschreibung bezweckten Maßnahme - hier: Überprüfung der Person - trifft die antreffende Stelle aufgrund der für sie geltenden Vorschriften im Einzelfall bei Antreffen der ausgeschriebenen Person. Dabei kann sie ggf. auf die zusätzlich in der Ausschreibung von der Bundespolizei mitgeteilten Hinweise zu der Person als Information für ihre Entscheidungsfindung zurückgreifen.

Aber - und dies ist hier entscheidend - anders als bei der Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 37 NPolG oder 47 BAKG) lässt § 30 Abs. 5 BPolG gerade keine Kontrollmeldung zu. Die Norm dient gerade nicht dazu, Bewegungsbilder der Person zu erstellen. Die Beklagte hat jedoch in der Fahndungsausschreibung verfügt "Meldung an BPolD C-Stadt" (bzw. bis zur Änderung der Fahndungsausschreibung am 11.06.2020 auch eine Meldung an die PD A-Stadt). Die Beklagte beabsichtigte durch die Anordnung der Kontrollmeldung, eine Vielzahl von Einzelinformationen über den Aufenthaltsort der Klägerin und ihre Aktivitäten dort zu erhalten. Die am INPOL-Verbundsystem beteiligten Behörden, die durch eine Abfrage der Daten der Klägerin von der Fahndung Kenntnis erhielten, sollten nicht nur - wie es § 35 BPolG zulässt - sensibilisiert werden. Vielmehr beabsichtigte die Beklagte, durch die Fahndung eine Vielzahl von Einzelinformationen zu erhalten. Dies lässt § 35 Abs. 5 BPolG mit seinen - gegenüber Vorschriften, die diese Rechtsfolge ausdrücklich ermöglichen (vgl. etwa § 47 BKAG, § 37 NPOG, § 163e StPO) - geringeren Voraussetzungen bereits vom Wortlaut her gerade nicht zu. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass diese Rechtsfolge von der Vorschrift (ungeschrieben) miterfasst ist. Schon weil die Polizei aufgrund der rückgemeldeten Informationen ein Bewegungs- und/oder Verhaltensprofil der betreffenden Person oder ein Profil der gegen sie ergriffenen polizeilichen Maßnahme erstellen könnte, bedarf es hierfür einer klaren Regelung, wie sie zum Beispiel die o.g. Regelungen des § 47 BKAG und des § 37 NPOG zur polizeilichen Beobachtung ausdrücklich treffen. Wie die genannten Vorschriften zeigen, sind Regelungen, die letztlich (auch) die Erstellung eines Bewegungsprofils ermöglichen, an viel höhere Voraussetzungen geknüpft; u.a. sollen solche Rückmeldungen nur möglich sein, wenn die Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung im Raum steht und gerade diese verhütet werden sollen (vgl. § 37 Abs. 1 NPOG, § 47 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 2 BKAG). Dass vergleichbar gewichtige Straftaten hier von der Klägerin gedroht hätten, ist nicht ersichtlich, zumal der Ausschreibungszeitraum insgesamt sehr lang war und ein konkreter zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ausschreibung und einer etwa drohenden - schweren - Straftat nicht angenommen werden kann.

Weitere mögliche Rechtsgrundlagen für die konkret vorgenommenen Ausschreibungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt, da die Klägerin die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten aufgrund des Streitgegenstandes für erforderlich halten durfte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.