Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 21.11.2012, Az.: 11 A 5260/10

Doppelbestrafung; Durchführung; Jahresfrist; Prognose; Steuerstraftat; Strafbefehl; Zuverlässigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
21.11.2012
Aktenzeichen
11 A 5260/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44487
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Jahresfrist des § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO ist nur erfüllt, wenn die Untersagung danach grundsätzlich mindestens ein Jahr vollzogen gewesen ist, egal ob freiwillig beachtet oder zwangsweise durchgesetzt.
Die Wiedererlangung der Zuverlässigkeit ist eine der Voraussetzungen für die Anwendung des § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand:

Mit Bescheid vom 26.05.2008 untersagte die Beklagte dem 1962 in D. /Iran geborenen Kläger die selbstständige Ausübung des Gewerbes „Hotel" und die selbstständige Ausübung jeder dem Anwendungsbereich des § 35 Gewerbeordnung (GewO) unterliegenden gewerblichen Tätigkeit sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes Beauftragter und widerrief gleichzeitig die ihm mit Bescheid vom 22.11.1998 in der gültigen Fassung vom 26.04.2002 für seine Schankwirtschaft (Betriebsart: Bierrestaurant) auf dem Grundstück E. 53 in F. erteilte Erlaubnis wegen persönlicher Unzuverlässigkeit. Der Kläger war seinen öffentlich-rechtlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten gegenüber dem Finanzamt F. -Süd nicht nachgekommen und wurde seinerzeit mit Abgabenrückständen in Höhe von 118.164,39 Euro geführt. Die Zulassung der Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin vom 05.08.2009 (Az.: 11 A 3211/08) wurde mit unanfechtbarem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 04.06.2010 (Az.: 7 LA 92/09) abgelehnt.

Den Antrag des Klägers auf Wiedergestattung des untersagten Gewerbes vom 05.07.2010 lehnte die Beklagte nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 01.11.2010 ab und setzte gleichzeitig die Kosten des Verwaltungsverfahrens auf insgesamt 220,23 Euro fest.

Zur Begründung wurde ausgeführt, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Gewerbeuntersagungsverfügung noch nicht bekannten Steuerstraftaten des Klägers rechtfertigten weiterhin die Annahme seiner Unzuverlässigkeit. Die Einsicht der Ermittlungsakten habe ergeben, dass der Kläger es unterlassen habe, für das Jahr 2005 eine Einkommenssteuererklärung einzureichen, obwohl er steuerpflichtige Einkünfte aus den Betrieben "Hotel G. " und "Hotel H. " erzielt habe, und dadurch Einkommenssteuer in Höhe von 1.452,00 Euro verkürzt habe. Darüber hinaus habe der Kläger es unterlassen, eine Umsatzsteuerklärung für das Jahr 2005 einzureichen, obwohl er steuerpflichtige Umsätze aus den beiden Betrieben erzielt habe, und dadurch Umsatzsteuer in Höhe von 30.457,43 Euro verkürzt habe. Wegen dieser Steuerstraftaten habe das Amtsgericht I. gegen ihn mit Strafbefehl vom 18.08.2008, rechtskräftig seit dem 06.09.2008, eine Gesamtstrafe von 180 Tagessätzen zu je 50,00 Euro festgesetzt.

Auch die gesetzliche Jahresfrist sei noch nicht verstrichen, da der Kläger den Betrieb des untersagten Gewerbes verbotswidrig fortgesetzt habe.

Nach §§ 1, 5 NVwKostG in Verbindung mit Ziffer 40.1.15.3 des Kostentarifs zur AllGO werde eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 218,00 Euro zuzüglich Auslagen für Postgebühren in Höhe von 2,23 Euro erhoben. Für die Bearbeitung des Antrags des Klägers sei ein Zeitaufwand von 4 Stunden angefallen. Der Stundensatz betrage 56,00 Euro.

Der Kläger hat am 10.11.2010 Klage erhoben.

Er trägt vor, er habe einen Anspruch auf Wiedergestattung des untersagten Gewerbes. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit liege nicht mehr vor. Die Prognoseentscheidung der Beklagten lasse außer Acht, dass er trotz der unternehmerischen Fehlentscheidung im Jahr 2005 und den daraus resultierenden betrieblichen und familiären Schwierigkeiten seine öffentlich-rechtlichen Zahlungspflichten erfüllt und die Steuerschuld vollständig abgetragen habe. Durch die Versagung der beantragten Wiedergestattung des untersagten Gewerbes unter Berufung auf die aus seiner unternehmerischen Fehlentscheidung resultierenden Steuerstraftat aus dem Jahre 2005 werde er gleichsam doppelt bestraft. Er habe sein Gewerbe trotz der seit August 2009 rechtskräftigen Gewerbeuntersagung weiter ausgeübt, weil er andernfalls seine Verbindlichkeiten und seine Unterhaltsverpflichtungen nicht habe erfüllen können.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 01.11.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Ausübung des untersagten Gewerbes wieder zu gestatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und bezieht sich auf die angefochtene Verfügung. Ergänzend macht sie geltend, der Kläger verfüge weiterhin nicht über die vorausgesetzte Zuverlässigkeit.

Die vom Kläger begangenen Straftaten seien nicht aus dem Bundeszentralregister getilgt und damit grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Der vom Kläger zitierte Rechtsprechung zur unzulässigen Doppelbestrafung lägen nicht vergleichbare Sachverhalte zugrunde. Die von ihm begangenen Straftaten belegten, dass er über die finanzielle Unzuverlässigkeit hinaus auch in zurechenbarer schuldhafter für die Schädigung des Fiskus verantwortlich sei, auch wenn keine öffentlich-rechtlichen Abgabenrückstände mehr bekannt seien.

Darüber hinaus belegten die im Rahmen eines Einbürgerungsantrages des Klägers eingereichten Unterlagen, dass der Kläger sein Gewerbe trotz der seit August 2009 rechtskräftigen Gewerbeuntersagung weiter ausgeübt habe, obwohl er von dem dort angegebenen Vermögen hätte leben oder den Hotelbetrieb für ein Jahr habe verpachten können. Damit zeige der Kläger, dass er offensichtlich nicht gewillt sei, sich an das geltende Gewerberecht zu halten. Die Jahresfrist für die Wiedergestattung sei nicht einmal angelaufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in den Verfahren 11 A 3211/08 und 7 LA 92/09 sowie die vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Nach § 6 Abs. 1 VwGO entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gestattung der Wiederaufnahme des untersagten Gewerbes. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 01.11.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Nach § 35 Abs. 6 GewO ist dem Gewerbetreibenden von der zuständigen Behörde auf Grund eines an die Behörde zu richtenden schriftlichen Antrages die persönliche Ausübung des Gewerbes wieder zu gestatten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Unzuverlässigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO nicht mehr vorliegt. Vor Ablauf eines Jahres nach Durchführung der Untersagungsverfügung kann die Wiederaufnahme nur gestattet werden, wenn hierfür besondere Gründe vorliegen.

Der Kläger hat schon nicht die Jahresfrist des § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO erfüllt.

Die Untersagung muss danach grundsätzlich ein Jahr durchgeführt sein. Durchführung bedeutet, dass die Untersagung mindestens ein Jahr vollzogen gewesen ist, egal ob freiwillig beachtet oder zwangsweise durchgesetzt (vgl. Landmann/Rohmer, GewO, § 35 Rdnr. 175 m.w.N.). Nach den von der Beklagten im Klageverfahren vorgelegten Dokumente und dem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger sein Gewerbe trotz der seit August 2009 rechtskräftigen Gewerbeuntersagung weiter ausgeübt, so dass die Jahresfrist damit bislang nicht einmal angelaufen ist. In dem Einbürgerungsantrag vom 27.07.2012 gibt der Kläger an, dass er seit 1987 selbständig als Hotelier tätig ist und im Monat aus selbständiger Arbeit als Hotelier ca. 5.000,00 Euro netto erzielt. Beigefügt waren u.a. eine Summen- und Saldenliste bis zum 30.06.2012 und der Einkommenssteuerbescheid für 2010, der für dieses Steuerjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 33.274 Euro ausweist. Nach der mit Schreiben der Beklagten vom 31.08.2012 eingereichten Recherche im Internet wird der Kläger auf der Internetseite http://www. hotel-G..de/de/ als Inhaber des Hotel G. genannt. Darüber hinaus ist in mehreren Internetbewertungen von Gästen des Hotel G. aus dem Zeitraum von September 2011 bis Juni 2012 der "Eigentümer", "owner", "Hotelinhaber" und der Kläger namentlich erwähnt.

Dem Kläger konnte auch nicht nach § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO vor Ablauf eines Jahres die Wiederaufnahme des untersagten Gewerbes gestattet werden. Diese Vorschrift ist nur anwendbar, wenn besondere Gründe zum Wegfall der Unzuverlässigkeit hinzutreten. Die bloße Wiedererlangung der Zuverlässigkeit allein rechtfertigt den besonderen Ausnahmefall nicht, ist allerdings Voraussetzung für die Anwendung des Satz 2 (vgl. Landmann/Rohmer, GewO, § 35 Rdnr. 177 m.w.N.). Gründe welcher Art hinzutreten müssen, kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben, weil der Kläger schon nicht die gewerberechtliche Zuverlässigkeit wiedererlangt hat.

Die Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid vom 01.11.2010 zutreffend festgestellt, dass dem Kläger weiterhin die erforderliche gewerberechtliche Zuverlässigkeit fehlt. Nach dem Gesamtbild seines Verhaltens bietet der Kläger weiterhin nicht die Gewähr dafür, dass er künftig das untersagte Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird.

Zwar hat er inzwischen die erheblichen Abgabenrückstände, die Gegenstand des Gewerbeuntersagungsverfahrens gewesen sind, vollständig abgebaut. Nach Bekanntgabe der Gewerbeuntersagungsverfügung vom 26.05.2008 wurde indes die Festsetzung der Geldstrafe wegen gewerbebezogener Einkommenssteuer- und Umsatzsteuerverkürzung aus dem Jahre 2005 mit dem seit dem 06.09.2008 rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts F. vom 18.08.2008 bekannt, die ihrerseits geeignet ist, die gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Klägers in Frage zu stellen. Damit hat sich nach Erlass des Untersagungsbescheids die Sachlage nicht zugunsten des Klägers verändert.

Die Beklagte hat den Anforderungen der Rechtsprechung folgend zutreffend die tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls des Amtsgerichts F. vom 18.08.2008 daraufhin geprüft, ob sie die Unzuverlässigkeit des Klägers in Bezug auf das von ihm konkret ausgeübte Gewerbe in Frage stellen, und ist bei der von ihr anzustellenden Prognose zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger aufgrund der für die Vergangenheit festgestellten Gesetzesverstöße auch in Zukunft als gewerberechtlich unzuverlässig gilt.

Dabei verlangt die dem Zuverlässigkeitsbegriff als einem Instrument der Gefahrenabwehr immanente Schranke der Verhältnismäßigkeit, dass nur erhebliche Verstöße berücksichtigt werden können. Auch eine Vielzahl kleinerer Verstöße, die jeweils für sich allein betrachtet noch keine ausreichende Grundlage für die Annahme der Unzuverlässigkeit bieten würden, kann in ihrer Häufigkeit erheblich sein, wenn sie einen Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen lässt oder wenn in der Häufung eine erhebliche Ordnungsstörung liegt (vgl. BVerwG GewArch. 1965, 36; VGH Mannheim 20.07.1989 GewArch 1990, 253). Ob bei der Entstehung der die Unzuverlässigkeit begründenden Umstände ein Verschulden des Gewerbetreibenden mitgewirkt hat, ist im Hinblick auf die Funktion des Unzuverlässigkeitsbegriffs als Instrument der Gefahrenabwehr unerheblich (BVerwGE 65, 1).

Die Beklagte ist wegen der erheblichen Schadenshöhe von knapp 32.000 Euro und der Festsetzung einer beträchtlichen Gesamtstrafe von 180 Tagessätzen von einer ungünstigen Prognose ausgegangen. Dass der Kläger nach der Festsetzung dieser Gesamtstrafe mit Strafbefehl des Amtsgerichts F. vom 18.08.2008 bislang keine weiteren Vermögensdelikte begangen hat, hat der Beklagten nicht genügt, um im Rahmen der Gesamtwürdigung zu einer positiven Prognose zu gelangen. Die unbestrittene Tatsache, dass der Kläger sein Gewerbe trotz der seit August 2009 rechtskräftigen Gewerbeuntersagung weiter ausgeübt und damit erkennbar nicht gewillt ist, sich an das geltende Gewerberecht zu halten, bekräftigt die Zweifel, ob er künftig sein Gewerbe in Zukunft beanstandungsfrei führen wird. Demgegenüber kann der Kläger nicht einwenden, er hätte bei Schließung des untersagten Gewerbes für ein Jahr seinen Unterhaltsverpflichtungen und seinen Zahlungspflichten gegenüber dem Finanzamt F. -Süd nicht nachgekommen können. Dem steht entgegen, dass der Kläger in dem Einbürgerungsantrag vom 27.07.2012 sein Vermögen aus Grundbesitz mit 3.000.000,00 Euro angegeben hat. Er hat nicht zur Überzeugung des Gerichts dargetan, warum es ihm nicht möglich gewesen sein soll, seine Zahlungsverpflichtungen durch Vermietung oder Verwertung eines der drei Häuser oder durch Verpachtung des Hotelbetriebes während der einjährigen Durchführung der Untersagung weiterhin zu erfüllen.

Ein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG besteht ebenfalls nicht. Dieses stellt zwar im Wiedergestattungsverfahren nur die äußerste zeitliche Grenze dar (vgl. Landmann/Rohmer, GewO, § 35 Rdnr. 174). Bei einer Tilgungsfrist von zehn Jahren nach § 46 Abs. 1 Ziff. 2 a) BZRG und einer straffreien Phase von nunmehr gut vier Jahren und dem erkennbaren Hang, die Regeln des geltenden Gewerberechts zu missachten, kann das Verhalten des Klägers im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht zu einer positiven Prognose führen.

In diesem Zusammenhang kann sich der Kläger auch nicht auf die von ihm zitierte Rechtsprechung zur unzulässigen Doppelbestrafung berufen, weil den Verfahren nicht vergleichbare Sachverhalte zugrunde lagen.

Die von der Beklagten in ihrem Bescheid vom 01.11.2010 getroffene Kostenfestsetzung ist im Ergebnis ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zwar in der Begründung ihres Bescheides die nicht im Kostentarifs zur AllGO existente Kostenziffer 40.1.15.3 genannt, im Ergebnis aber zutreffend die für die Gestattung der Wiederaufnahme des untersagten Gewerbes nach § 35 Abs. 6 GewO vorgesehene Kostenziffer 40.1.17.3 angewandt. Danach ist die Gebühr nach Zeitaufwand zu berechnen und darf 395,00 Euro nicht überschreiten. Die Kostenfestsetzung ist im Übrigen der Höhe nach nicht angegriffen.

Die Klage ist mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.