Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.08.2008, Az.: 5 B 179/08

Beruftsfreiheit; Dienstleistungsfreiheit; Monopol; Niederlassungsfreiheit; Odsett; Sportwetten

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.08.2008
Aktenzeichen
5 B 179/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 45046
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2008:0813.5B179.08.0A

Amtlicher Leitsatz

Ob die Untersagung der gewerblichen Vermittlung privater Sportwetten nicht konzessionierter Veranstallter gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, bleibt im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes offen und kann erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Die aufgrund offener Erfolgsaussichten vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Veranstallter aus (Im Anschluss an die Entscheidung des Nds. OVG v. 08.07.2008 - 11 C 71/08 - unter Aufgabe der Rechtssprechung aus dem Beschluss vom 10.04.2008 - 5 B 4/08).

Tatbestand:

1

Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Verfügung des Antragsgegners, mit dem dieser ihm untersagt hat, Sportwetten für in Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter oder Anbieter zu vermitteln oder zu bewerben.

2

Der Antragsteller betreibt eine Wettannahmestelle, in der Sportwetten entgegengenommen und an ein in einem EU-Staat konzessioniertes Wettunternehmen vermittelt werden.

3

Mit Verfügung vom 15.07.2008 untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller, Sportwetten für in Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter oder Anbieter zu vermitteln oder zu bewerben. Er drohte außerdem ein Zwangsgeld in Höhe von 10 000,00 Euro an.

4

Dagegen hat der Antragsteller am  17.07.2008 Klage (5 A 178/08) erhoben und den hier streitgegenständlichen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung macht er geltend, das staatliche Monopol für die Durchführung von Sportwetten in Deutschland, dessen Ausfluss die angefochtene Verfügung sei, verstoße sowohl gegen nationales Verfassungsrecht als auch gegen Gemeinschaftsrecht. Die derzeitige Ausgestaltung des monopolisierten Wettangebots auf der Grundlage des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen (GlüStV) und des Niedersächsischen Glücksspielgesetzes vom 17.12.2007 (NGlüSpG) erfülle weder die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Anforderungen an die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines das Grundrecht aus Art. 12 GG beeinträchtigenden Monopolsystems noch die vom Europäischen Gerichtshof beschriebenen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer im Monopolsystem liegenden Einschränkung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit aus Art. 43 und 49 EGV.

5

Der Antragssteller beantragt sinngemäß,

  1. die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 17.07.2008 gegen die Untersagungsverfügung des Antragsgegners vom 15.07.2008 anzuordnen.

6

Der Antragsgegner beantragt,

  1. den Antrag abzuweisen.

7

Er widerspricht der Rechtsauffassung des Antragstellers.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen.

Gründe

9

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber nicht begründet.

10

Für den Erfolg eines zulässigen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist entscheidend, ob im Einzelfall dem Interesse des Antragstellers am Schutz vor Schaffung ihn belastender vollendeter Tatsachen auf Grund eines möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungsaktes oder dem Interesse Dritter oder der Behörde an einer Durchführung der mit dem Verwaltungsakt angeordneten Maßnahme auch vor einer abschließenden gerichtlichen Prüfung seiner Rechtmäßigkeit das größere Gewicht beizumessen ist. Im Rahmen der Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Verfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Ist dessen Ausgang offen, reduziert sich die Prüfung auf die Interessenabwägung.

11

Die Erfolgsaussichten der Klage gegen die angefochtene Verfügung sind nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren angebrachten summarischen Überprüfung offen und die Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

12

Rechtsgrundlage für die Untersagungsverfügung ist § 22 Abs. 4 Satz 2 NGlüSpG i.V.m. § 9 Abs. 3 GlüStV ( Nds. OVG, B.v. 08.07.2008 - 11 MC 71/08, www.dbovg.niedersachsen.de). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.

13

Der Antragsteller vermittelt ohne Erlaubnis die Annahme von Sportwetten eines nicht in Niedersachsen konzessionierten Veranstalters.

14

Die von dem Antragsteller vermittelten Sportwetten sind nach der Definition in § 3 GlüStV Glücksspiele im Sinne des Glücksspielstaatsvertrages und des Niedersächsischen Glücksspielgesetzes. Gem. § 4 GlüStV dürfen öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) ist verboten. Gem. § 3 NGlüSpG kann das Land mit der Veranstaltung oder Durchführung von Glücksspielen eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine privatrechtliche Gesellschaft, an der eine oder mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, beauftragen. Die Beauftragung erfolgt durch die Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 4 NGlüSpG.

15

Der Antragsteller verfügt selbst nicht über eine Erlaubnis zur Vermittlung und er hat auch nach der Gesetzeslage keinen Anspruch auf eine solche Erlaubnis. Denn nach § 4 Abs. 5 NGlüSpG darf eine Erlaubnis für das Vermitteln eines öffentlichen Glücksspiels nur erteilt werden, wenn die Veranstaltung dieses Glücksspiels in Niedersachsen erlaubt worden ist.

16

Die Firma "Happybet" verfügt nicht über eine Erlaubnis zur Veranstaltung dieses Glücksspiels in Niedersachsen. Die in Österreich erteilte Buchmacherbewilligung ist einer solchen Erlaubnis nicht gleichzustellen und es besteht auch unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten keine Verpflichtung der gegenseitigen Anerkennung. Insoweit hält die Kammer an ihrer bisherigen Rechsprechung (bereits Beschluss v. 09.08.2006 - 5 B 213/06 - www.dbovg.niedersachsen.de) und der bisherigen und aktuellen Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 19.12.2006 - 11 ME 253/06 - www.dbovg.niedersachsen.de; B.v. 08.07.2008, a.a.O.) fest. Der EuGH hat sich im Placanica-Urteil (v. 06.03.2007 - C-338, 359, 360/04) die gegenteilige Auffassung des Generalanwaltes Colomer gerade nicht zu Eigen gemacht.

17

Weder der Antragsteller noch die Firma "Happybet" verfügten demnach über eine Erlaubnis nach altem Recht bzw. besaßen nach altem Recht einen Anspruch auf die Erteilung dieser Erlaubnis (Beschluss der erkennenden Kammer a.a.O. und des Nds. OVG a.a.O.). Aus diesem Grunde scheidet auch die Anwendung der Übergangsregelungen des § 27 Abs. 1 NGlüSpG bzw. § 25 GlüStV, wonach "alte Konzessionen" weiter gelten, aus.

18

Zwar begegnen die gesetzliche Neuregelungen, wie sie in dem Zusammenspiel zwischen dem Niedersächsischen Glücksspielgesetz und dem Glücksspielstaatsvertrag zu sehen sind, und die tatsächliche Ausgestaltung der Veranstaltung von Sportwetten Bedenken hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit Art. 12 GG in der Auslegung, die dieser in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.03.2006 (a.a.O.) gefunden hat und hinsichtlich der Übereinstimmung mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit aus Art. 43 und 49 EGV. Jedoch führen diese Bedenken nach dem derzeitigen Kenntnisstand der beschließenden Kammer lediglich dazu, die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren als offen zu erachten.

19

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat mit seinem Beschluss vom 08.07.2008 (a.a.O.) Folgendes festgestellt:

20

Mit den am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen über die Vermittlung und Bewerbung von Sportwetten liege nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung kein Widerspruch zu höherrangigem Verfassungsrecht und damit kein Verstoß gegen Art. 12 GG vor. Denn die seit dem 1. Januar 2008 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen seien (noch) in zureichendem Maße von dem vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Artikel 12 GG vorgegebenen Ziel getragen, die Wettleidenschaft ernsthaft zu bekämpfen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht bezieht sich dazu auf eine umfangreiche Auflistung von gesetzlichen Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag und im Niedersächsischen Glücksspielgesetz sowie auch vom Antragsgegner dargelegte von ihm bisher ergriffene Maßnahmen. Diese Regelungen enthielten die vom Bundesverfassungsgericht geforderte gesetzliche Regelung von "Art und Zuschnitt der Sportwette" und es sei zulässig, die darüber hinausgehende detaillierte Ausgestaltung der Sportwetten der Exekutive zu überlassen, um eine Überfrachtung der gesetzlichen Vorschriften zu vermeiden. Zwar bestünden Bedenken, ob in Niedersachsen die Vorgabe des § 10 Abs. 3 GlüStV ("die Länder begrenzen die Zahl der Annahmestellen") in zureichendem Maße umgesetzt sei. Es sei aber zulässig, dass die keine konkreten Kriterien zur Begrenzung der Annahmestellen enthaltene Vorschrift des § 5 Abs. 5 NGlüSpG durch eine auf der Grundlage von § 24 Abs. 1 Nr. 2 NGlüSpG erlassene Verordnung konkretisiert würde, zumal ein Verordnungsgeber flexibler und schneller als der Gesetzgeber auf sich verändernde Verhältnisse reagieren und die Zahl der Annahmestellen verändern könne. Zwar sei die Zahl der Annahmestellen seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im März 2006 nicht nennenswert verringert worden, jedoch verhelfe diese gesetzlich und tatsächlich bislang unzureichende Umsetzung der Begrenzungspflicht der Klage jedenfalls nach der Beurteilung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht zum Erfolg. Denn aufgrund der Erklärungen des Antragsgegners sei davon auszugehen, dass der Erlass einer entsprechenden Verordnung in Niedersachsen vorbereitet werde und - unabhängig von den Gründen dafür - bleibe die Tatsache bestehen, dass in Niedersachsen die Zahl der Annahmestellen bereits seit Jahren rückläufig sei. Auch stünden die Vorschriften über die Werbung in § 5 GlüStV nach vorläufiger Prüfung nicht im Widerspruch zu dem Ziel der Bekämpfung der Wettleidenschaft, denn die dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung übergebenden "Werberichtlinien der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder zu § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV" stellen sicher, dass die Werbung den in § 5 Abs. 1 GlüStV niedergelegten Zielen entspricht. Im Hauptsachverfahren sei aber möglicherweise von Bedeutung, ob die Werbung in Zukunft tatsächlich entsprechend diesen Vorgaben beschränkt werde. Auch das in § 4 Abs. 4 GlüStV enthaltene Verbot des Glücksspiels im Internet sei insbesondere wegen der besonderen vom Internet-Glücksspiel ausgehenden Gefahren (leichte Verfügbarkeit, hohe Ereignisfrequenz, anonyme Spielteilnahme) grundsätzlich geeignet, an der Begrenzung der Spielsucht mitzuwirken. Auch ergäbe das tatsächliche Verhalten des Antragsgegners noch keinen Anlass, an der Ernsthaftigkeit der vom Antragsgegner verfolgten Bestrebung zur Bekämpfung der Spielsucht zu zweifeln. Diese Ernsthaftigkeit werde sich aber in der Zukunft auch daran messen lassen müssen, inwieweit die TLN als mittelbar staatliches Monopolunternehmen bereit sei, sich den im Wandel befindlichen Erwägungen und umsteuernden Bemühungen des Antragsgegners anzuschließen.

21

In den nach dieser vorläufigen Einschätzung der Bekämpfung der Spielsucht dienenden Regelungen sei in dem Verbot der Vermittlung an im EU-Ausland ansässige Veranstalter auch kein Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EGV, zu sehen. Zwar lägen zureichende Gutachten über das Suchtpotenzial von Sportwetten mit festen Gewinnquoten für den Zeitraum nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2006 nicht vor, jedoch sei der Rechtsprechung des EUGH auch nach Auffassung der Europäischen Kommission nicht zu entnehmen, dass eine solche Evaluierung vor Erlass der gesetzlichen Regelung stattfinden müsse und nicht - wie in § 27 GlüStV vorgesehen - eine begleitende Evaluierung ausreiche. Eine solche Evaluierung sei allerdings auch zwingend geboten. Diese müsse sich auch auf die Frage erstrecken, warum die Leistungserbringung durch einen staatlichen Anbieter besser zur Suchtbekämpfung geeignet sein solle, als die Leistungserbringung durch einen privaten Anbieter.

22

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass eine im Sinne der Rechtssprechung des EUGH und des Bundesverfassungsgerichts kohärente und systematische Bekämpfung der Spielsucht auch unter dem Blickwinkel des Art. 3 GG erfordere, dass der Gesetzgeber alle Sparten des Glücksspiels bewertend in den Blick nimmt. Eine solche Gesamtbetrachtung aller unterschiedlichen Bereiche des Glücksspiels erfordere allerdings nicht, dass der Spielleidenschaft der Bevölkerung auf die gleiche Art und Weise begegnet werden müsse, also z.B. der gesamte Bereich monopolisiert werden müsste. Nach Maßgabe des jeweils ermittelnden Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzials könnten vielmehr unterschiedliche Maßnahmen getroffen werden, es müsse jedoch erkennbar sein, dass dem ein Gesamtkonzept zugrunde liege und dass mit der Verwirklichung entsprechender Begrenzungen auch in anderen Sektoren des Glücksspiels zu rechnen sei. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung des Glücksspielmarktes ergäbe sich, dass die Regelungen über Sportwetten und Lotterien in weiten Teilen ein in diesem Sinne kohärentes System darstellten. In den in Niedersachsen wieder privatisierten zehn Spielbanken werde das Ziel der Suchtprävention durch eine besondere Überwachung erreicht und liege damit im vorgenannten System. Soweit die Lotto-Rheinland Pfalz GmbH als privates Unternehmen angesehen werden müsse, sei das Bestreben des Landes Rheinland-Pfalz, die Mehrheit der Anteile zu übernehmen, noch nicht endgültig gescheitert, denn gegen den diese Übernahme ablehnenden Beschluss des Kartellsenats des OLG Düsseldorf habe das Land Rheinland-Pfalz Rechtsbeschwerde eingelegt. Hinsichtlich der so genannten "DDR-Sportwetten" sei lediglich die in Thüringen ansässige Sportwetten Gera GmbH aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache zunächst tätig. Dieser eine Fall vermöge die Kohärenz der Glücksspielpolitik aller Voraussicht nach nicht in Frage zu stellen. Auch die zu den Sportwetten zu zählende Pferdewette, die seit 1922 konzessionierten privaten Buchmachern erlaubt sei, sei wegen ihres geringen, maximal 1 % betragenden Marktanteils am Glücksspielmarkt von untergeordneter Bedeutung.

23

Es sei jedoch als offen anzusehen, ob die Regelungen der Sportwetten/Lotterien einerseits und der gewerblichen Geldspielautomaten nach §§ 33 c ff. der Gewerbeordnung einer kohärenten und systematischen Glücksspielpolitik entsprächen. Der Anteil dieses Spiels am Glücksspielmarkt betrage 21,5 % und sei mit dem Anteil der Sportwetten von 29,9 % vergleichbar. Zu beachten sei, dass nach den bisher vorliegenden Gutachten bei weitem die meisten Spieler mit problematischen oder pathologischen Spielverhalten an den Geldspielautomaten nach der Gewerbeordnung spielten. Jedoch führe diese auf den ersten Blick widersprüchliche Regelung nicht ohne weiteres zur Bejahung einer inkohärenten Regelung auf dem Gesamtglücksspielmarkt. Es sei dem gesetzgeberischen Ermessen überlassen, wie er die Regelung gestalte, die ihrer Zielsetzung nach jeweils der Bekämpfung der Wettsucht in zureichendem Maße diene. Die Eignung der aktuellen Regelung, der Spielsucht zu begegnen, könne angesichts der vorliegenden widersprechenden Stellungnahme derzeit nicht eindeutig beurteilt werden. Eine weitere Aufklärung müsste dem Hauptsacheverfahren vorbehalten werden.

24

Die angesichts der offenen Beurteilung der Rechtsfrage in der Hauptsache zu treffende Interessenabwägung gehe zum derzeitigen Zeitpunkt zu Lasten des Antragstellers aus. Bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde ein Marktgeschehen eröffnet, dessen Dynamik es erheblich erschweren würde, dass Wettmonopol später - sollte es in der Hauptsache bestätigt werden - mittels Verwaltungszwang durchzusetzen, weil bereits in der Übergangszeit mit einer erheblichen Ausweitung des illegalen Wettangebots zu rechnen sei. Dies sei daraus zu schließen, dass es derzeit bereits rund 290 private Wettbüros in Niedersachsen gäbe und zudem 696 Vermittler bekannt seien, von denen 224 aktiv eine Wettvermittlung betrieben. Der durch eine unerwünschte Ausweitung des Glücksspielmarktes entstehende Schaden werde, je länger gegen das Verbot verstoßen werde, um so schwerer zu bekämpfen sein. Dem Schutz der Bevölkerung, dem ein hoher Stellenwert zukomme, stünden keine gleichwertigen Interessen der privaten Sportwettanbieter gegenüber. Die Antragsteller müssten sich zurechnen lassen, dass sie ihr Gewerbe während einer unklaren rechtlichen Situation begründet hätten. Zum selben Ergebnis käme die Abwägung bei der Annahme, das Staatsmonopol würde im Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben. Eine dann zu erwartende gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstalter und Vermittler werde nur für bedeutend weniger als die derzeit auf dem Markt befindlichen privaten Wettanbieter eine Genehmigungsmöglichkeit eröffnen dürfen. Auch zur effektiven Durchsetzung einer etwaigen derartigen gesetzlichen Regelung sei es daher erforderlich, die große Anzahl der illegalen Wettunternehmen zurückzuführen. Die Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz unter Auflagen zur Suchtprävention zu gewähren, stelle kein geeignetes Mittel zur Begrenzung der Spielsucht dar, denn bei der großen Anzahl der privaten Anbieter bestünden Zweifel, dass die Aufsichtsbehörde die Einhaltung derartiger Auflagen aktuell in zureichendem Maße kontrollieren könne.

25

Dieser Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts schließt sich die beschließende Kammer unter Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsprechung an.

26

Damit berücksichtigt die beschließende Kammer im Rahmen der Interessenabwägung auch die gesetzgeberische Grundentscheidung des § 9 Abs. 2 GlüStV, wonach der Klage gegen Anordnungen im Rahmen der Glücksspielaussicht keine aufschiebende Wirkung mehr zukommt. Der Gesetzgeber hat damit grundsätzlich einen Vorrang des Vollzugsinteresses angeordnet. Bei offenen Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren scheidet demnach im Hinblick auf diese gesetzgeberische Grundentscheidung oder in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 80 Abs. Abs. 4 Satz 3 VwGO regelmäßig die Anordnung der aufschiebenden Wirkung aus (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 80 Rn. 114, m.w.N.).

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Hinsichtlich der bisher von der Kammer vertretenen Auffassung, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem März 2006 erfordere nicht nur eine Verringerung der Zahl der Annahmestellen, sondern eine Veränderung der Struktur des Vertriebssystems, ist zu bemerken, dass die vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) zitierten Gutachter Meyer und Heyer offenbar eine besondere Gefährdung annehmen, wenn Sportwetten in besonderen Lokalitäten angenommen würden, in denen sich eine "Zocker-Szene" bilde (vgl. Reeckmann, Die Bedeutung der Spielsucht im Glücksspielrecht, www.reeckmann.de, Seite 15). Danach wird auch insoweit im Hauptsacheverfahren bzw. in der vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht ausdrücklich geforderten Evaluation zu klären sein, welcher Art des Vertriebs dem Suchtpotenzial besser entgegentritt.