Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 12.12.2017, Az.: L 7/12 AL 27/16

Beiladung; Erbe; Erbengemeinschaft; Erbenhaftung; Ermessen; Ermessensausübung; Ermessensfehlgebrauch; Ermessensreduzierung auf Null; Erstattungsanspruch; Haftung; Haftungsbescheid; Miterbe; Regelungskompetenz; Sonderrechtsnachfolge; VA-Berfugnis; Vollstreckung; Vollstreckungsverfahren

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
12.12.2017
Aktenzeichen
L 7/12 AL 27/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54280
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 17.03.2016 - AZ: S 20 AL 93/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Nimmt die BA die Witwe eines Sozialleistungsempfängers wegen einer gegenüber diesem zu dessen Lebzeiten begründeten Erstattungsforderung in Anspruch, sind die Kinder des Sozialleistungsempfängers nicht notwendig beizuladen (Anschluss an BSG, Urteil vom 23. August 2013 - B 8 SO 7/12 R -, SozR 4-5910 § 92c Nr. 2, juris Rn. 10).

2. Angesichts der vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Vollstreckung bestehen erhebliche Zweifel, dass die BA gegenüber Hinterbliebenen deren Erbenstellung und die Vollstreckbarkeit einer Nachlassverbindlichkeit im Wege eines "Haftungsbescheides" feststellen kann. Die Regelungskompetenz ergibt sich insbesondere nicht aus § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB I, weil eine Erstattungsforderung jedenfalls ohne gleichzeitig bestehende Sozialleistungsansprüche nicht im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf die Erben übergeht.

3. Hat die Behörde die Wahl zwischen mehreren Gesamtschuldnern für Nachlassverbindlichkeiten (§ 421 BGB), ist sie i. S. von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln. Bei ihrer Entscheidung muss sie insbesondere eine ggf. bereits erfolgte Verteilung des Nachlasses und eventuellen Verbrauch, die Anzahl der Erben, den Wert des Nachlasses, die Höhe des Erstattungsanspruchs sowie die Relation zwischen Nachlasswert und Erstattungsforderung von Amts wegen ermitteln und berücksichtigen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. März 2016 wird unter Aufhebung der Kostenentscheidung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge mit 4.805,- Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines sogenannten Haftungsbescheides, mit dem die Beklagte als Trägerin von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bei der Klägerin eine gegenüber deren verstorbenen Ehemann begründete Erstattungsforderung realisieren will.

Der 1975 geborene Akin Y. (A. Y.) war bis Juli 2004 in erster Ehe mit der 1973 geborenen Hatice Y. (Ha. Y.) verheiratet; aus dieser Ehe gingen zwei 1993 und 1997 geborene Kinder hervor. Nachfolgend heiratete A. Y. die 1979 geborene Klägerin; aus dieser Ehe stammen zwei weitere, 2006 und 2009 geborene Kinder.

Im November 2008 nahm A. Y. eine selbständige Erwerbstätigkeit als Gastwirt in Georgsmarienhütte auf. Mit Bescheid vom 17. November 2008 bewilligte die Beklagte ihm für den Zeitraum von November 2008 bis Juli 2009 einen monatlichen Gründungszuschuss in Höhe von 1.684,50 Euro. Am 14. April 2009 teilte A. Y. bei seiner persönlichen Arbeitslosmeldung sinngemäß mit, dass er sein Gewerbe zum 1. Mai 2009 abmelde. Diese Meldung blieb in der Folgezeit bei der Beklagten zunächst unbeachtet, so dass der Gründungszuschuss für die Monate Mai bis Juli 2009 weiter an A. Y. ausgezahlt wurde. Nach Anhörung (Schreiben vom 29. Juli 2009), auf die sich A. Y. nicht äußerte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 3. Dezember 2009 „die Bewilligung von Gründungszuschuss“ ab 1. Mai 2009 gestützt auf „§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X“ auf und forderte ihn zur Erstattung eines Betrages von 5.053,50 Euro auf. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch (Schreiben vom 28. Dezember 2009 und 2. März 2010) erließ die Beklagte einen „Änderungsbescheid“ vom 4. März 2010, in dem sie wiederum die Aufhebung der Bewilligung des Gründungszuschusses und die Erstattung eines Betrages von 5.053,50 Euro verfügte und dies nunmehr auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X stützte. Mit Schreiben vom 28. April 2010 nahm A. Y. den Widerspruch zurück und bat darum, die Leistungen ab 1. Juni 2010 in monatlichen Raten leisten zu dürfen. In der Folgezeit erfolgten Aufrechnungen der Beklagten in der Gesamthöhe von 248,50 Euro.

A. Y. verstarb am 10. Februar 2012. Er hinterließ kein Testament. Das Erbe wurde weder von der Klägerin noch von seinen Kindern ausgeschlagen.

Mit dem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 4. September 2012 teilte die Beklagte mit, dass sie gegen A. Y. eine Forderung in Höhe von 4.805,- Euro habe. Nach ihren Feststellungen sei die Klägerin und die zwei gemeinsamen Kinder des A. Y. und der Klägerin Erben geworden. Deshalb hafteten sie nach § 1967 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für die Nachlassverbindlichkeiten gesamtschuldnerisch. Die Klägerin erhalte Gelegenheit, sich bis zum 24. September 2012 zu äußern oder die Gesamtforderung zu zahlen. Mit Schreiben vom 14. September 2012 übersandte die Beklagte der Klägerin eine Forderungsaufstellung und verwies auf dem Schreiben beigefügte anspruchsbegründende Unterlagen.

Mit einem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen, mit „Haftungsbescheid“ überschriebenen Schreiben vom 31. Oktober 2012 forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von 4.805,- Euro auf. Hiergegen erhob die Klägerin am 14. November 2012 Widerspruch. Zur Begründung führte die Klägerin aus, sie habe von der Verbindlichkeit des A. Y. erst durch die Beklagte erfahren, weshalb sie auch das Erbe nicht ausgeschlagen habe. Bis auf einige persönliche Gegenstände sei kein Nachlass vorhanden, so dass auch andere Gläubiger nicht hätten befriedigt werden können. Diese hätten auf ihre Forderungen verzichtet. Zur Durchführung einer Nachlassinsolvenz wären keine ausreichenden Mittel vorhanden gewesen. Sie erhebe die Einrede der Dürftigkeit gemäß §§ 1990, 1991 BGB und bitte, den Haftungsbescheid aufzuheben.

In einer intern versandten Mitteilung der Beklagten vom 29. September 2014 heißt es, dass eine Abteilung der Beklagten „versuchsweise“ Forderungen gegen Erben einziehe. Hieraus sollten Erkenntnisse über den Einziehungserfolg bei Erbfällen gewonnen werden. Die Abteilung habe 424 Haftungsbescheide erlassen, um die Erben für die Forderung haftbar zu machen.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2015). Die Klägerin hafte als Erbin für die Nachlassverbindlichkeiten. Über die von ihr erhobene Einrede der Dürftigkeit sei erst im Rahmen des Forderungseinzuges gesondert zu entscheiden.

Die hiergegen von der Klägerin - entsprechend der dem Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung - zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobene Klage hat dieses an das SG Osnabrück verwiesen. Dieses hat mit Urteil vom 17. März 2016 den Haftungsbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X eine Ermächtigungsgrundlage für Erstattungsbescheide sei, nicht hingegen für Haftungsbescheide gegenüber Rechtsnachfolgern. Die Beklagte habe einen Erstattungsbescheid gegenüber A. Y. erlassen. § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X stelle ebenfalls keine Ermächtigungsgrundlage dar. Die Klägerin sei durch den Haftungsbescheid in ihren Rechten verletzt, weil dieser im Falle seiner Unanfechtbarkeit abweichend von § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X nach sich ziehe. Entgegen der Ansicht der Beklagten würde die Klägerin ohne Haftungsbescheid nicht in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt, weil sie im Wege der Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen ihre Inanspruchnahme als Erbin vorgehen könne, sei es weil sie meine, nicht Erbin geworden zu sein oder dass keine Nachlassverbindlichkeit vorliege.

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Berufung hat die Beklagte ausgeführt, dass weder das Sozialgesetzbuch noch das BGB regele, wie sie die bestandskräftig festgestellte Forderung gegen Sonderrechtsnachfolger oder Erben weiterbetreiben dürfe. Notwendigerweise müsse dieser jedoch in irgendeiner Form informiert werden, dass nun er die offene Forderung zu erfüllen habe. Aus Gründen des Vertrauensschutzes habe sie sich für die Geltendmachung durch Verwaltungsakt entschieden. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, dass ein gegenüber einem Nacherben ergangener Bescheid, der diesen zur Rückzahlung einer gegenüber dem Vorerben ergangenen Rückzahlungsentscheidung verpflichte, rechtmäßig sei. Der vorliegende Sachverhalt sei hiermit vergleichbar. Der Klägerin erwachse aus ihrem Vorgehen kein Nachteil, sondern nur ein rechtlicher Vorteil. Sie sei vor Erlass anzuhören, könne dort und im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens Einwendungen erheben und ggf. vor dem Sozialgericht kostenfrei klagen. Andernfalls müsse die Beklagte ohne vorherige Anhörung in einem kostenpflichtigen Verfahren vor dem Zivilgericht klagen. Ebenso könne sie auch direkt nach § 66 SGB X vollstrecken. Das Argument des SG, durch Erlass des Haftungsbescheides werde eine 30-jährige Verjährungsfrist begründet, überzeuge nicht, weil Gleiches auch bei einer Vollstreckung nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) oder nach der Zivilprozessordnung (ZPO) gelte. Auch das weitere Argument des SG überzeuge nicht, dass die Betroffene bei einer Vollstreckung Feststellungsklage erheben könne. Zwar könne - ohne Einhaltung einer Klagefrist - die Feststellung begehrt werden, dass sie nicht Sonderrechtsnachfolgerin oder Erbin geworden sei. Dies sei aber wegen der Verzichts- bzw. Ausschlagungsfristen von jeweils sechs Wochen nach Kenntnis von der Rechtsnachfolge von geringem Nutzen. Über das Bestehen der bestandskräftig festgestellten Verbindlichkeit dürfe nicht mehr entschieden werden. Der Haftungsbescheid sei auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin sei Sonderrechtsnachfolgerin. Ein Verzicht auf die Sonderrechtsnachfolge sei nicht ersichtlich. Die Beklagte sei befugt, nach ihrem Ermessen auszusuchen, von welchem der Gesamtschuldner sie die Leistung fordere. Sofern das Berufungsgericht anderer Ansicht sei, müsse es ermitteln, ob eine abweichende letztwillige Verfügung des Erblassers vorliege und ob die Klägerin mit dem Erblasser den Ausschluss des Zugewinnausgleichs vereinbart habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Osnabrück vom 17. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass ihr die Vollstreckungseinwendungen vorbehalten bleiben.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Der Beklagten stehe für den Erlass eines Haftungsbescheides keine Ermächtigungsgrundlage zur Seite. Die von dieser angeführten Rechtsprechung sei nicht einschlägig. Im Übrigen sei der Haftungsbescheid auch rechtswidrig, weil er sich nicht gegen die gesamte Erbengemeinschaft richte.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des SG vom 17. März 2016 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das SG hat den Haftungsbescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2012 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2015 zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Der Senat ist nicht an einer Entscheidung über die Berufung gehindert, insbesondere sind die vier Kinder des A. Y. nicht zum Verfahren beizuladen (hierzu 2.). Die Klägerin muss zwar als gesetzliche Miterbin des A. Y. für Nachlassverbindlichkeiten einstehen Der Senat hat jedoch erhebliche Zweifel, dass die Beklagte dem Grunde nach zum Erlass eines Haftungsbescheides befugt war (hierzu 3.). Er muss diese Frage jedoch nicht abschließend entscheiden, weil der streitgegenständliche Haftungsbescheid jedenfalls ermessensfehlerhaft ist (hierzu 4.).

1. Streitgegenstand ist der Haftungsbescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2012 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2015. Mit diesem hat die Beklagte die Vollstreckbarkeit des Bescheides vom 3. Dezember 2009 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 4. März 2010 und die Miterbenstellung der Klägerin festgestellt. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Haftungsbescheid keine eigenständige Erstattungsentscheidung gegenüber der Klägerin getroffen. Sie hat in der Begründung des Haftungsbescheides ausgeführt, sie habe gegen A. Y. eine Forderung in Höhe von 4.805,- Euro, für die die Klägerin gesamtschuldnerisch hafte. Hieraus ist ersichtlich, dass die Beklagte die gegenüber A. Y. getroffene Erstattungsentscheidung nicht gegenüber der Klägerin zur Disposition stellen, sondern sie allein gegenüber der Klägerin durchsetzen wollte, weil sie sie für verpflichtet hielt, für die Erstattungsforderung als Nachlassverbindlichkeit einzustehen.

2. Einer Beiladung der vier Kinder des A. Y. nach § 75 Abs. 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung) bedurfte es nicht.

Nach dieser Vorschrift sind Dritte notwendig beizuladen, wenn sie an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Einer einheitlichen Entscheidung bedarf es jedoch nicht, auch wenn die Kinder als Miterben neben der Klägerin für Nachlassverbindlichkeiten gesamtschuldnerisch haften.

a. Die Erstattungspflicht für zu Unrecht erhaltene Sozialleistungen gehört zu den Nachlassverbindlichkeiten, für die nach § 1967 Abs. 1 BGB der Erbe haftet. Bei einer Mehrheit von Erben haften die Miterben für die gemeinschaftlichen Nachlassverbindlichkeiten im Außenverhältnis gesamtschuldnerisch (§ 2058 BGB), also jeder einzelne Miterbe persönlich (§ 421 BGB).

b. Die Klägerin und die vier Kinder des A. Y. sind auch seine Miterben.

Die Klägerin ist Erbin zu 1/2 aus § 1931 Abs. 1 und 3 BGB. Gemäß § 1931 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB ist der überlebende Ehegatte des Erblassers neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertel als gesetzlicher Erbe berufen. Nach § 1931 Abs. 3 bleibt § 1371 BGB unberührt, nach dessen Abs. 1 sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um ein Viertel der Erbschaft erhöht, wenn der Güterstand durch den Tod eines Ehegatten beendet wird; hierbei ist unerheblich, ob die Ehegatten im einzelnen Falle einen Zugewinn erzielt haben.

Die vier Kinder des A. Y. erben gemäß § 1924 Abs. 1 und 4 BGB zu jeweils 1/8. Die geschiedene Ehegattin Ha. Y. ist gemäß § 1933 Satz 1 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen.

c. Das streitige Rechtsverhältnis muss jedoch gegenüber den Kindern des A. Y. nicht einheitlich festgestellt werden. Die gesamtschuldnerische Haftung trifft jeden Erben gesondert (BSG, Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 7/12 R –, SozR 4-5910 § 92c Nr. 2, juris Rn. 10 m. w. N.).

3. Erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestehen bereits deshalb, weil eine Befugnis der Beklagten zum Erlass des streitgegenständlichen Haftungsbescheides dem Senat zweifelhaft erscheint.

Die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsaktes muss sich aus dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht ergeben, sei es ausdrücklich oder dem Sinn und Zweck nach (BSG Urteil vom 28. August 1997 – 8 RKn 2/97 – SozR 3-2600 § 118 Nr. 1). Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelungsbefugnis der Beklagten (hierzu a.). Der Senat hat auch Zweifel, dass sich diese aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt (hierzu b.).

a. Ein „Haftungsbescheid“ ist im Sozialgesetzbuch an keiner Stelle ausdrücklich erwähnt, wenn auch an verschiedenen Stellen die Inanspruchnahme aus gegen Dritte begründeten Forderungen geregelt ist (siehe etwa § 108 Abs. 3 Satz 2 SGB III oder § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB I, zu letzterem sogleich). Im geltenden Recht enthält lediglich das Steuerrecht ausdrücklich einen Haftungsbescheid betreffende Regelungen (siehe § 191 AO).

Die Befugnis zum Erlass des Haftungsbescheides ergibt sich insbesondere nicht aus § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB I. Danach haftet der Sonderrechtsnachfolger für die nach diesem Gesetzbuch bestehenden Verbindlichkeiten des Verstorbenen gegenüber dem für die Ansprüche des Verstorbenen zuständigen Leistungsträger. Die Klägerin ist allerdings - anders als die Beklagte meint - in Bezug auf die dem Haftungsbescheid zugrunde liegende Erstattungsforderung keine Sonderrechtsnachfolgerin. Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I sind nicht erfüllt. Danach stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten dem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist. Die Vorschrift begründet für laufende Geldleistungen eine Sonderrechtsnachfolge, die der zivilrechtlichen Erbfolge vorgeht und von dieser unabhängig ist (Wagner in: jurisPK-SGB I, § 56 SGB I, Rn. 6). Die Norm bezweckt den Ausgleich von Nachteilen, die den mit dem Berechtigten in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen dadurch erwachsen, dass sie durch die nicht rechtzeitige Erfüllung fälliger Ansprüche auf laufende Geldleistungen regelmäßig neben dem Berechtigten in ihrer Lebensführung beeinträchtigt werden (BT-Drucks. 7/868). Es handelt sich um eine reine Regelung der Bezugsberechtigung nach § 56 SGB I zur „Überbrückungshilfe“ beim Tod des Berechtigten, die unabhängig von und vorrangig zu den Erbschaftsverhältnissen ist und durch die die Umstellung auf die neuen Verhältnisse erleichtert werden soll (vgl. Wagner in: jurisPK-SGB I, § 56 SGB I, Rn. 8). Hiervon sind jedoch keine Erstattungsansprüche der Behörde erfasst, zumindest wenn ihnen – wie hier - nicht zugleich laufende Sozialleistungsansprüche eines Sonderrechtsnachfolgers gegenüberstehen. Die Norm bezieht sich bereits nach dem Wortlaut allein auf „laufende“ Sozialleistungsansprüche gegen die Behörde. Im Übrigen ergibt sich aus dem Normzweck, dass die Sonderrechtsnachfolge die in § 56 genannten Personen niemals belasten, sondern nur begünstigen kann. Wenn § 57 Abs. 2 SGB I erlaubt, zum Todeszeitpunkt bestehende Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, findet dies schon nach dem Wortlaut des Gesetzes seine Grenze in den zugleich übergehenden Sozialleistungsansprüchen („Soweit Ansprüche […] übergegangen sind, […]“).

Wenn die Beklagte ihre Befugnis auch aus § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X herleitet, ist dem ebenfalls mit dem SG nicht zu folgen. Danach ist die zu „erstattende“ Leistung durch Verwaltungsakt festzusetzen. Die Beklagte hat aber - wie bereits zuvor zu 1. ausgeführt - mit dem angefochtenen Haftungsbescheid gegenüber der Klägerin gerade keine Erstattungsentscheidung getroffen.

Auch § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist – worauf das SG ebenfalls zu Recht hingewiesen hat - keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des „Haftungsbescheides“. Diese Vorschrift ist nicht selbst Ermächtigungsgrundlage, sondern setzt diese gerade voraus. Die Vorschrift regelt somit lediglich die Rechtsfolgen eines Verwaltungsakts für die Verjährung (Segebrecht in: jurisPK-SGB X, § 52 SGB X, Rn. 10; Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 52 Rn. 10 m. w. N.).

b. Die Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt muss sich aber nicht zwingend ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben. Vielmehr wird in der Mehrzahl der Fälle durch Auslegung des materiellen Rechts ermittelt, ob und ggf. in welchem Umfang die Behörde zum Handeln durch Verwaltungsakt ermächtigt ist (Mutschler in: Kasseler Kommentar, § 31 SGB X Rn. 6; Waschull in: LPK-SGB X § 31 Rn. 4). Die Regelungsbefugnis kann sich sowohl durch systematische Auslegung des Gesetzes als auch aus der Eigenart des geregelten Rechtsverhältnisses zwischen den Adressaten und der Behörde ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 11. März 1987 – 10 RAr 5/85 –, BSGE 61, 203 = SozR 4100 § 186a Nr. 21, juris Rn. 10; Urteil vom 17. Dezember 1997 – 11 RAr 103/96 –, SozR 3-4100 § 128 Nr. 4, juris Rn. 18; Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 V 26/98 R –, SozR 3-3100 § 62 Nr. 4, juris Rn. 13).

Aus Sicht des Senates erscheint es insbesondere aufgrund der bereits vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Vollstreckung (§ 66 SGB X) zweifelhaft, dass der Beklagten eine Regelungsbefugnis für den angegriffenen „Haftungsbescheid“ zukommt.

aa. Gegen eine Regelungskompetenz der Beklagten spricht, dass sie - was sie auch selbst einräumt - ihre gegen A. Y. begründete Erstattungsforderung gegen die Klägerin im Wege der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 66 SGB X durchsetzen kann, ohne dass es hierfür zwingend eines zusätzlichen „Haftungsbescheides“ bedürfte.

Nach § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SGB X gilt für die Vollstreckung zugunsten der bundesunmittelbaren Körperschaften das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG), alternativ kann aus einem Verwaltungsakt die Zwangsvollstreckung in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung (ZPO) stattfinden. Diese Regelung fasst die verschiedenen Vollstreckungsmöglichkeiten im Sozialrecht zusammen und enthält auch eine Zuständigkeitsregelung (BT-Drucks 8/2034, S. 37, 52). Die Beklagte lässt letztlich jede nachvollziehbare Erklärung vermissen, aus welchem Grund sie sich gehindert sieht, diesen gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Weg auch zu beschreiten. Gerade angesichts der detaillierten Regelungen zur Vollstreckung ist der Senat - anders als die Beklagte - der Ansicht, dass das Sozialgesetzbuch hinreichend regelt, wie die Beklagte bestandskräftig festgestellte Forderungen gegen Erben durchzusetzen hat.

bb. Der Senat verkennt nicht, dass in der Rechtsprechung unterschiedlich entschieden worden ist, ob trotz der fehlenden ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage und der vorhandenen Rechtsgrundlagen zur Vollstreckung ein besonderer Verwaltungsakt erlassen werden darf oder muss, wenn Dritte für gegenüber einem Verstorbenen zu Lebzeiten verfügten Zahlungspflichten in Anspruch genommen werden sollen. Letztlich enthalten diese Entscheidungen aber keine den Senat überzeugenden Ausführungen dazu, worin die Rechtsgrundlage für den Erlass eines Haftungsbescheides zu sehen ist.

Das BSG hat sich zur Frage unterschiedlich geäußert und den Erlass eines weiteren Bescheides inzident als zulässig erachtet: Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass der 9. Senat mit Urteil vom 15. September 1988 (- 9/9a RV 32/86 -, SozR 1300 § 45 Nr. 40) einen gegenüber einem Nacherben ergangenen Bescheid gebilligt hat, mit dem dieser zur Begleichung einer Nachlassverbindlichkeit aufgefordert wurde (juris Rn. 16). Dabei ist das BSG allerdings nicht auf die Frage der Regelungskompetenz der Behörde eingegangen. Der 11. Senat hat in seinem Urteil vom 7. Oktober 2004 - B 11 AL 43/03 R - im Zusammenhang mit der Anspruchsverjährung ausgeführt, zur Durchsetzung eines Anspruchs i. S. der §§ 52, 53 SGB X seien auch Verwaltungsakte im Vollstreckungsverfahren erlassen, die lediglich den Bestand eines Anspruchs feststellten (juris Rn. 23). Auch hier finden sich jedoch keine Ausführungen zur Regelungskompetenz der Behörde. Demgegenüber hat der 2. Senat in seinem Urteil vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 16/05 R - (SozR 4-2700 § 150 Nr. 2) - ohne dass es hierauf für die Entscheidung ankam - ausgeführt, wenn die (Beitrags-)Schuld zu Lebzeiten des Unternehmers bestandskräftig festgestellt worden sei, erstrecke sich die Bindungswirkung des Leistungsbescheides entsprechend des Grundsatzes aus § 141 Abs. 1 SGG auf den Erben, mit der Folge, dass gegen ihn im Wege der Verwaltungsvollstreckung vorgegangen werden könne.

Auch die Rechtsprechung der Landessozialgerichte ist uneinheitlich: Der 8. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen hat in seinem Urteil vom 27. März 2003 - L 8 AL 279/02 - (juris Rn. 21) den Erlass eines gesonderten Verwaltungsakts unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 3. September 1986 - 9a RV 10/85 - (BSGE 60, 209 = SozR 1500 § 54 Nr. 66) gebilligt, allerdings ohne dabei auf die Frage der Vergleichbarkeit zu dem der Entscheidung des BSG zugrunde liegenden Sachverhalts und die Regelungskompetenz näher einzugehen. Das BSG hatte im Urteil vom 3. September 1986 entschieden, dass die Behörde für die Inanspruchnahme einer Vermögensübernehmerin i. S. des § 419 BGB einen Haftungsbescheid erlassen müsse. Diese hoheitliche Maßnahme sei Voraussetzung für die Vollstreckung (a. a. O., juris Rn. 12). Die Behörde könne auch nicht wählen, ob sie stattdessen durch Leistungsklage vorgehen wolle (a. a. O., juris Rn. 13). Diese Entscheidung erging allerdings vor dem Hintergrund einer rechtsgeschäftlichen Vermögensübernahme. Das LSG ist auch nicht darauf eingegangen, ob und ggf. auf welcher Grundlage ein separater Haftungsbescheid für die Inanspruchnahme eines Erben erforderlich ist. Das LSG Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil vom 27. August 2010 - L 22 R 1957/08 - (juris Rn. 26) den Erben ohne zusätzlich ergangenen Verwaltungsakt als verpflichtet angesehen, für Nachlassverbindlichkeiten aufzukommen.

cc. Die Vorgehensweise der Beklagten, die zur Heranziehung als Vollstreckungsschuldner vorgesehene Personen möglichst frühzeitig und außerhalb eines Vollstreckungsverfahrens über die beabsichtigte Vollstreckung von Nachlassverbindlichkeiten zu informieren, mag zwar für sie hilfreich und kosteneffizienter sein. Abgesehen davon, dass die Beklagte keineswegs gehindert ist, eine solche Mitteilung ohne rechtserhebliche Feststellungen zu versenden, hält es der Senat für problematisch, mit der Feststellung der Erbenstellung und der Vollstreckbarkeit einer Erstattungsforderung Rechtsfragen aus dem gesetzlich detailliert geregelten Vollstreckungsverfahren herauszulösen und hierüber isoliert zu entscheiden. Hier würden lediglich Elemente des Vollstreckungsverfahrens - mit einer teilweise abweichenden Rechtswegzuweisung (§§ 33 Abs. 1 Nr. 2 Finanzgerichtsordnung [FGO]), 766 Abs. 1 ZPO) - in ein besonderes Verwaltungsverfahren vorverlagert, ohne dass sich im Gesetz eine hinreichende Grundlage für diese Vorgehensweise findet.

Der Senat ist – unabhängig von der Frage, ob hieraus überhaupt eine hinreichende Regelungskompetenz begründet werden könnte - auch nicht wie die Beklagte davon überzeugt, dass der Erlass eines Haftungsbescheides für die Klägerin rechtlich vorteilhaft ist. Vielmehr erscheint ihm die Rechtsschutzgewährung durch die Vorverlagerung einzelner Elemente erschwert, weil eventuelle weitere Einwendungen gegen eine Vollstreckung – hier etwa der von der Klägerin bereits frühzeitig geltend gemachten Dürftigkeit des Nachlasses – bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen nicht Prüfungsgegenstand sind. Dies sieht auch die Beklagte so, die im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid die Klägerin hinsichtlich ihres Einwandes ausdrücklich auf das Vollstreckungsverfahren verwiesen hat. Hieraus wird deutlich, dass die Verfahrensweise der Beklagten dazu führen könnte, dass in einem Klageverfahren gegen einen Haftungsbescheid umfängliche sozialgerichtliche Ermittlungen zur Erbfolge erforderlich werden könnten, obwohl die Ergiebigkeit des Nachlasses zweifelhaft ist oder sonstige Vollstreckungshindernisse bestehen. Zudem würde eine bestandskräftige Feststellung der Erbenstellung im Rahmen eines Haftungsbescheides Rechtsnachteile für den jeweiligen Adressaten nach sich ziehen. Zu Recht hat das SG darauf hingewiesen, dass die Klägerin ohne Haftungsbescheid nicht in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt würde, weil sie im Wege der Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen ihre Inanspruchnahme als Erbin vorgehen könne, sei es weil sie meine, nicht Erbin geworden zu sein oder dass keine Nachlassverbindlichkeit vorliege. Soweit die Beklagte hiergegen eingewandt hat, dies sei wegen der Verzichts- bzw. Ausschlagungsfristen von jeweils sechs Wochen nach Kenntnis von der Rechtsnachfolge von geringem Nutzen, verkennt sie, dass der Haftungsbescheid die fristungebundene Feststellungsklage auch bei einer Begründetheit des Einwandes - also insbesondere bei nicht bestehender Erbenstellung - unzulässig machen würde. Selbst ein – ebenfalls nur befristet erfolgversprechender (§ 44 Abs. 4 SGB X) – Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X ggf. in Kombination mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellt gegenüber den – ohne Einhaltung von Fristen möglichen – Einwendungen im Vollstreckungsverfahren eine rechtlich ungünstigere Position des Schuldners dar.

4. Die Frage der Regelungskompetenz der Beklagten muss jedoch nicht abschließend entschieden werden. Selbst wenn der Senat diese als gegeben unterstellt, ist der erlassene Haftungsbescheid rechtswidrig.

a. Der Haftungsbescheid ist zwar ordnungsgemäß bekannt gegeben worden. Der Senat folgt insoweit nicht der Klägerin, dass „die Erbengemeinschaft“ insgesamt in Anspruch zu nehmen sei. Daran wäre die Beklagte schon aus Rechtsgründen gehindert, weil die Erbengemeinschaft keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und deshalb nicht rechtsfähig ist (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 11. September 2002 - XII ZR 187/00 -, juris Rn. 11 m. w. N.; zuletzt BGH, Beschluss vom 17. März 2015 – VIII ZR 298/14 –, juris Rn. 4). Dem Senat erscheint aber auch eine persönliche Inanspruchnahme aller, auch der nicht zur Inanspruchnahme vorgesehenen Miterben nicht nur nicht zwingend, sondern wäre auch aus wirtschaftlicher Sicht – gerade bei einer größeren Zahl von oder ersichtlich mittellosen Miterben sowie einem die Erstattungsforderung möglicherweise nicht vollständig deckenden Nachlass - wenig zielführend.

b. Die Beklagte hat jedoch nicht die erforderliche Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme der Klägerin als Schuldnerin getroffen.

aa. Bei einer Mehrheit von Erben darf grundsätzlich jeder Erbe als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden (§ 421 BGB; hierzu näher BSG, Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 7/12 R –, SozR 4-5910 § 92c Nr. 2, juris Rn. 20). Der Gläubiger kann zwar gemäß § 421 BGB die Leistung "nach seinem Belieben" von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern. Dieses Auswahlrecht findet im Zivilrecht seine Grenze lediglich im Rechtsmissbrauch (vgl. Bydlinski in: Münchner Kommentar, 7. Aufl., § 421 BGB, Rn. 75; Gehrlein in: BeckOK BGB, § 421 Rn. 12). Im öffentlichen Recht tritt an die Stelle dieses Begriffs ein pflichtgemäßes Ermessen bei der Auswahl des Gesamtschuldners (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 22. Januar 1993 - 8 C 57/91 - juris Rn. 20 m. w. N.). Dabei hat der Sozialleistungsträger nicht allein das Willkürverbot zu beachten oder offenbare Unbilligkeiten zu berücksichtigen. Die Beklagte ist als Trägerin öffentlicher Gewalt grundrechtsgebunden, sodass die belastende Entscheidung, welchen von mehreren Schuldnern (Grundrechtsträgern) sie in welcher Höhe in Anspruch nehmen möchte (Grundrechtseingriff), nicht in ihrem freien Belieben, sondern in seinem pflichtgemäßen (Auswahl-)Ermessen steht, für das die allgemeinen Grundsätze des § 39 SGB I gelten. Jeder Gesamtschuldner hat deshalb ein subjektiv-öffentliches Recht, dass die die Vollstreckung betreibende Behörde die belastende Entscheidung über seine Inanspruchnahme ermessensfehlerfrei trifft (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 10/15 R –, Rn. 16 m. w. N. aus der Rechtsprechung des BFH; Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 7/12 R –, SozR 4-5910 § 92c Nr. 2, juris Rn. 22 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Dezember 2015 – L 8 R 935/11 –, juris Rn. 165). Dies entspricht im Übrigen auch der steuerrechtlichen Rechtslage für die dort gebräuchlichen Haftungsbescheide. Die Steuerbehörde hat bei der Auswahl mehrerer in Betracht kommender Haftungsschuldner i. S. des § 191 AO eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. Rüsken in: Klein, AO, 13. Aufl., § 191 Rn. 30 ff.; Intemann in: Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 191 Rn. 35 ff.). Selbst die Beklagte führt in ihrer Berufungsschrift aus, sie sei berechtigt nach ihrem Ermessen auszusuchen, von welchem der Gesamtschuldner sie die Leistung fordere.

bb. Hat die Behörde die Wahl zwischen mehreren Gesamtschuldnern, ist sie i. S. von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I ermächtigt, "nach ihrem Ermessen" zu handeln und hat gleichzeitig "ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten". Zu berücksichtigen sind deshalb insbesondere eine bereits erfolgte Verteilung des Erbes, insbesondere wenn sie - wie hier - vor Kenntnis des Erstattungsanspruchs durchgeführt worden ist, ein eventueller Verbrauch ererbten Vermögens, die Anzahl der Erben, der Wert des Nachlasses und die Höhe des Erstattungsanspruchs sowie die Relation der beiden Werte zueinander und auch die jeweilige Erbquote. Nur eine Gesamtschau der Situation aller Erben wird deren individueller Zahlungspflicht gerecht. Den für seine Entscheidung benötigten Sachverhalt hat der Sozialleistungsträger unter Einbeziehung der übrigen Erben von Amts wegen zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 1985 – 7 RAr 123/84 –, BSGE 59, 157 = SozR 1300 § 45 Nr. 19, juris Rn. 48; Urteil vom 23. September 1997 – 2 RU 44/96 –, SozR 3-1300 § 50 Nr. 20, juris Rn. 22).

Ob eine Behörde das Ermessen zutreffend ausgeübt hat, unterliegt im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung. Eine Ermessensentscheidung ist als solche nur rechtswidrig und auf Anfechtung hin nur dann aufzuheben, wenn der Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I) verletzt ist (siehe auch § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, sondern nur prüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt. Ermessensfehlerhaft ist es, wenn die Behörde ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung überhaupt nicht nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch) oder wenn ihr bei Ausübung des Ermessens Rechtsfehler unterlaufen sind (Ermessensfehlgebrauch). Dies ist anhand der in den angefochtenen Bescheiden angegebenen Ermessensgründe zu beurteilen (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X).

Angesichts der Möglichkeit, unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände statt der Klägerin oder neben ihr einen anderen Miterben in Anspruch zu nehmen, erscheint es ausgeschlossen, dass die Heranziehung der Klägerin als Gesamtschuldnerin in voller Höhe für die durch ihren Ehemann begründete Erstattungsforderung die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensreduzierung auf Null). Vielmehr hat sich die Beklagte bei ihrer Entscheidung, die Klägerin in Anspruch zu nehmen, offenbar davon leiten lassen, dass diese die Ehefrau des A. Y. war und deren beiden Kinder minderjährig waren. Die weiteren beiden Kinder, von denen eines bereits volljährig war, ließ die Beklagte gänzlich unberücksichtigt.

Weder der Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2012 noch ihr Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2015 enthalten Ermessenserwägungen, sodass der Verwaltungsakt bereits wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist.

Der Senat muss nicht entscheiden, ob der Ermessensausübung bei der Auswahl unter mehreren Gesamtschuldnern nur durch das Verbot der Willkür und Unbilligkeit gesetzte Grenzen gezogen sind und die durch § 421 BGB eingeräumte Auswahlfreiheit sowie die Pflicht zu effektivem Verwaltungshandeln den Leistungsträger von einer regelmäßigen Abwägungs- und Begründungspflicht entbinden (so jedenfalls LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. September 2012 – L 14 AS 1348/11 –, juris Rn. 26 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG; a. A. allerdings zu Haftungsbescheiden nach § 191 AO Intemann in: Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 191 Rn. 38 ff. m. w. N.). Die Frage ist hier nicht von Bedeutung, weil die Beklagte bereits das ihr eingeräumte Ermessen nicht erkannt und deshalb die zur sachgerechten Ermessensausübung notwendigen Ermittlungen nicht durchgeführt hat. Sie hat vor ihrer Entscheidung weder Ermittlungen zur Höhe des Nachlasses noch zu den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen aller Miterben durchgeführt. Deshalb ist die Beklagte u. a. auch zu Unrecht von lediglich zwei statt von vier miterbenden Kindern ausgegangen. Selbst wenn man eine eingeschränkte Begründungs- und Abwägungspflicht bejahte, beruhte die hier ergangene Entscheidung ebenfalls auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage und wäre gleichermaßen ermessensfehlerhaft.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung; insoweit war die Ausgangsentscheidung zu ändern.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenpflichtig, weil die Klägerin durch den streitgegenständlichen Haftungsbescheid der Beklagten ausschließlich als Miterbin zur Zahlung herangezogen werden soll, nicht Adressatin des dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheides war und auch den Gründungszuschuss nicht selbst erhielt. Sie gehört damit nicht zu dem nach § 183 SGG kostenbefreiten Personenkreis, so dass nach § 197a Gerichtskosten zu erheben sind (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 8 SO 2/09 R -, juris Rn. 30; Simon in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 102 SGB XII Rn. 77). Die Klägerin ist - wie zuvor zu 3. a. ausgeführt - weder in Bezug auf den Haftungsbescheid noch auf den die diesem zugrunde liegenden Erstattungsbescheid Sonderrechtsnachfolgerin des A. Y. Da der streitgegenständliche Haftungsbescheid erst nach dem Tod des A. Y. erging, ist das Verfahren auch nicht kostenfrei gemäß § 183 Abs. 1 Satz 2 SGG. Schon ihrem Wortlaut nach ("bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei") setzt die Regelung die Weiterführung eines begonnenen, ursprünglich für den Berechtigten nach § 183 Satz 1 SGG kostenfreien Verfahrens voraus (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. April 2006 – L 14 B 3/06 R –, juris Rn. 5).

6. Der Senat holt die vom SG unterlassene Festsetzung des Streitwerts für das erstinstanzliche Verfahren nach (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Gerichtskostengesetz [GKG]; vgl. B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 197a Rn. 5 m. w. N.).

Das Gericht setzt den Wert für die zu erhebenden Gebühren bei einer Entscheidung über den Streitgegenstand fest (§§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz [GKG]). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist - bis zu einer Obergrenze von 2.500.000 Euro (§ 52 Abs. 4 GKG) - deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Der Streitwert errechnet sich hier aus der Höhe der von der Beklagten zur Vollstreckung gegen die Klägerin vorgesehenen Forderung.

7. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen einer der in § 160 SGG aufgeführten Tatbestände nicht vorliegen.