Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 08.11.2012, Az.: 2 A 5601/10

Anlassbeurteilung; Berurteilungsbeitrag; Beurteilungsmaßstab; Beurteilungsrichtlinien; Zuständigkeit; Erstbeurteiler

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
08.11.2012
Aktenzeichen
2 A 5601/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44479
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Zuständigkeit des Erstbeurteilers nach den Allgemenen Richtlinien für die dienstliche Beruteilung der Beschäftigten im unmittelbaren Landesdienst.
2. Zur Einbeziehung einer während des Beurteilungszeitraums angefertigten Anlassbeurteilung in eine nachfolgende Regelbeurteilung.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger erneut zum Stichtag 01.10.2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts dienstlich zu beurteilen. Der Bescheid der Beklagten vom 28.06.2010 und ihr Widerspruchsbescheid vom 03.11.2010 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der D. geborene Kläger steht als Polizeioberkommissar (Besoldungsgruppe A10) im Dienst des Landes Niedersachsen. Er versieht seinen Dienst als Sachbearbeiter E. in der F. (G.) der Beklagten.

Zum 01.10.2008 wurde der Kläger für den Beurteilungszeitraum 01.10.2005 bis 30.09.2008 auf der Grundlage der Allgemeinen Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beschäftigten im unmittelbaren Landesdienst (BRL) dienstlich beurteilt. Als Erstbeurteiler ist in der dienstlichen Beurteilung H., als Zweitbeurteiler der I. und J. aufgeführt. In der Beurteilung findet sich der Hinweis, dass K. und L. als frühere Vorgesetzte Beurteilungsbeiträge geleistet haben.

Die dienstliche Beurteilung endete mit dem Gesamturteil „D“ - entspricht im Allgemeinen den Anforderungen. Diese Bewertung ist nach dem fünfstufigen Bewertungssystem gem. Nr. 6.3 BRL die zweitschlechteste Notenstufe. Nach Mitteilung der Beklagten gehört der Kläger mit dieser Beurteilung zu den 1 % der am schwächsten bewerteten Mitarbeiter seiner Vergleichsgruppe.

Am 31.03.2010 erhob der Kläger Einwände gegen diese Beurteilung. Er machte geltend, das Gesamturteil sei nicht plausibel, weil er überwiegend mit „C“ in den Einzelmerkmalen beurteilt worden sei. Außerdem stehe das Ergebnis der Beurteilung im Widerspruch zu einer Anlassbeurteilung, die ihm aus Anlass einer Bewerbung für einen höherwertigen Dienstposten für die Zeit vom 16.04.2004 bis 15.05.2007 ausgestellt worden sei und in der er noch mit dem Gesamtergebnis „B“ - übertrifft erheblich die Anforderungen - beurteilt worden sei.

Mit Bescheid vom 28.06.2010 lehnte die Beklagte eine Änderung der Beurteilung ab. Zur Begründung führte sie aus, die Einzelbewertungen widersprächen nicht dem Gesamturteil, dieses sei plausibel. Die Anlassbeurteilung, auf die der Kläger Bezug nehme, habe nur eine beschränkte Aussagekraft. Die Bewertungen der Anlassbeurteilung seien in die Regelbeurteilung eingeflossen. Im Übrigen sei der Maßstab für die Regelbeurteilung zum 01.10.2008 deutlich strenger, als dies noch unter Geltung der alten Beurteilungsrichtlinien, die bis zum 01.01.2007 Gültigkeit gehabt hätten, der Fall gewesen sei.

Daraufhin legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom 03.11.2010 mit folgender Begründung zurückwies: Die Anlassbeurteilung, die der Kläger im Beurteilungszeitraum erhalten habe, sei wie ein Beurteilungsbeitrag behandelt worden. Der von dem Kläger angefochtenen Regelbeurteilung liege ein neuer, strengerer Beurteilungsmaßstab zugrunde. Für die Anlassbeurteilung habe noch der alte, sehr großzügige Maßstab gegolten.

Am 01.12.2010 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Er bleibe dabei, dass die Gesamtwertung mit „C“ angesichts der Bewertung der Einzelmerkmale unplausibel sei. Im Übrigen sei er auch in sämtlichen früheren Beurteilungen mit „übertrifft erheblich die Anforderungen“ beurteilt worden. Das gelte insbesondere auch für die Anlassbeurteilung vom 16.04.2004 bis 15.05.2007, die sich zeitlich zu 50 % mit der angefochtenen Regelbeurteilung decke. Die neuen Beurteilungsrichtlinien hätten auch schon für diese Anlassbeurteilung gegolten. Wenn er nunmehr mit „D“ bewertet werde, lasse sich dies nur damit erklären, dass er für die Zeit nach der Anlassbeurteilung, also für den 16.05.2007 bis 30.09.2008 mit „E“ bewertet worden sein müsste. Ihm sei aber niemals vorgehalten worden, dass seine Leistungen derart abgefallen seien. Nur mit einem Leistungsabfall lasse sich das Gesamturteil „D“ erklären. In solch einem Fall seien Personalführungsgespräche unerlässlich. Diese hätten im Beurteilungszeitraum nicht stattgefunden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 28.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zum Stichtag 01.10.2008 dienstlich zu beurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor:

Die Gesamtbewertung mit „D“ erkläre sich daraus, dass der Kläger im Beurteilungszeitraum sehr schwache Leistungen gezeigt habe. In einer ausführlichen dienstlichen Erklärung des zuständigen Erstbeurteilers M. werde deutlich, warum die Arbeitsleistungen des Klägers im Beurteilungszeitraum nur im Allgemeinen den Anforderungen entsprächen. Der Kläger sei durch eine umständliche Arbeitsweise und merkwürdige Auftritte und Artikulation bei verschiedenen Ämtern in Niedersachsen, etwa beim N., aufgefallen, mit denen er dienstlichen Kontakt gehabt habe. Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes O. und P. könnten als Zeugen dazu gehört werden, dass die Auftritte des Klägers als konfus empfunden worden seien und für erhebliche Irritationen gesorgt hätten. Über die Defizite des Klägers könnten auch ihre Mitarbeiter Q. und R. Auskunft geben. Im Übrigen werde insoweit auf die dienstlichen Erklärungen des Erstbeurteilers M. Bezug genommen.

Erstbeurteiler und Verfasser der Anlassbeurteilung sei K. gewesen. Dessen Anlassbeurteilung sei als Beurteilungsbeitrag in die Gesamtbewertung einbezogen worden. Von dem früheren Erstbeurteiler S. liege ein mündlicher Beurteilungsbeitrag vor.

Die Anlassbeurteilung sei unter einem sehr großzügigen Beurteilungsmaßstab erfolgt, sie sei von zu starkem Wohlwollen getragen, wie der Erstbeurteiler selbst ausgeführt habe. Ein Hinweis an den Kläger, dass ein Leistungsabfall vorliege, sei nicht erforderlich gewesen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beklagten zu den von ihr festgestellten Schwächen der dienstlichen Leistungen des Klägers wird auf ihre Schriftsätze und insbesondere die dienstlichen Erklärungen des Erstbeurteilers M. vom 30.08.2012 und vom 24.10.2012 Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage entscheidet der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen worden ist. Das Urteil ergeht ohne (weitere) mündliche Verhandlung; die Beteiligten haben hierzu gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis erklärt.

Die Klage ist Verpflichtungsklage zulässig und begründet. Die Beurteilung des Klägers ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten. Er hat damit Anspruch auf eine neue dienstliche Beurteilung zum Beurteilungsstichtag 01.10.2008.

Dienstliche Beurteilungen sind verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich gegenüber der dem Dienstherrn eingeräumten Beurteilungsermächtigung darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr - wie hier mit den Allgemeinen Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beschäftigten im unmittelbaren Landesdienst (BRL), die zum 01.01.2007 in Kraft getreten sind - Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen im Einklang stehen (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398; Nds. OVG, Beschluss vom 18. Juni 2007 - 5 ME 117/07 -, IÖD 2007, 194). Das Gesamturteil der dienstlichen Beurteilung muss nach außen erkennbar aus der Bewertung und Gewichtung der einzelnen Leistungs- und Befähigungsmerkmale entwickelt und hinreichend plausibel gemacht werden. Zu beurteilen sind die innerhalb des Beurteilungszeitraums gezeigten Leistungen. Nur diese können und müssen in Bezug zu der jeweiligen Vergleichsgruppe gesetzt werden. Das gefundene Gesamturteil muss mit den Einzelbewertungen vereinbar sein und darf nicht in einem unlösbaren Widerspruch zu den Einzelbewertungen stehen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Oktober 2009 - 5 ME 175/09 -, zitiert nach juris m. w. N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die dienstliche Beurteilung des Klägers zum Beurteilungsstichtag 01.10.2008 rechtlich zu beanstanden. Die Beurteilung ist zwar verfahrensfehlerfrei zustande gekommen; insbesondere begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass der H. als Erstbeurteiler fungiert hat (1.). Die Gesamtbewertung mit „D“ - entspricht im Allgemeinen den Anforderungen - sowie die Bewertung diverser Einzelleistungs- und Befähigungsmerkmale ist aber nicht hinreichend plausibel (2.).

1. Die dienstliche Beurteilung des Klägers zum Stichtag 01.10.2008 beruht auf einem ordnungsgemäßen Verfahren. Insbesondere wurde die Beurteilung von dem zuständigen Erst- und Zweitbeurteiler erstellt. Die Zuständigkeit für die Erst- und Zweitbeurteilung ist in Ziffer 9.3 BRL geregelt. In Absatz 2 dieser Vorschrift heißt es, dass Erstbeurteiler in der Regel die unmittelbaren Vorgesetzten sein sollen. Andere Vorgesetzte sollen für die Erstbeurteilung nur dann zuständig sein, wenn die unmittelbaren Vorgesetzten für weniger als drei Personen Führungsverantwortung tragen und wenn sie in der Lage sind, sich aus eigener Anschauung ein Urteil über die oder den zu Beurteilenden zu bilden; einzelne Arbeitskontakte oder ein kurzfristiger Einblick in die Arbeit reichen hierfür nicht aus.

Auf der Grundlage dieser Bestimmung wäre H. nicht der zuständige Erstbeurteiler, weil er zum Beurteilungsstichtag 01.10.2008 nicht mehr der unmittelbare Vorgesetzte des Klägers war, sondern L. diese Funktion innehatte. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer kommt es nämlich für die Frage der Zuständigkeit für die Erst- und Zweitbeurteilung auf den Beurteilungsstichtag an. Zwar regeln die BRL unter ihrer Ziffer 9.3 den von der Kammer für richtig gehaltenen zeitlichen Bezugspunkt selbst nicht ausdrücklich. Ihr ist aber aus einer Vielzahl vergleichbarer Verfahren bekannt, dass die Landesbehörden Beurteilungsrichtlinien  in dem Sinne anwenden, dass sie zur Erst- und Zweitbeurteilung die Vorgesetzten bestimmen, die diese Funktionen zum maßgeblichen Beurteilungsstichtag innehatten. Wird diese - vom Gericht im Übrigen auch für sinnvoll erachtete - Praxis ständig angewandt, so tritt sie ergänzend zu den in Form von Verwaltungsvorschriften erlassenen Beurteilungsrichtlinien hinzu.

Die dienstliche Beurteilung ist damit aber nicht durch den falschen Erstbeurteiler verfasst worden und deshalb verfahrensfehlerhaft. Denn zum einen enthält die Regelung in den Beurteilungsrichtlinien eine „Sollvorschrift“, die die Zuständigkeit für die Erstellung der Beurteilung zwar für den Regelfall, nicht aber zwingend festlegtt.  Zum anderen ist der H. zuständig, weil sich dies aus einem Erlass des MI vom 18.10.2007 ergibt, denn dort ist geregelt, dass zuständig für die Erstbeurteilung grundsätzlich der Referatsleiter (das wäre hier Herr M.), nicht der Referatsteilleiter (das wäre hier der unmittelbare Vorgesetzte T.) ist. Die Gründe, warum mit dem Erlass des MI vom 18.10.2007 in Abweichung von den BRL bestimmt worden ist, dass der Referatsleiter zuständiger Erstbeurteiler ist, auch wenn der Referatsteilleiter die Funktion eines unmittelbaren Vorgesetzten wahrnimmt, hat die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung damit erläutert, dass es beim MI eine Vielzahl von sehr kleinen Teilreferaten gibt. Es seien auch Referatsteilleiter mit Führungsverantwortung für weniger als drei Personen eingesetzt. Deshalb sei die Notwendigkeit gesehen worden, für das gesamte MI eine Regelung zu treffen, dass die Beurteilungszuständigkeit bei den Referatsleitern mit hinreichend großen Personalzuständigkeiten liege. Das Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung sei der sachliche Grund dafür, dass mit der Verfügung des MI vom 18.10.2007 eine Zuständigkeit der Referatsleiter für die Erstbeurteilung vorgesehen worden sei, auch wenn diese nicht unmittelbare Vorgesetzte seien. Es sei insbesondere darum gegangen, eine Regelung zu treffen, die für das ganze Haus umsetzbar sei und die unterschiedlichen Voraussetzungen in den einzelnen Abteilungen in den Blick nehme.

Die Vertreterin der Beklagten hat damit sachliche Gründe dargelegt, die es rechtfertigen, von der Sollvorschrift in Ziffer 9.3 Absatz 2 BRL abzuweichen und nicht den unmittelbaren Vorgesetzten als Erstbeurteiler heranzuziehen. Im Übrigen handelt es sich bei den BRL - genauso wie bei dem Erlass des MI vom 18.10.2007 - um Verwaltungsvorschriften, die nicht wie Gesetze streng nach Wortlaut auszulegen sind, sondern bei denen es auf die von dem Urheber gebilligte bzw. tatsächlich geduldete Verwaltungspraxis ankommt. Dies beruht darauf, dass Verwaltungsvorschriften letztlich Willenserklärungen der erlassenen Stelle sind, deren Auslegung sich nach den Grundsätzen des § 133 BGB richtet, und zwar selbst dann, wenn die Praxis vom Wortlaut der Verwaltungsvorschrift abweichen sollte. Wenn sich im Bereich des MI eine von den BRL abweichende Verwaltungspraxis herausgebildet hat, ist dies deshalb nicht zu beanstanden.

2. Die dienstliche Beurteilung ist aber fehlerhaft, weil die Gesamtbewertung mit „D“ nicht hinreichend plausibel ist. Der Kläger ist aus Anlass einer Bewerbung während des Beurteilungszeitraums, und zwar für den Zeitraum vom 16.04.2004 bis 15.05.2007 dienstlich beurteilt worden. Die Anlassbeurteilung endete mit dem Gesamtergebnis der Rangstufe „B“ - übertrifft erheblich die Anforderungen. Diese Anlassbeurteilung hat die Beklagte nicht korrekt in die Regelbeurteilung einbezogen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass der von einer Anlassbeurteilung erfasste Beurteilungszeitraum in den Beurteilungszeitraum einer nachfolgenden Regelbeurteilung einbezogen werden kann. Die Beklagte hat insoweit angegeben, sie habe die während des Regelbeurteilungszeitraums angefertigte Anlassbeurteilung in die Regelbeurteilung einbezogen und dabei wie einen Beurteilungsbeitrag behandelt. Das Gericht hat aber den Eindruck gewonnen, dass die Beklagte die Anlassbeurteilung nur „pro forma“ als Beurteilungsbeitrag qualifiziert, in Wirklichkeit aber die Wertungen der Anlassbeurteilungen gänzlich unbeachtet gelassen und sie nicht inhaltlich und in Bezug auf den von ihr erfassten Zeitraum in die Regelbeurteilung einbezogen hat.

Die bereits auf der Grundlage der zum 01.01.2007 in Kraft getretenen BRL ergangene Anlassbeurteilung ist im Vergleich zu der hier angefochtenen Regelbeurteilung im Gesamtergebnis um zwei Rangstufen besser ausgefallen. Ähnlich eklatante Abweichungen zeigen sich in den Einzelmerkmalen. So ist der Kläger in der Anlassbeurteilung in den Bereichen „Arbeitsplanung“, „schriftliche Ausdrucksweise“ und „Kooperation“ mit „B“ - übertrifft erheblich die Anforderungen - beurteilt worden, in dem Bereich mündliche Ausdrucksweise mit „C“ - entspricht voll den Anforderungen. In der Regelbeurteilung lauten die Bewertungen der Einzelmerkmale „Arbeitsplanung“, „schriftliche Ausdrucksweise“ und „Kooperation“ auf „D“ - entspricht im Allgemeinen den Anforderungen. In dem Merkmal „mündliche Ausdrucksweise“ ist der Kläger auf die Rangstufe „E“ - entspricht nicht den Anforderungen - zurückgefallen. Deutlich Abwertungen erfolgten auch  bezüglich der Befähigungseinschätzungen. So ist der Kläger im Bezug auf „Kollegialität“ und „adressaten und kundenorientiertes Verhalten“ in der Anlassbeurteilung noch mit dem stärksten Ausprägungsgrad „A“ (besonders stark ausgeprägt) bewertet worden, in der Regelbeurteilung dagegen nur mit „C“ (normal ausgeprägt). Im „Umgang mit Konfliktsituationen“ wird dem Kläger in der Anlassbeurteilung ein „B“ (stark ausgeprägt) bescheinigt, in der Regelbeurteilung die schwächste Bewertung „D“ (schwach ausgeprägt).

Die Gesamtbewertung der angefochtenen Regelbeurteilung und die Bewertung der aufgeführten Einzelleistungs- und Befähigungsmerkmale sind im Hinblick auf die deutlich abweichenden Bewertungen der Anlassbeurteilung nicht hinreichend plausibel. Dies beruht darauf, dass die Anlassbeurteilung den Beurteilungszeitraum vom 16.04.2004 bis zum 15.04.2007 umfasst und damit mehr als die Hälfte des Beurteilungszeitraums der Regelbeurteilung abdeckt, nämlich die Zeit vom 01.10.2005 bis 15.05.2007. Ein Jahr und 7,5 Monate des insgesamt dreijährigen Beurteilungszeitraums der Regelbeurteilung sind damit auch von der Anlassbeurteilung erfasst. Dies bedeutet, dass dem Kläger von dem dreijährigen Beurteilungszeitraum für mehr als die Hälfte dieses Zeitraums durch eine dienstliche Beurteilung der Beklagten bescheinigt wurde, dass seine dienstlichen Leistungen die Anforderungen erheblich übertreffen. Nach 6.3 BRL ist diese Bewertung für Beschäftigte vorgesehen, die aufgrund ihrer Leistung erheblich herausragen und sich bei der Erledigung schwieriger Aufgaben besonders bewähren. Im Hinblick auf die dem Kläger für über die Hälfte des Beurteilungszeitraums bescheinigten herausragenden Leistungen und die ihm zugesprochene besondere Bewährung ist nicht nachvollziehbar, dass dem Kläger in der Regelbeurteilung bescheinigt wird, dass er nur mit der Rangstufe „D“ zu bewerten ist, weil seine Leistungen - so lautet die Notendefinition in den BRL - wegen einiger Mängel nicht mehr dem durchschnittlichen Bereich zuzuordnen ist.

Diese Diskrepanz lässt sich nicht damit erklären, dass für die Anlassbeurteilung noch ein großzügiger Bewertungsmaßstab angewendet worden ist als bei der 2008 erstellten Regelbeurteilung. Dass es in diesem Zeitraum zu einer Maßstabsverschärfung gekommen ist, hat die Beklagte zwar unter Bezugnahme auf Protokolle von Besprechungen von Behördenleitung und Beurteilungskommissionen im Bereich der Beklagten, die bei Einführung der neuen Beurteilungsrichtlinien stattgefunden haben, nachgewiesen. Dies allein macht die dem Kläger ausgestellte schwache Beurteilung zum Stichtag 01.10.2008 jedoch nicht hinreichend plausibel. Denn auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es nach Erlass der Anlassbeurteilung in der Beurteilungspraxis der Beklagten zu einer Maßstabsverschärfung gekommen ist, bleibt es dabei, dass dem Kläger für mehr als die Hälfte die Beurteilungszeitraums herausragende und weit überdurchschnittliche Leistungen in einer bestandskräftig gewordenen Beurteilung bescheinigt worden sind. Es kommt hinzu, dass die Anlassbeurteilung und die Regelbeurteilung von demselben Zeitbeurteiler unterzeichnet  worden sind. Beide Beurteilungen wurden von dem I. en U. verantwortet. Allein mit Hinweis auf eine Maßstabsverschärfung lässt sich nicht erklären, warum der Zweitbeurteiler die Leistungen des Klägers weniger als 1 1/2 Jahre nach der Anlassbeurteilung soviel schlechter beurteilt und ihn zunächst als weit überdurchschnittlich leistungsfähigen Beamten qualifiziert, in der Regelbeurteilung dann aber nur noch zu den 1 % der am schlechtesten beurteilten Beamten seine Vergleichsgruppe rechnet.

Das Gericht konnte deshalb nicht den Eindruck gewinnen, dass die Beklagte tatsächlich, wie sie behauptet, die Anlassbeurteilung des Klägers wertend - wie einen Beurteilungsbeitrag - in die Regelbeurteilung einbezogen hat. Die Beklagte hat die Anlassbeurteilung vielmehr vollkommen außer Acht gelassen, weil sie sie für falsch hält. Sie hat insoweit unter Bezugnahme auf eingeholte Stellungnahmen insbesondere des Erstbeurteilers M. dokumentiert, welche erheblichen Schwächen der Kläger in seinen dienstlichen Leistungen zeigt. Dabei hat die Beklagte unter Berufung auf Zeugen dargelegt, dass sich die Unsicherheiten und Schwächen des Klägers in seinem dienstlichen Verhalten auch in seinem Umgang mit Mitarbeitern des V. gezeigt haben. Die Einschätzung der Beklagten, die durch die Ausführungen des Erstbeurteilers substantiiert wird, mag den Tatsachen entsprechen. Sie kann vor dem Hintergrund der Anlassbeurteilung aber nur Schwächen des Klägers in seinen dienstlichen Leistungen in der Zeit von Mitte Mai 2007 bis zum Ende des Beurteilungszeitraums am 30.09.2008 dokumentieren. Für die Zeit bis Mitte 2007, also für mehr die Hälfte des Beurteilungszeitraums, kann die Beklagte dagegen aus den genannten Gründen nicht damit gehört werden, der Kläger habe eklatante Schwächen in seinem dienstlichen Verhalten gezeigt, weil sie ihm für diesen Zeitraum bescheinigt hat, dass er sehr gute Arbeit geleistet hat. Auch wenn die Beklagte nicht gehalten ist, die Bewertungen einer Anlassbeurteilung (auch nicht für den Zeitraum, auf den sich die Anlassbeurteilung erstreckt) ohne kritische Würdigung dieser Bewertung in einer Regelbeurteilung zu übernehmen, so ist es ihr doch verwehrt, die Bewertungen einer von ihr selbst verantworteten Anlassbeurteilung als irrelevant unberücksichtigt zu lassen.

Die Beklagte ist daher verpflichtet, dem Kläger eine neue Beurteilung zum Stichtag 01.10.2008 zu erstellen und dabei die Feststellungen der Anlassbeurteilung angemessen bei der Bewertung der Einzelleistungs- und Befähigungsmerkmale sowie bei der Festsetzung des Gesamturteils zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf § 708 Nr. 11 ZPO.