Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 12.12.2017, Az.: L 16 KR 334/17

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
12.12.2017
Aktenzeichen
L 16 KR 334/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54277
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 30.06.2017 - AZ: S 64 KR 238/16

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 27. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für einen Elektro- Rollstuhl „Samm Qlass Lift“.

Die I. beantragte mit Kostenvoranschlag vom 1. Oktober 2015 für die 1937 geborene Klägerin unter Vorlage der ärztlichen Verordnung vom 21. September 2015 einen Luca Qlass Lift Elektro-Rollstuhl zum Preis iHv 16.075,68 Euro. Zur Begründung der geplanten Hilfsmittelversorgung wurde ausgeführt, dass der vorhandene Rollstuhl (Baujahr 2002) verschlissen und zudem die Antriebsaufhängung gebrochen und die Polsterung defekt sei. Mittlerweile sei eine laterale Armstützung in der Rückenpolsterung erforderlich. Unter dem 7. Oktober übersandte die Beklagte der behandelnden Ärztin J. einen Fragebogen über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Mehrfachversorgung.

Mit Bescheid vom 27. November 2015 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, da die Klägerin bereits mit einem adäquaten Hilfsmittel versorgt sei. Eine Doppel- bzw Mehrfachausstattung sei unwirtschaftlich. Der vorhandene Elektrorollstuhl Quickie Groove mit Sitzhub könne von der Klägerin im Außen- und Innenbereich genutzt werden. Mit ihrem Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass die Beklagte die 3 bzw 5-Wochenfrist nach § 13 Abs 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V nicht eingehalten habe. Zwischen Eingang des Antrags und ablehnender Entscheidung seien weit mehr als fünf Wochen vergangen. Die Versorgung mit einer Zweitausstattung sei aus hygienischen Gründen unvermeidbar. Zudem führe der im Außenbereich eingesetzte Rollstuhl zu starken Verschmutzungen des Innenbereichs.

Mit Schreiben vom 28. April 2016 führte die Beklagte aus, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von einer Genehmigungsfiktion ausgenommen seien. Hilfsmittel dienten der medizinischen Rehabilitation, so dass der von der Klägerin im Rahmen des Behinderungsausgleichs beantragte Elektrorollstuhl nicht vom Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V erfasst werde. Für den Fall, dass diese Rechtsauffassung angezweifelt werde, werde die danach vorliegende Genehmigung „vorsorglich und hilfsweise“ entsprechend § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen. Da die Klägerin bereits mit einem voll funktionsfähigen Elektro-Rollstuhl versorgt worden sei, bestehe kein Sachleistungsanspruch auf eine Doppelausstattung. Eine Bewilligung wäre mithin rechtswidrig. Da die Klägerin den beantragten Rollstuhl weder erhalten noch bezahlt habe, bestehe auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Kostenübernahme scheide aus, weil eine Mehrfachausstattung nur in Ausnahmefällen möglich sei. Zum einen, wenn ein am Körper getragenes Hilfsmittel aus hygienischen Gründen gewechselt werden müsse oder wenn die gelieferte Erstattung nicht ausreiche, um alle konkret zu berücksichtigenden Grundbedürfnisse abzudecken. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Zudem habe die Beklagte eine ggfs fiktiv eingetretene Genehmigungsfiktion mit Schreiben vom 28. April 2016 vorsorglich zurückgenommen.

Die Klägerin hat am 8. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg eingelegt und die Ansicht vertreten, dass auch Hilfsmittel der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V unterfielen. Andernfalls käme man zu dem Ergebnis, dass die Neuregelung gerade da versage, wo sie am Dringendsten benötigt werde: bei schweren Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit oder Behinderungen. Zudem unterscheide das SGB V ausdrücklich zwischen dem Begriff des Hilfsmittels in § 33 SGB V und der medizinischen Rehabilitation in § 40  SGB V. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei das wesentliche Ziel der Hilfsmittelversorgung, das behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen unabhängig oder weniger abhängig würden. Mit dieser Argumentation habe das BSG ua die grundsätzliche Bewilligungsfähigkeit eines Elektro-Rollstuhls neben einem bereits vorhandenen manuellen Rollstuhl bejaht. Dem Grundbedürfnis nach Mobilität im Innen- und Außenbereich  werde bei einer Versorgung nur mit einem Rollstuhl nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Genehmigungsfiktion könne nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden.

Mit Urteil vom 27. Januar 2017 hat das SG den Bescheid vom 27. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin den Elektro-Rollstuhl „Samm Qlass Lift zu beschaffen. Der Anspruch der Klägerin folge nicht aus § 33 SGB V, da vorliegend keine Gründe erkennbar seien für eine Versorgung mit einem weiteren Rollstuhl, der ausschließlich im Innenbereich benutzt werden könne. Die Klägerin könne den beantragten Elektrorollstuhl jedoch aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V beanspruchen. Die Beklagte habe über den Antrag erst am 27. November 2015 entschieden. Damit seien die Fristen des § 13 Abs 3 a SGB V nicht eingehalten worden. Die Beklagte habe die Klägerin weder davon in Kenntnis gesetzt, die Fristen nicht einhalten zu können, noch hinreichende Gründe für die Verzögerung vorgebracht noch habe sie einen konkreten Entscheidungstermin benannt. Bei der streitgegenständlichen Versorgung mit einem Elektro-Rollstuhl handele es sich nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Das Gesetz unterscheide ausdrücklich zwischen dem Begriff des Hilfsmittels (§ 33 SGB V) und einer medizinischen Rehabilitation (§ 40 SGB V). Zwar sei der Begriff der medizinischen Rehabilitation weiter zu verstehen als die Definition in § 40 SGB V, allerdings beziehe sich der Leistungsbegriff des § 13 Abs 3a Satz 9  SGB V nur auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSd SGB V. Zwar habe der Gesetzgeber Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bewusst aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V ausgeklammert. Es finde sich in den Gesetzesmaterialien zu § 13 Abs 3a SGB V kein Hinweis, dass es der Wille des Gesetzgebers gewesen wäre, Hilfsmittel vom Regelungsbereich dieser Vorschrift auszunehmen. Der Antrag der Klägerin habe eine Leistung betroffen, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV gelegen habe. Zum einen habe sie früher einen entsprechenden Rollstuhl gehabt, zum anderen habe sie von ihrer behandelnden Ärztin eine entsprechende Verordnung erhalten.  Nicht maßgeblich sei, ob die Leistung auch im Sinne von § 2 Abs 1 SGB V erforderlich sei, denn das stünde dem Sanktionscharakter der Norm entgegen. Die Genehmigungsfiktion begründe zugunsten des Leistungsberechtigten nicht nur einen Kostenerstattungsanspruch sondern auch einen Naturalleistungsanspruch. Ansonsten wären mittellose Versicherte vom Wirkbereich der Norm faktisch ausgeschlossen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2016 habe die Genehmigungsfiktion nicht wirksam beseitigt. Gegenstand des Widerrufs der Genehmigungsfiktion sei nicht ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, sondern ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt nach § 47 SGB X. Die Rechtmäßigkeit der Genehmigungsfiktion beurteile sich nach der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 13 Abs 3 a SGB V, nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Die Voraussetzungen des § 47 SGB X lägen jedoch nicht vor. Der Weg über § 47 SGB X anstelle über § 45 SGB X trage der gesetzgeberischen Intention Rechnung, dass die gesetzliche Krankenversicherung innerhalb enger Fristen über die Anträge zu entscheiden und ansonsten die beantragte Leistung als bewilligt zu gelten habe. Das Urteil ist der Beklagten am 15. Februar 2017 zugestellt worden.

Unter dem 21. Februar 2017 hat die Beklagte beim SG die Zulassung der Revision beantragt.

Mit Beschluss vom 30. Juni 2017 hat das SG den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision abgelehnt. Der Beschluss ist der Beklagten am 6. Juli 2017 zugestellt worden.

Die Beklagte hat am 13. Juli 2017 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Berufung gegen das Urteil eingelegt und gerügt, dass Hilfsmittel von der Genehmigungsfiktion des §13 Abs 3a SGB V ausgeschlossen seien, da es sich um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation handele. Das folge aus  § 31 Abs 1 iVm § 26 Abs 2 Nr 6 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), wonach Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere Hilfsmittel umfassen würden. Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs sei die gesetzliche Krankenversicherung nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Eine darüber hinaus gehende berufliche oder soziale Rehabilitation sei dagegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Versorgungsanspruch darüber hinaus bestehe nicht bereits deshalb, weil ein Gegenstand als Hilfsmittel der Gesetzlichen Krankenversicherung vertragsärztlich verordnet worden sei. Vielmehr stehe den Krankenkassen ein eigenes Prüfrecht zu, ob ein Hilfsmittel nach Maßgabe des § 33 SGB V zur medizinischen Rehabilitation oder zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung im Einzelfall erforderlich sei. Der beantragte Elektro-Rollstuhl diene nicht der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung oder zur Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung sondern sei vorliegend eine Leistung der Rehabilitation. Nach der Gesetzesbegründung sollte durch die Schaffung des § 13 Abs 3a SGB V lediglich eine Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens bezweckt werden, der Leistungsanspruch sollte indes nicht erweitert werden. Zudem sei vorliegend das Tatbestandsmerkmal der „Beschaffung“ iSd § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V nicht erfüllt. Schließlich sei in Satz 7 der Vorschrift noch die „Erforderlichkeit“ der Leistung vorgesehen, die von der Klägerin ebenfalls nicht erfüllt werde. Schließlich sei es sinnlos, würde § 45 SGB X zwar im Rahmen des § 13 Abs 3a grundsätzlich Anwendung finden, aber de facto nie zu einer Rücknahme führen, wenn eine fiktive Genehmigung nie rechtswidrig sein könnte. Vielmehr sei mit dem 3. Senat des BSG (Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 30/15) davon auszugehen, das zu der Auffassung neige, dass die durch § 13 Abs 3a S 7 SGB V gesetzlich fingierte Genehmigung grundsätzlich nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften der § 44 ff SGB X aufgehoben werden könne, wobei deren Voraussetzungen an dem materiell-rechtlich genehmigten Leistungsanspruch zu bemessen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 27. Januar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass der Begriff der medizinischen Reha in § 13 Abs 3a Satz 9 SGB V funktionsadäquat auszulegen sei. Keine Leistung der medizinischen Reha iSd § 13 Abs 3a Satz 9 sei eine Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V; hierbei handle es sich um eine ureigene und klassische Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, die eine Überleitung zur Fristenregelung des § 14 SGB IX nicht erforderlich mache. Neben dem Kostenerstattungsanspruch gewähre § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V eindeutig einen Anspruch auf Sachleistung. Die Aufhebung der Genehmigungsfiktion sei rechtlich nicht möglich, da die fingierte Genehmigung eine gesetzliche Rechtsfolge sei, die nicht rechtswidrig sein könne.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 14. November und 16. November 2017 erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist gemäß §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Insbesondere ist die Berufungsfrist gewahrt. Zwar ist die Berufung grundsätzlich gemäß § 151 Abs 1 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Das Urteil ist der Beklagten bereits am 15. Februar 2017 zugestellt worden. Allerdings gilt eine abweichende Fristberechnung, wenn der Berufungsführer -wie hier - die Sprungrevision zum BSG nach § 161 Abs 1 SGG beantragt hat. Lehnt das SG den Antrag ab, so beginnt die Berufungsfrist gemäß § 161 Abs 3 SGG erst mit Zustellung dieser Entscheidung. Der Beschluss ist der Beklagten am 6. Juli 2017 zugestellt worden, so dass mit Berufungseinlegung am 13. Juli die Berufungsfrist gewahrt ist.

Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung der Bescheide verurteilt, die Klägerin mit dem beantragten Elektrorollstuhl zu versorgen.

Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und Abs 4 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Die Klägerin hat aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion Anspruch auf Versorgung mit dem Beantragten Elektrorollstuhl (dazu unter 1.). Die Beklagte hat die fingierte Genehmigung auch nicht wirksam zurückgenommen (dazu unter 2.).

1. Die Regelung des § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V ist auf den Antrag der Klägerin sachlich und zeitlich anwendbar. Nach dem maßgeblichen intertemporalen Rechts greift die Regelung lediglich für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem 26. Februar 2013 gestellt haben. Der Antrag der Klägerin datiert vom 1. Oktober 2015. Der sachliche Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion erfasst auch Hilfsmittel. Der von der Klägerin beantragte Elektrorollstuhl „Luca Qlass Lift Elektrorollstuhl“ ist nicht Gegenstand der medizinischen Reha, sondern die Versorgung mit einem Hilfsmittel im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs.

Nach § 13 Abs 3a  Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in den Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt, § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V. Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V gewährt einen Naturalleistungsanspruch entsprechend dem fingierten Leistungsbescheid.

a) Nach § 13 Abs 3a Satz 9 SGB V gelten für Leistungen zur medizinischen Reha die §§ 14 und 15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbstbeschaffter Leistungen. Damit hat der Gesetzgeber bewusst Leistungen zur medizinischen Reha aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V ausgeklammert. Schon die Vorgaben für die Zuständigkeitsklärung der Leistungen zur medizinischen Reha (§ 14 SGB IX) wären mit dem Fristenregime des § 13 Abs 3a SGB V nicht kompatibel. Der Begriff der Leistungen der medizinischen Reha ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BSG Urteil vom 8. März 2016, - B 1 KR 25/15 R- Rn 16 und 17) funktionsadäquat auszulegen: Einerseits umfasst er in einem weiten Sinn Leistungen, die eine Krankenkasse als erstangegangener Reha-Träger nach dem Recht des eigentlich zuständigen Trägers zu erbringen hat, wenn sie den Antrag weiterleitet und deshalb im Außenverhältnis zum zuständigen Träger wird. Die in § 14 Abs 1 und 2 SGB IX geregelte Zuständigkeit erstreckt sich in diesem Falle im Außenverhältnis (behinderter Mensch/Reha-Träger) auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind. Einbezogen sind zB Adaptionsmaßnahmen, die eine Krankenkasse allein nach dem Recht des SGB V nicht leisten müsste. Dieser Schutzmechanismus darf nicht durch ein zu enges Begriffsverständnis der „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ ausgehebelt werden. Andererseits erstreckt sich dieser Leistungsbegriff in der Regelung des § 13 Abs 3a Satz 9 SGB V – bei einem Antrag auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in einem engeren Sinne – nur auf die Leistungen zur medizinischen Reha im Sinne des SGB V. Das sind insbesondere die dort als solche bezeichneten Leistungen (§ 40 SGB V), aber auch zB teilweise Arbeitstherapie. Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung – wie die Klägerin – haben gemäß § 11 Abs 2 Satz 1 SGB V ua Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Reha, die „notwendig sind, um eine Behinderung (…) abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern“. Diese Leistungen werden unter Beachtung des SGB IX erbracht, soweit im SGB IX nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs 2 Satz 3 SGB V). Die Krankenkassen – gemäß § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB IX mögliche Träger von Leistungen zur Reha – sind nach den Vorschriften des SGB V zur Erbringung medizinischer Reha-Leistungen indes nur unter den dort genannten Voraussetzungen verpflichtet  (BSG aaO mwN).

b) Nach dieser Maßgabe handelt es sich bei dem von der Klägerin begehrten Elektrorollstuhl nicht um eine Reha-Leistung, sondern um eine Hilfsmittelversorgung im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs nach § 33 Abs 1 SGB V. Hilfsmittel gehören nicht bereits deshalb zu den Reha-Leistungen, weil sie auch dem Behinderungsausgleich dienen und nach dem Verständnis des SGB IX Leistungen der medizinischen Reha sein können. Allein aus der Erwähnung der Hilfsmittel als Leistung in § 26 Abs 2 NR 6 SGB IX folgt kein deckungsgleiches Verhältnis (Schifferdecker in Kasseler Kommentar, § 13 SGB V, Rn 147a, Stand Mai 2017).

Hilfsmittel dienen dem Behinderungsausgleich, wenn die gesundheitliche Regelwidrigkeit selbst nicht behoben werden kann. Ein therapeutischer Erfolg dahingehend, dass die Krankheit geheilt oder ihre Verschlimmerung verhütet wird, findet nicht statt. Eine therapeutische Wirkung im engeren Sinne wird nicht erwartet. Der Behinderungsausgleich iS des § 33 Abs 1 Satz 1 3. Fall SGB V umfasst die Hilfsmittel, die dem Ausgleich der Behinderung selbst dienen oder die direkten oder indirekten Folgen der Behinderung ausgleichen sollen (BSGE 98,213 [BSG 19.04.2007 - B 3 KR 9/06 R] <216>). Bei Hilfsmitteln mit dem Ziel des Behinderungsausgleichs ist der Nachweis eines therapeutischen Nutzens, der über die Funktionstauglichkeit zum Ausgleich der Behinderung hinausgeht, nicht geboten (BSGE 93,183 [BSG 16.09.2004 - B 3 KR 20/04 R] <186>).

Bei dem bei der Klägerin vorliegenden mittelbaren Behinderungsausgleich sind die direkten oder indirekten Folgen der Behinderung betroffen, soweit die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder zumindest gemildert werden und somit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Allgemeine Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sind das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Ernährung, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen, die Mobilität im eigenen Wohnumfeld einschließlich der elementaren Lebens- und Haushaltsführung, die Schaffung und Erschließung eines körperlichen und geistigen Freiraums; ausreichend ist auch die Sicherung der Bewegungsfreiheit des körperlichen Freiraums bei übersteigertem Bewegungsdrang und fehlendem Gefahrenbewusstsein sowie die qualitative Erweiterung des persönlichen Freitraums (st. Rechtsprechung, BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 - B 3 KR 12/10 R Rdnr 13 mwN;  Nolte, aaO, § 33 Rdnr 12a mwN). Vor diesem Hintergrund hat das BSG auch ein Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel qualifiziert. Hilfsmittel iSd § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V sind alle sächlichen Mittel, die den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern, einer drohenden Behinderung vorbeugen oder eine bestehende Behinderung ausgleichen, selbst dann, wenn ihre Anwendung durch den Versicherten selbst sicherzustellen ist. Diese Voraussetzungen werden für das Rollstuhl-Bike als erfüllt angesehen, da die Hilfsmitteleigenschaft nach objektiven Kriterien bestimmt wird. Personenbezogene Merkmale sind hierfür nicht maßgeblich (BSG aaO). Nach diesen Maßgaben kann die Hilfsmitteleigenschaft des begehrten Elektrorollstuhls nicht ernsthaft angezweifelt werden. Vielmehr ist die gegenteilige Argumentation der Beklagten für eine Einordnung des Elektrorollstuhls als Reha-Leistung allein von der Idee getragen, eine Hilfsmittelversorgung einer Genehmigungsfiktion zu entziehen.

c) Damit eine Leistung – wie hier die Hilfsmittelversorgung – als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 SGB X hinreichend bestimmt ist (BSG Urteil vom  11. Juli 2017 – B 1 KR 1/17 R – mwN). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin hat am 1. Oktober 2015 bei der Beklagten unter Vorlage eines Kostenvoranschlages und einer ärztlichen Verordnung der Hilfsmittelversorgung die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl des Typs „Luca Qlass Lift Elektrorollstuhl“ zum Preis 16075,68 Euro beantragt. Dementsprechend ist der sich aus dem Antrag ergebende Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei und versetzt den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage, sein Verhalten daran auszurichten. Der Regelungsgehalt ist objektiv zu erkennen und der Verfügungssatz ist geeignete Grundlage für eine zwangsweise Durchsetzung.

d) Die Beklagte hat den am 1. Oktober 2015 gestellten Antrag erst am 27. November 2015 beschieden. Zu diesem Zeitpunkt war sowohl die hier maßgebliche 3-Wochenfrist (da die Ablehnung ohne Einschaltung des MDK erfolgt ist) als auch die 5-Wochenfrist verstrichen, ohne dass der Klägerin Gründe für eine Überschreitung der Frist mitgeteilt worden sind.

e) Der Antrag auf Versorgung mit dem begehrten Elektrorollstuhl betraf auch eine Leistung, die die Klägerin subjektiv für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs lag. Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§12 Abs 1 SGB V) entgegen. § 13 Abs 3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von deren Anforderungen ab, indem es in seinem Satz 6 selbst in den Fällen, in denen eine Krankenkasse einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur „zufällig“ rechtmäßig ist, mithin die Leistung auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese objektiv keinen materiell-rechtlichen Anspruch hat. Wären nur die auf materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche gerichteten Ansprüche fiktionsfähig, wäre die Regelung des § 13 Abs 3a SGB V obsolet (BSG Urteil vom 11. Juli 2017, - B 1 KR 16/16 R). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat eine fachliche Befürwortung ihrer behandelnden Ärztin in Form einer entsprechenden Verordnung vorgelegt.  Zudem sind die Kosten in der Vergangenheit für einen entsprechenden Rollstuhl von der Beklagten übernommen worden, der inzwischen verschleißbedingt Defekte aufweist. Insoweit ist ein Rechtsmissbrauch nicht ersichtlich.

Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch. Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren. Für diese Auslegung spricht schließlich der Sanktionscharakter der Norm. Soweit vereinzelte abweichende Stimmen einen Naturalleistungsanspruch als Rechtsfolge der Genehmigungsfiktion verneinen, geht diese Ansicht fehl. Letztlich will die einen Naturalleistungsanspruch ablehnende Meinung die von ihr als gesetzgeberische Fehlleistung bewertete Rechtsfolge des § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V entgegen dem eindeutigen Wortlaut nicht anwenden. Dabei vernachlässigt sie, dass § 13 Abs 3a SGB V bewusst abweichend von den sonstigen in § 13 SGB V geregelten Kostenerstattungstatbeständen geregelt ist und sich wie der Erstattungsanspruch aus § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V nur auf subjektiv erforderliche Leistungen erstreckt (vgl BSG Urteil vom 11. Juli 2017, - B 1 KR 26/16 R - mwN).

2. Die fingierte Genehmigung ist auch später nicht erloschen. Insbesondere hat sie die Beklagte nicht wirksam nach § 45 SGB X zurückgenommen.

Auch eine fingierte Genehmigung, wie die der Klägerin, bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (BSG Urteile vom 11. Juli 2017, - B 1 KR 1/17 R und B 1 KR 26/16 R -). Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§ 13 Abs 3a SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Die vom 1. Senat des BSG entwickelten Grundsätze gelten in gleicher Weise für Naturalleistungsbegehren wie für Kostenerstattungsbegehren. Eine unterschiedliche Behandlung der beiden Fallgruppen widerspräche der Gesetzeskonzeption, dem Sanktionscharakter der Regelung, die das Interesse aller Versicherten an einem beschleunigten Verfahren schützt (BSG aaO).

In diesem Zusammenhang hat der 3. Senat des BSG (Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 30/15 R Rn 50 ) ausgeführt, ohne dass es für den dort zu entschiedenen Fall wirksam geworden ist, dass er zu der Auffassung „neige“, dass die durch § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V  gesetzlich fingierte Genehmigung grundsätzlich nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften der § 44 ff SGB X aufgehoben werden könne, wobei deren Voraussetzungen an dem materiell-rechtlich genehmigten Leistungsanspruch zu bemessen seien. Dahinter stehe das Verständnis, dass die allgemeinen Regelungen zur Bestandskraft von Verwaltungsakten und deren Modifikation auch auf fingierte Genehmigungen (entsprechende) Anwendung finden; denn einer nur fingierten Genehmigung könne keine stärke Bestandskraft zu kommen, als einer ausdrücklich mittels eines formellen Verwaltungsakts erteilten Genehmigung. Fingiert wird nach der (bislang erst angekündigten aber noch nicht rechtskräftig angewandten) Auffassung des 3. Senats des BSG nur der Erlass der Genehmigung selbst, nicht aber deren Rechtmäßigkeit. Die Verwaltung müsse daher die Möglichkeit haben, eine der objektiven Rechtslage widersprechende, lediglich aufgrund der gesetzlichen Fiktion eingetretene Genehmigung ebenso aufzuheben, als wäre sie im Wege eines formellen begünstigenden Verwaltungsakts erlassen worden, nämlich grundsätzlich unter Abwägung mit Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes des Betroffenen entsprechend den Regelungen der §§ 44 ff SGB X . Für diese Sichtweise spräche, dass die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V gar nicht erst eintreten würde, wenn ihre Voraussetzungen von Anfang an nicht vorlagen oder später entfallen sind, dh wenn insbesondere der Fristablauf noch nicht eingetreten war.

Unter dem zuletzt genannten Aspekt stimmen die Auffassungen von 1. und 3. Senat des BSG überein. Auch der 1. Senat hält eine Rücknahme einer fingierten rechtswidrigen Genehmigung nach § 45 SGB X für möglich, wenn die Voraussetzungen der Fiktion nicht erfüllt sind. Im Unterschied zum 3. Senat bezieht er die Rechtswidrigkeit allerdings auf die Genehmigungsfiktion an sich und nicht auf den zugrunde liegenden genehmigten materiell-rechtlichen Anspruch. Das erscheint auch überzeugend und konsequent. Eine Rücknahme ist – als actus contrarius –  denklogisch auf den originären Verwaltungsakt beschränkt. Nach § 31 SGB X ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Hier liegt die Regelung mit Außenwirkung im Eintritt der Fiktion. Die Fiktion erschöpft sich ihrerseits im verfahrensrechtlichen Akt der Genehmigung (Noftz in Hauck/Noftz § 13 Rn 58 l ); der zugrundeliegende Leistungsanspruch unterliegt aufgrund des Sanktionscharakters keiner eigenständigen Überprüfung, sondern ist nur Bezugspunkt der Genehmigungsfiktion. Dementsprechend kann eine fingierte Genehmigung nur in den Fällen zurückgenommen werden, in denen eine Fiktionsvoraussetzung nicht vorlag. Das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs ist jedoch nicht Fiktionsvoraussetzung, sodass es darauf auch im Rahmen einer Rücknahme nicht ankommen kann.

Nach dieser Maßgabe hat die Beklagte die fingierte Genehmigung nicht wirksam nach § 45 SGB X zurückgenommen. Es fehlt insoweit schon am Vorliegen eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, da nach den vorstehenden Ausführungen sämtliche Fiktionsvoraussetzungen erfüllt waren.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

4. Ein Grund, die Revision zuzulassen (§160 Abs 2 SGG) liegt nicht vor. Eine divergierende Entscheidung des 3. Senats liegt in der Sache  bislang nicht vor. Der 3. Senat hat mit seinen Ausführungen im Urteil vom 11. Mai 2017 (B 3 KR 30/15) allenfalls eine vorläufige Haltung dargelegt, aber in Bezug auf den Prüfungsumfang von § 45 SGB X bei Anwendung auf die Genehmigungsfiktion keine endgültigen Feststellungen getroffen.